Gesamtschule
Die Gesamtschule ist eine Schulform, bei der die Differenzierung zwischen den möglichen Bildungsgängen (Hauptschule, Realschule, Gymnasium) innerhalb einer Schule vorgenommen wird bzw. verschiedene Bildungsgänge an ein und derselben Schule angeboten werden. Dabei umfasst der gymnasiale Bildungsgang an einer Gesamtschule nicht unbedingt auch die gymnasiale Oberstufe. An einer Gesamtschule wird zwischen integrierten, und kooperativen Gesamtschulen unterschieden.Ich will deutsch g kors
Einführung
Die Gesamtschule in Deutschland ist eine Form der weiterführenden Schule, die Kinder nach der Grundschule mindestens bis zur 9. oder 10. Klasse besuchen können. Sie ist in mehreren Bundesländern eine Alternative zum traditionellen dreigliedrigen Schulsystem (mit Hauptschule, Realschule, Gymnasium) geworden. Der wesentliche Unterschied zum herkömmlichen Schulsystem besteht darin, dass bei der Gesamtschule die Differenzierung in die Schule verlagert wird und nicht mehr zwischen verschiedenen Schulformen besteht. Nach der 10. Klasse kann an die Gesamtschule eine gymnasiale Oberstufe anschließen, während ein Teil der Schüler in berufliche Ausbildungsgänge außerhalb der Gesamtschule wechselt.
Wird die Gesamtschule nicht neben dem dreigliedrigen Schulsystem, sondern als alleinige Schulform mindestens bis zur 9. Klasse etabliert, wird von Einheitsschule gesprochen. Die ursprüngliche Idee der Schulreformer in Deutschland, so zum Beispiel von Fritz Karsen in der Weimarer Republik mit seinem Reformprojekt Karl-Marx-Schule oder nach dem Zweiten Weltkrieg Fritz Hoffmann an der Fritz-Karsen-Schule[1], war hierauf gerichtet. Faktisch aber ist es bis heute nur zur Einrichtung von Gesamtschulen zusätzlich zu den bestehenden Schulformen gekommen, wodurch sich die Gliederung des Schulsystems weiter erhöht hat. Als politisch realisierbarer Weg zeichnet sich zurzeit die integrative Sekundarschule ab, die eine Zusammenlegung von Hauptschule, Realschule und Gesamtschule vornimmt und eine eigene Oberstufe führt. Immer mehr Bundesländer gehen auf dieses vom Bildungsforscher Klaus Hurrelmann so genannte „Zwei-Wege-Modell“ des weiterführenden Schulsystems über, das faktisch eine Umsetzung der Gesamtschule neben dem weiter bestehenden Gymnasium darstellt. Eine weitere Alternative, die sich in vielen Bundesländern durchsetzt, ist die Gemeinschaftsschule, die Schülerinnen und Schülern von der Grundschule an die Möglichkeit gibt, ihre gesamte Schullaufbahn bis zum Abitur in einer einzigen Schule zu verbringen.
In Österreich gibt es zurzeit – außer Alternativschulkonzepten – keine Gesamtschule. Lediglich in Wien gibt es seit 1972 einige Gesamtschulen, die im Rahmen eines Schulversuchs eingerichtet wurden. Dieser Schulversuch war ursprünglich auf zehn bis fünfzehn Jahre geplant, 1986 wurde er jedoch auf unbestimmte Zeit verlängert. Dadurch haben die wenigen Wiener Gesamtschulen jedoch keinen offiziellen Status (offiziell gelten sie als Hauptschulen) und könnten auch jederzeit beendet werden. Über eine dauerhafte Einführung der Gesamtschule parallel neben den anderen Schultypen wie Hauptschule und Gymnasium wird jedoch seit etwa 2004 viel diskutiert, ein entsprechender Beschluss wurde aber noch nicht gefasst.
Auch in der Schweiz gibt es kein entsprechendes Konzept.
Ziele
Gesellschaftspolitisch soll das Konzept der Gesamtschule, verstärkt als Ganztagsschule, einer Entwicklung entgegenwirken, in der sich Schüler aus unterschiedlich sozialisierten Gesellschaftsgruppen (etwa Akademiker, Arbeiter usw.) frühzeitig fremd werden. Heranwachsende mit schwachen Leistungen lernen mit und von leistungsmäßig besseren Schülern – und alle gemeinsam lernen, mit Mitmenschen aus allen Schichten umzugehen und diese bei Bedarf auch anzuleiten. Dieses Ziel wurde jedoch bisher nur ansatzweise erreicht, da die Gesamtschule zum einen mit dem mehrgliedrigen Schulsystem konkurriert und zum anderen die schichtspezifische Zusammensetzung einer Schulklasse sehr von der Struktur des Einzugsgebietes der Schule (Arbeitersiedlung, wohlhabender Vorort usw.) abhängt.
Ein politisches Ziel der Gesamtschule ist es, möglichst vielen Schülern einen höheren Bildungsabschluss zu ermöglichen. Kritiker wenden allerdings ein, dies gehe häufig mit einer Reduzierung des Niveaus einher.
Deutlich zu sagen ist, dass die Schulform der Gesamtschule besondere didaktische Kompetenzen der Lehrer erfordert; denn wenn eine äußere Differenzierung nach Leistung entfällt, muss sich der Unterricht weitaus stärker am Prinzip der Binnendifferenzierung ausrichten.
Einige Länder, wie das deutsche Bundesland Bayern, haben außerdem an vielen Gesamtschulen Schulsozialarbeit installiert. Diese und andere Unterstützungen in der Ausstattung von Gesamtschulen sollen die besonderen Umfeldprobleme dieser Schulart auffangen helfen. Schulsozialarbeiter sind aber auch an anderen Schulformen tätig.
Durch das Unterrichten im Klassenverband, in unterschiedlichen Kursen (A-,B-,C Kurse) wurde in Statistiken erkannt, dass Haupt- und Realschüler sich deutlich verbessert haben.
Gesamtschulen in Deutschland
Aufbau
Unterschieden werden integrierte Gesamtschulen und kooperative Gesamtschulen. In der integrierten Gesamtschule werden die Schüler nur in einzelnen Fächern nach Leistung und Anforderungen in verschiedene Kurse aufgeteilt. In der kooperativen Gesamtschule gibt es nebeneinander Klassen des Hauptschul-, Realschul- und Gymnasialzweiges. Lediglich einzelne Fächer wie Sport werden gemeinsam unterrichtet.
In Deutschland ist die Gesamtschule neben dem Gymnasium die einzige Schulform, die Kinder und Jugendliche in der Sekundarstufe I und Sekundarstufe II durchgehend besuchen können, wenn die örtliche Gesamtschule über eine gymnasiale Oberstufe verfügt.
Geschichte
Die Geschichte der Gesamtschule ist, gemessen etwa an der des Gymnasiums, relativ kurz. Die zugrundeliegende Idee, eine Schule für alle Kinder und Jugendlichen einzurichten, unabhängig von ihrer Herkunft, ihren Fähigkeiten und Neigungen und ihrem künftigen Beruf, reicht dagegen weit zurück.
Forderungen, alle Kinder des Volkes in einer Einheitsschule (Gesamtschule) zu unterrichten, lassen sich in Deutschland bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen. Comenius setzte sich in seinem Werk Große Didaktik, im Unterschied zu zeitgenössischen Forderungen, drei verschiedene grundständige Schulen – Bauern-, Bürger- und Gelehrtenschulen – einzurichten, für ein einheitliches, in Stufen gegliedertes Schulsystem ein. Den Ausgangspunkt seiner pädagogischen Überlegungen stellte die Gleichheit aller Menschen vor Gott dar.
Die erste ausführliche Konzeption für eine Gesamtschule legte 1809 der preußische Leiter der Sektion für Kultus und Unterricht Wilhelm von Humboldt vor. Das von ihm de facto angeregte humanistische Gymnasium wurde allerdings in sozialer Hinsicht das genaue Gegenteil. Weiterhin gab es sogenannte Mittelschulen oder Realgymnasien, die neben oder nach der Volksschule zu höheren Abschlüssen führten.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Schulwesen durch die Weimarer Reichsverfassung von 1919[2] bzw. 1920 mit dem Reichsgrundschulgesetz[3] festgelegt:
- „Die Volksschule ist in den vier untersten Jahrgängen als die für alle gemeinsame Grundschule, auf der sich auch das mittlere und höhere Schulwesen aufbaut, einzurichten.“
Gesonderte Vorschulen mussten danach bis 1925 geschlossen sein; zuvor konnten reiche Eltern ihre Kinder auch zu Hause oder in einer auf das Gymnasium vorbereitenden Vorschule unterrichten lassen. In Österreich gibt es bis heute eine Unterrichtspflicht, jedoch keine Schulpflicht.
Die Karl-Marx-Schule (Berlin-Neukölln) gehört zu den bekanntesten Berliner Reformschulprojekten der Weimarer Zeit. Sie wurde initiiert von dem Reformpädagogen Fritz Karsen, der ab 1921 Direktor des Neuköllner Kaiser-Friedrich-Realgymnasiums war. Diesem gliederte er 1923 Arbeiter-Abiturientenkurse an, die es ermöglichten, das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nachzuholen. 1927 ergänzte er die Schule um eine achtstufige Volksschule. 1929/30 wurde dieser Versuch einer Einheitsschule, die Merkmale einer heutigen Gesamtschule aufwies, in Karl-Marx-Schule umbenannt. Der Anfang der 1930er Jahre erreichte Ausbau der Schule, ihre innere schulische Organisation, rechtfertigt es, von der Karl-Marx-Schule als der ersten staatlichen integrierten Gesamtschule in Deutschland zu sprechen.
Die Odenwaldschule, Heppenheim, war eine integrierte und die älteste Gesamtschule (1910 gegründet). Eine der ersten Gesamtschulen in Deutschland war die Waldorfschule in Stuttgart (1919 gegründet).
1947 verordnete der Alliierte Kontrollrat auf amerikanische Initiative den Deutschen in der Kontrollratsdirektive 54[4] der Intention nach ein Gesamtschulsystem. Alliierte Bildungsexperten hielten es für zu früh, Kinder bereits nach vier Jahren Grundschule auf verschiedene Schultypen zu verteilen. Sie sahen darin einen der Gründe für die Anfälligkeit der Deutschen für die rassistische NS-Ideologie, denn das gegliederte Schulsystem löse bei einer kleinen Gruppe ein Überlegenheits- und bei der Mehrzahl der Schüler ein Minderwertigkeitsgefühl aus. Doch gelang es den deutschen Bildungspolitikern, durch Verzögerung der Umsetzung wieder stärker an die Weimarer Schultradition anzuknüpfen.
Im Bildungssystem der DDR wurde die Einheitsschule wie in allen Ostblockstaaten durchgesetzt, die von der SED zur einheitlichen Erziehung zum sogenannten sozialistischen Menschen genutzt wurde. Sie reichte von der Grundschule (Unterstufe) bis zur 8. Klasse oder ab spätestens 1984 bis zur 10. Klasse in der polytechnischen Oberschule (POS). Die erweiterte Oberschule (EOS), die nur gut 10 Prozent der Schüler in vier oder zwei Jahren zum Abitur führte, schloss sich erst ab der 9. Klasse oder ab der 11. Klasse an.
Der Begriff Gesamtschule wurde 1963 auch als Abgrenzung zur sozialistischen Einheitsschule in der DDR vom West-Berliner Schulsenator Carl-Heinz Evers (SPD) geprägt.
Die Kritik am vertikal gegliederten Schulsystem der Bundesrepublik und die positiven Erfahrungen mit ausländischen Schulreformen, vor allem in England und Schweden, führten zur Wiederaufnahme der Diskussion. Zugleich war der Blick auf die Schulsysteme in den USA, der Sowjetunion und der DDR gerichtet. Nicht nur eine Veränderung der Struktur des Schulsystems, sondern auch der Unterrichtsprinzipien, der Unterrichtsmethoden sowie der Bildungsziele und -inhalte wurden gefordert. Die Reformwünsche zielten einerseits auf mehr Modernisierung, andererseits auf mehr soziale Gerechtigkeit. Integration benachteiligter Gruppen anstatt Aussonderung war das Ziel.
Der Deutsche Bildungsrat forderte die Einrichtung von Schulversuchen mit Gesamtschulen, um die anstehenden gesellschaftspolitischen Entscheidungen über die Strukturveränderungen der Schule auf wissenschaftlich begleitete und kontrollierte Versuche stützen zu können. In Westdeutschland und West-Berlin wurden staatliche Gesamtschulen ab 1968[5] (Walter-Gropius-Schule) in Berlin-Gropiusstadt und 1969 im sauerländischen Kierspe[6] sowie seit den 1970er Jahren in den meisten Bundesländern eingerichtet.
Wurde anfangs der Beschluss des Bildungsrates auch von CDU-Politikern mitgetragen, so kam es in den folgenden Jahren doch zu einem „Schulkampf“ zwischen CDU und SPD. Dies hatte mit der zeitgleichen Machtverschiebung im Bund und den Ländern zugunsten der SPD zu tun. Diese Partei machte in den 1970er Jahren die Gesamtschule zum schulreformerischen Kernstück ihrer Politik. Daraufhin expandierte die Gesamtschule, was in Gymnasien und bei – nicht nur konservativen – Politikern auf Ablehnung stieß.
Ein Höhepunkt dieses Konfliktes war 1978 der Versuch der SPD/FDP-Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, die Gesamtschule flächendeckend einzuführen. Die oppositionelle CDU, die Mehrzahl von Lehrer- und Elternverbänden sowie die Kirchen veranstalteten Großkundgebungen und Flugblattaktionen. Es bildete sich die Initiative „Stoppt das Schulchaos“, die vom 16. Februar bis 1. März 1978 mehr als 3,6 Millionen Unterschriften gegen die kooperative Gesamtschule sammelte und so die erforderliche 20-Prozent-Hürde für ein Volksbegehren weit übertraf[7]. Das neue Schulgesetz wurde so verhindert.
Zwischenfazit
Vorgesehen wurde 1972, nach zehn Versuchsjahren zu entscheiden, ob die Gesamtschule das bessere Konzept sei: Im positiven Fall sollte sie als alleinige Schulform eingeführt werden. Die Bewertung blieb jedoch strittig. 1982 endete der Schulversuch Gesamtschule. Je nach parteipolitischer Ausrichtung der Regierung der einzelnen Bundesländer wurden diese Versuche als hochgradig erfolgreich angesehen oder für gescheitert erklärt.
Drei Beispiele: Berlin baute die Gesamtschule zur Regelschule aus, Bayern löste fast alle Gesamtschulen bis 1993 auf, betreibt diese aber seitdem als „Schulen besonderer Art“ mit gleichem Konzept weiter. In Nordrhein-Westfalen entwickelte sich danach eine gemischte Schullandschaft, in der ein mehrgliedriges System neben vielen Gesamtschulen existiert.
Konzeptionell als Alternative zum mehrgliedrigen System gedacht, konkurriert die Gesamtschule aber gegenwärtig mit den anderen Schulformen, mit den Gymnasien um den Abschluss Abitur sowie vor allem mit Hauptschulen bei der Rekrutierung von neuen Schülern. Der ursprünglich beabsichtigte sozialpolitische Effekt (Motto: „Miteinander und voneinander lernen, um miteinander leben zu lernen“) kann so heute nicht mehr erreicht werden.
Die Schülerschaft vieler Gesamtschulen spiegelt nicht das gesamte Leistungsspektrum eines Jahrgangs wider, weil ein Teil der leistungsstärkeren Kinder zunächst nach der Klasse 4 bzw. 6 an die Gymnasien wechseln. Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung kam einerseits zu dem Fazit, dass die Leistungen an den Gesamtschulen deutlich schlechter sind als an Gymnasien, was bei Durchschnittswerten zu erwarten ist, weil die Gymnasien mit einer selektierten Schülerschaft arbeiten. Andererseits haben ca. 70 % der erfolgreichen Abiturienten an Gesamtschulen keine Gymnasialempfehlung (NRW; Zahlen aus 2009).
Gesamtschulen werden also auch von Schülern mit Hauptschul- oder Realschulempfehlungen besucht. In manchen Bundesländern ist den Gesamtschulen die Aufnahme von Kindern aller Leistungsstufen nach einer bestimmten Quotenvorgabe vorgeschrieben. Des Weiteren müssen sie die Bevölkerungsstruktur des Einzugsgebietes (Ausländeranteil) widerspiegeln und bis zu 15 % sogenannter Sonderfälle mit schwierigem Lebenshintergrund aufnehmen. Allein die Gesamtschulen haben diese strikte Vorgabe, was bei jedem Vergleich mit den anderen Schulen zu beachten ist.
Es wird jedoch berichtet, dass einige Gesamtschulen gegen diese Vorgabe verstoßen. So würde etwa die Helene-Lange-Schule (Wiesbaden) Kinder mit Gymnasialempfehlung bevorzugen.[8] Auch berichtet der Bildungsforscher Frank-Olaf Radtke, dass die Schule Kinder mit Migrationshintergrund benachteilige. Sie versuche den Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund in ihren Klassen möglichst gering zu halten. Die Schule verfolge eine „Creaming-Strategie“. „Frei übersetzt heißt das: Sie pickt sich die Rosinen heraus. Wenn die Plätze knapp sind, würden solche Schüler ausgewählt, mit denen man erwartet, in Konkurrenz zu den Gymnasien erfolgreich arbeiten zu können.“[9]. Diese Meinungsäußerungen müssen noch mit empirischen Daten unterlegt werden.
Gesamtschulen werden mancherorts weniger aus pädagogischen Gründen als aus kommunalpolitischen und demografischen errichtet: Die Unterhaltung eines gemeinsamen Schulzentrums erscheint gerade kleineren Gemeinden als eine kostengünstige Alternative zum traditionellen System. Der Rückgang der Schülerzahlen erlaubt nicht mehr die Verteilung auf mehrere Schulformen, um ein wohnortnahes Schulangebot zu erhalten. In einer kooperativen (auch additiven) Gesamtschule wird die Zwei- oder Dreigliedrigkeit des Schulsystems nicht aufgehoben. Man erhofft sich vorrangig Synergieeffekte durch diese räumliche oder organisatorische Zusammenlegung. Die ursprüngliche Form des Unterrichtes (gemeinsames Lernen) von Gesamtschule wird hierbei um mehrere Jahre verkürzt.
Aktuelle Entwicklungen
1982 wurde eine Vereinbarung der Kultusministerkonferenz getroffen, welche die gegenseitige Anerkennung der Abschlüsse gewährleistet, d. h. dass Gesamtschulabschlüsse auch in Bundesländern anerkannt werden, die das Modell Gesamtschule nicht fortgeführt haben (z. B. Bayern). Dies gilt auch für das Abitur an Gesamtschulen. Die Länder, die diese Schulform ablehnen, fürchteten, die für das dreigliedrige System geltenden Niveaus könnten unterlaufen werden. Lernziele und Lerninhalte müssen laut KMK-Vereinbarung den jeweiligen Anforderungen des nach Schularten gegliederten Schulwesens entsprechen. Eine Folge davon ist, dass Gesamtschulen gezwungen sind, ab der 7. Klasse unterschiedliche Niveaugruppen einzurichten mit einer Leistungsdifferenzierung in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik, die mit der 2. Fremdsprache zusammen gut die Hälfte der Unterrichtszeit ausmachen. Damit war die ursprüngliche Gesamtschulidee kaum noch zu erkennen.
Zu einer Neuauflage der Gesamtschuldiskussion kam es Anfang der 1990er Jahre im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung. Während westdeutsche Gesamtschulbefürworter hofften, die bereits vorhandenen Einheitsschulen der DDR in Gesamtschulen umzuwandeln, forderten Teile der ostdeutschen Bevölkerung das dreigliedrige Schulsystem. Die Einheitsschule der DDR beruhte also nicht auf einer einhelligen Zustimmung. So kam es nur in Brandenburg infolge der Landespartnerschaft mit dem von der SPD regierten Nordrhein-Westfalen zu einer quantitativ bedeutsamen Einführung der Gesamtschule.
Weitgehend unbemerkt von der westdeutschen Öffentlichkeit haben Sachsen und Thüringen nach der Wende 1990 ein zweigliedriges Schulsystem eingeführt, in dem Haupt- und Realschulen zusammengelegt werden als Mittelschule oder als Regelschule. Mecklenburg-Vorpommern hat dies später ebenso gemacht unter der Bezeichnung Regionale Schule, Brandenburg unter der Bezeichnung Oberschule. Im Saarland ist als erstem westdeutschen Bundesland mit Einführung der Erweiterten Realschule die Hauptschule abgeschafft worden. Bereits 1997 etablierte Rheinland-Pfalz die Regionalen Schulen. Diese werden ab dem Schuljahr 2009/10 umgewandelt und die restlichen Haupt- und Realschulen zur Realschule plus zusammengelegt. Bis zum Schuljahr 2013/14 soll der Prozess abgeschlossen sein. Auch Hamburg wird mit Stadtteilschulen statt Haupt- und Realschulen 2009 ein zweigliedriges System einführen, in das auch die bestehenden Gesamtschulen eingehen sollen. Allerdings bleibt es bei den drei traditionellen Abschlüssen und eigenständigen Gymnasien. Bayern hat dagegen am 1. August 2000, nach Erprobung der Methode, noch den jahrzehntelang üblichen gemeinsamen Unterricht von Haupt- und Realschülern in der 5. und 6. Klasse abgeschafft. Derzeit wird in Bayern die sog. „Mittelschule“ und in Nordrhein-Westfalen die sog. „Verbundschule“ eingeführt, eine Zusammenlegung der Haupt- und Realschule.
In Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern besteht außerdem in der 5. und 6. Klasse eine gesamtschulartige Orientierungsstufe, in der die Kinder zusammen unterrichtet werden. Die Ausnahmen für die Einrichtung von 5. Klassen an Gymnasien sind selten. Niedersachsen hat dagegen die 1973 eingeführte gemeinsame Orientierungsstufe zum 1. August 2004 unter Kultusminister Busemann (CDU) wieder abgeschafft[10], nachdem schon Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) die Orientierungsstufe kritisiert hatte[11]; Bremen folgte unter der Großen Koalition 2005.
Auftrieb erhielt die Diskussion um die Leistungsfähigkeit dieser Schulform, als die PISA-Studien-Werte 2000/2003 für deutsche Gesamtschulen deutlich schlechter ausfielen als etwa von Realschulen, was von einigen Wissenschaftlern auf die Schülerzusammensetzung zurückgeführt wurde. Es wurde argumentiert, dass die leistungsfähigsten Schüler auf Realschulen und Gymnasien wechseln würde (der so genannte „Creaming-Effekt“). Zudem können Gesamtschulen – im Gegensatz zu Realschulen und Gymnasien – nicht abschulen. Tatsächlich konnte gezeigt werden, dass die Schüler, die auf das Gymnasium übertreten, von Anfang an eine höhere durchschnittliche Intelligenz aufweisen, als ihre Altersgenossen, die auf die Gesamtschule übertreten. Des Weiteren konnte bewiesen werden, dass, obwohl es bei Schülern der siebten Klasse noch keine Intelligenzunterschiede zwischen Gesamtschülern und Realschülern gab, in der zehnten Klasse ein Intelligenzunterschied zugunsten der Realschüler existierte. Es wird vermutet, dass dieser durch die Tatsache zu erklären ist, dass leistungsschwache Realschüler häufiger als leistungsschwache Gesamtschüler die Schulform wechseln.[12][13] Es ist also ersichtlich, dass es unrealistisch wäre, vom Durchschnitt der Gesamtschüler ähnliche Leistungen zu erwarten, wie vom Durchschnitt der Realschüler oder Gymnasiasten. Bedenklich ist jedoch, dass Gesamtschüler noch weniger Kompetenzen erlangen, als aufgrund ihrer Intelligenz zu erwarten wäre (wie etwa bei der BIJU-Studie festgestellt). Die Gesamtschule schöpft also das kognitive Potential ihrer Schülerschaft nicht voll aus.[12]
Dem wird vereinzelt entgegengehalten, dass mit die besten PISA-Werte auch an einigen deutschen Gesamtschulen erreicht wurden (etwa Helene-Lange-Schule (Wiesbaden)) oder an der Laborschule Bielefeld; dieser Darstellung hat jedoch das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung widersprochen[14]. Umgekehrt gibt es umstrittene (siehe Diskussion unten) Untersuchungen, die den deutschen Gesamtschulen eine bessere Förderung von schwachen Schülern als im gegliederten System bescheinigen.[15] In den Gesamtschulen wird seit PISA stärker über effizienten und nachhaltigen Unterricht nachgedacht, zumal viele Bundesländer zum Zentralabitur übergehen, das alle Schulformen mit gleichen Aufgaben überprüft. Die ersten Ergebnisse des Zentralabiturs in Nordrhein-Westfalen für das Schuljahr zeigen, dass Gesamtschüler bei den zentralen Prüfungen schlechter abschnitten als Gymnasiasten. So erreichten 2009 Gymnasiasten zum Beispiel 8,8 Punkte bei der Mathematikprüfung, Gesamtschüler 5,7 Punkte und Schüler von Weiterbildungskollegs 4,6 Punkte. Die Gymnasiasten haben sich somit im Vergleich zu ihrer Vorbenotung durch die Schule leicht verbessert, die Gesamtschüler und Schüler von Weiterbildungskollegs hingegen verschlechtert.[16] Da das Abschneiden bei den zentralen Prüfungen jedoch nur einen Bruchteil der Abiturnote ausmacht, unterschieden sich die Noten von Gesamtschülern und Gymnasiasten kaum.
Einen neuen Anlauf zur Steigerung der Schülerleistungen bedeutet die Einführung der nationalen Bildungsstandards für den mittleren Abschluss in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik sowie den Naturwissenschaften in den Jahren 2004 bzw. 2005. Ihre Einhaltung soll über Vergleichsarbeiten, die in allen Schulformen gleich sind, überprüft werden. Viele Schulen müssen sich jetzt einem Vergleich mit anderen stellen.
Ein weiterer Fokus der aktuellen Diskussion liegt auf dem hohen Anteil ausländischer Schüler zumindest an Berliner und westdeutschen Gesamtschulen in Ballungszentren. Viele deutschsprachige Eltern fürchten, dass ihre Kinder sprachlich zu wenig gefördert werden können, und weichen deshalb in das gegliederte System aus. Dabei meiden sie neben den Gesamt- auch und vor allem die Hauptschulen.
Gegenwärtige Gesamtschulkonzepte
Deutsche Gesamtschulen (in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Hessen, Thüringen, Schleswig-Holstein und im Saarland: integrierte Gesamtschulen) unterrichten Kinder und Jugendliche zunächst unabhängig vom Leistungsstand in sehr heterogenen Klassen: Beginnend mit Klasse 7 werden in den Kernfächern (Deutsch, Englisch, Mathematik) meist Differenzierungskurse (so genannte Erweiterungs- und Grundkurse / E- oder G-Kurs) eingerichtet. In welchen weiteren Fächern die Kurse eingerichtet werden, entscheidet jeweils die Schulkonferenz, obwohl die Kultusministerkonferenz diese Regelung zurücknahm.
Bei integrierten Gesamtschulen in Hamburg lautete die Bezeichnung bisher I- und II-Kurs (gesprochen Einser- bzw. Zweierkurs), wobei der I-Kurs den Leistungen des Gymnasiums entsprach, der II-Kurs dem Niveau von Haupt- und Realschule. Daneben existiert ein sogenannter Liftkurs mit der Bezeichnung I.II (sprich Eins-Zweier), dessen Funktion darin besteht, leistungsstärkeren II-Kurs-Schülern den Übergang auf das Gymnasialniveau des I-Kurses zu ermöglichen. Zusätzlich werden die Noten in allen Fächern, also nicht nur den kursdifferenzierten, in A und B differenziert, wobei B für das Gymnasialniveau steht, A für das Haupt- und Realniveau, wodurch sich eine absteigende Reihe von B1 bis A6 ergibt; B4 ist dabei identisch mit der Note A1. In der Praxis wird die Note A1 selten vergeben und auch an Schüler der II-Kurse wird die Note B4 vergeben, während Leistungen schlechter als B4 in allen drei Kursen mit A-Noten bewertet werden. Eine eher inoffizielle Differenzierung ist die Bewertung der Leistungen entsprechend der Noten A2 und A3 als Real-, der Note A4 als Hauptschul-, sowie die Noten A5 und A6 als unter Hauptschulniveau liegend. Am Ende eines Halbjahres werden die erzielten A- und B-Noten eines Schülers dann zur Grundlage einer möglichen Auf- oder Abstufung innerhalb des Kurssystems genommen. Am Ende der Klassen 9 und 10 wird anhand der A- und B-Noten über die Erteilung eines Haupt- bzw. Realschulabschlusses oder den Zugang zur Oberstufe entschieden. Das Weiterbestehen dieses Hamburger Modells nach der unter der von 2008 bis 2010 in Hamburg bestehenden schwarz-grünen Landesregierung beschlossenen Überführung der Gesamtschulen in Stadtteilschulen ist momentan noch unklar.
Manche Gesamtschulen haben zudem ab Klasse 9 eine Profilbildung eingeführt. Sie bilden organisatorisch neue Klassen nach der Anzahl der E-Kurse, die die Jugendlichen zu diesem Zeitpunkt belegt haben. Berücksichtigt werden zudem auch die Talente sowie bestehende Freundschaften. Um feste Bezugspersonen für die Schüler zu gewähren, wird an manchen Gesamtschulen das Team-Kleingruppen-Modell praktiziert, bei dem ein fester Stamm von Lehrkräften eine einzelne Klasse über mehrere Jahre begleitet. Ein ähnliches Modell ist die Umbenennung der ursprünglichen Klassenlehrer einer Klasse nach Einführung der Kursdifferenzierung in der Klasse 7 in Tutoren, die einmal am Tag eine Tutorialstunde (TUT, meist letzte Stunde des Tages) bzw. Organisationszeit (OZ, um Mittag herum) im Rahmen der ursprünglichen Klassen leiten, wobei zumeist Handzettel und Mitteilungen der Schulleitung, Schulkonferenz oder Elternvertretung bzw. die hauseigene Schulzeitung verteilt werden.
Mit diesen konzeptionellen Erweiterungen der ursprünglichen Gesamtschulidee reagieren die deutschen Gesamtschulen auf die sich verändernde Arbeitsmarktsituation und die neuen Lebensbedingungen der Jugendlichen. Angeboten wird mehr Ganztagsförderung, und zwar in Lerngruppen, die eine Binnendifferenzierung noch erfolgversprechend machen. Ab Klasse 9 zeigen sich in der Praxis so große Leistungsunterschiede, dass eine sinnvolle Binnendifferenzierung kaum noch planbar ist. Empirische Untersuchungen dazu fehlen allerdings. Erst hier trennt die Gesamtschule die Jugendlichen – wie in den Schulen der meisten Nachbarländer.
Diskussion
Unter Eltern, Politikern und Pädagogen liegen die Meinungen über die Gesamtschule weit auseinander. Daher ist die Gesamtschule auch in den einzelnen Bundesländern, mit ihren unterschiedlichen politischen Mehrheiten und Traditionen, unterschiedlich weit verbreitet.
- Befürworter betonen, dass die – sozial und der Bildung nach – schwächeren Schüler besonders zu fördern seien und sie daher möglichst lange mit den starken Schülern gemeinsam lernen sollten. Dies habe auch positive Rückwirkungen auf die starken Schüler und letztlich die gesamte Gesellschaft. Stärker als andere Schulformen steigere die Gesamtschule die sozialen Fähigkeiten der Schüler. Diese Auffassungen werden vor allem von der politischen Linken (SPD, Grüne, Die Linke) vertreten und dominiert anscheinend auch unter Erziehungswissenschaftlern. Auch die Handwerksverbände wie der Zentralverband des Deutschen Handwerks und der Westdeutsche Handwerkskammertag fordern eine neunjährige Basisschule für alle.[17][18] Die Befürwortung der Gesamtschule speist sich oft aus der Kritik am mehrgliedrigen Schulsystem. Es wird befürchtet, dass dieses den Hauptschülern nicht mehr die für eine erfolgreiche Berufstätigkeit notwendigen Fähigkeiten vermitteln,[19] zudem wird eine mangelnde Förderung der Intelligenz befürchtet. Es konnte gezeigt werden, dass bei Kontrolle der Ausgangsleistung im Intelligenztest Gymnasiasten ihre Intelligenz weit stärker steigern konnten, als Schüler, die eine andere Schulform besuchten. So konnte also bewiesen werden, dass die Schüler auf den niedrigeren Schulformen schlechtere Entwicklungschancen haben.[20]
- Gegner der Gesamtschule sind der Auffassung, dass das gemeinsame Lernen den unterschiedlich begabten Schülern nicht gerecht werde: Die schlechten werden über-, die guten unterfordert, die schlechten „zögen“ die guten „herab“.
Ein weiteres Gegenargument ist auch die Größe vieler Gesamtschulen (fünf oder sechs Klassen nebeneinander), die wegen des komplizierteren Kurssystems nötig sei. Laut den Gegnern hätten Verlierer der PISA-Studie Gesamtschulen als alleinige Schulform. Dagegen hätte beispielsweise Hongkong, welches im Schwerpunkt Mathematik den Spitzenplatz[21] errungen hat, ein dreigliedriges Schulsystem.[22] Hier gilt es wieder, keine Bestandteile eines Systems isoliert zu betrachten: In England gibt es zwar fast nur Gesamtschulen, allerdings auch ein stark entwickeltes Privatschulwesen. Dagegen gehen in den skandinavischen Ländern alle Schüler in die gleiche Schulform. Schaut man detaillierter in die Schullandschaften der Länder mit Einheitsschulsystemen, so fällt jedoch auf, dass sich unter dem Begriff „Gesamtschule“ auch sehr unterschiedliche Schulen finden. In Finnland z. B. muss jede Schule dem örtlichen Bedarf entsprechend ihr eigenes Schulprofil entwerfen. Begabtenkurse werden ab Klasse 3 angeboten. Auf diese Weise entstehen Schulen, die sich im Leistungsniveau so stark unterscheiden, dass einige mit deutschen Hauptschulen, andere eher mit deutschen Gymnasien vergleichbar sind. Durch die freie Schulwahl sortieren sich die Schülerströme so, dass deutlich homogenere Klassen entstehen als der Begriff Gesamtschule impliziert.[23]
Das Konzept der Gesamtschule war mit der Hoffnung verknüpft, dass dort die Bildung weniger stark von der sozialen Herkunft abhänge. Bei der Analyse der PISA-Ergebnisse fiel auf, dass die Testleistung auf der Gesamtschule am stärksten von der sozialen Herkunft abhängt und auf dem Gymnasium am wenigsten. Bei diesen Daten handelt es sich allerdings wahrscheinlich um ein statistisches Artefakt.[24] Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass die Hauptschule die förderschwächste Schule ist.
PISA-Testleistung (gemessen in „Kompetenzpunkten“) | ||||
---|---|---|---|---|
Schulform | „Sehr niedrige“ soziale Herkunft | „Niedrige“ soziale Herkunft | „Hohe“ soziale Herkunft | „Sehr hohe“ soziale Herkunft |
Hauptschule | 400 | 429 | 436 | 450 |
Integr. Gesamtschule | 438 | 469 | 489 | 515 |
Realschule | 482 | 504 | 528 | 526 |
Gymnasium | 578 | 581 | 587 | 602 |
PISA 2003 – Der Bildungsstand der Jugendlichen in Deutschland – Ergebnisse des 2. internationalen Vergleiches[25]. |
Gleichzeitig führen Gesamtschulen dennoch (in gewissem, für die Befürworter jedoch enttäuschendem Umfang) Kinder aus bildungsfernen Schichten einer höheren Schulbildung zu. So ist an Gesamtschulen der Trend zu einem höherwertigen Sekundar-I-Abschluss (Mittlere Reife statt Hauptschulabschluss) etwas ausgeprägter. Auch bescheinigen Bildungswissenschaftler den Gesamtschulen, dass diese für solche Kinder einen wichtigen zum Gymnasium alternativen Zugang zum Abitur bieten.[26] Der Anteil der Hauptschul- bzw. Realschulempfohlenen, die an einer Gesamtschule Abitur machen ist weit höher als im Gymnasium. Kritisch muss hierbei jedoch angemerkt werden, dass eine Vergleichbarkeit der Qualität des an Gymnasien und an Gesamtschulen erworbenen Abiturs – auch unter Zentralabiturbedingungen – nicht gegeben ist, da der größte Teil der Abiturdurchschnittsnote nicht durch das Zentralabitur selbst, sondern in der Qualifikationsphase vorher festgelegt wird, wo keine Vergleichsstudien durchgeführt werden. Die BIJU-Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung offenbarte sehr starke Leistungsrückstände der Gesamtschüler gegenüber Gymnasiasten und sogar Realschülern.[27][28] Leistungsunterschiede wurden bereits zu Beginn der Klasse 7 festgestellt, und sie vergrößern sich noch erheblich bis zum Ende der Klasse 10. In Klasse 10 eilen nicht nur die Gymnasiasten, sondern auch die Realschüler den Gesamtschülern davon.[29] Dass diese Rückstände der Gesamtschüler bis zum Abitur aufgehoben werden, ist daher sehr zweifelhaft. Seit der Einführung des Zentralabiturs in NRW zeigen sich auch auffällige Leistungsunterschiede zwischen Gesamtschülern und Gymnasiasten. Während die Gymnasiasten sich im Zentralabitur gegenüber ihren Vornoten verbessern, verschlechtern sich die Gesamtschüler. Im ersten Durchgang des Zentralabiturs in NRW erreichten die Gesamtschüler z. B. in den selbstgewählten Leistungskursen im Fach Mathematik nur eine durchschnittliche Punktzahl von 4.5, was nicht einmal der Note ausreichend entspricht. Bei den Gymnasiasten entsprach der Punktedurchschnitt im selben Fach in den Leistungskursen dagegen 8,1 Punkte.[30] Zudem scheitern Gesamtschüler mit Abitur gegenüber den Schülern, die das Abitur am Gymnasium erworben haben, ebenfalls überproportional häufig im Studium.[31]
Die Langzeitstudie LIFE (Lebensverläufe von der späten Kindheit bis ins frühe Erwachsenenalter) von Helmut Fend kam zu dem Schluss, dass Gesamtschulen die soziale Selektivität reduzieren können. Jedoch hätten Arbeiterkinder, die eine hessische Gesamtschule besucht haben, keine besseren Berufschancen als Arbeiterkinder im gegliederten Schulsystem, weil der spätere familiale Einfluss Wirkung entfalten kann: „Solange die Schule intern agieren kann, also die Kinder und Jugendlichen beisammen hat und sie nach Leistungen gruppiert, kann sie die soziale Selektivität durchaus reduzieren. Wenn es um die weiteren Bildungsstufen geht, um die risikobehafteten Entscheidungen beim Schulabschluss, bei der Ausbildung und bei den Berufslaufbahnen, dann verliert sich dieser schulische Einfluss, und die familiären Ressourcen in der Gestaltung der Entscheidungen treten in den Vordergrund.“[32][33] Diese Erkenntnisse sind aber nicht neu, weil die soziologische Elitenforschung dies bereits zeigte. Die damit verbundene Frage ist allerdings, ob der Staat soziale Selektivität im Schulsystem zulassen darf.
Siehe auch
Literatur
- Jürgen Diederich, Heinz Elmar Tenorth: Theorie der Schule, Ein Studienbuch zu Geschichte, Funktionen und Gestaltung. Berlin 1997.
- Manfred Bönsch: Die Gesamtschule. Die Schule der Zukunft mit historischem Hintergrund. Hohengehren 2006.
- Hans Werner Kilz (Hrsg.): Gesamtschule. Kap. 1, In: In A die Schlauen, in C die Dummen. SPIEGEL-Verlag, 1980, S. 7–27.
- Hans-Georg Herrlitz, Dieter Weiland, Klaus Winkel (Hrsg.): Die Gesamtschule. Geschichte, internationale Vergleiche, pädagogische Konzepte und politische Perspektiven. Grundlagentexte Pädagogik. Weinheim 2003.
- Gudrun Schulz-Wensky: Kooperation im Lehrerteam. Psychologische Untersuchung von Lehrergruppen im Team-Kleingruppen-Modell. Diss. Köln 1994.
Weblinks
- Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule (Gesamtschulunterstützer)
- Arbeitskreis Gesamtschule e. V. (Gesamtschulkritiker)
- Arbeitskreis Schulformdebatte e. V. (Kritiker des längeren gemeinsamen Lernens)
- Gesamtschulen sind nicht gerechter sueddeutsche.de (3. Januar 2008)
- Beschreibung der Schulsysteme aller Länder Europas
Einzelnachweise
- ↑ Fritz Hoffmann – Schulreformer
- ↑ Weimarer Reichsverfassung von 1919
- ↑ Reichsgrundschulgesetz vom 28. April 1920
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