Hygiene
Die Hygiene ist nach einer Definition der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie die „Lehre von der Verhütung der Krankheiten und der Erhaltung, Förderung und Festigung der Gesundheit“.[1]
Begriff
Das Wort Hygiene stammt aus dem Griechischen: ὑγιεινή [τέχνη] (hygieiné téchne) und bedeutet „gesunde [Kunst]“. Es ist von Hygiéia, der griechischen Göttin der Gesundheit, abgeleitet.
Hygiene im engeren Sinn bezeichnet die Maßnahmen zur Vorbeugung von Infektionskrankheiten, insbesondere Reinigung, Desinfektion und Sterilisation. In der Alltagssprache wird Hygiene auch fälschlich an Stelle von „Sauberkeit“ verwendet, obwohl letztere nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Aufgabenkreis der Hygiene darstellt.
Geschichte
Die Hygiene im Römischen Reich war verhältnismäßig weit entwickelt. Schon der römische Arzt Marcus Terentius Varro ahnte, dass Krankheiten durch Mikroorganismen hervorgerufen werden.[2] Es war bekannt, dass Quarantäne die Verbreitung von Infektionskrankheiten verhindern konnte.
Bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Sauberkeit und Desinfektion in der Medizin nicht als notwendig angesehen. So wurden die Operationsschürzen der Chirurgen praktisch nie gewaschen. Medizinische Instrumente wurden vor dem Gebrauch nicht gereinigt. Auch wurden nicht selten in Krankenhäusern die Wunden von verschiedenen Patienten nacheinander mit demselben Schwamm gereinigt.
Ignaz Semmelweis gelang in den 1840er Jahren erstmals der Nachweis, dass Desinfektion die Übertragung von Krankheiten eindämmen kann. Als Assistenzarzt in der Klinik für Geburtshilfe in Wien untersuchte er, warum in der einen Abteilung, in der Medizinstudenten arbeiteten, die Sterberate durch Kindbettfieber wesentlich höher war als in der zweiten Abteilung, in der Hebammenschülerinnen ausgebildet wurden. Er fand die Erklärung, als einer seiner Kollegen während einer Sektion von einem Studenten mit dem Skalpell verletzt wurde und wenige Tage später an Blutvergiftung verstarb, einer Krankheit mit ähnlichem Verlauf wie das Kindbettfieber. Semmelweis stellte fest, dass die an Leichensektionen beteiligten Mediziner Gefahr liefen, die Mütter bei der anschließenden Geburtshilfe zu infizieren. Da Hebammenschülerinnen keine Sektionen durchführen, kam diese Art der Infektion in der zweiten Krankenhausabteilung seltener vor. Das erklärte die dort niedrigere Sterblichkeit. Semmelweis wies seine Studenten daher an, sich vor der Untersuchung der Mütter die Hände mit Chlorkalk zu desinfizieren. Diese wirksame Maßnahme senkte die Sterberate von 12,3 % auf 1,3 %. Das Vorgehen stieß aber bei Ärzten wie Studenten auf Widerstand. Sie wollten nicht wahrhaben, dass sie selbst die Infektionen übertrugen, anstatt sie zu heilen.
Sir Joseph Lister, ein schottischer Chirurg, verwendete erfolgreich Karbol zur Desinfektion von Wunden vor der Operation. Er war zunächst der Meinung, dass Infektionen durch Erreger in der Luft verursacht würden. Eine Zeit lang wurde deshalb während der Operation ein feiner Karbolnebel über dem Patienten versprüht, was wieder aufgegeben wurde, als man erkannte, dass Infektionen hauptsächlich von Händen und Gegenständen ausgingen, die in Kontakt mit den Wunden kamen.
Max von Pettenkofer hatte ab 1865 den ersten deutschen Lehrstuhl für Hygiene inne und gilt als Vater der Hygiene. Weitere bekannte Forscher auf dem Gebiet der Hygiene waren Johann Peter Frank, Robert Koch und Louis Pasteur. Ein Pionier der Hygiene im militärischen Bereich war Franz Ballner.
Der missbräuchliche Begriff „Rassenhygiene“ (Eugenik) legte nahe, dass eine (menschliche) „Rasse“ oder ein „Volkskörper“ durch wie auch immer geartete „hygienische“ Maßnahmen „rein“ gehalten (oder „bereinigt“) werden. Der Begriff bestimmte die Bevölkerungspolitik in der Zeit des Nationalsozialismus (siehe dazu Nationalsozialistische Rassenhygiene).
Thomas McKeown hat 1979 den Rückgang der Infektionskrankheiten der letzten 200 Jahre auf Hygiene, bessere Ernährung des Menschen, Immunität und andere unspezifische Maßnahmen zurückgeführt. Abseits der Industriestaaten hat sich das Muster der Erkrankungen nicht wesentlich verändert, trotz teilweiser Einführung von medikamentösen Behandlungsmethoden. So kann angenommen werden, dass ohne finanzielle und materielle Unterstützung der „Dritten Welt“ und ohne bessere Lebensbedingungen für den Großteil der Menschheit der Gefahr von Seuchen Vorschub geleistet wird.
Hygienemaßnahmen
Medizinische Maßnahmen sind Sterilisation, Desinfektion und Quarantäne. Insbesondere im wirtschaftlichen Bereich sind Lebensmittel- und Wäschereihygiene gesetzlich geregelt. Zu den individuellen Hygienemaßnahmen zählen heute die Haushalts-, Körper-, Mund-, Anal- und Sexualhygiene.
In einer gemeinsamen Presseerklärung von Umweltbundesamt, Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin und Robert Koch-Institut aus dem Jahr 2000 werden herkömmliche Reinigungsmittel für die Sicherung der Hygiene im Haushalt als ausreichend erachtet und der Einsatz von Produkten mit bakterizider, antibakterieller und antimikrobieller Wirkung abgelehnt.[3]
Kritik an moderner Hygiene
Wissenschaftliche Studien weisen auf einen Zusammenhang zwischen penibler Hygiene und dem Auftreten von Allergien hin. Durch den verringerten Kontakt mit Keimen besonders während der frühen Kindheit tendiere das Immunsystem dazu, Reaktionen auf eigentlich harmlose Stoffe wie zum Beispiel Pollen oder Hausstaub zu zeigen. Evolutionsforscher vermuten außerdem, dass der menschliche Körper darauf angewiesen sei, dass bestimmte Bakterien und auch Würmer in ihm oder seiner Umgebung leben.[4]
Siehe auch
- Deutsches Hygiene-Museum
- Schlafhygiene
- Trinkwasserhygiene
- Psychohygiene
- Volksgesundheit
- Sanitary Movement
Einzelnachweise
- ↑ Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg [1]
- ↑ animalia quaedam minuta, quae non possunt oculi consequi et per aera intus in corpus per os ac nares perveniunt atque efficiunt difficilis morbos (Tiere, die so klein sind, dass die Augen sie nicht sehen können, und die durch die Luft in den Körper gelangen durch Mund und Nase und verschiedene Krankheiten verursachen.) - Verro: Rerum Rusticarum, lib. I, cap. 12.
- ↑ Antibakterielle Reinigungsmittel im Haushalt nicht erforderlich. Bundesbehörden halten Reinigung mit herkömmlichen Mitteln zur Sicherung der Hygiene für ausreichend. hier online
- ↑ Spiegel 40/2009
Literatur
- T. McKeown: The role of medicine: Dream, mirage or nemesis? Blackwell, Oxford 1979
- Christian Conrad: Krankenhaushygiene damals und heute – was hat sich geändert? Hygiene und Medizin 29(6), S. 204 ff. (2004), ISSN 0172-3790
- M. Klade, U. Seebacher, M. Jaros: Potenzielle Gefährdung von Mensch und Umwelt durch Desinfektionsmittel in der Krankenhaushygiene: Eine vergleichende Bewertung. Krankenhaus Hygiene und Infektionsverhütung 24(1), S. 9–15 (2002), ISSN 0720-3373
- A. Nassauer: Die neue Richtlinie für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention – Tradition und Fortschritt. Hygiene und Medizin (29(4), S. 113–115 (2004), ISSN 0172-3790
- GMS Krankenhaushygiene Interdisziplinär. Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH). Online verfügbar unter:
- W. Steuer, F. Schubert (Hrsg.): Leitfaden der Desinfektion, Sterilisation und Entwesung. B. Behrs, Hamburg, 8. Auflage 2007, ISBN 978-3-89947-351-3
DVD
- Blitzblank und sauber, Dokumentarfilm, 55 Minuten, Tacker Film, 2008 Trailer
Weblinks
- Wiktionary: Hygiene – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
- Wikiquote: Hygiene – Zitate
- Wikisource: Pettenkofer: Was ist und was will „Gesundheitslehre“? – Quellen und Volltexte
- Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene" der AWMF mit allen Leitlinien zum Thema
- Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Charité Berlin
- Universitätsklinikum Essen – Krankenhaushygiene – Textsammlung zum Thema Hygiene (Menüeintrag: Skripte)
- Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene
- Deutsches Hygienemuseum in Dresden
- http://healthlink.mcw.edu/article/1031002421.html – Hygiene Hypothesis: Are We Too „Clean“ for Our Own Good? englischsprachige Seite (HealthLink)
- Hygiene und Desinfektion in Haushalt und Klinik. FLUGS-Fachinformationsdienst am Helmholtz-Zentrum München, abgerufen am 22. August 2009.