Sitzzuteilungsverfahren

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Sitzzuteilungsverfahren sind Rechenverfahren, um bei Verhältniswahlen eine vorgegebene Anzahl von Sitzen eines Parlaments den zu berücksichtigenden Parteien im Verhältnis ihrer Stimmenzahlen zuzuteilen. Es sind Rundungsverfahren, bei denen die Summe der Summanden erhalten bleiben muss (summenerhaltendes Runden).

Dieselbe Aufgabe liegt vor, wenn bei einer Kaufrechnung oder -quittung die Mehrwertsteuer (ein Prozentsatz auf die Summe) auf die Positionen zu verteilen ist.

Zuteilungsverfahren werden auch genutzt, um bei einer Aufgliederung eines großen Wahlgebiets in kleinere Wahldistrikte die verfügbaren Gesamtsitze auf die Distrikte im Verhältnis ihrer Bevölkerungsstärken aufzuteilen. Darüber hinaus können sie dazu dienen, bei gegebener Teilnehmergruppe die für sie erhobenen (positiven) Mess- oder Zählwerte in Prozente umzurechnen, indem 100 Prozentpunkte den Teilnehmern im Verhältnis ihrer Messwerte zugeordnet werden. Sollen Prozentzahlen auf eine Nachkommastelle genau sein, werden 1000 Promillpunkte verteilt. Allgemein dienen Zuteilungsverfahren der proportionalen Repräsentation von Akteuren, von denen jedem ein Gewicht zukommt und auf die eine gewisse Anzahl (von Gesamtsitzen, von Prozentpunkten o. ä.) im Verhältnis ihrer Gewichte zu verteilen sind.

Proportionalität und Ganzzahligkeit

Zuteilungsverfahren werden hier erläutert in der Sprache der erstgenannten Problemstellung, der Zuteilung von Sitzen an Parteien in Verhältniswahlsystemen. Die Gesamtzahl der zu vergebenden Parlamentssitze wird abgekürzt mit (Hausgröße). Die bei der Sitzzuteilung zu berücksichtigenden Parteien werden in irgendeiner Weise von 1 bis durchnummeriert.[1] Die Stimmenzahlen der Parteien, mit denen sie aus der Wahl hervorgehen, seien bezeichnet mit (Voten). Aufgabe eines Sitzzuteilungsverfahrens ist es, ganzzahlige Sitzzahlen zu bestimmen, die proportional zu den Stimmenzahlen sind und zusammen die Hausgröße ausschöpfen. (Der Buchstabe deutet an, dass die Sitzzahlen die "Unbekannten" sind, die es zu bestimmen gilt.)

Im theoretischen Fall, dass nur Proporz zu sichern wäre und nicht auch Ganzzahligkeit, sollte für jede Partei  der Anteil an Sitzen gleich dem Anteil an Stimmen sein: , wobei die Zahl der Gesamtstimmen angibt. Mit dem Dreisatz aus der Schulmathematik ergäbe sich für die Sitzzahl der Partei  die "Lösung"

Der hier auftretende Idealanspruch , mit , ist mangels garantierter Ganzzahligkeit nur ein theoretischer Kennwert und nicht mehr. Er deutet das Niveau des Sitzanspruchs von Partei  an, taugt aber nicht als praktische Sitzzahl. Ganzzahligkeit ist im praktischen Sitzzuteilungsproblem unverzichtbar.

Ganzzahligkeit wird dadurch erzwungen, dass Quotienten der Form , mit beliebigem Divisor , in einem eigenständigen Verfahrensschritt auf eine Ganzzahl gerundet werden. Wird allgemein eine Rundungsregel durch eckige Klammern angedeutet, bekommt die Sitzzahl der Partei  als praktische Problemlösung die Form

Die Sitzzahl einer Partei ist somit die Ganzzahl, die durch Rundung des Quotienten aus der Stimmenzahl dieser Partei und einem Divisor hervorgeht, wobei für alle Parteien derselbe Divisor benutzt wird. Divisor und Rundung müssen so zusammenwirken, dass die vorgegebene Hausgröße genau ausgeschöpft wird: .

Je nachdem, wie Divisor und Rundungsregel austariert werden, ergeben sich unterschiedliche Zuteilungsverfahren. In den Anwendungen dominieren zwei Klassen von Verfahren: Divisorverfahren und Quotenverfahren;

  • Divisorverfahren benutzen eine feste Rundungsregel und passen den Divisor an, bis die Hausgröße ausgeschöpft ist; der Divisor heißt hier auch beweglicher Wahlschlüssel (engl. sliding divisor).
  • Quotenverfahren geben den Divisor formelmäßig vor und richten die Rundungen so ein, dass die Hausgröße erreicht wird; hier wird der Divisor auch fester Wahlschlüssel, Wahlzahl oder Quote (engl. quota) genannt.

Es gibt auch andere Zuteilungsverfahren, die in keine dieser beiden Klassen fallen.

Bei Sitzzuteilungsverfahren ist Ganzzahligkeit unabdingbar, weil in einem Parlament alle Abgeordneten gleich sind und Bruchteilssitze keinen Sinn geben.[2] Das Beharren auf Ganzzahligkeit entspricht dem Parlamentsleben. Aus Parteiensicht ist jeder Sitz wichtig, ein Sitz mehr oder weniger kann über Mehrheiten entscheiden. Keine Partei wird einer anderen einen Sitz überlassen, auf den sie sich selber Chancen ausrechnet, denn Wahlrecht ist auch Machtrecht.[3]

Traditionelle Zuteilungsverfahren und ihre Namenspatrone

Im deutschsprachigen Raum haben drei Sitzzuteilungsverfahren besondere Tradition.[4] Die Bezeichnungen variieren. Populär ist eine Namensgebung mit Verweis auf Autoritäten, die zur Entwicklung oder Verbreitung des Verfahrens beigetragen haben.[5] Alternativ gibt es Verfahrensnamen, die die Systematik andeuten, ob es sich um ein Divisor- oder Quotenverfahren handelt und welche Verfahrensschritte prägend sind:

Die Verfahren werden erläutert anhand der Wahl des Gemeinderats des Marktes Mallersdorf-Pfaffenberg im niederbayerischen Landkreis Straubing-Bogen am 15. März 2020. Je nach Verfahren erhält man unterschiedliche Zuteilungen. Zudem zog die Wahl einen Rundungsstreit nach sich, der aufzeigt, mit welchen Problemen die Praxis zu kämpfen hat.[7]

Divisorverfahren

Das Divisorverfahren mit Standardrundung (Sainte-Laguë)

Standardrundung bedeutet, dass der Quotient aus Stimmenzahl und Divisor ab- bzw. aufgerundet wird je nachdem, ob der Nachkommateil des Quotienten kleiner bzw. größer als ein Halb ist. Für Mallersdorf-Pfaffenberg lässt sich das Ergebnis mit dem Satz beschreiben: Auf je 3318,36 Stimmenbruchteile entfällt rund ein Sitz.

Divisorverfahren mit Standardrundung
Partei Stimmen Quotient Sitze
CSU 28.206 8,49998 8
FW 18.251 5,50001 6
SPD 10.000 3,0 3
ÖDP 9.229 2,8 3
GRÜNE 1.487 0,4 0
Summe (Divisor) 67.173 (3318,36) 20

Der problemlösende Divisor ist Resultat eines mehrschrittigen Rechenwegs. Der Weg beginnt mit einem Startdivisor. Sollte mit diesem die Hausgröße verfehlt werden, folgen Anpassungsschritte. Für das Divisorverfahren mit Standardrundung gibt es drei Rechenwege: Diskrepanzabbau, Höchstzahlenschema mit Teilern 0,5, 1,5, 2,5, usw. und Höchstzahlenschema mit Teilern 1, 3, 5, usw. Der Diskrepanzabbau-Algorithmus ist der schnellste.[8]

Diskrepanzabbau beim Divisorverfahren mit Standardrundung. Dies ist der Rechenweg, der in § 6 des Bundeswahlgesetzes beschrieben ist:[9]

„Der Zuteilungsdivisor ist so zu bestimmen, dass insgesamt alle verfügbaren Sitze vergeben werden. Dazu wird zunächst die Gesamtzahl der Stimmen aller zu berücksichtigenden Parteien durch die Gesamtzahl der Sitze geteilt. Entfallen danach mehr Sitze auf die Parteien als verfügbar, ist der Zuteilungsdivisor so heraufzusetzen, dass sich bei Neuberechnung die zu vergebende Sitzzahl ergibt; entfallen zu wenig Sitze auf die Parteien, ist der Zuteilungsdivisor entsprechend herunterzusetzen.“

Das Beispiel Mallersdorf-Pfaffenberg lehrt, wie das Heruntersetzen des Startdivisors vollzogen wird. (Wird stattdessen das Divisorverfahren mit Abrundung verwendet, zeigt das Beispiel, wie das Heraufsetzen funktioniert.)

Der Startdivisor für das Divisorverfahren mit Standardrundung ist die Hare-Quote, d. h. der Durchschnitt von Stimmen pro Sitz. Für die Ratswahl in Mallersdorf-Pfaffenberg ist der Startdivisor 67.173 / 20 = 3358,65. Folglich werden die mit den Parteistimmen 28.206 : 18.251 : 10.000 : 9229 : 1487 einhergehenden Quotienten 8,4 : 5,4 : 3,0 : 2,7 : 0,4 standardgerundet zu 8 : 5 : 3 : 3 : 0 Sitzen. Zusammen werden 19 Ratssitze verteilt, ein Sitz zu wenig.

Die Diskrepanz von einem Fehlsitz wird in einem Schritt abgebaut. Dies leistet ein neuer Divisor, der um so viel kleiner als der Startdivisor ist, dass der fehlende Sitz hinzugefügt wird. Zunächst wird für jede Partei der Divisorwert markiert, ab dem sie einen weiteren Sitz erhält.

Wenn der neue Divisor unterhalb der Marke 28.206 / 8,5 = 3318,353 liegt, bekommt Partei 1 einen Sitz mehr. Denn < 28.206 / 8,5 bedeutet, dass der Quotient 28.206 / größer als 8,5 wird und zu 9 (oder mehr) Sitzen führt.

Unter der Marke 18.251 / 5,5 = 3318,364 bekommt Partei 2 einen Sitz mehr.

Unter der Marke 10.000 / 3,5 = 2857,143 bekommt Partei 3 einen Sitz mehr.

Unter der Marke 9229 / 3,5 = 2636,857 bekommt Partei 4 einen Sitz mehr.

Unter der Marke 1487 / 0,5 = 2974 bekommt Partei 5 ihren ersten Sitz.

Wird ausgehend vom Startdivisor der Divisor verkleinert, dann stößt er als erstes auf die höchste dieser Marken. Sie gehört zu Partei 2:

Mit einem neuen Divisor unterhalb dieser Marke erhält Partei 2 einen sechsten Sitz, den insgesamt zwanzigsten. Kleiner als 28.206 / 8,5 = 3318,353 darf der Divisor nicht werden, sonst bekäme Partei 1 einen neunten Sitz, der überzählig wäre. Jede Zahl im Bereich von 3318,353 bis 3318,364 kann als Divisor dienen, um die zwanzig Ratssitze zuzuteilen.

Obige Tabelle zitiert den Divisor 3318,36. Für die ersten beiden Parteien werden die Quotienten mit fünf Nachkommastellen angezeigt, um zu bestätigen, dass der erste Quotient, weil kleiner als 8,5, abzurunden und der zweite, weil größer als 5,5, aufzurunden ist. Für die anderen drei Parteien reicht eine Nachkommastelle aus, um über Ab- und Aufrundung zu entscheiden.

Zitierdivisor. Die zulässigen Divisoren bilden einen Bereich, unterhalb dem zu viele Sitze vergeben werden und oberhalb zu wenige. Jeder Wert innerhalb des Bereichs ist ein tauglicher Divisor. Ein spezieller Wert ist der Zitierdivisor.

Für den Zitierdivisor wird die Bereichsmitte bestimmt und auf so wenige Nachkommastellen und auf so viele nachlaufende Nullen wie möglich (kaufmännisch) gerundet. Im Beispiel hat der Divisorbereich von 3318,353 = 28.206 / 8,5 bis 18.251 / 5,5 = 3318,364 den Mittelpunkt 3318,35828877. Rundung auf zwei Dezimalstellen liefert den Zitierdivisor 3318,36.

Höchstzahlenschema mit Teilern 0,5, 1,5, 2,5, usw. Für das Divisorverfahren mit Standardrundung ist der Höchstzahlen-Algorithmus weit verbreitet. Er beginnt mit einem so großen Startdivisor, dass zunächst kein Sitz verteilt wird (im Beispiel: größer als 56.412). Die anfänglich Diskrepanz beträgt somit zwanzig Fehlsitze.

Der Abbau der Diskrepanz erfolgt in zwanzig Schritten. Erst wird der erste Sitz zugeteilt, dann der zweite, danach der dritte, schließlich der neunzehnte und als letztes der zwanzigste.

Die Anpassungsschritte ähneln dem Schritt vom neunzehnten zum zwanzigsten Sitz im Diskrepanzabbau-Algorithmus. Die auftretenden Marken sind alle von demselben Format: Parteistimmen geteilt durch 0,5, 1,5, 2,5, usw. Die Marken heißen nun Vergleichszahlen. Jede Partei erhält so viele Sitze, wie oft sie zu den zwanzig höchsten Vergleichszahlen, den Höchstzahlen, beiträgt.[6] Die Auszählung der zwanzig höchsten Vergleichszahlen wird schematisch organisiert:

Höchstzahlenschema mit Teilern 0,5, 1,5, 2,5, etc.
Partei CSU FW SPD ÖDP GRÜNE
Stimmen 28.206 18.251 10.000 9.229 1.487
Vergleichszahlen
Stimmen/0,5 56.412,00# 36.502,00# 20.000,00# 18.458,00# 2.974,00
Stimmen/1,5 18.804,00# 12.167,33# 6.666,67# 6.152,67# 991,33
Stimmen/2,5 11.282,40# 7.300,40# 4.000,00# 3.691,60# 594,80
Stimmen/3,5 8.058,86# 5.214,57# 2.857,14 2.636,86 424,86
Stimmen/4,5 6.268,00# 4.055,78# 2.222,22 2.050,89 330,44
Stimmen/5,5 5.128,36# 3.318,36# 1.818,18 1.678,00 270,36
Stimmen/6,5 4.339,38# 2.807,85 1.538,46 1.419,85 228,77
Stimmen/7,5 3.760,80# 2.433,47 1.333,33 1.230,53 198,27
Stimmen/8,5 3.318,35 2.147,18 1.176,47 1.085,76 174,94
Auszählung der zwanzig Höchstzahlen (markiert mit #)
Sitze 8 6 3 3 0

Aus diesem Schema ist auch der Divisorbereich ablesbar. Seine obere Grenze ist die kleinste der Höchstzahlen (3318,36). Die untere Grenze ist die größte unter den anderen Vergleichszahlen (3318,35).

Höchstzahlenschema mit Teilern 1, 3, 5, usw. Die Auszählung der höchsten Vergleichszahlen bleibt dieselbe, wenn alle Vergleichszahlen mit demselben Faktor multipliziert werden. Was vorher größer oder kleiner war, ist es dann auch hinterher. Alternativ können daher die Teiler 0,5, 1,5 2,5, usw. ersetzt werden durch die um den Faktor zwei vergrößerten Teiler 1, 3, 5, usw.[10] Mit diesen Teilern ergeben sich andere Vergleichszahlen.

Höchstzahlenschema mit Teilern 1, 3, 5, etc.
Partei CSU FW SPD ÖDP GRÜNE
Stimmen 28.206 18.251 10.000 9.229 1.487
Vergleichszahlen
Stimmen/1 28.206,00# 18.251,00# 10.000,00# 9.229,00# 1.487,00
Stimmen/3 9.402,00# 6.083,67# 3.333,33# 3.076,33# 495,67
Stimmen/5 5.641,20# 3.650,20# 2.000,00# 1.845,80# 297,40
Stimmen/7 4.029,43# 2.607,29# 1.428,57 1.318,43 212,43
Stimmen/9 3.134,00# 2.027,89# 1.111,11 1.025,44 165,22
Stimmen/11 2.564,18# ?1.659,18# 909,09 839,00 135,18
Stimmen/13 2.169,69# 1.403,92 769,23 709,92 114,38
Stimmen/15 1.880,40# 1.216,73 666,67 615,27 99,13
Stimmen/17 ?1.659,18 1.073,59 588,24 542,88 87,47
Auszählung der zwanzig Höchstzahlen (markiert mit #)
Sitze 8 6 3 3 0

Es scheint so, als gäbe es hier eine Konkurrenz zwischen CSU und FW, denn für beide ist als zwanzigste Höchstzahl der Wert 1659,18 ausgewiesen. Der Schein trügt, denn die dritten Nachkommastellen machen klar, das die Freien Wähler mit 1659,182 eine höhere Vergleichszahl haben als die CSU mit 1659,176.

Der Rundungsstreit von Mallersdorf-Pfaffenberg. Das bayerische Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz schreibt in Artikel 35 vor, für die Verteilung der Sitze auf die Parteien das Höchstzahlenschema mit Teilern 1, 3, 5, usw. anzuwenden.[11] Wird das Schema nur mechanisch gehandhabt, geht leicht die Orientierung verloren, wo Genauigkeit gefragt ist und wo Rundung erlaubt ist. Solche Desorientierung löste bei der Wahl in Mallersdorf-Pfaffenberg einen Rundungsstreit aus.

Die Vergleichszahlen wurden mit zwei Nachkommastellen berechnet. Weil für CSU und FW derselbe Wert herauskam (1.659,18), wurde vor Ort argumentiert, dass ein Gleichstand vorliege und der Sitz an die CSU falle, da der an neunter Stelle stehende CSU-Kandidat mehr Stimmen (1180) aufwies als der an sechster Stelle stehende FW-Kandidat (818). Auf Anfrage stützte das Innenministerium die falsche Auswertung mit der ministerialbürokratischen Behauptung, eine Grenze bei der Berücksichtigung von Dezimalstellen sei gesetzesimmanent.[12] Erst durch Bescheid der Rechtsaufsicht des Landratsamtes Straubing-Bogen wurde die richtige Auswertung der Wahlleiterin, die diese schon bei Bekanntgabe des vorläufigen Wahlergebnisse vertreten hatte, bestätigt und der zwanzigste Sitz den Freien Wählern zugeteilt.

Gleichstände und Bindungen. Situationen, in denen mehrere gleichberechtigte Sitzzuteilungen entstehen, sind selten, aber möglich. Offensichtlich kann es dazu kommen, wenn Gleichstände auftreten, beispielsweise wenn an zwei Parteien mit derselben Stimmenzahl eine ungerade Anzahl von Sitzen zuzuteilen ist.

Eine weniger offensichtliche Ursache können Bindungen (engl. ties) sein, die erst später im Verlauf des Rechenwegs zu Tage treten. Wären etwa in Mallersdorf-Pfaffenberg auf die CSU drei Stimmen weniger entfallen (22.203) und auf die FW zwei weniger (18.249), hätte der CSU- bzw. FW-Quotient genau den Wert 8,5 bzw. 5,5 getroffen (Divisor 3318). Mit Bruchteilen genau gleich ein Halb erlaubt die Standardrundung gleichermaßen Abrundung wie auch Aufrundung.[13] Die 14 Sitze der beiden Parteien könnten in 9 : 5 oder in 8 : 6 Sitze aufgeteilt werden. Es gäbe zwei gleichberechtigte Zuteilungen.

Die Vorschriften, wie aus mehreren gleichberechtigten Sitzzuteilungen eine auszuwählen ist, variieren je nach Gesetz. Das Bundeswahlgesetz sieht einen Losentscheid vor. Das Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz in Bayern schaut auf die betroffenen Kandidaten oder Kandidatinnen und gibt den Sitz der Person, die mehr Stimmen vorweisen kann. Es gibt auch andere Vorgehensweisen.[14]

Das Divisorverfahren mit Abrundung (D'Hondt)

Abrundung bedeutet, dass der Quotient aus Stimmenzahl und Divisor zur darunterliegenden Ganzzahl abgerundet wird. Für Mallersdorf-Pfaffenberg lässt sich das Ergebnis mit dem Satz beschreiben: Auf je 3060 Stimmen entfällt rund ein Sitz.

Divisorverfahren mit Abrundung
Partei Stimmen Quotient Sitze
CSU 28.206 9,2 9
FW 18.251 5,96 5
SPD 10.000 3,3 3
ÖDP 9.229 3,02 3
GRÜNE 1.487 0,5 0
Summe (Divisor) 67.173 (3060) 20

Abrundung kann auch so interpretiert werden, dass die Berechnung des Quotienten mit Erreichen des Dezimalkommas abbricht. Zu Zeiten, als die Arbeit händisch erledigt wurde, war dies ein Gebot der Ökonomie: Brüche werden nicht gerechnet. Für das Divisorverfahren mit Abrundung ist das Höchstzahlschema mit Teilern 1, 2, 3, usw. populärer als der Diskrepanzabbau-Algorithmus, obwohl letzterer effizienter ist.

Höchstzahlenschema mit Teilern 1, 2, 3, usw. Die Parteistimmen werden fortlaufend durch die natürlichen Zahlen 1, 2, 3, usw. dividiert. Von den erhaltenen Vergleichszahlen signalisieren die höchsten Werte, welche Parteien die Sitze erhalten. Im Beispiel Mallersdorf-Pfaffenberg ergibt sich folgendes Schema. In diesem Fall ist zur Identifizierung der Höchstzahlen ausreichend, die Berechnung der Vergleichszahlen beim Dezimalkomma abzubrechen.

Höchstzahlenschema mit Teilern 1, 2, 3, etc.
Partei CSU FW SPD ÖDP GRÜNE
Stimmen 28.206 18.251 10.000 9.229 1.487
Vergleichszahlen
Stimmen/1 28.206# 18.251# 10.000# 9.229# 1.487
Stimmen/2 14.103# 9.125# 5.000# 4.614# 743
Stimmen/3 9.402# 6.083# 3.333# 3.076# 495
Stimmen/4 7.051# 4.562# 2.500 2.307 371
Stimmen/5 5.641# 3.650# 2.000 1.845 297
Stimmen/6 4.701# 3.041 1.666 1.538 247
Stimmen/7 4.029# 2.607 1.428 1.318 212
Stimmen/8 3.525# 2.281 1.250 1.153 185
Stimmen/9 3.134# 2.027 1.111 1.025 165
Stimmen/10 2.820 1.825 1.000 922 148
Auszählung der zwanzig Höchstzahlen (markiert mit #)
Sitze 9 5 3 3 0

Aus dem Schema lässt sich auch der Divisorbereich ablesen. Seine obere Grenze ist die kleinste Höchstzahlen (9229 / 3 = 3076,33). Die untere Grenze ist die größte der restlichen Vergleichszahlen (18251 / 6 = 3041,83). Rundung des Mittelpunkts 3059,08 liefert den Zitierdivisor 3060.

Diskrepanzabbau beim Divisorverfahren mit Abrundung. Der Diskrepanzabbau-Algorithmus springt mit geeignetem Startdivisor in die Nähe des Ziels, um von dort mit einigen Anpassungsschritten das Ziel zu erreichen. Der Fall Mallersdorf-Pfaffenstein zeigt die unterschiedliche Eignung denkbarer Startdivisoren auf.

Ist der Startdivisor die Hare-Quote 3358,65, d. h. der Durchschnitt von Gesamtstimmen und Gesamtsitzen, werden zu Beginn nur 17 der 20 Ratssitze verteilt. Drei Sitze werden verfehlt, bis zum Endergebnis sind drei Anpassungsschritte nötig.

Ist der Startdivisor die Droop-Quote 3199, werden anfangs 18 Sitze zugeteilt und der Anpassungsbedarf reduziert sich auf zwei Schritte.[15]

Der vorteilhafteste Startdivisor für das Divisorverfahren mit Abrundung ist der Quotient aus Gesamtstimmen und Gesamtsitzen plus die Hälfte der Anzahl der zu berücksichtigenden Parteien.[16] Im Beispiel ist dies 67.173 / (20 + 2,5) = 2985,5. Abrundung der Quotienten 9,4 : 6,1 : 3,3 : 3,1 : 0,5 verteilt 9 : 6 : 3 : 3 : 0 Sitze. Zusammen sind dies 21 Sitze, ein Sitz zuviel. Ein Anpassungschritt reicht aus, um die Diskrepanz abzubauen.

Die Anpassung erfolgt mit einem neuen Divisor, der um so viel größer als der Startdivisor ist, dass nur 20 Sitze vergeben werden und nicht 21. Zunächst wird für jede Partei der Divisorwert markiert, ab dem sie einen Sitz weniger bekommen würde.

Wenn der neue Divisor oberhalb der Marke 28.206 / 9 = 3134 liegt, bekommt Partei 1 einen Sitz weniger. Denn > 28.206 / 9 bedeutet, dass der Quotient 28.206 / kleiner als 9 wird und nur 8 (oder weniger) Sitzen rechtfertigt.

Über der Marke 18.251 / 6 = 3041,83 bekommt Partei 2 einen Sitz weniger.

Über der Marke 10.000 / 3 = 3333,33 bekommt Partei 3 einen Sitz weniger.

Über der Marke 9229 / 3 = 3076,33 bekommt Partei 4 einen Sitz weniger.

Partei 5 kann nichts abgeben, weil sie schon zum Start leer ausgeht.

Wird ausgehend vom Startdivisor der Divisor vergrößert, dann stößt er als erstes auf die niedrigste dieser Marken. Sie gehört zu Partei 2:

Mit einem neuen Divisor oberhalb dieser Marke bleibt Partei 2 der sechste Sitz vorenthalten, so dass die Gesamtzahl der Sitze auf 20 sinkt. Größer als 9229 / 3 = 3076,33 darf der Divisor nicht werden, sonst würde Partei 4 nur zwei Sitze bekommen und die Gesamtsitzzahl 20 unterschritten. Jede Zahl im Bereich von 3041,83 bis 3076,33 kann als Divisor dienen, um genau zwanzig Ratssitze zuzuteilen. In diesem Bereich bietet sich als Zitierdivisor die gerundete Mitte 3060 an.

Allgemeine Divisorverfahren

Divisorverfahren allgemeiner Art werden durch eine allgemeine Folge von Splittingpunkten bestimmt, die festlegen, wie gerundet wird. Der Splittingpunkt ist lokalisiert im Ganzzahlintervall . Ein Quotient, der im Intervall unterhalb des Splittingpunkts zu liegen kommt, wird abgerundet auf , oberhalb wird er aufgerundet auf . Das erste Intervall [0; 1] wird also vom ersten Splitt unterteilt, das zweite Intervall [1; 2] vom zweiten Splitt , usw.

Beim Divisorverfahren mit Standardrundung (Sainte-Laguë) sind die Splittingpunkte die Mittelpunkte der Intervalle: , d. h. 0,5 1,5, 2,5, usw. In der unteren Intervallhälfte wird abgerundet, in der oberen aufgerundet.

Das Divisorverfahren mit Abrundung (D'Hondt) ist ein Grenzfall. Hier liegen die Splittingpunkte am oberen Ende der Intervalle: , d. h. 1, 2, 3, usw. Es wird immer abgerundet und nie aufgerundet.

Der andere Grenzfall ist das Divisorverfahren mit Aufrundung (Adams). Hier fallen die Splittingpunkte auf die unteren Intervallgrenzen: , d. h. 0, 1, 2, usw. Es wird immer aufgerundet und nie abgerundet; auch der kleinste Teilnehmer bekommt mindestens einen Sitz. Dieses Verfahren wird gelegentlich bei der Sitzaufteilung auf Wahldistrikte verwendet, damit kein Teil des Wahlgebiets unvertreten bleibt und auch der kleinste Distrikt im Parlament noch Einsitz nimmt.[17]

Eine Teilklasse allgemeiner Divisorverfahren bilden solche, bei denen mit einem festen Splittparameter zwischen Null und Eins die Splittpunkte die Form haben. Diese Klasse enthält Aufrundung ( = 0), Standardrundung ( = 0,5) und Abrundung ( = 1). Andere Werte des Splittingparameters ergeben andere Verfahren.[18]

In den USA spielen zwei weitere Divisormethoden eine Rolle. Beim Divisorverfahren mit geometrischer Rundung (Hill/Huntington) ist der Splitt das geometrische Mittel der Intervalleckpunkte und . Das Verfahren (engl. method of equal proportions, EP method) ist seit 1941 gesetzlich vorgeschrieben für die Zuteilung der 435 Sitze des Repräsentantenhaus an die Staaten der Union.[19]

Beim Divisorverfahren mit harmonischer Rundung (Dean) sind die Splittingpunkte die harmonischen Mittel. Der Anspruch, dass das Divisorverfahren mit harmonischer Rundung der US-Verfassung besser genüge als das Divisorverfahren mit geometrischer Rundung, hatte vor den Gerichten keinen Erfolg.[20]

Quotenverfahren

Quotenverfahren bestehen aus einer Hauptzuteilung und einem Restausgleich. Die Hauptzuteilung beruht auf einem festen Wahlschlüssel – jetzt Quote genannt statt Divisor – und gewährt für jedes volle Erreichen der Quote einen der verfügbaren Sitze. Addieren sich die Sitze der Hauptzuteilung zu , dann verbleiben Restsitze. Die verbleibenden Sitze unterliegen dem Restausgleich.

Das Hare-Quotenverfahren mit Ausgleich nach größten Resten

Dieses Verfahren nutzt als Wahlschlüssel die Hare-Quote, d. h. den Durchschnitt aus Gesamtstimmen und Gesamtsitzen. Werden die Parteistimmen durch die Quote geteilt, dann gibt die Ganzzahl des Quotienten an, wie oft die Quote erfüllt ist. Diese Zahl an Sitzen bekommen die Parteien in der Hauptzuteilung. Von den Restsitzen geht je einer an die Parteien, deren Quotienten die höchsten Bruchteilsreste aufweisen.[21]

Im Beispiel Mallersdorf-Pfaffenberg verteilt die Hauptzuteilung 17 der 20 Sitze. Es bleiben drei Sitze für den Restausgleich. Die drei höchsten Bruchteilsreste (SPD, ÖDP, GRÜNE) werden durch den Splitt (,44) von den zwei niedrigsten Resten (FW, CSU) getrennt. D. h. ein Quotient wird ab- bzw. aufgerundet je nachdem, ob sein Nachkommarest kleiner bzw. größer als der ausgewiesene Splitt ist.

Hare-Quotenverfahren mit Ausgleich nach größten Resten
Partei Stimmen Quotient Sitze
CSU 28.206 8,398 8
FW 18.251 5,434 5
SPD 10.000 2,977 3
ÖDP 9.229 2,748 3
GRÜNE 1.487 0,443 1
Summe (Splitt) 67.173 (,44) 20

Der Splitt ist nützlich als ein zweiter, ergänzender Wahlschlüssel. Um die Sitzzahl einer Partei zu prüfen, reicht es, den Quotienten nur dieser einen Partei mit dem Splitt abzugleichen. Für diese Prüfung bedarf es nicht der anderen Parteien.

Andere Quotenverfahren und andere Ausgleichsverfahren

Unter den Quoten, die sich in der Praxis finden, ist die Hare-Quote am weitesten verbreitet. Aber auch ihre Varianten werden gelegentlich verwendet, wie auch die Droop-Quote und die Droop-Quotenvarianten. Ebenso ist der Ausgleich nach größten Resten das häufigste, aber nicht das einzige praktizierte Ausgleichsverfahren.[22]

Struktureigenschaften

Anonymität, Balanciertheit, Konkordanz, Homogenität, Exaktheit

Divisorverfahren und Quotenverfahren haben fünf Grundeigenschaften gemeinsam, die sich von der Problemstellung her aufdrängen.

1. Anonymität. Ein Zuteilungsverfahren ist anonym, falls seine Sitzzahlen nicht von den Namen der Parteien oder ihrer Reihung abhängen.

Deshalb können die Parteien in beliebiger Reihenfolge aufgelistet oder durchnummeriert werden. Oft werden sie ihrer Stimmenstärke nach geordnet: Partei 1 ist die stimmenstärkste, Partei 2 die zweitstärkste, usw. bis zur Partei  als letzte und stimmenschwächste. Anders bei einer Verteilung der Gesamtsitze auf Wahldistrikte. Meist folgt die Reihenfolge der Distrikte nicht den Bevölkerungsstärken, sondern historischen oder geographischen Vorgaben.

2. Balanciertheit. Ein Zuteilungsverfahren ist balanciert, falls die Sitzzahlen zweier gleichstarker Parteien sich um höchstens einen Sitze unterscheiden.

Diese Eigenschaft ist der Ganzzahligkeit geschuldet, etwa wenn auf zwei gleichstarke Parteien eine ungerade Anzahl von Sitzen entfällt. Ein Unterschied von einem Sitz muss erlaubt sein, mehr aber auch nicht.

3. Konkordanz. Ein Zuteilungsverfahren ist konkordant, falls von zwei Parteien die stärkere mindestens so viele Sitze bekommt wie die schwächere.

Konkordanz ist nicht selbstverständlich. Es gibt auch diskordante Wahlsysteme, in denen eine stärkere Partei schlechter abschneiden kann als eine schwächere. Zwar sind Divisor- und Quotenverfahren für sich genommen konkordant. Dagegen können Wahlsysteme, die diese Verfahren mehrfach hintereinanderschalten, diskordant werden. Dies ist beispielsweise bei Systemen mit Listenverbindungen der Fall.[23]

4. Homogenität. Ein Zuteilungsverfahren ist homogen, falls die Sitzzahlen unverändert bleiben, wenn die Stimmenzahlen skaliert werden.[24]

Homogenität erlaubt es, mit Prozentanteilen zu arbeiten statt mit absoluten Anzahlen. Das klingt attraktiv, bringt aber Risiken mit sich. Denn zur Erleichterung der Kommunikation werden Prozente oft nur mit wenigen Nachkommastellen angegeben und diese Ungenauigkeit kann auf die Sitzzuteilung durchschlagen.

Für die Ratswahl in Mallersdorf-Pfaffenberg übersetzen sich die Absolutstimmen 28.206 : 18.251 : 10.000 : 9229 : 1487 in die Prozentanteile 41,9901 : 27,1701 : 14,8869 : 13,7392 : 2,2137. Vier Dezimalstellen strahlen weniger Charme aus als die Originalstimmen, sind aber unumgänglich. Drei und zwei Dezimalstellen erzeugen beim Divisorverfahren mit Standardrundung eine Bindung von Partei 1 und 2. Eine Dezimalstelle führt beim Hare-Quotenverfahren mit Ausgleich nach größten Resten zu einer Bindung von Partei 2 und 5. Prozentpunkte ohne Dezimalstelle verfälschen die Sitzzuteilung des Divisorverfahrens mit Standardrundung und generieren beim Hare-Quotenverfahren mit Ausgleich nach größten Resten eine Dreifachbindung von Partei 1, 2 und 5.

5. Exaktheit. Ein Zuteilungsverfahren ist exakt, falls Parteistimmen, die in der Summe die gegebene Hausgröße ausschöpfen, nur sich selbst als Zuteilungsergebnis zulassen.[25]

Die Bedingung gewinnt an Transparenz, sobald sie zusammen mit Homogenität gesehen wird. Dann lässt sich Exaktheit so formulieren, dass Idealansprüche und Sitzzahlen identisch werden, wenn der (seltene) Fall eintritt, dass alle Idealansprüche ganzzahlig sind.

Exaktheit geht verloren bei Verfahren, die den Variationsbereich der Sitzzahlen durch Minimums- oder Maximumsbedingugen einschränken (siehe unten). Ein nicht-exaktes Zuteilungsverfahren wurde in Belgien von Pierre Imperiali (1874–1940) eingeführt.

Kohärenz, Hausgrößenmonotonie, Stimmenzuwachsmonotonie und Paradoxien

Eine sechste Eigenschaft zielt auf das Verhalten bei variabler Anzahl von Parteien. Teil und Ganzes sollen konfliktfrei zusammengehen, d. h. "kohärent" sein.[26]

6. Kohärenz. Ein Zuteilungsverfahren ist kohärent, falls für Systeme mit vielen Parteien alle Sitzzuteilungen so ausfallen, dass die Sitzzahlen für Teilsysteme mit weniger Parteien überstimmen mit der Sitzzuteilung, die das Verfahren liefert, wenn es die Gesamtsitze des Teilsystems alleine den Partnern des Teilsystems zuteilt.[27]

Alle Divisorverfahren sind kohärent, denn jeder Divisor, der im großen System das Problem löst, tut dies auch in Teilsystemen. Es gilt sogar die Umkehrung: Jedes Sitzzuteilungsverfahren, das die fünf Grundeigenschaft besitzt und kohärent ist, muss ein Divisorverfahren sein.[28]

Kohärenz zieht Hausgrößen-Monotonie nach sich, wie auch Stimmenzuwachs-Monotonie. Hausgrößen-Monotonie bedeutet, dass bei einem Anwachsen der Hausgröße kein Beteiligter weniger Sitze bekommt als vorher. Stimmenzuwachs-Monotonie besagt, dass von einer Wahl zur nächsten von zwei Parteien die stärker wachsende keinen Sitz verliert an die schwächer wachsende. Letzteres ist von besonderen Interesse bei der Aufteilung von Sitzen auf Wahldistrikte, dort erfasst unter dem Etikett Bevölkerungszuwachs-Monotonie. Bei einem bevölkerungszuwachsmonotonen Verfahren kann es nicht passieren, dass ein Distrikt, der bevölkerungsmäßig von einem Stichtag zum nächsten wächst, einen Sitz abgeben muss an einen anderen Distrikt, der bevölkerungsmäßig schrumpft.

Quotenverfahren sind weder kohärent noch hausgrößenmonoton noch stimmenzuwachsmonoton. Die dann möglichen Monotoniebrüche werden vielfach als "paradox" angesehen. Für die Parteienzuwachs-Paradoxie, Hausgrößenzuwachs-Paradoxie und Stimmenzuwachs-Paradoxie (bzw. Bevölkerungszuwachs-Paradoxie) lassen sich leicht Beispiele konstruieren, wenn man die Hare-Quotenmethode mit Ausgleich nach größten Resten auf die Ratswahl von Mallerstein-Pfaffenberg anwendet.[29]

Parteienzuwachs-Paradoxie. Betrachtet man das Teilsystem der vier kleineren Parteien nur für sich, dann führt die Zuteilung von zwölf Sitzen zum Ergebnis 6 : 3 : 3 : 0. Wird die größte Partei mit ihren acht Sitzen hinzugenommen, lautet die Zuteilung 8 : 5 : 3 : 3 : 1; die darin enthaltene Zuteilung für das Teilsystem der vier kleineren Parteien ist anders als vorher, nämlich 5 : 3 : 3 : 1.

Hausgrößenzuwachs-Paradoxie. Erhöht man die Ratsgröße von 20 auf 21, ändert sich die Zuteilung von 8 : 5 : 3 : 3 : 1 zu 9 : 6 : 3 : 3 : 0. Es gibt mehr zu verteilen, trotzdem muss Partei 5 einen Sitz hergeben. Eine solche Gegenläufigkeit wurde erstmals 1880 in den USA beobachtet und betraf den Gliedstaat Alabama, weshalb der Effekt unter der Bezeichnung Alabama-Paradoxon bekannt ist.[30]

Stimmenzuwachs-Paradoxie. Entfallen bei der Wahl in Mallerstein-Pfaffenberg von einem Wahlgang zum nächsten auf Partei 1 tausend Stimmen weniger, auf Partei 2 einhundert Stimmen weniger und auf Partei 5 einhundert Stimmen mehr, ändert dies die Zuteilung von 8 : 5 : 3 : 3 : 1 zu 8 : 6 : 3 : 3 : 0. Obwohl Partei 5 wächst, verliert sie einen Sitz an Partei 2, die schrumpft.[31]

Natürliche Sperrklauseln

Die natürliche Sperrklausel eines Sitzzuteilungsverfahrens ist der kleinste Stimmenanteil, ab dem eine Partei sicher sein kann, dass sie mindestens einen Sitz erhält und ins Parlament einzieht. Die natürliche Sperrklausel hängt vom Verfahren ab, aber auch von der Hausgröße () und der Anzahl der zu berücksichtigenden Parteien ().

Die natürliche Sperrklausel für das Divisorverfahren mit Standardrundung fällt am niedrigsten aus:

Für das Quotenverfahren mit Ausgleich nach größten Resten ist die Schwelle größer: . Das Divisorverfahren mit Abrundung fordert am meisten: .[32]

Für das Beispiel der Ratswahl in Mallersdorf-Pfaffenberg belaufen sich die natürlichen Sperrklauseln der drei Verfahren auf 2,7 bzw. 4 bzw. 4,8 Prozent.

Um die niedrige Hürde des Divisorverfahrens mit Standardrundung anzuheben, wird in Schweden bzw. Norwegen das Verfahren modifiziert, indem der erste Splittingpunkt von 0,5 auf 0,6 bzw. 0,7 heraufgesetzt und dadurch die Zuteilung des ersten Sitzes erschwert wird. Im äußersten Fall würde der erste Splittingpunkt auf den größtmöglichen Wert 1 geschoben; dann müsste für den ersten Sitz der Zuteilungsdivisor voll erreicht werden ("Vollmandatsklausel").[33]

Quotenbedingungen

Die Idealansprüche der Parteien werden auch als Quoten der Parteien bezeichnet. Ein Sitzzuteilungsverfahren erfüllt die Quotenbedingungen, falls für jede Partei ihre Sitzzahl gleich dem ab- oder aufgerundeten Idealanspruch ist.[34] (Die "Sitzquoten" der Parteien sind zu unterscheiden von "Stimmenquoten" wie Hare-Quote oder Droop-Quote, die den Quotenverfahren den Namen geben.)

Das Hare-Quotenverfahren mit Ausgleich nach größten Resten erfüllt die Quotenbedingungen immer. Denn für eine Partei, die am Ausgleich für die Restsitze teilhat, ist die Sitzzahl gleich ihrem aufgerundeten Idealanspruch. Für jede andere Partei ist die Sitzzahl gleich dem abgerundeten Idealanspruch.

Das Divisorverfahren mit Standardrundung erfüllt die Quotenbedingungen nur in Systemen mit zwei oder drei zu berücksichtigenden Parteien immer; in Parteisystemen beliebiger Größe können die Quotenbedingungen verletzt sein, was allerdings praktisch nur äußerst selten vorkommt. Beim Divisorverfahren mit Abrundung fallen die Sitzzahlen nie unter den abgerundeten Idealanspruch; sie überschießen aber nicht selten den aufgerundeten Idealanspruch ("Überaufrundung"). Beim Divisorverfahren mit Aufrundung ist es umgekehrt; die Sitzzahlen übersteigen nie den aufgerundeten Idealanspruch, können aber den abgerundeten Idealanspruch unterbieten.[35]

Unverzerrte Verfahren und verzerrte Verfahren

Bei der praktischen Bewertung eines Sitzzuteilungsverfahrens ist ein wichtiger Gesichtspunkt, ob das Verfahren alle Parteien neutral behandelt oder ob es systematische Verzerrungen aufweist, etwa indem es stärkere Parteien bevorteilt auf Kosten schwächerer Parteien. Im Einzelfall müssen wegen der unvermeidlichen Ganzzahligkeit Abweichungen zwischen Sitzzahlen und Idealansprüche hingenommen werden. Im Wiederholungsfall soll aber nicht immer wieder dieselbe Unwucht auftreten, die erkennbar einige Teilnehmer bevorteilt und andere benachteiligt.

Ein unverzerrtes (engl. unbiased) Zuteilungsverfahren ist neutral in dem Sinn, dass wiederholte Anwendungen des Verfahrens erwarten lassen, dass für jede Partei die positiven und negativen Abweichungen zwischen Sitzzahlen und Idealansprüchen sich gegenseitig aufheben und im Durchschnitt Null ergeben.[36]

Es gibt zwei Zuteilungsverfahren, die dadurch ausgezeichnet sind, dass sie unverzerrt sind: das Divisorverfahren mit Standardrundung und das Hare-Quotenverfahren mit Ausgleich nach größten Resten. Auch diese beiden Verfahren müssen damit leben, dass Sitzzahlen und Idealansprüche im Allgemeinen nicht übereinstimmen. Aber sie geben jedem Beteiligten auf lange Sicht dieselben Chancen, manchmal vom "Proporzglück" zu profitieren und mehr als den Idealanspruch zu realisieren und andere Male "Proporzpech" erdulden zu müssen und hinter dem Idealanspruch zurückzubleiben.

Im Gegensatz dazu ist das Divisorverfahren mit Abrundung verzerrt (engl. biased). Für die -tstärkste Partei ist die Sitzverzerrung – also die bei wiederholten Anwendungen zu erwartende Differenz von Sitzzahl und Idealanspruch – durch die Verzerrungsformel gegeben:

Die Formel lässt erkennen, dass das Divisorverfahren mit Abrundung stärkere Parteien bevorteilt und schwächere Parteien benachteiligt. Die Sitzverzerrung ist positiv und am größten für die stärkste Partei (). Dann nimmt sie ab und wird negativ und am kleinsten für die schwächste Partei ().

Die Sitzverzerrungen sind größer Null für ungefähr das stärkere Drittel der Parteien. Starke Parteien dürfen Sitzzahlen erwarten, die ihre Idealansprüche übertreffen. Die Verzerrungen sind kleiner Null für die zwei Drittel der schwächeren Parteien. Diese müssen hinnehmen, dass ihre Sitzzahlen unter den Idealansprüchen zu liegen kommen.[37]

Die Verzerrungsformel wird unter der Annahme hergeleitet, dass die Hausgröße über alle Grenzen wächst, was natürlich unrealistisch ist. Umfangreiche empirische Untersuchungen bestätigen jedoch, dass auch für realistische Hausgrößen die vorhergesagten Sitzverzerrungen sehr verlässlich sind. Daraus ergibt sich die Hausgrößenempfehlung: Die Verzerrungsformel ist praktisch anwendbar, sofern die Hausgröße größer oder gleich der doppelten Parteienzahl ist, .[38]

Das Beispiel der Ratswahl in Mallersdorf-Pfaffenstein, ausgewertet mit dem Divisorverfahren mit Abrundung, illustriert die Vorhersagekraft der Verzerrungsformel. Die Formel sagt voraus, dass von der stärksten Partei bis zur schwächsten die Sitzzahlen um 0,64, 0,14, – 0,11, – 0,27 und – 0,4 Sitzbruchteile von den Idealansprüchen abweichen werden. Die Differenzen zwischen den Sitzzahlen und den Idealansprüchen betrug tatsächlich 0,6, – 0,43, 0,02, 0,25 und – 0,44. Die äußeren Werte stimmen gut überein, die mittleren verdeutlichen die Schwankungen des Einzelfalls.

Gütekriterien

Für Sitzzuteilungsverfahren gibt es im Wesentlichen zwei Arten von Gütekriterien. Die eine Art nimmt eine "globale" summarische Perspektive ein, die andere zielt auf "lokale" paarweise Vergleiche. Der globale Ansatz presst die Güte einer Sitzzuteilung in eine einzige Kennzahl, die es dann zu optimieren gilt. Der lokale Ansatz fragt für die vielen möglichen Paarungen von je zwei Beteiligten, ob der Transfer eines Sitzes von einem zum andern die Güte verbessern würde.

Die Ausgestaltung der Ansätze hängt davon ab, welche Beteiligten die Bezugsgesamtheit bilden: Wählerschaft, Abgeordnete oder Parteien. Wähler und Wählerinnen stehen gleiche Erfolgswerte zu, den Abgeordneten gleiche Vertretungsgewichte und den Parteien die Erfüllung ihrer Idealansprüche.

Erfolgswerte der Wählerstimmen

Das zentrale Gütekriterium des Bundesverfassungsgerichts für Verhältniswahlen ist die Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen. Schon 1952 im ersten Band seiner Entscheidungssammlung definiert das Gericht seinen bis heute gültigen Maßstab: alle Wähler sollen mit der Stimme, die sie abgeben, den gleichen Einfluß auf das Wahlergebnis haben.[39]

Für die Wähler, die für Partei  stimmen, manifestiert sich ihr Einfluss in den  Sitzen, die das zu betrachtende Verfahren der Partei zuteilt. Davon entfällt auf eine einzelne Wählerstimme der Anteil . Dies ist ein unhandlich kleiner Wert, der zudem nicht voll informativ ist. Denn welchen Erfolg  Sitze bedeuten, klärt sich erst mit Blick auf alle Sitze. Ebenso sind die  Wählerstimmen als Teil der Gesamtheit aller Wählerstimmen zu sehen. Die aussagekräftige Definition für den Erfolgswert einer für Partei  abgegebenen Wählerstimme ist daher der Quotient aus Sitzanteil und Stimmenanteil:

.

Der Ansatz für ein globales Gütekriterium orientiert sich am Idealfall eines ganzen, hundertprozentigen Erfolgswerts 1. Dieser erfasst die Situation, dass der Sitzanteil gleich dem Stimmenanteil wird. Abweichungen vom Gleichheitsideal sind hinzunehmen, weil die Sitzzahlen zu Ganzzahlen gerundet werden müssen. Um die Abweichungen zu minimieren, wird die Differenz von tatsächlichem Erfolgswert und Idealwert quadriert; dadurch wird die Richtung von Über- oder Unterdeckung neutralisiert und die Größe der Abweichung sinnvoll gewichtet. Der Beitrag der -ten Wählerschaft beläuft sich auf . Die Ungleichheit, die einer Sitzzuteilung als Ganzes innewohnt, ist die Summe dieser Beiträge von der ersten () bis zur letzten () Wählerschaft.

Das Divisorverfahren mit Standardrundung ist dadurch ausgezeichnet, dass es das einzige Verfahren ist, dessen Sitzzuteilungen dieses auf Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen zielende Ungleichheitsmaß immer minimieren.[40]

Der lokale Ansatz betrachtet den Unterschied (d. h. die betragliche Differenz) der Erfolgswerte zweier spezieller Wähler, wovon der eine für Partei  und der andere für Partei  stimmt. Wenn der Transfer eines Sitzes von der einen Partei zur anderen den Unterschied zwischen den Erfolgswerten der beiden Wählern größer macht, wäre er eine Verschlechterung und sollte nicht vollzogen werden:

Eine Sitzzuteilung ist erfolgswertstabil, wenn nicht nur für zwei spezielle, sondern für je zwei beliebige Wähler solche Sitztransfers Verschlechterung mit sich bringen statt Verbesserung.

Das Divisorverfahren mit Standardrundung ist das einzige Zuteilungsverfahren, das immer erfolgswertstabile Sitzzuteilungen produziert. Kein Sitztransfer kann die Unterschiede zwischen den Erfolgswerten zweier Wählerstimmen noch kleiner machen, als sie eh schon sind.[41]

Vertretungsgewichte der Mandate

Das Gütekriterium, das sich aus der Statusgleichheit der Abgeordneten herleitet, beruht auf der durchschnittlichen Zahl von Wählern pro Sitz, , dem Vertretungsgewicht eines Abgeordneten der Partei . Idealerweise haben alle Abgeordneten dasselbe Vertretungsgewicht, das dann notgedrungen dem Durchschnitt von Gesamtstimmen und Gesamtsitzen gleich sein muss: . Werden hier wie oben die Abweichungen quadriert, dann ergibt sich als Beitrag der Fraktion  der Wert . Globale Maßzahl für die Ungleichheit, die eine Sitzzuteilung für alle Mandatsträger mit sich bringt, ist die Summe dieser Beiträge von der ersten () bis zur letzten () Fraktion.

Das Verfahren, dessen Sitzzuteilungen die so gestaltete summarische Ungleichheit zwischen den Vertretungsgewichten der Abgeordneten so klein wie möglich werden lassen, ist das Divisorverfahren mit geometrischer Rundung.

Als Alternative bietet sich auch hier der lokale Ansatz an, wie sich ein Sitztransfer auf den Unterschied zweier Vertretungswerte auswirkt. Eine Sitzzuteilung ist vertretungswertstabil, wenn alle solche Transfers ausscheiden, weil sie die Unterschiede vergrößern würden. Das Verfahren, das sich durch Vertretungswertstabilität auszeichnet, ist das Divisorverfahren mit harmonischer Rundung.

Idealansprüche der Parteien

Aus Sicht der Parteien sind gleiche Erfolgschancen wichtig, im Idealfall sollten Sitzzahl und Idealanspruch zusammenfallen. Auch hier kann der Beitrag, wieviel Ungleichheit der Partei  widerfährt, mit dem Quadrat der Abweichung beziffert werden, . Die Gesamtungleichheit, die mit einer Sitzzuteilung einhergeht, ist die Summe dieser Beiträge von der ersten () bis zur letzten () Partei.

Das Verfahren, das dieses auf die Parteien ausgerichtete Ungleichheitsmaß minimiert, ist das Hare-Quotenverfahren mit Ausgleich nach größten Resten. Dasselbe Verfahren ergibt sich, wenn das Ungleichheitskriterium nicht die Quadrate, sondern die Beträge der Differenzen von Sitzzahl und Idealanspruch aufsummiert.[42]

Weitere Kriterien

Es gibt viele weitere Gütekriterien. Manche sind handhabbar, manche nicht. Beispielsweise ist das Divisorverfahren mit Abrundung dadurch ausgezeichnet, dass es den größten Erfolgswert so klein wie möglich macht. Das Divisorverfahren mit Aufrundung fungiert als Gegenstück, bei dem der kleinste Erfolgswert möglichst groß wird.

Bei den paarweisen Vergleichen können absolute Differenzen ersetzt werden durch relative Differenzen. Dann ist die Suche nach stabilen Verfahren besonders befriedigend, weil sie immer bei demselben Verfahren endet, dem Divisorverfahren mit geometrischer Rundung.[43]

Kein Sitzzuteilungsverfahren kann sämtliche Gütekriterien gleichzeitig erfüllen. Bei der Auswahl des Verfahrens bleibt daher Raum für die politische Setzung von Prioritäten. Der verfassungsrechtliche Maßstab ist die Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen. Dieser Maßstab müsste die Verwendung des große Parteien bzw. deren Wählerschaft bevorzugenden Divisorverfahrens mit Abrundung (D'Hondt) eigentlich ausschließen. Das Verfahren wurde trotzdem für verfassungsgemäß erklärt, da es – nach dem Wissensstand des Bundesverfassungsgerichts von 1963 – ein exakteres praktisch durchführbares System, das zu gerechteren Ergebnissen führen würde, nicht gibt.[44] Eine Prüfung, von welchem Sitzzuteilungsverfahren und bis zu welchem Umfang die vom Gericht priorisierte Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen erfüllt wird, fand damals und in vielen folgenden Verfahren nicht statt.

Automatische Verfahren

Bei einem automatischen Verfahren wird die Gesamtsitzzahl nicht vorher festgelegt, sondern sie hängt ab von der Zahl der Wähler oder der Wahlbeteiligung. Statt einer feststehenden Gesamtsitzzahl gibt es eine feststehende Wahlzahl, und die Stimmenzahlen der Parteien geteilt durch diese Wahlzahl und nach einer festgelegten Rundungsregel gerundet ergibt unmittelbar den Sitzanspruch.

Biproportionales Verfahren

Ausgangslage für eine Sitzverteilung nach dem biproportionalen Verfahren ist ein in Wahlkreise eingeteiltes Wahlgebiet, wobei jeder Wahlkreis (zum Beispiel gestützt auf seine Bevölkerungszahl) Anspruch auf eine bestimmte Zahl von Sitzen hat. Das biproportionale Sitzzuteilungsverfahren erfolgt in zwei Schritten.

Oberzuteilung

Zunächst werden die Sitze innerhalb des ganzen Wahlgebiets auf die sog. Listengruppen verteilt (sog. Oberzuteilung). Listengruppen sind die zusammengezogenen Listen aller Wahlkreise mit gleicher Bezeichnung; faktisch entsprechen die Listengruppen also den politischen Parteien im Wahlkreis. Dies geschieht mit einem Divisorverfahren, zum Beispiel jenem nach Sainte-Laguë (kaufmännische Rundung). Haben die Wahlkreise Anspruch auf unterschiedlich viele Sitze und hat jeder Wähler so viele Stimmen, wie Sitze im betreffenden Wahlkreis zu vergeben sind, so muss zunächst die Stimmkraft ausgeglichen werden: Die Listenstimmenzahl ist durch den Sitzanspruch des Wahlkreises zu dividieren und ergibt die sog. Wählerzahl. Die Oberzuteilung erfolgt aufgrund der addierten Wählerzahlen aller Listen einer Listengruppe. Die Summe sämtlicher Wählerzahlen, dividiert durch die Zahl der Sitze, wird Wahlschlüssel genannt.

Beispiel: Parlament mit 15 Sitzen. Das Wahlgebiet ist in die Wahlkreise I, II und III eingeteilt, wobei die Wahlkreise Anspruch auf 4, 5 bzw. 6 Sitze haben. Es treten drei politische Parteien (Listengruppen) A, B und C an. Im Kern der nachfolgenden Tabelle sind die Listenstimmen angegeben, ferner kursiv die Wählerzahlen jeder Liste, ermittelt durch Division der Listenstimmen durch den Sitzanspruch des Wahlkreises. Die Spalte rechts weist das Total der Wählerzahlen jeder Listengruppe aus; deren Summe beträgt . Bei einem Wahlschlüssel von ergeben sich gestützt auf die Totale der Wählerzahlen die Ansprüche von 4, 5 und 6 Sitzen für die Listengruppen A, B und C.

WK I WK II WK III Total Wählerzahlen Wahlschlüssel Sitzanspruch (gerundet)
(4 Sitze) (5 Sitze) (6 Sitze)
Listengruppe A 5100 9800 4500
1275 1960 750 3985 ./. 1033 4 Sitze
Listengruppe B 6000 10000 12000
1500 2000 2000 5500 ./. 1033 5 Sitze
Listengruppe C 6300 10200 14400
1575 2040 2400 6015 ./. 1033 6 Sitze

Unterzuteilung

Im zweiten Schritte werden die den Listengruppen zugewiesenen Sitze an die einzelnen Listen dieser Gruppe weitergegeben. Dazu werden die Stimmenzahl einer Liste durch den Listengruppendivisor der betreffenden Listengruppe und durch den Wahlkreisdivisor des betreffenden Wahlkreises geteilt. Der gerundete Quotient ergibt den Sitzanspruch dieser Liste. Die Listengruppendivisoren und die Wahlkreisdivisoren werden dabei so groß gewählt, dass folgende Bedingungen erfüllt sind, wenn für alle Listen wie soeben beschrieben verfahren wird:

  1. Jede Listengruppe (politische Partei) erhält so viele Sitze, wie ihr bei der Oberzuteilung zugewiesen worden sind.
  2. Jeder Wahlkreis erhält so viele Sitze, wie ihm vorgängig (zum Beispiel aufgrund der Bevölkerungszahl) zugewiesen worden sind.

Beispiel: In der nachfolgenden Tabelle sind links die Sitzansprüche der Listen eingetragen, wie sie sich aus der Oberzuteilung ergeben haben. Rechts sind die Listengruppendivisoren und unten die Wahlkreisdivisoren hinzugefügt. Der Tabellenkern nennt die Listenstimmen und – mit Bindestrich abgesetzt – den Sitzanspruch der Liste. Lesebeispiel: Die Liste A im WK I hat 5100 Parteistimmen gemacht. Dieser Wert geteilt durch den Divisor der Listengruppe A (=0,9) und den Divisor des Wahlkreises I (=4090) ergibt 1,26. Gerundet resultiert ein Anspruch von einem Sitz für diese Liste.

WK I WK II WK III Listengruppendivisor
(4 Sitze) (5 Sitze) (6 Sitze)
Listengruppe A 5100-1 9800-2 4500-1 0,9
(4 Sitze)
Listengruppe B 6000-1 10000-2 12000-2 1
(5 Sitze)
Listengruppe C 6300-2 10200-1 14400-3 1,025
(6 Sitze)
Wahlkreisdivisor 4090 6635 5150

Es kann mathematisch nachgewiesen werden, dass die Anwendung des Verfahrens eine eindeutige Sitzverteilung ergibt. Das heißt, dass es keine zwei verschiedenen Divisoren gibt, die sämtliche Bedingungen erfüllen, aber zu unterschiedlichen Sitzverteilungen führen.

Vor- und Nachteile

Der Hauptvorteil des Verfahrens ist die maximale Abbildungsgenauigkeit bei der Zusammensetzung des Parlaments hinsichtlich der Listengruppen (politischen Parteien). Denn bei der Oberzuteilung werden in einem einzigen Schritt alle Sitze verteilt. Der Nachteil liegt darin, dass innerhalb einer Listengruppe und innerhalb eines Wahlkreises keine direkte, sondern nur eine tendenzielle Proportionalität zwischen Stimmenzahl und Sitzanspruch besteht. Denn für jede Liste einer Listengruppe besteht zwar derselbe Listengruppendivisor; hingegen sind die Wahlkreisdivisoren der Listen dieser Listengruppe unterschiedlich.

Das Verfahren beruht auf einer Idee von Michel Balinski und wurde von Friedrich Pukelsheim für den Kanton Zürich operabel gemacht und ist dort unter dem Namen doppeltproportionales Zuteilungsverfahren bekannt. Am 12. Februar 2006 wurde erstmals ein Parlament nach diesem Verfahren gewählt – jenes der Stadt Zürich. Im Jahr 2007 wurde das Parlament des Kantons Zürich nach diesem Verfahren gewählt. Das neue Zürcher Zuteilungsverfahren für Parlamentswahlen (Memento vom 26. September 2017 im Internet Archive), auf math.uni-augsburg.de

Mehrheits- und Minderheitsbedingung

Mehrheitsbedingung (auch: Mehrheitskriterium, schwache Mehrheitsbedingung)
Eine Partei, die mindestens 50 % der (zuteilungsberechtigten) Stimmen auf sich vereinigt, soll immer mindestens 50 % der Sitze erhalten. Nur Divisorverfahren mit Abrundung erfüllen die Mehrheitsbedingung.
Starke Mehrheitsbedingung
Soll darüber hinaus eine Partei mit absoluter Mehrheit der (zuteilungsberechtigten) Stimmen immer die absolute Mehrheit der Sitze erhalten, muss die Gesamtsitzzahl ungerade sein. Nur dann erfüllt das D’Hondt-Verfahren diese Bedingung. Beispiel: Es sind 10 Sitze zu vergeben. Partei A: 501 Stimmen, Partei B 499 Stimmen. Sitzzuteilung nach D’Hondt: Partei A: 5 Sitze, Partei B: 5 Sitze. Partei A kann zwar die absolute Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen, erhält jedoch nicht die absolute Mehrheit von (mindestens) 6 Sitzen.
Minderheitsbedingung (auch: Minderheitskriterium)
Eine Partei, die höchstens 50 % der (zuteilungsberechtigten) Stimmen auf sich vereinigt, soll höchstens 50 % der Sitze erhalten. Nur Divisorverfahren mit Aufrundung erfüllen die Minderheitsbedingung.

Siehe auch

Literatur

  • Michel L. Balinski/H. Peyton Young: Fair Representation – Meeting the Ideal of One Man, One Vote. Yale University Press, New Haven CT, 1982. Second Edition (mit identischer Seitenzählung): Brookings Institution Press, Washington DC, 2001.
  • Johannes Grabmeier: Keine Rundungen bei Höchstzahlen des Sitzzuteilungsverfahrens nach Sainte-Laguë! Der Fall Mallersdorf-Pfaffenberg bei der Kommunalwahl 2020 - Irrungen und Wirrungen des Bayerischen Innenministeriums. Bayerische Verwaltungsblätter 66 (2020) 836-839.
  • Klaus Kopfermann: Mathematische Aspekte der Wahlverfahren. BI-Wissenschaftsverlag, Mannheim 1991, ISBN 3-411-14901-9.
  • Friedrich Pukelsheim: Sitzzuteilungsmethoden – Ein Kompaktkurs über Stimmenverrechnungsverfahren in Verhältniswahlsystemen. Springer-Verlag, Berlin 2015, doi:10.1007/978-3-662-47361-0, eBook ISBN 978-3-662-47361-0, Softcover ISBN 978-3-662-47360-3.
  • Friedrich Pukelsheim: Proportional Representation, Apportionment Methods and Their Applications, With a Foreword by Andrew Duff MEP, Second Edition. Springer International Publishing AG, Cham (CH) 2017. doi:10.1007/978-3-319-64707-4, eBook ISBN 978-3-319-64707-4, Softcover ISBN 978-3-319-64706-7.

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Alle gängigen Zuteilungsverfahren sind anonym, d. h. sie liefern Sitzzahlen, die nicht von den Namen der Parteien oder ihrer Reihung abhängen.
  2. Bei anderen Repräsentationsproblemen können nicht-ganzzahlige Gewichtungen durchaus sinnvoll werden, etwa bei der Zuteilung von Stimmgewichten an Aktionäre im Verhältnis zu ihren Kapitaleinlagen.
  3. Ernst Gottfried Mahrenholz: Alle Wähler sind gleich, einige bleiben gleicher. In: FAZ.net. 18. Mai 2011, abgerufen am 1. Dezember 2021.
  4. Vor dem Hintergrund der US-amerikanischen Geschichte sprechen Balinski/Young (1982), S. 99, von fünf traditionellen Divisorverfahren, nämlich zuzüglich zu den beiden hier genannten noch die mit Aufrundung (Adams), harmonischer Rundung (Dean) und geometrischer Rundung (Hill).
  5. Minibiographien der Namenspatrone finden sich in Pukelsheim (2017), Chap. 16.
  6. a b Schepers beschrieb das Divisorverfahren mit Standardrundung als Rangmaßzahlverfahren. Seine Rangmaßzahlen sind im Wesentlichen die Kehrwerte obiger Vergleichszahlen. Die Sitze gehen daher an die Parteien mit den niedrigsten Rangmaßzahlen.
  7. Grabmeier (2020).
  8. Pukelsheim (2015), S. 24.
  9. Die Terminologie des Gesetztes ist leicht verschlankt.
  10. Deshalb heißt das Divisorverfahren mit Standardrundung alternativ auch Verfahren der ungeraden Teiler.
  11. [https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayGLKrWG-35 Art. 35 Verteilung der Sitze auf die Wahlvorschläge], auf gesetze-bayern.de
  12. Zitiert nach Grabmeier (2020), S. 839.
  13. An solchen Sprungstellen unterscheidet sich die Standardrundung von der kaufmännische Rundung, die bei Bruchteil ,5 immer aufrundet.
  14. Pukelsheim (2017), S. 85.
  15. Die Empfehlung, mit der Droop-Quote zu starten, geht auf den Schweizer Eduard Hagenbach-Bischoff zurück. Das Divisorverfahren mit Abrundung (D'Hondt) heißt in der Schweiz daher auch Hagenbach-Bischoff-Verfahren. Das Auftauchen der Droop-Quote verführt gelegentlich zur Falschklassifikation als Quotenverfahren.
  16. Pukelsheim (2015), S. 24.
  17. Michel Balinski: Le suffrage universel inachevé. Éditions Belin, Paris 2004, S. 92.
  18. Kopfermann (1991), S. 202, spricht hier von linearen Divisorverfahren, Pukelsheim (2015), S. 8, von stationären Sprungstellenfolgen.
  19. Balinski/Young (1982).
  20. Lawrence R. Ernst: Apportionment methods for the House of Representatives and the court challenges. Management Science 40 (1994) 1207-1227.
  21. Deshalb heißt das Verfahren im Englischen auch method of largest remainders (LR method).
  22. Pukelsheim (2015), S. 103.
  23. Wolfgang Bischof/Carina Hindinger/Friedrich Pukelsheim: Listenverbindungen - ein Relikt im bayerischen Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz. Bayerische Verwaltungsblätter 147 (2016) 73-76.
  24. Quotenverfahren, die eine Variante der Hare-Quote oder der Droop-Quote benutzen, die ganzzahlig ist, können wegen dieser Ganzzahligkeit von der Homogenitätsbedingung leicht abweichen. Die Abweichung wird allgemein als vernachlässigbar angesehen.
  25. Damit allgemeine Divisorverfahren exakt sind, müssen die Splittingpunkte nicht nur im Ganzzahlintervall lokalitisert sein, sondern zusätzlich eine Links-rechts-Disjunktion erfüllen, siehe Pukelsheim (2015), S. 6. Eine Version des Exaktheitbegriffs, die allgemeiner ist als die hier angegebene, erlaubt, dass Parteistimmen gegen Sitzzahlen konvergieren dürfen (statt gleich zu sein), siehe Pukelsheim (2017), S. 76.
  26. Balinski/Young (1982), S. 141, sprachen von uniformity, Young (in Equity. Princeton University Press, Princeton, 1994, S. 171) von consistency. Schließlich setzte sich coherence durch, siehe Michel Balinski: Die Mathematik der Gerechtigkeit. Spektrum der Wissenschaft (März 2004) 90-97.
  27. Dies ist der Top-down-Teil coherence of partial solutions des Kohärenzbegriffs. Die vollständige Definition umfasst noch einen Bottom-up-Teil coherence of substituted solutions, siehe Pukelsheim (2017), S. 160.
  28. Antonio Palomares/Friedrich Pukelsheim/Victoriano Ramírez: The whole and its parts: On the Coherence Theorem of Balinski and Young. Mathematical Social Sciences 83 (2016) 11-19.
  29. Für Beispiele, die sich an die Wahl zum 18. Bayerischen Landtag anlehnen, siehe Wolfgang Bischof/Friedrich Pukelsheim: Überlegungen zum Landeswahlgesetz nach der Wahl zum 18. Bayerischen Landtag am 14. Oktober 2018. Bayerische Verwaltungsblätter 150 (2019) 757-769, S. 764.
  30. Pukelsheim (2017), S. 179.
  31. Die ungenügende Bevölkerungszuwachs-Monotonie war 2008 der Anlass, im Bundeswahlgesetz das Hare-Quotenverfahren mit Ausgleich nach größten Resten durch das (bevölkerungszuwachsmonotone) Divisorverfahren mit Standardrundung zu ersetzen, siehe Bundestagsdrucksache 16/4300.
  32. Pukelsheim (2017), S. 214. Alle drei Formeln gelten unter der Annahme , d. h. unrealistisch kleine Hausgrößen werden nicht erfasst.
  33. Friedrich Pukelsheim/Sebastian Maier/Peter Leutgäb: Zur Vollmandat-Sperrklausel im Kommunalwahlgesetz. Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter 22 (2009) 85-90.
  34. Kopfermann (1991), S. 98.
  35. Pukelsheim (2017), S. 221.
  36. Genauer: Für jede Partei  konvergiert für große Hausgrößen () der Erwartungswert der Differenz gegen Null, siehe Pukelsheim (2017), Chap. 7.
  37. Um als kleinere Partei nicht weiterhin ihren größeren Partner zu alimentieren, setzte die FDP 1983 bei den Koalitionsverhandlungen durch, im Bundeswahlgesetz das bis dahin geltenden (verzerrte) D'Hondt-Verfahren durch das (unverzerrte) Hare/Niemeyer-Verfahren zu ersetzen.
  38. Pukelsheim (2015), S. 38.
  39. BVerfGE 1 (1952) 208-263, S. 246.
  40. André Sainte-Laguë: La représentation proportionnelle et la méthode des moindres carrés. Annales scientifiques de l'École normale supérieure, Troisième série 27 (1910) 529-542.
  41. Ladislaus von Bortkiewicz: Ergebnisse verschiedener Verteilungssysteme bei der Verhältniswahl. Annalen für soziale Politik und Gesetzgebung 6 (1919) 592-613, S. 608.
  42. George Pólya: Sur la représentation proportionnelle en matière électorale. Enseignement Mathématique 20 (1919) 355-379.
  43. Edward V. Huntington: A new method of apportionment of representatives. Journal of the American Statistical Association 17 (1921) 859-870.
  44. BVerfGE 16 (1964) 130-144, S. 144.