„Hermann Kastner“ – Versionsunterschied

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[[Datei:Bundesarchiv Bild 183-S85476, Berlin, III. Deutscher Volkskongreß, Rede Kastners.jpg|mini|Hermann Kastner beim III. [[Deutscher Volkskongress|Deutschen Volkskongress]] im [[Admiralspalast]] in Berlin (1949)]]
[[Datei:Bundesarchiv Bild 183-S88621, Berlin, DDR-Gründung, 9. Volksratsitzung, Hermann Kastner.jpg|mini|Kastner bei der Konstituierung der [[Volkskammer#Geschichte der Volkskammer bis April 1990|Provisorischen Volkskammer]] im [[Detlev-Rohwedder-Haus|Gebäude der DWK]] in Berlin (1949)]]
[[Datei:Fotothek df roe-neg 0002030 004 Eröffnungsfeier der Frühjahrsmesse im Städtischen Schauspiel.jpg|mini|Kastner bei der Eröffnung der [[Leipziger Messe|Leipziger Frühjahrsmesse]] im [[Schauspiel Leipzig]] (1950)]]
[[Datei:Bundesarchiv Bild 183-S88610, Berlin, DDR-Gründung, 9. Volksratsitzung, Rede Kastner.jpg|mini|hochkant|Rede zur DDR-Gründung 1949]]

'''Hermann Kastner''' (* [[25. Oktober]] [[1886]] in [[Berlin]]; † [[4. September]] [[1957]] in [[München]]) war ein deutscher Politiker ([[Liberal-Demokratische Partei Deutschlands|LDPD]]). 1946 bis 1948 war er sächsischer Justizminister, 1949 bis 1950 LDP-Vorsitzender und [[Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik#Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrats| stellvertretender Ministerpräsident der DDR]]. 1950 wurde er unter dem Vorwurf der Korruption abgelöst, 1951 jedoch rehabilitiert. Er floh 1956 in den Westen.
'''Hermann Kastner''' (* [[25. Oktober]] [[1886]] in [[Berlin]]; † [[4. September]] [[1957]] in [[München]]) war ein [[Deutschland|deutscher]] [[Rechtsanwalt]] und [[Politiker]] ([[Deutsche Demokratische Partei|DDP]], [[Liberal-Demokratische Partei Deutschlands|LDP]]).

Er war von 1922 bis 1933 und von 1946 bis 1950 Mitglied des [[Sächsischer Landtag|Sächsischen Landtags]], von 1946 bis 1948 [[Sächsisches Staatsministerium der Justiz|Sächsischer Justizminister]] und [[Ministerpräsident#Deutschland|stellvertretender Ministerpräsident]] des [[Geschichte Sachsens#Die Nachkriegszeit bis zur Auflösung der Länder in der DDR (1945–1952)|Landes Sachsen]], von 1948 bis 1949 Leiter des Fachsekretariats Finanzen, Post und Fernmeldewesen und stellvertretender Vorsitzender der [[Deutsche Wirtschaftskommission|Deutschen Wirtschaftskommission]], von 1948 bis 1949 Mitglied des Präsidiums des [[Deutscher Volksrat|Deutschen Volksrates]], von 1949 bis 1950 Mitglied der [[Volkskammer#Geschichte der Volkskammer bis April 1990|Provisorischen Volkskammer]] sowie [[Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik#Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates|stellvertretender Ministerpräsident der DDR]].

Seit 1949 fungierte er gemeinsam mit [[Karl Hamann]] als Kovorsitzender der LDP, wurde jedoch 1950 seines Amtes enthoben und aus der Partei ausgeschlossen. Nachdem er 1951 rehabilitiert und wieder aufgenommen worden war, [[Flucht aus der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR|flüchtete er 1956 in die Bundesrepublik Deutschland]].


== Leben ==
== Leben ==
Kastner wurde als Sohn eines Lehrers geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums zum [[Berlinisches Gymnasium zum Grauen Kloster|Grauen Kloster]] studierte er von 1904 bis 1908 [[Rechtswissenschaft]] und [[Volkswirtschaft]] an der [[Humboldt-Universität zu Berlin|Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin]]. Während seines Studiums wurde er Mitglied beim [[Verein Deutscher Studenten Berlin und Charlottenburg|Verein Deutscher Studenten Berlin]].<ref>Louis Lange (Hrsg.): ''Kyffhäuser-Verband der Vereine Deutscher Studenten. Anschriftenbuch 1931.'' Berlin 1931, S. 107.</ref> Kastner legte 1908 die Referendarprüfung ab und [[Promotion (Doktor)|promovierte]] 1909 an der [[Friedrich-Schiller-Universität Jena|Universität Jena]] mit dem Thema ''Der Impfzwang und das Reichs-Impfgesetz vom 8. April 1874'' zum Dr. jur. Danach war Kastner als Referendar in den Stadtverwaltungen von [[Berlin-Lichtenberg]] und [[Berlin-Neukölln]] sowie beim Berliner Magistrat tätig. 1917 wurde er als Professor an die [[Fürst Leopold-Akademie für Verwaltungswissenschaften|Fürst-Leopold-Akademie]] in [[Lippe-Detmold]] berufen, wo er Vorlesungen über [[Staatsrecht (Deutschland)|Staats-]], [[Kommunalrecht|Kommunal-]] und [[Verwaltungsrecht]] hielt. 1920 ging Kastner nach [[Dresden]], wo er die Leitung und Organisation von sächsischen Wirtschaftsverbänden übernahm.
Kastner wurde als Sohn eines Lehrers geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums zum [[Berlinisches Gymnasium zum Grauen Kloster|Grauen Kloster]] studierte er von 1904 bis 1908 [[Rechtswissenschaft]] und [[Volkswirtschaft]] an der [[Humboldt-Universität zu Berlin|Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin]]. Während seines Studiums wurde er Mitglied beim [[Verein Deutscher Studenten Berlin und Charlottenburg|Verein Deutscher Studenten Berlin]].<ref>Louis Lange (Hrsg.): ''Kyffhäuser-Verband der Vereine Deutscher Studenten. Anschriftenbuch 1931.'' Berlin 1931, S. 107.</ref> Kastner legte 1908 die Referendarprüfung ab und [[Promotion (Doktor)|promovierte]] 1909 an der [[Friedrich-Schiller-Universität Jena|Universität Jena]] mit dem Thema ''Der Impfzwang und das Reichs-Impfgesetz vom 8. April 1874'' zum Dr. jur. Danach war Kastner als Referendar in den Stadtverwaltungen von [[Berlin-Lichtenberg]] und [[Berlin-Neukölln]] sowie beim Berliner Magistrat tätig. 1917 wurde er als Professor an die [[Fürst Leopold-Akademie für Verwaltungswissenschaften|Fürst-Leopold-Akademie]] in [[Fürstentum Lippe-Detmold|Lippe-Detmold]] berufen, wo er Vorlesungen über [[Staatsrecht (Deutschland)|Staats-]], [[Kommunalrecht|Kommunal-]] und [[Verwaltungsrecht]] hielt; nach seinem Weggang von der Fürst-Leopold-Akademie führte er seinen Professorentitel im Sinne einer [[Titularprofessor|Titularprofessur]] weiter, wozu keine formale Berechtigung bestand.<ref>Johannes Zeller: ''Prof. Dr. Hermann Kastner – Politiker, Lebemann, Agent. Eine Funktionärs-Biographie 1945 bis 1956.'' Kovač, Hamburg 2016, S. 176&nbsp;ff.</ref> 1920 ging Kastner als [[Syndikus]] sächsischer Wirtschaftsverbände nach [[Dresden]].


1918 wurde er Mitglied der [[Deutsche Demokratische Partei|Deutschen Demokratischen Partei]] (DDP). Die Partei wählte Kastner zum Vorsitzenden Ostsachsens. Von der 2. Wahlperiode 1922 bis zur 4. Wahlperiode 1930 vertrat er die DDP als Abgeordneter im Sächsischen Landtag. In der 5. Wahlperiode von 1930 bis 1933 vertrat er die mittlerweile entstandene [[Deutsche Staatspartei]] im Sächsischen Landtag. Zeitweilig suchte er die Nähe zur NSDAP und beabsichtigte als Finanzminister in die Regierung Manfred von Killinger (NSDAP) einzutreten.<ref>Johannes Zeller: ''Prof. Dr. Hermann Kastner – Politiker, Lebemann, Agent. Eine Funktionärs-Biographie 1945 bis 1956.'' Kovač, Hamburg 2016, S. 178.</ref> Für die 6. Wahlperiode, die sich vom 16. Mai 1933 bis zum 22. August 1933 erstreckte und bereits unter nationalsozialistischer Herrschaft stand, stellte sich Kastner dann aber doch nicht mehr zur Verfügung. Er arbeitete fortan als [[Rechtsanwalt]] in Dresden.
1918 wurde er Mitglied der [[Deutsche Demokratische Partei|Deutschen Demokratischen Partei]] (DDP). Die Partei wählte Kastner zum Vorsitzenden Ostsachsens. Von der 2. Wahlperiode 1922 bis zur 4. Wahlperiode 1930 vertrat er die DDP als Abgeordneter im Sächsischen Landtag. In der 5. Wahlperiode vertrat er von Oktober 1930 bis 1933 als Nachrücker für [[Julius Dehne]] die mittlerweile entstandene [[Deutsche Staatspartei]] im Sächsischen Landtag. Zeitweilig suchte er die Nähe zur NSDAP und beabsichtigte als Finanzminister in die Regierung [[Manfred von Killinger]] (NSDAP) einzutreten.<ref>Zeller: ''Kastner.'' S. 178</ref> Für die 6. Wahlperiode, die sich vom 16. Mai 1933 bis zum 22. August 1933 erstreckte und bereits unter nationalsozialistischer Herrschaft stand, stellte sich Kastner dann aber doch nicht mehr zur Verfügung. Er arbeitete fortan als [[Rechtsanwalt]] in Dresden. Während der Zeit des Nationalsozialismus unterhielt er Verbindungen zur Widerstandsgruppe um [[Rainer Fetscher]] und geriet mehrmals in Haft.


Im Juni 1945 übernahm er das Amt des Präsidenten der Anwalts- und Notarkammer Sachsens. Er gehörte zu den Initiatoren des Gründungsaufrufs des Landesverbandes Sachsen der „Demokratischen Partei Deutschlands“ vom 6. Juli 1945. Am 15. August benannte sich die Partei in [[Liberal-Demokratische Partei Deutschlands|LDP]] um, und Kastner wurde ihr erster sächsischer Landesverbandsvorsitzender, der er bis zum Oktober 1947 blieb. Er galt als engagierter Befürworter der Blockpolitik, und so gehörte er zu den 70 Vertretern der „Beratenden Versammlung“, dem Vorläufer des Sächsischen Landtags. Nach den Landtagswahlen vom 20. Oktober 1946 in Sachsen zog Kastner für die LDP in den Landtag ein und wurde zugleich Vizepräsident und Mitglied des Ältestenrates.
Im Juni 1945 übernahm er das Amt des Präsidenten der Anwalts- und Notarkammer Sachsens. Er gehörte zu den Initiatoren des Gründungsaufrufs des Landesverbandes Sachsen der „Demokratischen Partei Deutschlands“ vom 6. Juli 1945. Am 15. August benannte sich die Partei in [[Liberal-Demokratische Partei Deutschlands|LDP]] um, und Kastner wurde ihr erster sächsischer Landesverbandsvorsitzender, der er bis zum Oktober 1947 blieb. Er galt als engagierter Befürworter der Blockpolitik, und so gehörte er zu den 70 Vertretern der „Beratenden Versammlung“, dem Vorläufer des Sächsischen Landtags. Nach den Landtagswahlen vom 20. Oktober 1946 in Sachsen zog Kastner für die LDP in den Landtag ein und wurde zugleich Vizepräsident und Mitglied des Ältestenrates.
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Des Weiteren beteiligte er sich im Deutschen Volksrat für die LDP an der Ausarbeitung einer Verfassung für die [[Deutsche Demokratische Republik]]. Im gleichen Jahr wurde Kastner stellvertretender LDP-Chef. Auf dem [[Eisenach]]er Parteitag 1949 wählte ihn die Partei zum Vorsitzenden.
Des Weiteren beteiligte er sich im Deutschen Volksrat für die LDP an der Ausarbeitung einer Verfassung für die [[Deutsche Demokratische Republik]]. Im gleichen Jahr wurde Kastner stellvertretender LDP-Chef. Auf dem [[Eisenach]]er Parteitag 1949 wählte ihn die Partei zum Vorsitzenden.


Am 11. Oktober 1949 wurde Kastner in der ersten DDR-Regierung unter [[Otto Grotewohl]] stellvertretender Ministerpräsident. Im Zuge LDP-interner Auseinandersetzungen wurde er auf Betreiben Hans Lochs und Johannes Dieckmanns vom LDP-Parteivorsitz abgelöst und aus der Partei ausgeschlossen. Dadurch verlor er auch bereits im Juli 1950 sein Regierungsamt wieder. Die vordergründig gegen ihn erhobenen Anschuldigungen (Widerstand gegen die Einführung von Einheitslisten zu den ersten Volkskammerwahlen, Verschwendungssucht, Eitelkeit und Korruption) stellten sich als haltlos heraus.<ref>Zeller: ''Kastner.'' S. 131–139.</ref> Kastner wurde 1951 rehabilitiert. Er erhielt den Vorsitz des "Förderungsausschuss für die deutsche Intelligenz beim Ministerpräsidenten der DDR", einem Organ des Ministerpräsidenten mit beträchtlichen politischen und materiellen Einflussmöglichkeiten auf die Intelligenz, nicht zuletzt, um Absetzbewegungen nach dem Westen zu verhindern.<ref>Zeller: ''Kastner.'' S. 146–159.</ref> Durch den sowjetischen Hochkommissar Wladimir Semjonowitsch Semjonow war Kastner 1953 für kurze Zeit als Justizminister im Gespräch.<ref>Zeller: ''Kastner.'' S. 162, 179.</ref><ref>{{Internetquelle |autor= |url=http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-25656681.html |titel=SOWJETZONE: Alles auf den Kopf |werk=[[Der Spiegel]] |datum=1953-07-15 |zugriff=2016-05-05}}</ref>
Am 11. Oktober 1949 wurde Kastner in der ersten DDR-Regierung unter [[Otto Grotewohl]] stellvertretender Ministerpräsident. Im Zuge LDP-interner Auseinandersetzungen wurde er auf Betreiben [[Hans Loch]]s und Johannes Dieckmanns vom LDP-Parteivorsitz abgelöst und aus der Partei ausgeschlossen. Dadurch verlor er im Juli 1950 auch sein Regierungsamt. Kritisiert wurde sein Eintreten für die Blockpolitik, seine kompromissbereite Haltung gegenüber der SED, seine Zustimmung zu den Enteignungen im Zuge der Bodenreform sowie Verschwendungssucht, Eitelkeit und Korruption. Zudem wurden Kastner seine sehr guten Kontakte zur sowjetischen Militärverwaltung, dort vor allem zum späteren sowjetischen Botschafter in Berlin, [[Wladimir Semjonowitsch Semjonow|Wladimir Semjonow]], vorgeworfen.<ref>{{Säbi|Karsten Jedlitschka|124426832|Hermann Kastner}}</ref> Die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen stellten sich als haltlos heraus.<ref>Zeller: ''Kastner.'' S. 131–139.</ref> Kastner wurde 1951 rehabilitiert. Er erhielt den Vorsitz des „Förderungsausschusses für die deutsche Intelligenz beim Ministerpräsidenten der DDR“, einem Organ des Ministerpräsidenten mit beträchtlichen politischen und materiellen Einflussmöglichkeiten auf die Intelligenz, nicht zuletzt, um Absetzbewegungen nach dem Westen zu verhindern.<ref>Zeller: ''Kastner.'' S. 146–159.</ref> Durch den sowjetischen Hochkommissar Wladimir Semjonow war Kastner 1953 für kurze Zeit als Justizminister im Gespräch.<ref>Zeller: ''Kastner.'' S. 162, 179.</ref><ref>{{Der Spiegel |ID=25656681 |Titel=SOWJETZONE: Alles auf den Kopf |Jahr=1953 |Nr=29}}</ref>


Im September 1956 floh er in die [[Bundesrepublik Deutschland|Bundesrepublik]], wo er in [[München]] lebte. Er starb auf dem Münchener Hauptbahnhof an den Folgen eines Herzinfarktes.<ref>Zeller: ''Kastner.'' S. 180.</ref>
Im September 1956 floh er wegen zunehmender Resignation über die Entwicklung in der DDR in die [[Geschichte Deutschlands#Bundesrepublik Deutschland (1949–1990)|Bundesrepublik]], wo er in [[München]] lebte. Er starb auf dem Münchener Hauptbahnhof an den Folgen eines Herzinfarktes.<ref>Zeller: ''Kastner.'' S. 180.</ref>


== Geheimdiensttätigkeiten ==
== Informant und Kontakte zu Geheimdiensten ==
Von 1948 an beschaffte Kastner Berichte über alle Organisationen in der SBZ und ab Oktober 1949 in der DDR, in denen er vertreten war.<ref>Zeller: ''Kastner.'' S. 173&nbsp;f.</ref>
Seit 1948 beschaffte Kastner unter dem Decknamen „Helwig“ für die [[Organisation Gehlen]] (OG) Berichte über alle Organisationen in der SBZ bzw. DDR, in denen er vertreten war. Unter anderem kopierte er sämtliche Protokolle der Kabinettssitzungen der ersten DDR-Regierung und ließ diese samt selbst verfassten Berichten von seiner Frau mit einem Sonderausweis im Auto nach West-Berlin schmuggeln.<ref>Zeller: ''Kastner.'' S. 173&nbsp;f.</ref>


Er kopierte sämtliche Protokolle von Kabinettssitzungen der ersten DDR-Regierung. Seine Frau schmuggelte diese und selber geschriebene Berichte im Auto mit einem Sonderausweis nach West-Berlin. Unter dem Decknamen „Helwig“ wurde Kaster Anfang der fünfziger Jahre von der [[Organisation Gehlen]] und dann vom [[Bundesnachrichtendienst]] (BND) als Informant übernommen.<ref>Hermann Zolling, Heinz Höhne: ''Pullach intern – General Gehlen und die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes.'' Hoffmann und Campe, Hamburg 1971, S. 159.</ref> Als es im Juni 1953 in der DDR zu [[Aufstand des 17. Juni|Unruhen und zum Volksaufstand des 17. Juni]] kam, erfuhr der BND über einen Agenten bei der sowjetischen Hohen Kommission, dass Kastner zur sowjetischen Administration in der DDR enge Kontakte hatte.<ref>Zölling, Höhne: ''Pullach.'' S. 161.</ref> Da aber Kastner weiterhin viele Informationen aus der DDR lieferte, hielt der BND trotz der Kenntnisse über Kastners Sowjetkontakte an ihm als Nachrichtenquelle fest. Man verkannte dabei, dass Kastner im Auftrag des SMAD gezielt Informationen in den Westen lancierte.<ref>Zeller: ''Kastner.'' S. 180.</ref>
Als es 1953 in der DDR zu [[Aufstand des 17. Juni|Unruhen und zum Volksaufstand des 17. Juni]] kam, erfuhr die OG über einen Agenten bei der [[Sowjetische Kontrollkommission|Hohen Kommission der Sowjetunion in Deutschland]], dass Kastner zur sowjetischen Administration in der DDR enge Kontakte unterhielt.<ref>[[Heinz Höhne]], Hermann Zolling: ''Pullach intern. General Gehlen und die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes.'' Hoffmann und Campe, Hamburg 1971, ISBN 3-455-08760-4, S. 161.</ref> Da er aber weiterhin viele Informationen aus der DDR lieferte, hielt die OG trotz dieser Kenntnisse an ihm als Nachrichtenquelle fest. Man verkannte dabei, dass Kastner im Auftrag des SMAD bzw. SKK gezielt Informationen in den Westen lancierte.<ref>Zeller: ''Kastner.'' S. 180.</ref>


Nach einer Analyse des BND soll sich Kastner zugleich als Doppelagent des [[Volkskommissariat für innere Angelegenheiten|NKWD]] und später des [[Ministerium für Staatssicherheit|MfS]] betätigt haben.<ref>{{Internetquelle |autor=Benedict Maria Mülder |url=http://www.tagesspiegel.de/zeitung/weil-er-mielke-in-die-quere-kam-vor-50-jahren-wurde-walter-linse-in-moskau-hingerichtet/473426.html |titel=Weil er Mielke in die Quere kam: Vor 50 Jahren wurde Walter Linse in Moskau hingerichtet |werk=[[Der Tagesspiegel]] |datum=2003-12-13 |archiv-url=https://web.archive.org/web/20181225080900/http://www.tagesspiegel.de/zeitung/weil-er-mielke-in-die-quere-kam-vor-50-jahren-wurde-walter-linse-in-moskau-hingerichtet/473426.html |abruf-verborgen=1 |abruf=2023-03-10}}</ref> Dass das MfS ihn für den Fall einer möglichen Wiedervereinigung Deutschlands als „Ersatzministerpräsidenten“ vorgesehen habe, stellt sich gemäß neueren Forschungsergebnissen als unbestätigtes Gerücht heraus.<ref>Zeller: ''Kastner.'' S. 162, 179.</ref>
== Aktion Herbstwetter ==
1955 kam es unter den Agenten des BND in der DDR zu einer Verhaftungswelle. Da das Netz der Agenten des BND in der DDR durch den Staatssicherheitsdienst der DDR immer mehr aufgerollt wurde, befahl [[Reinhard Gehlen]] die „Aktion Herbstwetter“. Im Zuge dieser Aktion wurden einige Spitzenagenten des BND aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland geschleust. Kastner aber wollte nicht flüchten, obwohl ihm sein Führungsoffizier Tarnay eine deutliche Warnung überbrachte.


Nachdem das Netz der Agenten der OG in der DDR durch das MfS im Laufe der Zeit immer mehr aufgerollt worden war, kam es 1953 zu einer Verhaftungswelle. Daraufhin befahl [[Reinhard Gehlen]] die „Aktion Herbstwetter“, in deren Zuge einige Spitzenagenten der OG aus der DDR in die Bundesrepublik geschleust wurden. Kastner wollte indes zunächst nicht fliehen, obwohl ihm sein Führungsoffizier Tarnay eine deutliche Warnung überbracht hatte.
Erst als er eine persönliche Einladung von [[Konrad Adenauer]] erhielt, wobei ihm eine politische Position angeboten wurde, ließ er sich überzeugen, in den Westen zu fliehen. Agenten des BND geleiteten zuerst seine Frau und danach ihn in der Nacht vom 5. auf den 6. September 1956 von Ost-Berlin nach West-Berlin, wobei die S-Bahn benutzt wurde. In der neuen Wohnung wurden sie von einem Vertreter des BND begrüßt, der einen Gruß von Adenauer an sie überbrachte.<ref>Zölling, Höhne: ''Pullach.'' S. 262.</ref>


Erst als ihm [[Konrad Adenauer]] eine persönliche Einladung verbunden mit dem Angebot, eine angemessene politische Position zu erhalten, übermittelte, ließ er sich von einer Übersiedlung nach Westdeutschland überzeugen. In der Nacht vom 5. auf den 6. September 1956 geleiteten Agenten des inzwischen aus der OG hervorgegangenen [[Bundesnachrichtendienst]]es (BND) zuerst seine Frau und danach ihn selbst per S-Bahn von Ost- nach West-Berlin. In ihrer neuen Wohnung wurden die Eheleute Kastner von einem Vertreter des BND begrüßt, der ihnen einen Gruß des Bundeskanzlers Konrad Adenauer überbrachte.<ref>Heinz Höhne, Hermann Zolling: ''Pullach intern. General Gehlen und die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes.'' Hoffmann und Campe, Hamburg 1971, ISBN 3-455-08760-4, S. 262.</ref>
== Status eines Doppelagenten ==
Nach einer Analyse des Bundesnachrichtendienstes soll er sich zugleich als Doppelagent des sowjetischen [[Volkskommissariat für innere Angelegenheiten|NKWD]] und später des [[Ministerium für Staatssicherheit|MfS]] betätigt haben.<ref>{{Internetquelle |autor=Benedict Maria Mülder |url=http://www.tagesspiegel.de/zeitung/weil-er-mielke-in-die-quere-kam-vor-50-jahren-wurde-walter-linse-in-moskau-hingerichtet/473426.html |titel=Weil er Mielke in die Quere kam: Vor 50 Jahren wurde Walter Linse in Moskau hingerichtet |werk=[[Der Tagesspiegel]] |datum=2003-12-13 |zugriff=2016-05-05}}</ref> Dass das Ministerium für Staatssicherheit ihn für den Fall einer möglichen Wiedervereinigung Deutschlands als „Ersatzministerpräsidenten“ vorgesehen haben sollte, stellt sich nach neuerer Forschung als unbestätigtes Gerücht heraus.<ref>Zeller: ''Kastner.'' S. 162, 179.</ref>


== Schriften ==
== Unrechtmäßigkeit der Titularprofessur ==
* ''Der Impfzwang und das Reichs-Impfgesetz vom 8. April 1874.'' Fränkel, Berlin 1909, {{OCLC|793566951}} (zugleich: Diss. jur., Jena 1909).
Für die Weiterführung der Professorentitels durch Hermann Kastner im Sinne einer Titularprofessur bestand nach dem Weggang von der Fürst-Leopold-Akademie keine formale Berechtigung mehr.<ref>Zeller: ''Kastner.'' S. 176&nbsp;ff.</ref>
* ''Das Geschichtsbild der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands'' (= ''LDP-Schriftenreihe.'' Bd. 16). LDP, Berlin 1950, {{DNB|364257571}}.


== Literatur ==
== Siehe auch ==
* [[Kabinett Friedrichs II]]
* Johannes Zeller: ''Prof. Dr. Hermann Kastner – Politiker, Lebemann, Agent. Eine Funktionärs-Biographie 1945 bis 1956'' (= ''Studien zur Zeitgeschichte.'' Band 97). Kovač, Hamburg 2016, ISBN 3-8300-8936-8.
* [[Kabinett Seydewitz I]]
* {{WWW-DDR|1646|Kastner, Hermann|[[Helmut Müller-Enbergs]]}}
* [[Provisorische Regierung der DDR]]
* {{Munzinger|00000001411|Hermann Kastner||Internationales Biographisches Archiv 21/1971 vom 17. Mai 1971}}


== Weblinks ==
== Weblinks ==
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* {{DNB-Portal|124426832}}
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* {{SächsBib|215718372}}
* {{SächsBib|GND=124426832}}
* {{DDB|Person|124426832}}
* [http://www.politik-fuer-die-freiheit.de/webcom/show_page.php/_c-192/_nr-1/i.html Lebenslauf Hermann Kastners]
* [http://www.udo-leuschner.de/liberalismus/fdp27.htm Hermann Kastner spionierte für die Organisation Gehlen]
* {{Pressemappe|GND=124426832}}
* {{Pressemappe|GND=124426832}}
* {{Nachlass-Datenbank|DB=ZDN|Skript=viewsingle|PID=36401|AID=41363|Linktext=Eintrag zu Hermann Kastner}} in der [[Zentrale Datenbank Nachlässe|Zentralen Datenbank Nachlässe]]
* {{Kalliope|Person|124426832|Hermann Kastner}}
* {{Munzinger|00000001411|Hermann Kastner}}
* {{DHM-HdG|Bio=hermann-kastner}}
* [https://web.archive.org/web/20160311092813/http://www.politik-fuer-die-freiheit.de/webcom/show_page.php/_c-192/_nr-1/i.html Lebenslauf von Hermann Kastner] auf den Seiten der [[Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit]]

== Literatur ==
* {{Säbi|Karsten Jedlitschka|124426832|Kastner, Hermann}}
* Hella Kaden: ''Kastner, Hermann.'' In: {{BibISBN|3598111762|Seite=378}} ({{Google Buch| BuchID=2CpHD7n0gjkC| Seite=378| Linktext=Vorschau| Hervorhebung=Kastner, Hermann}}).
* [[Agatha Kobuch]]: ''Hermann Kastner (1886–1957).'' In: [[Sächsisches Staatsministerium der Justiz]] (Hrsg.): ''Sächsische Justizminister 1831 bis 1950. Acht biographische Skizzen'' (= ''Sächsische Justizgeschichte.'' Band 4). SMJ, Dresden 1994, S. 164–189 ([https://www.justiz.sachsen.de/smj/download/Band_04.pdf PDF; 14,8&nbsp;MB]).
* [[Udo Leuschner]]: ''Hermann Kastner spioniert für die Organisation Gehlen.'' In: Ders.: ''Die Geschichte der FDP. Metamorphosen einer Partei zwischen rechts, liberal und neokonservativ.'' Monsenstein und Vannerdat, Münster 2010, ISBN 3-86991-049-6, S. 169&nbsp;f. ([http://www.udo-leuschner.de/liberalismus/fdp27.htm Online]).
* {{WWW-DDR|id=hermann-kastner|lemma=Kastner, Hermann|autor=[[Helmut Müller-Enbergs]]|band=1|idNum=1646}}
* Johannes Zeller: ''Prof. Dr. Hermann Kastner – Politiker, Lebemann, Agent. Eine Funktionärs-Biographie 1945 bis 1956'' (= ''Studien zur Zeitgeschichte.'' Band 97). Kovač, Hamburg 2016, ISBN 3-8300-8936-8.


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
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Aktuelle Version vom 12. Juni 2024, 16:28 Uhr

Kastner bei der Konstituierung der Provisorischen Volkskammer im Gebäude der DWK in Berlin (1949)
Kastner bei der Eröffnung der Leipziger Frühjahrsmesse im Schauspiel Leipzig (1950)

Hermann Kastner (* 25. Oktober 1886 in Berlin; † 4. September 1957 in München) war ein deutscher Rechtsanwalt und Politiker (DDP, LDP).

Er war von 1922 bis 1933 und von 1946 bis 1950 Mitglied des Sächsischen Landtags, von 1946 bis 1948 Sächsischer Justizminister und stellvertretender Ministerpräsident des Landes Sachsen, von 1948 bis 1949 Leiter des Fachsekretariats Finanzen, Post und Fernmeldewesen und stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Wirtschaftskommission, von 1948 bis 1949 Mitglied des Präsidiums des Deutschen Volksrates, von 1949 bis 1950 Mitglied der Provisorischen Volkskammer sowie stellvertretender Ministerpräsident der DDR.

Seit 1949 fungierte er gemeinsam mit Karl Hamann als Kovorsitzender der LDP, wurde jedoch 1950 seines Amtes enthoben und aus der Partei ausgeschlossen. Nachdem er 1951 rehabilitiert und wieder aufgenommen worden war, flüchtete er 1956 in die Bundesrepublik Deutschland.

Kastner wurde als Sohn eines Lehrers geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums zum Grauen Kloster studierte er von 1904 bis 1908 Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Während seines Studiums wurde er Mitglied beim Verein Deutscher Studenten Berlin.[1] Kastner legte 1908 die Referendarprüfung ab und promovierte 1909 an der Universität Jena mit dem Thema Der Impfzwang und das Reichs-Impfgesetz vom 8. April 1874 zum Dr. jur. Danach war Kastner als Referendar in den Stadtverwaltungen von Berlin-Lichtenberg und Berlin-Neukölln sowie beim Berliner Magistrat tätig. 1917 wurde er als Professor an die Fürst-Leopold-Akademie in Lippe-Detmold berufen, wo er Vorlesungen über Staats-, Kommunal- und Verwaltungsrecht hielt; nach seinem Weggang von der Fürst-Leopold-Akademie führte er seinen Professorentitel im Sinne einer Titularprofessur weiter, wozu keine formale Berechtigung bestand.[2] 1920 ging Kastner als Syndikus sächsischer Wirtschaftsverbände nach Dresden.

1918 wurde er Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Die Partei wählte Kastner zum Vorsitzenden Ostsachsens. Von der 2. Wahlperiode 1922 bis zur 4. Wahlperiode 1930 vertrat er die DDP als Abgeordneter im Sächsischen Landtag. In der 5. Wahlperiode vertrat er von Oktober 1930 bis 1933 als Nachrücker für Julius Dehne die mittlerweile entstandene Deutsche Staatspartei im Sächsischen Landtag. Zeitweilig suchte er die Nähe zur NSDAP und beabsichtigte als Finanzminister in die Regierung Manfred von Killinger (NSDAP) einzutreten.[3] Für die 6. Wahlperiode, die sich vom 16. Mai 1933 bis zum 22. August 1933 erstreckte und bereits unter nationalsozialistischer Herrschaft stand, stellte sich Kastner dann aber doch nicht mehr zur Verfügung. Er arbeitete fortan als Rechtsanwalt in Dresden. Während der Zeit des Nationalsozialismus unterhielt er Verbindungen zur Widerstandsgruppe um Rainer Fetscher und geriet mehrmals in Haft.

Im Juni 1945 übernahm er das Amt des Präsidenten der Anwalts- und Notarkammer Sachsens. Er gehörte zu den Initiatoren des Gründungsaufrufs des Landesverbandes Sachsen der „Demokratischen Partei Deutschlands“ vom 6. Juli 1945. Am 15. August benannte sich die Partei in LDP um, und Kastner wurde ihr erster sächsischer Landesverbandsvorsitzender, der er bis zum Oktober 1947 blieb. Er galt als engagierter Befürworter der Blockpolitik, und so gehörte er zu den 70 Vertretern der „Beratenden Versammlung“, dem Vorläufer des Sächsischen Landtags. Nach den Landtagswahlen vom 20. Oktober 1946 in Sachsen zog Kastner für die LDP in den Landtag ein und wurde zugleich Vizepräsident und Mitglied des Ältestenrates.

Im Rahmen der Bildung der ersten sächsischen Landesregierung nach dem Kriege im Dezember 1946, dem Kabinett Friedrichs, wurde Kastner zum Justizminister berufen. Dieses Amt hatte er bis zum März 1948 inne, als er zur Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) nach Berlin gerufen wurde. Kastner war Leiter des Fachsekretariats Finanzen, Post und Fernmeldewesen. Zudem war er einer von vier stellvertretenden Vorsitzenden der DWK.

Des Weiteren beteiligte er sich im Deutschen Volksrat für die LDP an der Ausarbeitung einer Verfassung für die Deutsche Demokratische Republik. Im gleichen Jahr wurde Kastner stellvertretender LDP-Chef. Auf dem Eisenacher Parteitag 1949 wählte ihn die Partei zum Vorsitzenden.

Am 11. Oktober 1949 wurde Kastner in der ersten DDR-Regierung unter Otto Grotewohl stellvertretender Ministerpräsident. Im Zuge LDP-interner Auseinandersetzungen wurde er auf Betreiben Hans Lochs und Johannes Dieckmanns vom LDP-Parteivorsitz abgelöst und aus der Partei ausgeschlossen. Dadurch verlor er im Juli 1950 auch sein Regierungsamt. Kritisiert wurde sein Eintreten für die Blockpolitik, seine kompromissbereite Haltung gegenüber der SED, seine Zustimmung zu den Enteignungen im Zuge der Bodenreform sowie Verschwendungssucht, Eitelkeit und Korruption. Zudem wurden Kastner seine sehr guten Kontakte zur sowjetischen Militärverwaltung, dort vor allem zum späteren sowjetischen Botschafter in Berlin, Wladimir Semjonow, vorgeworfen.[4] Die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen stellten sich als haltlos heraus.[5] Kastner wurde 1951 rehabilitiert. Er erhielt den Vorsitz des „Förderungsausschusses für die deutsche Intelligenz beim Ministerpräsidenten der DDR“, einem Organ des Ministerpräsidenten mit beträchtlichen politischen und materiellen Einflussmöglichkeiten auf die Intelligenz, nicht zuletzt, um Absetzbewegungen nach dem Westen zu verhindern.[6] Durch den sowjetischen Hochkommissar Wladimir Semjonow war Kastner 1953 für kurze Zeit als Justizminister im Gespräch.[7][8]

Im September 1956 floh er wegen zunehmender Resignation über die Entwicklung in der DDR in die Bundesrepublik, wo er in München lebte. Er starb auf dem Münchener Hauptbahnhof an den Folgen eines Herzinfarktes.[9]

Geheimdiensttätigkeiten

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Seit 1948 beschaffte Kastner unter dem Decknamen „Helwig“ für die Organisation Gehlen (OG) Berichte über alle Organisationen in der SBZ bzw. DDR, in denen er vertreten war. Unter anderem kopierte er sämtliche Protokolle der Kabinettssitzungen der ersten DDR-Regierung und ließ diese samt selbst verfassten Berichten von seiner Frau mit einem Sonderausweis im Auto nach West-Berlin schmuggeln.[10]

Als es 1953 in der DDR zu Unruhen und zum Volksaufstand des 17. Juni kam, erfuhr die OG über einen Agenten bei der Hohen Kommission der Sowjetunion in Deutschland, dass Kastner zur sowjetischen Administration in der DDR enge Kontakte unterhielt.[11] Da er aber weiterhin viele Informationen aus der DDR lieferte, hielt die OG trotz dieser Kenntnisse an ihm als Nachrichtenquelle fest. Man verkannte dabei, dass Kastner im Auftrag des SMAD bzw. SKK gezielt Informationen in den Westen lancierte.[12]

Nach einer Analyse des BND soll sich Kastner zugleich als Doppelagent des NKWD und später des MfS betätigt haben.[13] Dass das MfS ihn für den Fall einer möglichen Wiedervereinigung Deutschlands als „Ersatzministerpräsidenten“ vorgesehen habe, stellt sich gemäß neueren Forschungsergebnissen als unbestätigtes Gerücht heraus.[14]

Nachdem das Netz der Agenten der OG in der DDR durch das MfS im Laufe der Zeit immer mehr aufgerollt worden war, kam es 1953 zu einer Verhaftungswelle. Daraufhin befahl Reinhard Gehlen die „Aktion Herbstwetter“, in deren Zuge einige Spitzenagenten der OG aus der DDR in die Bundesrepublik geschleust wurden. Kastner wollte indes zunächst nicht fliehen, obwohl ihm sein Führungsoffizier Tarnay eine deutliche Warnung überbracht hatte.

Erst als ihm Konrad Adenauer eine persönliche Einladung verbunden mit dem Angebot, eine angemessene politische Position zu erhalten, übermittelte, ließ er sich von einer Übersiedlung nach Westdeutschland überzeugen. In der Nacht vom 5. auf den 6. September 1956 geleiteten Agenten des inzwischen aus der OG hervorgegangenen Bundesnachrichtendienstes (BND) zuerst seine Frau und danach ihn selbst per S-Bahn von Ost- nach West-Berlin. In ihrer neuen Wohnung wurden die Eheleute Kastner von einem Vertreter des BND begrüßt, der ihnen einen Gruß des Bundeskanzlers Konrad Adenauer überbrachte.[15]

  • Der Impfzwang und das Reichs-Impfgesetz vom 8. April 1874. Fränkel, Berlin 1909, OCLC 793566951 (zugleich: Diss. jur., Jena 1909).
  • Das Geschichtsbild der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (= LDP-Schriftenreihe. Bd. 16). LDP, Berlin 1950, DNB 364257571.
Commons: Hermann Kastner – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Louis Lange (Hrsg.): Kyffhäuser-Verband der Vereine Deutscher Studenten. Anschriftenbuch 1931. Berlin 1931, S. 107.
  2. Johannes Zeller: Prof. Dr. Hermann Kastner – Politiker, Lebemann, Agent. Eine Funktionärs-Biographie 1945 bis 1956. Kovač, Hamburg 2016, S. 176 ff.
  3. Zeller: Kastner. S. 178
  4. Karsten Jedlitschka: Hermann Kastner. In: Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde (Hrsg.): Sächsische Biografie.
  5. Zeller: Kastner. S. 131–139.
  6. Zeller: Kastner. S. 146–159.
  7. Zeller: Kastner. S. 162, 179.
  8. SOWJETZONE: Alles auf den Kopf. In: Der Spiegel. Nr. 29, 1953 (online).
  9. Zeller: Kastner. S. 180.
  10. Zeller: Kastner. S. 173 f.
  11. Heinz Höhne, Hermann Zolling: Pullach intern. General Gehlen und die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes. Hoffmann und Campe, Hamburg 1971, ISBN 3-455-08760-4, S. 161.
  12. Zeller: Kastner. S. 180.
  13. Benedict Maria Mülder: Weil er Mielke in die Quere kam: Vor 50 Jahren wurde Walter Linse in Moskau hingerichtet. In: Der Tagesspiegel. 13. Dezember 2003, archiviert vom Original;.
  14. Zeller: Kastner. S. 162, 179.
  15. Heinz Höhne, Hermann Zolling: Pullach intern. General Gehlen und die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes. Hoffmann und Campe, Hamburg 1971, ISBN 3-455-08760-4, S. 262.