Benutzer:Ich esse Rosinen./Gouverneur Morris
Gouverneur Morris[1] (* 31. Januar 1752 in New York; † 6. November 1816 ebenda) war ein US-amerikanischer Politiker und Diplomat.
Leben
Familie und Jugend
Gouverneur Morris entstammte einer politisch einflussreichen, elitären Familie, die seit dem 17. Jahrhundert ihren Familiensitz in der Province of New York hatte. Ideologisch stand sie den Whigs nahe: Einerseits verfolgten sie ein hierarchisches Gesellschaftsideal, dem zufolge die Staatsführung die Aufgabe der „gentry“ sei. Das einfache Volk war in ihren Augen unfähig, politische Macht verantwortungsbewusst wahrzunehmen; eine direkte Demokratie setzten sie daher mit einer Anarchie gleich. Andererseits stand sie in der Tradition der Aufklärung, schätzte also solche Werte wie die Rationalität und den Liberalismus. Von der Britischen Krone forderten einige Familienmitglieder mehr Selbstbestimmung für die 13 Kolonien ein (vgl. No taxation without representation). Nach dem Ausbruch des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs teilte sich die Familien in Loyalisten und Patrioten. Seinem Biografen William Howard Adams zufolge kam Morris die kosmopolitische Ausrichtung seiner Familie während seiner diplomatischen Laufbahn zugute. Seine familiäre Herkunft sollte im politischen New York des ausgehenden 18. Jahrhunderts, welches von Clans wie den Livingstons und Schuylers dominiert wurde, von hoher Bedeutung sein.[2]
Morris wurde am 31. Januar 1752 auf dem Familienanwesen geboren, der Morrisania in der Nähe von New York City. Dort hielt seine Familie etwa 49 Sklaven. Er war der jüngste Sohn des Richters Lewis Morris und dessen zweiter Ehefrau Sarah Gouverneur, die ihrerseits von Hugenotten und einigen niederländischen Kaufleuten abstammte. Seine erste Schule war eine Akademie in New Rochelle, wo er Französisch erlernte. Von 1761 bis 1764 besuchte er die Philadelphia Academy, eine angesehene, konfessionslose Schule. Dort wurde er von Lehrern wie Ebenezer Kinnersley in Rhetorik, Latein und Altgriechisch unterrichtet. Den Wünschen seines 1762 verstorbenen Vaters folgend, der den puritanischen Universitäten Neuenglands misstraute, studierte er daraufhin am King’s College (Der heutigen Columbia University). Zu den dortigen Unterrichtsfächern gehörten Logik, Rhetorik, Metaphysik, Ethik, Englisch, Latein, Altgriechisch, und Mathematik. Die konservative Universitätsleitung unter der Leitung des Geistlichen Myles Cooper lehnte die Aufnahme neuer philosophischer Denkweisen, beispielsweise der Staatsphilosophie John Lockes, ab. Morris begann 1768 eine Anwaltsausbildung bei William Smith Jr. Smith, einem der führenden New Yorker Anwälte seiner Zeit. Dieser bestärkte bei Morris das Misstrauen gegenüber dem einfachen Volk und der Demokratie. Nur eine starke Verfassung, basierend auf historischen Präzedenzfällen, konnte in Smiths Augen die Freiheit einer Gesellschaft sichern. Andererseits legte Smith einen hohen Wert auf die Bürgerrechte und forderte in der noch ausgesprochen konfessionalisierten Gesellschaft der 13 Kolonien Toleranz gegenüber anderen Glaubensrichtungen und Religionsfreiheit. Damit zählten sie zu den radikalen Reformern der Metropole. 1771 erhielt Morris einen Master of Arts und beendete seine Ausbildung zum Anwalt – für die damalige Zeit ungewöhnlich früh. Trotz seines Hangs zum Hedonismus etablierte er sich bald als ein erfolgreicher Anwalt und wurde Mitglied der Moot, der damals einflussreichsten Anwaltsvereinigung in New York City.[3]
Einstieg in die Politik
Konflikte zwischen dem Königreich Großbritannien und den 13 Kolonien in den 1760ern und 1770ern führten zum Ausbruch der Amerikanischen Revolution, die die Unabhängigkeit der Kolonien forderte. Auch Morris sprach sich gegen die Versuche der britischen Regierung aus, ihren Einfluss in der Neuen Welt auszuweiten. Wie viele weitere Kolonisten sah er seine Rights of Englishmen, d. h. seine Rechte als Engländer bedroht. Morris wollte jedoch keine offene Rebellion gegen die britische Krone. Ihm zufolge führten plötzliche Umstürze und Aufstände in einem Land zu Instabilität und Chaos. In dieser Lage könnte ein anarchischer Mob die Kontrolle erlangen. Zudem erwartete er, dass das britische Heer eine Revolte der Kolonien ohne große Schwierigkeiten unterdrücken könnte. Die einzige Lösung, die Morris zu diesem Zeitpunkt sah, war die Aussöhnung des Kolonialherren mit den Kolonien. In diesen sollte statt eines Mobs die Gentry regieren, wohlhabende, angesehene Bürger wie er selbst. Eine Beteiligung niedriger sozialer Schichten an der Politik sah Morris überhaupt kritisch, vor allem in Führungspositionen. Beispielhaft dafür sind seine Ausführungen über die Kontinentalarmee, in der „ein Haufen Mechaniker den besten Familien der Kolonie vorgezogen wird“ (englisch a herd of Mechanics are preferred before the best Families in the Colony).[4]
Mit den Gefechten von Lexington und Concord begann der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg. Schon zuvor hatten sich in allen Kolonien, auch in New York, revolutionäre Regierungen gebildet, die Delegierte zum Kontinentalkongress entsandten. Nun traten sie an die Stelle der königlichen Gouverneure, von denen einige wie Morris’ ehemaliger Rektor Myles Cooper und der loyalistische Verleger James Rivington ins Exil gezwungen wurden. Für Morris war dies ein Zeichen, dass der Mob sowohl Redefreiheit als auch öffentliche Ordnung gefährde. In Briefen an Kontinentalkongressabgeordnete forderte er ein Ende der politischen Verfolgung Rivingtons. Im Gegensatz dazu forderte Morris 1777, offene Loyalisten zu „common Enemies of Mankind“ zu erklären, vergleichbar mit einer Ächtung. Zum Tode Verurteilte, schlug er vor, sollten zur Abschreckung öffentlich erhängt werden. 1775 wurde Morris Mitglied der Übergangsregierung New Yorks, dem Provincial Congress. Dort konnte sich der redebegabte Anwalt schnell von seinen politisch eher unerfahrenen Kollegen profilieren und erste Akzente in der Finanzpolitik setzen. Obwohl viele seiner Mitbürger die Souveränität der Bundesstaaten betonten, positionierte er sich schnell als Unterstützer einer starken Zentralregierung. Die radikaleren Patrioten mahnte er zur Vorsicht und Rückhaltung. An der Entscheidung des Provincial Congress, offene Konfrontationen mit dem britischen Heer zu vermeiden und Friedensverhandlungen aufzunehmen, war er teils maßgeblich beteiligt. William Howard Adams zufolge erwies sich diese zögernde Haltung als ein Fehler. Großbritannien sei zu einem Kompromiss mit den Kolonien nicht bereit gewesen und habe die so gewonnene Zeit genutzt, um sein Heer zu positionieren und gegen die Rebellen vorzurücken. Morris trat im Winter 1775 zur Wahl zum Zweiten Provincial Congress, welches nur einige Wochen tagte, nicht an.[5]
Im Frühjahr 1776 wurde Morris in das Dritte Provincial Congress gewählt. Mittlerweile hatte er die Hoffnung auf Frieden mit Großbritannien ohne die „Versklavung Amerikas“ aufgegeben; die Unabhängigkeit, die im Juli mit der Unabhänigkeitserklärung offiziell wurde, und die Einberufung einer Verfassunggebender Versammlung für New York sei „unbedingt notwendig“. Welches Organ zu diesem Zweck dienen sollte, war zunächst umstritten. Morris selbst meinte, dass ein Volksentscheid den Dritten Provincial Congress zur Verfassunggebenden Versammlung erklären sollte. Man einigte sich schließlich darauf, einen Vierten Provincial Congress zu diesem Zweck wählen zu lassen. Der Krieg kam der Verfassung allerdings in die Quere. Im Frühsommer floh der Provincial Congress vor der anrückenden britischen Armee nach White Plains; in den folgenden Wochen fiel New York City. Die Morrisania wurde von britischen Truppen geplündert. Im Juli konstituierte sich der Vierte Provincial Congress, der kurze Zeit später zur „Provincial Convention“ umbenannt wurde. Der Vormarsch der britischen Armee verhinderte die Einberufung von Sitzungen und zwang den Konvent zur Flucht über das entlegene Fishkill nach Kingston.[6]
1777 nahm der Konvent schlussendlich seine Arbeit als Verfassunggebende Versammlung auf, in der Patrizier wie John Jay, Robert R. Livingston und Morris zu Wortführern wurden. Ihr Ziel war er, die richtige Balance zwischen Monarchie, Aristokratie und Demokratie zu finden. Beeinflusst wurde die Verfassung sowohl von der englischen Rechtstradition als auch von der Aufklärung; als Grundlage diente ihr die ehemalige Kolonialverwaltung. Die Verfassung folgte den Konzepten der Volkssouveränität und der Gewaltenteilung zwischen Judikative, Legislative und Exekutive. Das Wahlrecht wurde, wie Morris es vorgeschlagen hatte, an das Eigentum einer Person gebunden. Bei diesen Wahlen sollte nach Kriegsende das Wahlgeheimnis herrschen. Morris kämpfte aus unklaren Gründen energisch gegen diese Erneuerung; einer Vermutung seines Biographen William Howard Adams zufolge wollte er wie Montesquieu, dass das einfache Volk bei Wahlen von der Elite geleitet werde. Eine Reihe an Bürgerrechten wie das Verfahren per Jury wurden verfassungsrechtlich verankert. Auf religiöser Ebene wurde die Trennung zwischen dem Staat und der Anglikanischen Kirche sowie die Religionsfreiheit beschlossen; trotz der Proteste von Morris fanden allerdings einige antikatholische Maßnahmen ihren Weg in die Verfassung. Die Sklaverei blieb innerhalb von New York zunächst legal; ihre Abschaffung wurde gemäß eines Vorschlags von Morris, der selbst einer Sklavenhalterfamilie entstammte, zu eines der Ziele der Legislative erklärt. In den folgenden Jahrzehnten wurde die Sklaverei schrittweise abgeschafft. Die Verfassung wurde am 20. April 1777 ratifiziert. Bis zu einer Wahl wurde eine Interimsregierung gebildet, zu deren Mitgliedern auch Morris gehörte.[7]
Kontinentalkongress
Am 13. Mai 1777 wurde Morris in das Kontinentalkongress gewählt und nahm sein Amt am 21. Januar 1778 wahr. Diese Bundesregierung war notorisch für ihre Schwäche und Unfähigkeit, ihre Beschlüsse durchzusetzen. Ohne die Befugnis, ihre eigene Bevölkerung zu besteuern, fehlte es ihr an den nötigen Geldmitteln zur Kriegsführung. Denkbar schlecht war die Versorgungslage der Kontinentalarmee, die Morris in ihrem Winterlager in Valley Forge kurz nach seinem Amtsantritt besuchte. Schockiert über den Zustand dieses „Skeletts einer Armee“ wunderte er sich in einem Brief an George Clinton, warum die „armen Hunde“ nicht einfach desertierten. Allein im Winter 1777/78 sollten etwa 2500 Soldaten der Kontinentalarmee an Unterernährung, Kälte und Krankheiten sterben. Morris war ein Unterstützer der Reformvorschläge des Oberbefehlshabers der Kontinentalarmee George Washington, den er in Valley Forge kennengelernt hatte. Sie würden auch in Zukunft gute Beziehungen zu einander pflegen. Trotz der Vorwürfe, Washington werde ein Stehendes Heer einrichten, wurden die Vorschläge knapp verabschiedet.[8]
Morris etablierte sich nicht nur in der Kriegspolitik als einer der einflussreichsten Mitglieder des Kongresses. In seiner Privatkorrespondenz behauptete er sogar, dass alle wichtigen Beschlüsse des Kongresses aus seiner Feder stammen würden. Vor allem in der Außenpolitik gelang es ihm, Akzente in Richtung einer praktischen Machtpolitik zu setzen. Mit dem Kriegseintritt Frankreichs im Sommer 1778 hatte sich die Lage für die Vereinigten Staaten dramatisch verbessert. Die militärische und finanzielle Förderung von französischer Seite war nicht nur entscheidend für den Ausgang verschiedener Schlachten, sondern hatte auch die Anerkennung und Unterstützung weiterer europäischer Staaten zur Folge, beispielsweise der der Republik der Niederlande. Daher lehnte der Kongress in einem von Morris formulierten Entschluss ein Friedensangebot der britischen Regierung, welches eine Generalamnestie und Home Rule beinhaltete, entschieden ab: Ohne die Anerkennung der Unabhängigkeit und damit der Freiheit der ehemaligen Kolonien sei der Friede unmöglich. Der größte Teil der politischen Öffentlichkeit in Amerika war sich allerdings der Motive ihrer neuen Alliierten bewusst, die aus Eigenvorteil ihren Rivalen Großbritannien schwächen wollten. Diese Verwicklung in europäische Angelegenheiten beunruhigte viele Abgeordnete, so auch Morris. In den offiziellen Anweisungen an den Botschafter in Frankreich Benjamin Franklin schrieb er, dass dieser ohne die explizite Einwilligung des Kongresses keine neuen Verpflichtungen in Europa eingehen dürfe.[9]
Morris verlor im Herbst 1779 knapp die Wahl in der New York State Assembly zum Kontinentalkongress. Seine Gegner warfen ihm vor, die Interessen seines eigenen Bundesstaates nicht energisch genug zu vertreten. Vor allem seine wahrgenommene Gleichgültigkeit gegenüber dem Anspruch New Yorks auf Teile New Hampshires und Vermonts lastete auf ihn. Er verbrachte die nächsten Monate als Anwalt in Philadelphia mit der Absicht, „zu trinken und zu essen ohne die Gesellschaft zu belasten“ (englisch to eat and drink without burthening Society.). In einem Brief an Robert R. Livingston verkündete er seine Freude darüber, nicht mehr „diese elende Kreatur des Staatsmanns“ (englisch that wretched creature a statesman) sein zu müssen. Am 14. Mai 1780 verlor er bei einem Verkehrsunfall sein linkes Bein.[10]
Stellvertretender Finanzminister
Die Finanzpolitik des Kongresses, der sich mit Krediten und Papiergelddruck über Wasser hielt, führte zu einer massiven Inflation und einer hohen Staatsverschuldung. Allerdings kamen die begrenzten Reformen, der Stopp der Notenpressen und die Auflösung des mittlerweile wertlosen Kontinental-Dollars in einem Verhältnis von 40 zu 1, eher einer Bankrotterklärung gleich, als dass sie das grundlegende Problem der Unfähigkeit des Kongresses, sich zu finanzieren, lösen konnten. Auch die auf Druck des französischen Alliierten durchgeführte Reform des Regierungsapparates mit den Konföderationsartikel, der ersten Verfassung der Vereinigten Staaten, blieb Stückwerk. Unter dem Pseudonym „An American“ forderte Morris im Pennsylvania Packet eine Verfassungsreform und Umstrukturierung des öffentlichen Finanzwesens, da die Finanzkrise ansonsten zum Zerfall der Vereinigten Staaten führen könnte. Damit positionierte er sich als Teil der „Nationalisten“, einer Gruppe junger Befürworter der Bundesregierung. Zu ihnen gehörten unter Anderen James Madison, Alexander Hamilton und Gouverneur Morris’ Namensvetter, der Kaufmann Robert Morris. Während Robert Morris das Amt des „Superintendent of Finance“, d. h. des Finanzministers erhielt, wurde Gouverneur Morris zu seinem Stellvertreter ernannt. Gemeinsam konnten sie weitere Reformen wie die Gründung der Bank of North America, der ersten Bank der Vereinigten Staaten, durchführen. Ihr eigentliches Ziel, die Bundesregierung zu stärken, wollten sie mit einer Verfassungsänderung – die Bundesregierung sollte einen Zoll erheben dürfen – erreichen. Dies verhinderten jedoch die Bundesstaaten. Die für die Verfassungsänderung erforderliche Einstimmigkeit scheiterte an Rhode Island und Virginia.[11]
Daraufhin versuchten die Nationalisten, die in der Kontinentalarmee herrschende Unzufriedenheit über fehlenden Sold auszunutzen. Durch die Drohung eines Militärcoups sollte der Kongress zu Reformen gezwungen werden. Diese Newburgh-Verschwörung wurde jedoch von Washington unterbunden, indem er seine persönliche Beliebtheit unter den Offizieren ausspielte. Einige Monate später wurde mit dem Frieden von Paris von 1783 der offizielle Friedensschluss und damit das Ende des Unabhängigkeitskrieges bekannt. Ohne die Bedrohung durch die britische Armee sahen viele Politiker zunächst keinen Grund mehr dafür, die Bundesregierung weiter zu stärken. Führende Nationalisten wie Hamilton und Madison zogen sich daher aus der Bundespolitik zurück. Gouverneur und Robert Morris mussten die Leitung des Finanzministeriums aufgeben und hatten einige Jahre lang Erfolg als Geschäftspartner. Als Teil der „Society of Political Inquiries“, einem 1786 gegründeten Debattierclub, behielten beide ihren Platz im Zentrum des intellektuellen Ideenaustauschs in Philadelphia, dem Tagungsort des Kongresses. Zu ihr gehörten auch Benjamin Franklin, James Wilson und Benjamin Rush; Washington war ein Ehrenmitglied. Sie war föderalistisch (So lautete die neue Bezeichnung für die Nationalisten) ausgerichtet. Ihre Teilnehmer würden eine wichtige Rolle im Verfassungskonvent spielen.[12]
Verfassungskonvent
Auf Grund der zunehmenden Schwäche des Konföderationskongresses konnte dieser die Handelsdispute der Bundesstaaten oft nicht lösen. Nach dem Vorbild der Mount Vernon Conference berief die Virginia General Assembly die Annapolis Convention, an der alle Bundesstaaten teilnehmen sollten, um ihre Handelspolitik miteinander abzustimmen. Als klar wurde, dass wegen der Apathie der meisten Bundesstaaten kein Handelsvertrag zu Stande kommen würde, beriefen die mehrheitlich nationalistischen Delegierten einen dritten Konvent in Philadelphia. Zwar war die offizielle Aufgabe dieses Konvents ausschließlich eine Reform der Konföderationsartikel. Tatsächlich planten die Delegierten eine komplett neue Verfassung. Legitimiert wurde dieser Konvent durch die Teilnahme alter Revolutionshelden wie Washington und Franklin. Auch Gouverneur Morris wurde von Pennsylvania als Delegierter zum Verfassungskonvent ausgewählt, wo er sich als einer der aktivsten Diskussionsteilnehmer profilierte. Etwa zur selben Zeit wie die Annapolis Convention brach in Massachusetts unter Führung des Veteranen Daniel Shays die von Kleinbauern getragene Shays’ Rebellion aus. Das Unvermögen der Regierung, die Revolte schnell niederzuschlagen, machte der US-amerikanischen Elite den dringenden Reformbedarf klar.[13]
Die Debatte auf dem Verfassungskonventes drehte sich um zwei Grundvorschläge: Auf der einen Seite stand der Virginia-Plan von James Madison, der eine neue Verfassung und eine klare Stärkung der Bundesregierung vorsah. Sie sollte unabhängig von den Bundesstaaten agieren und diese als „oberste Exekutive, Legislative und Judikative“ kontrollieren. Madisons Vorschlag basierte auf den Systemen der Gewaltenteilung und der Checks and Balances vor, also der gegenseitigen Kontrolle der einzelnen Verfassungsorgane. Auf der anderen Seite stand der New-Jersey-Plan William Patersons, der die Konföderationsartikel nur maßgeblich reformieren wollte. Einer der Hauptunterschiede zwischen beiden Plänen war die Organisation der Legislative. Während der Virginia-Plan eine Zweikammerparlament mit nach der Bevölkerungshöhe proportionaler Sitzverteilung beinhaltete, behielt der New-Jersey-Plan die Einkammerparlament des Konföderationskongresse, in dem alle Staaten mit gleich vielen Sitzen vertreten wurden, bei. Die großen Bundesstaaten unterstützten meist den Virginia-Plan, weil sie sich so mehr Macht erhofften; die kleinen hingegen den New-Jersey-Plan, weil sie befürchteten, sonst von den größeren Bundesstaaten unterdrückt zu werden. Morris stellte sich entschieden an Madisons Seite: In einer Gesellschaft müsse es mit der Bundesregierung eine oberste Entscheidungsgewalt geben; eine Konföderation, wie es sie jetzt gebe, sei zu schwach und ineffizient, um für die allgemeine Wohlfahrt des Volkes zu sorgen. . .[14]
Morris wollte in der Verfassung eine Balance zwischen einer Demokratie und einer Aristokratie schaffen, um das Entstehen einer Pöbelherrschaft beziehungsweise einer Oligarchie zu vermeiden. Dies reflektierte sich in seinen Vorschlägen zur Gestaltung der Legislative – dem Kongress –, in der die beiden Kammern jeweils die Unter- und die Oberschicht vertreten sollten. Während das Unterhaus, also das Repräsentantenhaus direkt vom Volk gewählt werden und dessen Interessen vertreten sollte, müsse das Oberhaus, also der Senat, als Gegengewicht dienen und die wohlhabenden Eliten repräsentieren. Die Senatoren sollten von der Exekutive auf Lebenszeit ernannt werden, um ihre Unabhängigkeit vom Volk zu gewährleisten. Sein Vorschlag wurde jedoch abgelehnt. Stattdessen bestimmten die Parlamente der Bundesstaaten ihre Senatoren. Auch sein Vorschlag, dass passive Wahlrecht in Unter- und Oberhaus an bestimmte Eigentumsvorschriften zu binden, scheiterte. Er war der Meinung, dass arme Parlamentsabgeordnete käuflich sein würden. Morris zufolge wurde der Judikative implizit das Recht gegeben, verfassungswidrige Gesetze für nichtig zu erklären (Judicial Review). Dies wurde 1803 im Fall Marbury v. Madison vom Obersten Gerichtshof bestätigt.[15]
Morris forderte eine mächtige Ein-Mann-Exekutive – den Präsidenten der Vereinigten Staaten –, die als Gegengewicht zur Legislative dienen sollte. Verschiedene seiner Befugnisse, z. B. das Vetorecht, dienten also der Kontrolle des Parlaments. Kontrovers diskutiert wurde die Art und Weise, in der der Präsident gewählt werden sollte. Der Virginia-Plan sah eine Wahl durch den Kongress vor. Für viele Abgeordnete, auch für Morris, wurde die Exekutive damit allerdings zu stark an die Legislative gebunden – Es ergebe keinen Sinn, dass der Präsident dasselbe Verfassungsorgan kontrolliert, das ihn wählt. Sie forderten eine direkte Wahl durch das Volk, das dem Präsidenten ein klares Mandat aussprechen und so seine Unabhängigkeit von der Legislative sicherstellen könnte. Im Gegensatz zu Morris trauten die meisten Delegierten dem Volk nicht zu, einen „Mann edlen Charakters“ (englisch of distinguished Character wählen zu können. Man einigte sich stattdessen auf einen von Morris vorgeschlagenen Kompromiss, die Wahl durch ein Electoral College, also durch von den Bundesstaaten ausgewählte Delegierte. Diese wird bis auf einige Änderungen durch den 12. Zusatzartikel noch heute verwendet. Gemäß der Vorschläge von Morris sollte der Präsident unbegrenzt oft auf vier Jahre gewählt und von zwei Dritteln des Senats des Amtes enthoben werden. Eine Beschränkung der Anzahl der Amtszeiten, die Morris als eine unnötige Schwächung des Präsidentenamtes erachtete, wurde 1951 mit dem 22. Zusatzartikel eingeführt.[16]
Der Konvent musste auch klären, welche Rolle die Sklaverei in der Verfassung spielen sollte. Konkret lautete die Frage, ob nicht wahlberechtigte Sklaven bei der Sitzverteilung im Repräsentantenhaus beachtet und der weniger bevölkerungsreiche Süden bei Wahlen so gestärkt werden sollten. Morris lehnte diesen Vorschlag entschieden ab und warf den Sklavenhaltern vor, zum Schutz eines verrotteten Systems mehr Macht an sich reißen zu wollen. Entweder seien die Sklaven freie Bürger mit Wahlrecht, oder unfreies Eigentum ohne Wahlrecht. Für Morris repräsentierte die „peculiar institution“, wie die Sklaverei oft genannt wurde, einen Fluch Gottes, der sowohl den Weißen als auch den Schwarzen schade. Um dies zu illustrieren, kontrastierte er den Wohlstand der Nordstaaten mit einer von ihm wahrgenommenen wüsten Kargheit der Südstaaten. Trotz seiner Proteste einigte man sich auf die Drei-Fünftel-Klausel: Fünf Sklaven sollten genauso viel zählen wie drei Weiße. Auch beim Sklavenhandel musste Morris sich geschlagen geben; bis 1808 dürften weitere Sklaven über den Atlantik in die Vereinigten Staaten importiert werden.[17]
Seinen wohl größten Beitrag zur Verfassung leistete Morris im Committee of Style and Arrangement, der Anfang September Wortlaut und Struktur der Verfassung festlegte. Federführend sorgte er hier für eine klare, verständliche und auf das wesentliche beschränkte Ausdrucksweise. Die Anzahl der Artikel sank von 24 auf 7. Noch hinzugefügt wurde eine von Morris verfasste Präambel, die Ziel und Zweck der Verfassung darstellt. Sie beginnt mit den oft zitierten Worten „Wir das Volk“, die aus der von John Adams formulierten Verfassung von Massachusetts von 1780 stammten. Die Verfassung wurde in ihrer überarbeiteten Fassung am 17. September dem Konvent vorgetragen. Um noch unentschiedene Delegierte zu überzeugen, sollte die Unterschrift nach einem Vorschlag von Morris nur ihre Anwesenheit, nicht ihre Übereinkunft mit der Verfassung anzeigen. In einer der letzten Reden vor dem Konvent behauptete Morris, dass trotz einiger Schwächen die bestmögliche Verfassung vorliege und die einzige Alternative zu ihr die Anarchie sei. Die Verfassung wurde am selben Tag von allen anwesenden Delegierten außer George Mason, Edmund Randolph und Elbridge Gerry unterschrieben. Schon zuvor hatten einige Delegierte den Konvent verlassen.[18]
Europa
Das Revolutionsjahr 1789
Morris beteiligte sich nicht an der hitzigen Debatte über die Ratifikation, die nach und nach in den Konventen der jeweiligen Einzelstaaten beschlossen wurde, und weigerte sich ebenfalls, einen Beitrag zu den von Hamilton initiierten Federalist Papers zu leisten. Diese gelten heute als der einflussreichste Verfassungskommentar aus der Gründerzeit. Stattdessen befand er sich in den folgenden Monaten auf Geschäftsreisen. Er und sein Geschäftspartner Robert Morris planten nämlich, den französischen Tabakmarkt zu monopolisieren. Im Winter 1788/89 überquerte er den Atlantik. Nach seiner Ankunft stellte sich Morris den Pariser Eliten vor; Empfehlungsschreiben von Washington und dem französischen Botschafter Comte Elie de Moustier sowie seine Reputation als amerikanischer Staatsmann und Diplomat hatten ihm viele Türen geöffnet. Oft zu Gast war er bei der Salonnière Madame de Flahaut, mit der er eine Affäre führte. Er assoziierte sich mit dem vom Abbé Sieyès gegründeten Club de Valois. Von der Weltstadt zeigte er sich beeindruckt. Sie sei wie ein Wirbelwind, in dem man nichts erfassen und sich auf nichts konzentrieren könne.[19]
1789 befand sich die französische Krone in einer tiefen Krise. Nicht zuletzt auf Grund ihrer Unterstützung der Patrioten im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg waren die Staatskassen leer, während rapide steigende Lebensmittelpreise die Lebensgrundlage des Volkes bedrohten und zu Krawallen führten. Die Verweigerungshaltung der parlements verhinderte jedoch die Erhebung neuer Steuern, was zum Vorrecht der Generalstände erklärt wurde. König Ludwig XVI. sah sich gezwungen, diese einzuberufen, konnte damit aber keine Fortschritte erzielen. Besonders die Vertreter des Dritten Standes forderten nunmehr eine Reform des Ancien regime gemäß aufklärerischer Prinzipien, bildeten eine Nationalversammlung und leisteten den Ballhausschwur, gemäß dem sie sich nicht auflösen sollten, bevor sie Frankreich eine Verfassung verliehen hatten. Auch Mitglieder der ersten beiden Stände, beispielsweise Kleriker wie Talleyrand und Adelige wie Lafayette, schlossen sich den Reformern an. Thomas Jefferson, der amerikanische Botschafter in Frankreich, sah Frankreich bereits auf dem Weg zu einer blutlosen Revolution; es werde wie die Vereinigten Staaten im Streit über die Steuererhebung seine Freiheit erringen. Morris zufolge stünde das Land nun auf dem Scheideweg zwischen königlicher Willkür und einer aufklärerischen Verfassung. So wie in den Vereinigten Staaten finde er auch diesseits des Atlantiks eine Nation, die in Hoffnungen, Perspektiven und Erwartungen bestünde (englisch a nation which exists in hopes, prospects, and expectations), wie er in einem Brief an den Comte Elie de Moustier schrieb. In seiner Privatkorrespondenz zeigte er sich frankophil (Aus einem Brief an William Carmichael: „Ich halte Frankreich für den natürlichen Alliierten meines Landes [...] wir haben ein Interesse an ihrem Wohlergehen [...] Ich liebe Frankreich[.]“; englisch I consider France as the natural Ally of my Country [...] we are interested in her Prosperity [...] I love France[.]) und äußerte sich wohlwollend gegenüber Ludwig XVI. Zugleich warnte er, dass das Land auf den radikalen Wandel, der ihm bevorstehe, unvorbereitet sei. Die Versuche der liberalen Vertreter des Dritten Standes, eine Verfassung nach amerikanischem Vorbild in Frankreich einzuführen, lehnte er ab. Diese allzu plötzliche Einkehr der Freiheit würde eine Tyrannei des Adels oder eine Anarchie zur Folge haben. Frankreich bräuchte eine französische Verfassung, die den Bedingungen im Land angepasst sei. Am 14. Juli 1789 folgte der Sturm auf die Bastille, eines der markantesten Ereignissen am Beginn der Revolution. Die Bastille, die als Symbol der königlichen Macht galt, wurde von einer wütenden Menschenmenge eingenommen; ihr Kommandant de Launay wurde getötet. Morris kommentierte in seinem Tagebuch, dass dies für Versailles ein Weckruf werden müsse. Die Brutalität der Revolutionäre, die den Kopf de Launays auf einem Pfahl durch die Straßen trugen, schockierte ihn. Auch seine Meinung zum König hatte sich gewandelt: In einem Brief an Washington urteilte er, dass Ludwig XVI. ein schwacher Mann mit den besten Absichten sei und die Kontrolle über den Staat verloren habe.[20]
Diplomat in Großbritannien
Das Ende des Unabhängigkeitskrieges im Jahre 1783 brachte keine Besserung der Beziehung zwischen dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten mit sich; diese war in den 1790ern immer noch angespannt, u. A. wegen gegenseitigen Vorwürfen der Nichteinhaltung des Friedensvertrages von Paris. Die Vereinigten Staaten meinten, dass das britische Heer gemäß des Vertrages seine Festungen östlich des Mississippi aufgeben und einige Sklavenhalter für während des Krieges entkommene Sklaven entschädigen müsse. Das Vereinigte Königreich verwies hingegen auf die vertragswidrige Konfiskation des Eigentums ehemaliger Loyalisten. Trotzdem blieb das Vereinigte Königreich auf Grund bereits bestehender Verbindungen der wichtigste Handelspartner der Vereinigten Staaten. Aus diesem Grund beauftragte Washington Morris im Januar 1790, ihm von der Einstellung der britischen Regierung gegenüber den Vereinigten Staaten zu berichten und deren Bereitschaft sondieren, den Forderungen der amerikanischen Regierung in Bezug auf den Frieden von Paris nachzukommen. Ziel war neben der Normalisierung der Beziehungen ein Handelsvertrag und die Öffnung britischer Häfen auf den Westindischen Inseln, deren Bedeutung Washington gegenüber Morris besonders hervorhob. Morris sollte außerdem weitere Probleme in der anglo-amerikanischen Beziehung ansprechen, darunter die Weigerung Whitehalls, einen Botschafter in die Vereinigten Staaten zu entsenden. Als Vertragspartner und Alliierter wurde die französische Regierung von der amerikanischen über die Verhandlungen informiert. Die Entscheidung Washingtons zur Beauftragung von Morris traf im Inland auf einige Proteste von Seiten Madisons, dem Anführer der sich bildenden oppositionellen Anti-Administration Party. Er und sein Freund Jefferson, der designierte Außenminister, waren argwöhnisch gegenüber dem alten Kolonialherren. Viel eher wollten sie eine weitere Annäherung zu Frankreich, das die USA bereits im Unabhängigkeitskrieg unterstützt hatte und nunmehr auch ihre revolutionären Ideale teilte.[21]
Morris reiste nach London und traf sich im März 1790 erstmals mit dem Duke of Leeds, dem britischen Außenminister. Das Gespräch verlief ohne Zwischenfälle; Leeds weigerte sich jedoch, Zugeständnisse an die amerikanische Seite zu machen. Die Verhandlungen wurden erst im folgenden Monat fortgesetzt; Morris konnte auch hier keine Fortschritte erzielen. Die britische Regierung zeigte kein Interesse an weiteren Gesprächen mit ihm. Die Regierung Washington gab sich damit zufrieden; Vizepräsident John Adams schrieb, dass er als Botschafter in London ähnlich behandelt wurde. Der anglophile Finanzminister Alexander Hamilton warf ihm hingegen Fehlschritte bei den Verhandlungen vor. William Howard Adams zufolge war Morris’ Mission jedenfalls ein Teilerfolg: Sie habe dazu geführt, dass George Hammond 1791 zum ersten offiziellen Vertreter der britischen Regierung in den Vereinigten Staaten ernannt wurde.[22]
Botschafter in Frankreich
Auch nach seiner Rückkehr nach Paris im November 1790 hatte sich die Meinung Morris über die Revolution nicht geändert. Zwar begrüßte er die Abschaffung des alten Fedualstaates und die Verstaatlichung des Kirchenguts und hoffte noch immer auf die Einführung einer auf französische Verhältnisse angepasste Verfassung, traute den Anführern der Reformern dies jedoch nicht zu. Er hielt sie für Romantiker und Don Quixotes, die den Bezug zur Realität verloren hätten. Die nun vorliegende Verfassung folge mit einer zu mächtigen Legislative nicht den Prinzipen der Gewaltenteilung. In Gesprächen mit einem der Anführer der Reformer, dem Marquis de Lafayette, den er als mittelmäßigen, aber übermütigen Charakter einschätzte, legte Morris sein eigenes Konzept für das revolutionäre Land aus. Frankreich müsse eine Verfassung einführen, die an die Bedingungen in Frankreich und seine Geschichte angepasst sei. Eine völlige Entmachtung des Adels oder des Königs, wie manche es forderten, sei also unsinnig. Der Adel spiele eine so große Rolle in der französischen Gesellschaft, dass die Abschaffung dieses Standes großen Schaden mit sich ziehen würde. Stattdessen müsse man ein Gleichgewicht zwischen König, Adel und Volk. Seine Forderungen fanden bald ihren Weg in die Presse und schadeten seinem Ansehen im Land immens. Ihm wurde Aristokratismus vorgeworfen.[23]
Die von Jeffersons Ernennung zum Außenminister ausgelöste Vakanz auf dem Botschafterposten war 1792 noch nicht gefüllt worden; die Geschäftsführung hatte William Short übernommen. Washington ernannte daher im Januar 1792 Morris zum minister plenipotentiary in Frankreich. In seiner Antwort versprach Morris dem Präsidenten Vorsicht und integres Handeln im Umgang mit der französischen Regierung. Die Entscheidung des Präsidenten traf von beiden Seiten des politischen Spektrums auf Kritik. Morris wurde einerseits Hochnäsigkeit und Unachtsamkeit im diplomatischen Umgang sowie unmoralisches Verhalten und Ungläubigkeit, andererseits ein zu enges Verhältnis zu den konservativen Kräften in Frankreich vorgeworfen. Auch Jefferson hätte andere Kandidaten Morris vorgezogen, den er für zu frankophob hielt. Die zunehmenden Streitigkeiten zwischen ihm und dem Präsidenten über die Frankreichpolitik schrieb er Morris’ angeblichen Versuchen zu, den Washington auf einen frankreichfeindlichen Kurs zu bringen. Selbst der Finanzminister Hamilton, der die Französische Revolution nur mit Argwohn betrachtete, sah die Ernennung Morris’ wegen des Scheiterns seiner Verhandlungen mit den Briten kritisch. Die französische Regierung misstraute dem in ihren Augen konterrevolutionären Morris ebenfalls.[24]
Senator
Lebensabend
Nachleben
Historische Bewertung und Persönlichkeit
Gouverneur Morris wurde bereits vom 26. Präsidenten der Vereinigten Staaten Theodore Roosevelt, der in seiner Jugend eine Biographie über ihn verfasst hatte, der zweiten Reihe der Generation der Gründerväter zugeordnet[25] und gilt noch heute als eine historische Fußnote.[26] Dennoch erschien vor dem Hintergrund der „Founder’s Chic“, wie das erneuerte Interesse der amerikanischen Öffentlichkeit an den Gründervätern in den 2000ern oft genannt wird, eine Reihe wohlwollender Morrisbiographien; hierzu zählen die Werke von Richard Brookhiser (2003), William Howard Adams (2003), James J. Kirschke (2005) und Melanie Randolph Miller (2005).[27]
William Howard Adams betitelte seine Morrisbiografie Gouverneur Morris: An Independent Life. Ihm zufolge gehörte er nämlich zu den freiesten und kreativsten Denker der Epoche der Gründerväter. Seine Amtszeit im Kontinentalkongress hätte ihn von der Notwendigkeit von Reformen überzeugt. Ein französicher Beobachter nannte ihn „ein[en] berühmte[n] Advokat[en], [...] allerdings ohne Moral, und, wenn man seinen Feinden Glauben schenkt, ohne Prinzipien“ („un avocate célébre [...] mais sans moeurs, et, si l’on en croit ses ennemis, sans principes“). .[28]
Dafür, dass er der Verfassung ihren letzten Schliff verlieh, wurde Morris von vielen seiner Zeitgenossen gelobt und ging als „penman of the constitution“ in die Geschichte ein. Mit der Präambel verfasste er einer ihrer meistzitiertesten Passagen. Dem Urteil William Howard Adams fehlte es Morris’ Worten zwar der selben Tiefe wie jenen, mit denen Jefferson die Unabhängigkeitserklärung eröffnete, als eine Erklärung der nationalen Einheit sei sie dennoch die wichtigste der Verfassung. Allerdings fanden nicht nur seine Formulierungen, sondern auch viele seiner Vorschläge ihren Weg in das Dokument. . Morris selbst schrieb sich später zu, beim Verfassungskonvent „uns weitergebracht, Hindernisse aus dem Weg geschafft, Widersprüche entkräftet und Kritiker beschwichtigt zu haben“ (englisch to further our business, remove impediments, obviate objections, and conciliate jarring opinions.).[29]
Während seiner Zeit in Paris führte Morris ein Tagebuch, welches heute als wertvolle Primärquelle für die Französische Revolution dient. Zu Beginn notierte er in einer Reihe an Aperçus erste Begegnungen mit den Mitgliedern der Pariser Gesellschaft sowie die von ihm wahrgenommenen kulturellen Unterschiede zwischen Amerika und Frankreich, so wie die stärkere Beteiligung der Frauen an der Politik.[30]
Unter seinen Zeitgenossen galt Gouverneur Morris als intelligent und fleißig, aber auch als ein unberechenbarer Hedonist und Frauenheld. Robert Morris beschrieb ihn als „a little too whimsical“; Henry Laurens wollte ihm nicht einmal Militärpläne anvertrauen. Als der Kontinentalkongress in der Kleinstadt York tagte, beschwerte er sich selber über das Fehlen „edler Damen“ (englisch fine Women). Exemplarisch für diese Reputation sind die vielen Anekdoten über den Unfall, bei dem er sein linkes Bein verlor. So antwortete er angeblich auf die Zusicherungen eines Freundes, dass solche Schicksalsschläge den Charakter förderten, damit, dass er ihn fast überzeugt hätte, auch sein rechtes Bein zu amputieren. Einem weiteren Gerücht zufolge soll er sein Bein bei einem Sprung aus dem Fenster verloren haben, nachdem ein erboster Ehemann ihn im Bett mit seiner Ehefrau entdeckt habe.[31]
Ehrungen
1943 wurde ein Liberty-Frachter als SS Gouverneur Morris benannt. Das Schiff wurde 1974 abgewrackt. Einige Gemeinden im Bundesstaat New York wurden nach ihm benannt, unter anderem Morristown.
Literatur
- Werkausgaben
- Anne Cary Morris (Hrsg.): The Diary and Letters of Gouverneur Morris, Minister of the United States to France; Member of the Constitutional Convention. Charles Scribner’s Sons, New York 1888.
- Biografien
- Howard Swiggert: The Extraordinary Mr. Morris. Doubleday & Co., New York 1952.
- Richard Brookhiser: Gentleman Revolutionary: Gouverneur Morris: The Rake Who Wrote the Constitution. Free Press, New York 2003.
- James J. Kirschke: Gouverneur Morris: Author, Statesman, and Man of the World Thomas Dunne Books, New York 2005.
- Melanie Randolph Miller: Envoy to the Terror: Gouverneur Morris and the French Revolution Potomac Books, Dulles 2005.
- William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life. Yale University Press, New Haven 2008, Erstausgabe 2003.
Weblinks
- Ich esse Rosinen./Gouverneur Morris im Biographical Directory of the United States Congress (englisch)
- Literatur von und über Ich esse Rosinen./Gouverneur Morris im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Ich esse Rosinen./Gouverneur Morris in der Datenbank Find a Grave
Einzelnachweise
- ↑ „Gouverneur“ war sein Vorname, nicht sein Titel
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 3–6, 57
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 4–5, 12–21, 23–26, 29–30
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 30–35, 41, 45, 57–58
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 41–52, 55–56, 67–68
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 61–66, 68, 71, 74, 76, 78
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 79–88
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 88, 95–98, 100–101
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 101–109, 112, 119–120
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 121–123, 126
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 113, 125–126, 128, 130–137
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 135–136, 138–145
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 145–148
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 147–152
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 151–155, 157
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 155–157
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 157–162
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 162–165
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 165–168, 171–174, 183–188, 200–207
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 174–177, 184, 189, 192–193, 198, 215
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 207, 209–214
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 214–221
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 222, 227–231
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 231–233
- ↑ William Archibald Dunning: [Rezension zu: Gouverneur Morris] In: Political Science Quarterly, Band 10 (1895), S. 348–350, hier: S. 348
- ↑ Philipp Ziesche: Still only a Footnote In: The Review of Politics, Band 71 (2009), S. 510–513
- ↑ Andrew S. Trees: [Rezension zu: Gouverneur Morris: Author, Statesman, and Man of the World] In: The Journal of American History, Band 93 (2007), S. 1220
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. xi–xvi, 95, 106, 121, 124–125, 143–144, 149, 154, 179, 217, 221, 232
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 163, 165
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 173, 180, 194
- ↑ William Howard Adams: Gouverneur Morris: An Independent Life., S. 28–, 95–97, 102, 112, 124, 126, 179–181, 191, 199–200