Die Bibel verstehen: Hinführung zum Buch der Bücher
Von Anselm Grün
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Über dieses E-Book
Anselm Grün
Anselm Grün, Dr. theol., geb. 1945, Mönch der Benediktinerabtei Münsterschwarzach, geistlicher Begleiter und Kursleiter in Meditation, Fasten, Kontemplation und tiefenpsychologischer Auslegung von Träumen. Seine Bücher zu Spiritualität und Lebenskunst sind weltweite Bestseller – in über 30 Sprachen.Sein einfach-leben-Brief begeistert monatlich zahlreiche Leser (www.einfachlebenbrief.de).
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Buchvorschau
Die Bibel verstehen - Anselm Grün
ANSELM GRÜN
Die Bibel verstehen –
Hinführung zum Buch der Bücher
Anselm Grün, geboren 1945, Dr. theol., ist Benediktinermönch und Verwaltungsleiter der Abtei Münsterschwarzach, spiritueller Begleiter und Kursleiter. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Bibel, Spiritualität und Lebenskunst. Anselm Grün gehört weltweit zu den meistbeachteten christlichen Autoren unserer Zeit.
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2010
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Foto Anselm Grün:
© Micha Pawlitzki
Als deutsche Übersetzung der Bibel ist zugrunde gelegt:
Die Bibel. Die Heilige Schrift
des Alten und Neuen Bundes.
Vollständige deutschsprachige Ausgabe
Bibel© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2005
Innengestaltung und Vignetten:
Weiß-Freiburg GmbH – Graphik & Buchgestaltung
www.weiss-freiburg.de
Datenkonvertierung eBook: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN (E-Book) 978-3-451-33627-0
ISBN (Buch) 978-3-451-34002-4
EINLADUNG
Die Bibel ist Gottes Wort an uns. Für die frommen Juden und für die frühen Christen waren die Worte der Bibel immer heilende Worte und wegweisende Worte. Die Worte Gottes in der Bibel öffneten ihnen die Augen, damit sie ihr Leben verstanden und einen Weg fanden, wie ihr Leben gelingt. Juden wie Christen haben die heilende Wirkung dieser Worte an sich erfahren. Sie gaben Hoffnung, spendeten Trost, heilten Wunden und ermutigten, wieder aufzustehen, wenn man darniederlag.
Heute tun sich viele Christen schwer, die Bibel zu lesen. Sie verstehen die Worte nicht. Es ist eine so andere Sprache. Vielleicht macht ihnen die Sprache Angst, weil da manchmal von Gericht die Rede ist. Oder sie ärgern sich über die kriegerischen Geschichten, in denen Gewalt herrscht. Wir brauchen die richtige Brille, um die Worte der Bibel so zu lesen, dass sie heilsam und wegweisend für uns sind, dass es Worte des Lebens und Worte zum Leben werden.
Die kurzen Einführungen, die ich in die verschiedenen Bücher der Bibel gebe, wollen eine kleine Hilfe sein, die Texte besser zu verstehen. Sie wollen uns die Augen öffnen, damit wir die Worte in einem andern Licht sehen. Aber sie können nur hinführen. Eigentlich müsste ich die einzelnen Texte so auslegen, dass sie uns verständlich werden. Aber das würde das Anliegen dieses Buches übersteigen. So hoffe und wünsche ich, dass die einführenden Worte in die einzelnen Bücher der Bibel ein erster Schritt sind, sich mit der Bibel neu zu befassen. Trauen Sie beim Lesen dem eigenen Gefühl. Assoziieren Sie einfach, was in Ihnen bei den einzelnen Worten aufsteigen will. Ihre Seele hat die Fähigkeit in sich, diese Worte zu verstehen. Doch oft ist diese Fähigkeit zugeschüttet, weil wir es nicht mehr gewohnt sind, in den tieferen Sinn von Worten einzudringen. Es genügt, wenn Sie die Bibel mit drei Haltungen lesen:
Die erste Haltung: Gott sagt mir diese Worte. Sie sind persönlich an mich geschrieben. Gott zeigt mir das Geheimnis meines Lebens. Und er zeigt mir in den Worten seine Liebe und sein Herz.
Die zweite Haltung: Ich versuche, die Worte als Bilder für mein Leben und als Bilder für Gottes Wirken an mir zu verstehen. Ich vergleiche die Bilder der Bibel mit den Bildern, die in meiner Seele aufsteigen, wenn ich die Bibel lese. All die Bilder wollen mir das Fenster öffnen, damit ich in das unbegreifliche Geheimnis Gottes schaue.
Die dritte Haltung: Die Worte der Bibel sind Worte des Lebens. Dort, wo sie Angst in mir auslösen, verstehe ich sie nicht. Die Worte wollen mich einladen, barmherzig und freundlich mit mir umzugehen.
So wünsche ich Ihnen, dass Sie mit neuer Freude und Offenheit die Bibel lesen und sich von der Liebe Gottes treffen lassen, die in den Worten für Sie erfahrbar wird und immer tiefer Ihr Herz durchdringen möchte.
Anselm Grün
EINFÜHRUNG:
DIE BIBEL LESEN
Gotteswort und Menschenwort
Wohl in keinem Buch wird in der gesamten Welt häufiger gelesen als in der Bibel. Die Bibel ist das Buch aller Bücher. Die Juden sehen in den biblischen Büchern des Alten Testamentes das Wort, das Gott nur zu ihnen gesprochen hat. Christen teilen mit den Juden das Alte Testament. In ihm hören Christen Gottes Wort, das auch für sie bleibende Gültigkeit hat. Doch Christen lesen auch das Neue Testament, in dem ihnen die vier Evangelisten und zahlreiche Briefe der Apostel und anderer biblischer Schriftsteller überliefert sind. Für sie kommt das Alte Testament durch Jesus Christus zur Erfüllung und Vollendung.
Was damals geschrieben wurde, verstehen Christen im Licht Jesu auf neue Weise. Wie sie das Alte Testament (oder besser das Erste Testament, wie die frühen Kirchenväter es nannten) lesen sollen, sagt der Apostel Paulus: «Denn was immer geschrieben wurde, ist zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch die Geduld und durch den Trost der Schrift Hoffnung haben» (Röm 15,4). Das Lesen der Heiligen Schrift will also erschließen, wer Gott und wer der Mensch ist, was das Geheimnis der Schöpfung ist und wie menschliches Leben gelingt.
Und Christen lesen die Schrift, um Trost zu erfahren in Haltlosigkeit und Orientierungslosigkeit, in Dunkelheit und Niedergeschlagenheit. Trost meint, dass wir festen Halt bekommen, Standfestigkeit. Trost kommt von Treue, das heißt Festigkeit. Und Trost meint, dass wir nicht allein gelassen sind mit unseren Fragen, sondern dass Gott mit uns geht in unsere Not. Das lateinische Wort für Trost, consolatio, bedeutet: mit dem Einsamen sein. Jedes Wort der Heiligen Schrift will Hoffnung schenken, damit wir voll Zuversicht und innerer Freiheit in dieser Welt leben, vertrauensvoll Ausschau haltend nach dem, der unsere Hoffnung allein zu erfüllen vermag.
In der Bibel findet sich viel Poesie. Es sind wunderbare Erzählungen, Gedichte, Lieder, Mythen und Märchen, die die biblischen Schriftsteller berichten. Es sind unübertroffene Dichtungen, die da überliefert sind. In ihrer Einfachheit bringen sie das Leben des Menschen in seiner Beziehung zu Gott zum Ausdruck. Doch die Bibel ist noch mehr als Menschenwort. Sie ist Gotteswort. Das Wort Gottes fällt allerdings nicht vom Himmel. Es wird durch Menschen aufgeschrieben, die ihre Erfahrungen mit Gott ins Wort bringen. Doch in diesem menschlichen Wort – das glauben Christen – spricht Gott selbst. Da zeigt er authentisch, wie es um den Menschen steht, wer der Mensch und wer Gott ist, wie Gott am Menschen handelt.
Gott hat zu uns gesprochen. Wir haben sein Wort im Alten und im Neuen Testament. Es sind heilige Schriften, die heilsam sind für unser Leben. Aber ich erlebe immer wieder Menschen, die Angst haben, die Bibel zu lesen. Sie stoßen in ihr ständig auf die Stellen, in denen von Hölle und Verdammung die Rede ist. Anstatt sich zu fragen, was diese Stellen wirklich bedeuten, sind sie so fixiert auf ihre Angst, dass sie meinen, sie würden auf jeden Fall verdammt. Andere lesen die Schrift mit einer Brille, durch die sie in jedem Wort einen Vorwurf an sich selbst sehen.
Wenn wir mit der falschen Brille die Bibel lesen, wird uns das Studium der Schrift nicht weiterhelfen auf unserem Weg. Im Gegenteil, wir werden die Bibel dazu missbrauchen, unsere unaufgearbeiteten Probleme in die Bibel hineinzuprojizieren. Wir werden dann ständig die Bibel zitieren. Aber wir werden damit nicht den Geist Jesu wiedergeben, sondern den eigenen Ungeist, den wir mit Bibelzitaten rechtfertigen.
Das Wort Gottes ist der Gegner deines Willens, bis es der Urheber deines Heiles wird. Solange du dein eigener Feind bist, ist auch das Wort Gottes dein Feind. Sei dein eigener Freund, dann ist auch das Wort Gottes mit dir im Einklang.
AUGUSTINUS
Der heilige Augustinus hat uns mit diesen Worten schon vor über 1600 Jahren gezeigt, mit welcher Brille wir die Bibel lesen sollen. Wenn mich ein Wort der Bibel ärgert, dann zeigt es immer, dass ich hier eine falsche Sicht von mir und von Gott habe. Der Ärger ist aber auch eine Herausforderung, an meiner Sichtweise zu arbeiten und mir von der Bibel ein anderes Selbstverständnis schenken zu lassen.
In Gesprächen höre ich immer wieder, dass sich Menschen mit der Bibel schwer tun. Sie versuchen, sie zu lesen. Aber sie verstehen die Bibel nicht. Es ist für sie eine fremde Welt. Sie brauchen eine Anleitung, wie sie mit der Bibel umgehen sollen. Es kann ihnen helfen, wenn jemand ihnen inhaltliche Anregungen gibt und die Texte auf seine Weise deutet. Aber der Bibelleser soll nicht einfach nachbeten, was andere Ausleger ihm vorsagen. Er soll sich selbst mit den Texten auseinandersetzen. Dabei geht es darum, den Text mit dem eigenen Leben in Verbindung zu bringen
Was sagt der Text zu mir in meiner konkreten Situation?
Finde ich eine Antwort auf meine Fragen, die mich gerade bewegen?
Jesus provoziert uns gerade in vielen Gleichnissen immer wieder. Er provoziert uns, damit wir genauer hinschauen, worum es wirklich geht in unserem Leben und ob unser Bild von Gott nicht zu eng gefasst ist. Wenn ich mich über Worte Jesu ärgere, kann ich mich fragen, welche Lebensmuster da in mir auftauchen oder an welche Kränkungen aus meiner Kindheit mich diese Worte erinnern oder welche dämonischen Gottesbilder in mir da berührt werden. Dann ist der Ärger ein Anlass, an meinem Selbstbild und Gottesbild zu arbeiten. Das Wort Gottes zu verstehen heißt: sich selbst neu verstehen. Und es heißt: sein eigener Freund werden. Wenn ich mit mir freundlich umgehe, dann ist auch das Wort Gottes mein Freund. Und umgekehrt: Das Wort Gottes will mich dazu einladen, gut mit mir umzugehen, mir selbst zum Freund zu werden. Dann komme ich in Einklang mit dem Wort Gottes, mit mir selbst und mit Gott.
Gegenüber «fundamentalistischen» Lesern, die die Bibel als Waffe benutzen, gibt es auch «liberale» Leser und Leserinnen, die die Stellen der Bibel, die ihnen nicht passen, am liebsten streichen möchten. Sie stellen sich letztlich über die Bibel. Und sie sind nicht bereit, sich selbst von der Bibel in Frage stellen zu lassen. Wenn mich ein Bibeltext verletzt oder ärgert, dann wäre es wichtig, bei mir selbst nachzuforschen, welche alten Verletzungen in mir da angesprochen werden. So könnte der Bibeltext mich einladen, meine früheren Kränkungen anzuschauen und sie zu bearbeiten, so dass sie heilen können. Wenn ich sie nicht in die heilende Liebe Gottes halten, werden sie mir den klaren Blick auf die Worte Gottes in der Bibel verstellen. Dann werde ich immer mehr Bibelstellen als nicht mehr zeitgemäß abtun. Doch das ist ein Irrweg und kein heilender und befreiender Weg, mit der Bibel umzugehen.
Wenn wir in der Bibel lesen, geht es nicht darum, genau zu erforschen, was die Autoren sich damals gedacht haben oder welche Theologie dahinter steckt. Papst Gregor der Große meint, in Gottes Wort sollten wir Gottes Herz entdecken. Es geht beim Bibellesen also immer darum, Gottes Herz zu begegnen und in Gott mir selbst auf neue Weise zu begegnen. Bibel lesen ist immer etwas Subjektives. Ich führe einen Dialog zwischen dem Wort, das ich lese, und meinem konkreten Leben. Mein Leben legt die Schrift aus, und die Schrift legt mein Leben aus. Wenn ich den Text verstehe, verstehe ich mich selber besser. Wenn ich die Bibel lese, frage ich mich daher immer:
Was will Gott mir jetzt in diesem
Augenblick durch dieses Wort sagen?
Welche Bilder steigen in mir hoch?
Welche Assoziationen kommen mir?
Was ist der Impuls heute für mich?
Die Bibel lesen:
Das eigene Leben verstehen
Oft ist es besser, gar nicht viel zu «denken», sondern das Wort einfach ins Herz fallen zu lassen. Ich sage mir dann vor: «Dieses Wort beschreibt die eigentliche Wirklichkeit. Wenn dieses Wort stimmt, wie fühle ich mich dann, wie nehme ich die Welt und mich wahr?» Wenn ich das Wort Gottes in mein Herz fallen lasse, erzeugt es in mir Frieden und Freiheit, Weite und Liebe.
Es ist gut, allein die Bibel zu lesen. Am besten fangen Sie in den Evangelien an. Beginnen Sie mit dem Markusevangelium, und lesen Sie es vom Anfang bis zum Ende durch. Versuchen Sie, sich Jesus vorzustellen, wie er mit den Pharisäern diskutiert, wie er mit Ihnen selbst diskutiert. Stellen Sie sich die Szenen der Heilungsgeschichten vor. Sie selbst sind der