Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Der zweite Morgen
Der zweite Morgen
Der zweite Morgen
eBook364 Seiten5 Stunden

Der zweite Morgen

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

In nicht ferner Zukunft bestreiten die Menschen ein Leben in einer technologielos gewordenen Welt. Unter ihnen gibt es einige wenige wagemutige Abenteurer, die sich an gefährliche Orte begeben, um Artefakte der Alten Welt zu suchen. Nathan, einer jener Schatzjäger, verlässt gemeinsam mit seiner Nichte und Schülerin Alina die Heimat, um das größte Geheimnis ihrer Zeit zu erforschen: Was ist mit der Menschheit wirklich geschehen und wer zieht hinter den Kulissen die Fäden?
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum31. Juli 2019
ISBN9783749492978
Der zweite Morgen
Autor

Philipp Bernhard Geiger

Philipp Bernhard Geiger ist besessen von Science Fiction, jenen mysteriösen Welten, die dem Bewusstsein Freiheiten gewähren und es weit über die starren Grenzen des alltäglichen Lebens hinauswandern lassen. Er promovierte in Physik in Wien und schreibt neben seiner Arbeit im Softwarebereich an Geschichten, die unterhalten sollen; über spannende Welten und liebenswerte Charaktere.

Ähnlich wie Der zweite Morgen

Ähnliche E-Books

Science-Fiction für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Der zweite Morgen

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Der zweite Morgen - Philipp Bernhard Geiger

    Über den Inhalt:

    In nicht ferner Zukunft bestreiten die Menschen ein Leben in einer technologielos gewordenen Welt. Unter ihnen gibt es einige wenige wagemutige Abenteurer, die sich an gefährliche Orte begeben, um Artefakte der Alten Welt zu suchen. Nathan, einer jener Schatzjäger, verlässt gemeinsam mit seiner Nichte und Schülerin Alina die Heimat, um das größte Geheimnis ihrer Zeit zu erforschen: Was ist mit der Menschheit wirklich geschehen und wer zieht hinter den Kulissen die Fäden?

    Über den Autor:

    Philipp Bernhard Geiger ist besessen von Science Fiction, jenen mysteriösen Welten, die dem Bewusstsein Freiheiten gewähren und es weit über die starren Grenzendes alltäglichen Lebens hinauswandern lassen. Er promovierte in Physik in Wien und schreibt neben seiner Arbeit im Softwarebereich an Geschichten, die unterhalten sollen; über spannende Welten und liebenswerte Charaktere.

    Für meinen Sohn Samuel,

    der gerade seinen ersten Morgen erlebt.

    Inhaltsverzeichnis

    Teil I: Vergangenheit

    Erinnerungen

    Beinahe zu Hause

    Wieder unterwegs

    Nicht schwarz, nicht weiß

    Neue Perspektiven

    Wandel und Irrungen

    Künstlerischer Hochmut

    Teil II: Gegenwart

    Ein langer Tag

    Neue Freundschaften

    Unter Menschen

    Eine Kerze ohne Docht

    Im Land der Flamme

    Flüche unter Schmerzen

    Fast am Ziel

    Teil III: Zukunft

    Am Anfang war das Wort

    Wissen und Glauben

    Auf der Flucht

    Noch einige Verwirrungen

    Ein neuer Weg

    In der Dunkelheit

    Der Garten Eden

    Teil I.

    Vergangenheit

    Erinnerungen

    Die zerbeulte Blechdose schlug mit einem dumpfen Scheppern auf dem ausgetrockneten Boden auf. Brauner Staub wirbelte in die Höhe und verharrte dort erstaunlich träge; in dem trostlosen Gebiet wehte kein Lüftchen.

    Nathan Brunner, der Mann, der die Dose so unfein getreten hatte, dass sie in einem hohen Bogen durch die Luft geflogen war, rieb sich die Nase. Es knirschte und Sandkörner rieselten seine Finger hinab. Überall Sand, verdammt! Die Gegend machte ihm zu schaffen, darüber hinaus war es stickig, die Sonne brannte wie die Glut in einer Pfeife und zu allem Überfluss hing auch noch der Geruch nach faulen Eiern in der Luft.

    Er blickte über das Geflecht der Risse am Boden, sah die Dose an, die verformt und korrodiert im Staub lag. »Wie lange liegst du schon einsam und verdreckt hier?«

    Die Frage war mehr als nur der Versuch eines einsamen Wanderers, die bedrückende Einsamkeit zu entschärfen. Vielmehr stellte er sich gerne derartige Fragen, die für die meisten bedeutungslos waren. Er nämlich, ein Grübler, interessierte sich für den Ursprung und Zweck von Dingen und Lebewesen und gab sich selten mit dem Wissen um ihr schlichtes Vorhandensein zufrieden.

    »Unmöglich, dass in dir noch irgendwelche Reste des ursprünglichen Inhalts sind.« Der muss über die Jahre zu Staub und noch kleineren Teilchen zerfallen sein.

    Seit geraumer Zeit schon gab es keine Konservendosen mit Lebensmittel mehr. Einzig die alten, wie diese, lagen noch hier und da in der Gegend herum, halb vergraben in der staubigen Schicht aus Asche und Sand, die über der Erde lag. Für Nathan waren diese alten Dosen Symbole einer Welt, die längst vergessen war, nur noch eine verblassende kleine Insel im Meer des kollektiven Unterbewusstseins der Menschen. Als ein Mahnmal der Vergangenheit sprachen sie von Vergänglichkeit und altem Ruhm.

    Er sah sich um: So weit das Auge reichte, gab es nur Staub und Steine. Im Norden waren schwach die Umrisse der Berge zu erkennen. Dadurch wusste man sich auch dem Wald nahe, der am Fuße der Berge lag. Dies gab dem Wanderer, der diese karge Gegend durchzog, Hoffnung, dass das Ödland bald ein Ende hatte. Sowohl im Westen wie auch im Osten versperrten rostbraune Hügel die Sicht. Im Süden gab es nur Sand und Staub und irgendwann einmal Ödhafen, ein Dorf, das diese Bezeichnung kaum wert war.

    Also weiter Richtung Wald.

    Nathan setzte seinen Marsch fort. Er war müde, hungrig und durstig. Da sich seine momentane Situation aber nicht verbessern ließ, spuckte er nur den Sand aus, der sich in seinem Mund angesammelt hatte, und band das Tuch fester, das ihn genau davor schützen sollte.

    »Gott, wie sehr ich diesen Staub hasse. Allgegenwärtig ist er«, nuschelte er, den Kopf in den Nacken gelegt, durch das Tuch an den Himmel gewandt.

    Er wartete etwas, doch wie schon vermutet kam keine Antwort und so schleppte er sich, sein Schicksal für den Augenblick akzeptierend, seufzend weiter.

    An diesem Tag schlug ihm die Gegend besonders aufs Gemüt. Sie schien verlassener als gewöhnlich und bar jeden Lebens zu sein. Außerdem war er miserabler Stimmung und würde dem Untergang dieses öden staubigen Planeten mit einem resignierenden Lächeln zusehen.

    Ganz verlassen war die Ödnis dann aber doch nicht, denn eine auf einem einsamen knorrigen Stamm sitzende Krähe schlug kräftig mit ihren Flügeln und krächzte laut, als sie ihn näherkommen sah. Ihr Gefieder war braun und hatte das perfekte Tarnmuster für diese Landschaft. Sie war nicht so wie die Raben der Alten Welt, dachte er und erinnerte sich an die großen kohlschwarzen Raben, die er in seiner Jugend gekannt hatte. Seine Mutter hatte ihm, als er noch sehr klein war, auf dem Hinterhof ihres Hauses einen Raben gezeigt, von dem sie behauptet hatte, er sei so intelligent, dass er jedes gesprochene Wort verstehen konnte. Es gab jetzt auch keine Raben mehr – zumindest hatte er schon seit Ewigkeiten keine mehr gesehen – und die kleineren Krähen sahen mager und dreckig aus.

    Wieder fiel ihm die Farbe ihres Gefieders auf. Das Tragen der Kleider des Landes, in das man reist, wie die Alten zu sagen pflegten.

    Ein Fuß vor den anderen. Mit jedem Schritt kam er etwas mühsamer voran. Die Müdigkeit drang unaufhörlich in seinen Körper ein und manifestierte sich als Schwere in seinen Gedanken. Aber hier konnte er nicht lagern. Der Waldrand war nahe, dorthin musste er.

    Die Augen wurden ihm schwer und kurz dämmerte er sogar weg. Erinnerungen ließen ihn vorgestern noch mal durchleben . . .

    Kühler Wind hatte ihm ins Gesicht geblasen, sodass er Schutz hinter einer Tanne suchte, die alt und einsam in der trostlosen Gegend stand. Es war April. Überall nur Steine. Wenn es wenigstens Felsen gewesen wären, aber es war nur Kies – Schotter, der einem das Gehen schwer macht und bei jedem Schritt knirschende Geräusche von sich gibt.

    Hinter ihm lag das alte Dorf. Es muss einmal hübsch gewesen sein, eine Kirche in der Mitte und nette Häuser mit bunten Dächern rundherum. Enge Gassen verbanden die Gebäude. Ein Ort, wo Leute spazierengingen, ihre Einkäufe tätigten, ihren Kaffee tranken und den Kindern beim Spielen zusahen. Vielleicht trog ihn aber auch die Erinnerung an die damalige Zeit und die eigene Vorstellungskraft spielte ihm einen Streich. Es standen nur noch Ruinen dort, die Dächer waren meist eingestürzt. Jede Spur von Leben, jedes Besitztum war verschwunden – entweder lange verfallen oder schon vor Jahren geplündert.

    Am Hauptplatz stand ein Brunnen, natürlich ausgetrocknet und zerbrochen. Er war stehengeblieben und hatte an das Leben gedacht, das es dort einst gab, stellte sich die Leute vor. Dann erinnerte er sich, dass er nicht grundlos hergekommen war, und ging weiter.

    Sein Weg führte ihn hügelaufwärts, denn er hatte erfahren, dass es in dieser Gegend ein altes Werk gegeben haben soll. Nur ein Gerücht, das musste aber genügen, denn mehr hatte man selten.

    Er begann mit der Suche nach Spuren: ein Eingang, rostiges Metall vielleicht, Steine, die einmal Ziegel waren – irgendetwas. Zum Glück ließ der Wind nach. Wie frisch die Luft roch! Mit der Nase voran kroch er, der geübte Sucher, durchs Gestrüpp.

    Er fand auch etwas, doch es war nicht das Tor zu einem Schatz aus der Vergangenheit, wie Technik, Technologie, oder Wissen, sondern etwas Lebendiges – eine Gefahr: Vor ihm war deutlich die Spur eines Kesselebers zu sehen . . . furchtbare Kreaturen. Der doppelt gespaltene Huf war unverkennbar. Und das Tier musste groß sein, wahrscheinlich hundertfünfzig Kilo. Instinktiv fasse er nach hinten, taste nach dem Gewehr, aber das stand zu Hause im Schrank.

    Er folgte der Spur eine Weile, um zu sehen, ob der Eber das Gebiet verlassen hatte. Sie verlor sich, doch er kam zu dem Schluss, dass er unbehelligt würde weitersuchen können.

    Am nächsten Morgen fand er die Höhle. Sie war nicht natürlichen Ursprungs, sondern Teil einer alten Anlage, einer Fabrik möglicherweise. Die Überreste von Holz und eine fast vollständig verrostete Stahlplatte verdeckten einen Schacht. Es war nass. Wasser tropfte von der Decke und machte den Boden glitschig. Überall wuchs Moos.

    Er befestigte sein Seil an einem Balken über sich. Bevor er hinunterstieg, wollte er sehen, was ihn erwartete und ließ deshalb zuerst die Öllampe hinab. Fünf Meter waren es vielleicht, nicht mehr. Dann kletterte er in den nach Moder riechenden Schacht.

    Fester Boden. Die Lampe enthüllte ihm, was er auf keinen Fall sehen wollte: Es war alles verschüttet. Er fand die Knochen eines Menschen. Der Unglückliche war vom Zusammenbruch der Mauer erwischt worden, ein großer Brocken hatte ihm den Schädel eingedrückt. Er lag schon lange dort, hatte nichts bei sich, das die Zeit überstand. Da waren nur ein Kunststoffbehälter und ein paar Fetzen Kleidung.

    Es stank so sehr nach Schimmel, dass er würgen musste. Die Feuchtigkeit machte ihm das Atmen schwer.

    Er tastete sich an einem Teil der intakten ursprünglichen Wand entlang. Sie fühlte sich überraschend warm an. Er würde die Ruine gerne erforschen, aber ihm fehlte die Ausrüstung, also brach er die Sache ab.

    Im Freien sog er begierig die frische kalte Luft in seine Lungen. Dann sah er den Eber: schwarz, riesig – ein Monstrum!

    Er riss die Augen auf, merkte, dass er wie ein Schlafwandler weitergetorkelt war, schüttelte sich und meinte, dass zumindest der Staub etwas nachgelassen hätte – sowohl der in der Luft als auch der am Boden.

    Tatsächlich wurde es steiniger, hier und da standen vereinzelt armselige Sträucher am Wegrand, die tapfer ums Überleben kämpften.

    Die Sonne war schon am Untergehen. Einen geeigneten Lagerplatz zu finden würde schwer werden, aber es musste sein; die Nacht konnte in der offenen Ödnis sehr gefährlich werden. Wie zur Bestätigung heulte laut ein Wildhund, der nicht allzu weit entfernt durch die Gegend streifte.

    Instinktiv griff Nathan nach dem langen Jagdmesser. Er hoffte, dass es nicht zu einem Kampf kommen würde. Obwohl Wildhunde selten Menschen anfielen, gab ein einzelner Wanderer für ein ausgehungertes Rudel durchaus eine potenzielle Beute ab. Unberechenbar genug es zu versuchen, waren sie sicher.

    Die Gegend kam ihm bekannt vor. Eine tief liegende Erinnerung regte sich, die er aber nicht ganz zu fassen bekam. In seiner Vergangenheit gab es so manchen dunklen Fleck. Vieles schlummerte – selbst für ihn – im Verborgenen.

    Während er müde weiter einen Fuß vor den anderen setzte, hatte Nathan erneut Zeit zum Grübeln. Außerdem war, wie so oft, der triste Anblick, der sich ihm hier bot, auch diesmal Anlass und Gegenstand schwermütiger Gedanken.

    Früher war die Welt anders. Statt der öden staubigen Landschaft könnten hier einst Symbole der technologisierten Welt gestanden haben. Jener Welt, die in den Tiefen unserer Erinnerungen immer mehr verblasst und trotzdem noch unser Bewusstsein gefangen hält. Unsere Basis, die all unseren Werken irgendwie zugrunde zu liegen scheint. Doch wie löst man sich von den Geistern der Vergangenheit?

    Vergangenheit, ein Wort, das eigentümliche Empfindungen auslöste. Bilder vom Leben der Eltern und dem Vergleich mit dem eigenen schwammen träge, aber doch nicht fassbar, wie ein Stück Treibholz auf dem See der Erinnerungen. Und irgendwo in der Mitte war ein Strudel, als die Welt sich so plötzlich gewandelt hatte. Alles war schlagartig anders geworden. Doch dies war vor langer Zeit geschehen, sodass kaum noch jemand einen Bezug zu dem Leben in jener anderen Welt hatte, die einst für jedermann so normal gewesen war. Ja, alles ist anders geworden und beinahe wäre totales Vergessen über alle gekommen. Was blieb, waren diese destruktiven Erinnerungen an die Alte Welt, die einem ständig den verloren gegangenen Glanz vor Augen führten. So mancher dachte dann wehmütig an jene Zeiten zurück. Richtige Erinnerungen allerdings besaß kaum noch jemand . . .

    Er riss den Kopf nach hinten und hielt die Augenlider krampfhaft offen. Wieder war er im Laufen fast eingeschlafen.

    Verflucht! Ich werde alt, so wie ich mich um die Gefahren der Wildnis kümmere. Ich grüble lieber, als dass ich mich um meine naheliegenden Probleme kümmere.

    Kopfschüttelnd schritt er weiter und erkletterte eine Felsstufe.

    Beinahe zu Hause

    Der Wald lag endlich vor ihm. Tiefgrau hoben sich karge Föhren von dem etwas helleren Grau der Wolken am immer dunkler werdenden Himmel ab. Neben den verkrüppelten älteren Bäumen und den spärlich wachsenden Jungbäumen wurde die Landschaft nun auch steiniger und dank der tief stehenden Sonne warfen die Felsen lange Schatten, sodass der Boden zwischen ihnen kaum zu erkennen war. Der Weg wurde allerdings mühsamer, denn immer wieder musste Nathan Hindernisse überklettern und aufpassen, nicht über einen Stein zu stolpern.

    Abgestorbene Schlingpflanzen hingen wie ausgefranste Wäscheleinen quer über den schmalen Pfad und ein besonders großer Felsen versperrte ihm schließlich den Weg. Er war breit, moosbewachsen, aber nicht schwer zu erklettern. In den Fugen am Rand fand Nathan Halt. So schnell wie möglich wollte er das Hindernis überwinden und zog sich hinauf, anstatt es zu umgehen. Oben angekommen, blickte er kurz über den Rand auf die einen Meter unter ihm liegende Sandfläche und sprang hinab.

    Der Boden fing seinen Sprung nicht richtig ab. Stattdessen gab der Sand unter seinen Füßen nach. Ein Knirschen folgte, er knickte ein und fiel hin.

    »Verflucht!« Eine Beinverletzung würde ihm ernstliche Probleme verursachen.

    Behutsam zog er sich auf die Knie, versuchte so, sein Gewicht gleichmäßig zu verteilen, und erhob sich langsam, doch der Boden unter ihm gab dennoch nach. Es bildeten sich Risse, Sand versickerte und verschwand im Boden. Nathan wollte sich nach vorne werfen, aber schon brach er ein und stürzte. Wenige Augenblicke später schlug er hart auf.

    Dunkelheit umgab ihn. Sein Brustkorb schmerzte, jede einzelne Rippe stach und es dauerte einen Moment, bis seine Lunge ihren Dienst wieder aufnahm.

    Licht fiel in einem schmalen Kegel durch das Loch, durch das er gestürzt war und erhellte seine Absturzstelle bescheiden. Obwohl er sich bemühte, misslang der Versuch, etwas in dem Zwielicht erkennen zu wollen. Schon die Augen offen zu halten, verursachte Schmerzen. Dann registrierte seine Nase seltsame Gerüche: Die Luft war alt . . . Eine Erinnerung kam hoch, das plötzliche Empfinden, wieder in der Alten Welt zu sein.

    Noch wagte er es nicht, sich zu bewegen. Zu groß war die Angst, Knochenbrüche erlitten zu haben. Bei jedem Atemzug erwartete er, etwas zu spüren, Schadensmeldungen, die sein Körper ihm schicken mochte. Vielleicht war er kurz ohnmächtig und wahrscheinlich verdankte er dem harten Aufprall das Aufwallen von Eindrücken seiner letzten Wanderung. Jedenfalls füllte Angst für kurze Zeit sein gesamtes Bewusstsein aus.

    Steh’ auf du Memme, ermahnte er sich, gehorchte trotz schmerzender Knochen und zwang seinen Oberkörper schließlich in eine sitzende Position. Ausgelöst von einem weiteren schrecklichen Gedanken, stieg gleich wieder ein neues Angstgefühl in ihm hoch. Es konnte sich hier um eine Felsspalte handeln, in die er gestürzt war und aus der es kein Entkommen gab. Glücklicherweise befand sich seine Tasche mit all seiner Ausrüstung neben ihm. Er hoffte, dass alles heil geblieben war.

    Licht! Ich muss etwas sehen können, um zu erkennen, wo ich mich befinde.

    Er entfachte ein Streichholz und damit wiederum den Docht seiner kleinen Öllampe. Im schwachen Schein offenbarte sich ihm nun ein Bild, das so überwältigend war, dass er sich in einen Traum versetzt fühlte: Überall um ihn herum standen Stühle und Tische. Weiter entfernt konnte er die Umrisse eines Tresens ausmachen, der von Hockern eingerahmt war. Stark korrodiert, aber immer noch als Metall erkennbar, blitzte die Form einer großen alten Kaffeemaschine aus der Ecke.

    »Ah, Kaffee!«, seufzte er sehnsüchtig. Der Duft von dampfendem, frisch gemahlenem Kaffee überlagerte plötzlich den Geruch der alten Luft.

    Dann erinnerte er sich ernüchternd, dass es Kaffee nicht mehr gab. Schon seit Jahrzehnten hatte er keinen mehr getrunken und bezweifelte, dass seine Erinnerung den Geruch richtig heraufbeschworen hatte.

    Er war wohl in ein Restaurant oder einen Imbiss der Alten Welt gestürzt. Abgesehen von der Eigenartigkeit dieser Situation war der Umstand merkwürdig, dass die alten Karten, die er sich im Lager angesehen hatte, in diesem Gebiet keine frühere Siedlung zeigten. Diesbezüglich waren sie damals sehr penibel gewesen und man hatte für gewöhnlich sehr genau auch die unbedeutendsten Wege und die kleinsten Dörfer in den Karten eingezeichnet. Da es für einen Schatzjäger von Vorteil war zu wissen, wo früher was gestanden hatte, war ein guter Satz Karten eine Notwendigkeit. Niemand konnte Nathan Leichtsinnigkeit unterstellen und so hatte er sich schon vor langer Zeit gute Karten besorgt.

    Er humpelte zum Tresen und strich mit der Hand über das einstmals glatt polierte Holz. Eine zentimeterdicke Staubschicht wirbelte auf und brachte ihn zum Niesen.

    Ein leises Scharren war hinter ihm zu hören. Er fuhr herum, vermochte das Zwielicht aber nicht zu durchdringen. Staub und Kies rieselte von der Decke und ein Schatten huschte über das Loch, das in der Decke klaffte. An den Rändern war abgebröckelter Beton zu sehen.

    Kopfschüttelnd wandte er sich wieder der Erforschung der Wunder zu, die dieser Ort für ihn bereithalten mochte. Er verspürte wieder die Neugierde der Jugend. Oft hatte er sie schon verloren geglaubt und doch immer wieder gefunden.

    Hinter der Theke befand sich eine Tür, die sich aber bei näherer Betrachtung als verschüttet herausstellte. Das schlechter werdende Licht der Sonne, das ohnehin kaum durch das kleine Loch fiel, stoppte aber mögliche weitere Erkundungen, denn der Schein der kleinen Öllampe reichte dafür nicht aus. Außerdem war er immer noch entsetzlich müde.

    In einer der alten Tischnischen fand er ein Plätzchen, das ihm zusagte, räumte den Schutt weg und breitete seine Decken zu einer Mulde aus. Ein gemütliches Lager für die Nacht in den Armen der Alten Welt habe ich da.

    Die Müdigkeit ließ ihn zusammensinken.

    Er fuhr auf, denn wieder rieselte etwas Staub von der Decke herab. Nathan sah schnell zum Loch hoch und war sicher, den vorbeihuschenden Schatten eines Hundes gesehen zu haben. Besorgnis verspürte er aber keine, denn er glaubte nicht an eine Gefahr, die ihn hier unten würde erreichen können.

    Ein Traum plagte ihn, denn obwohl der Raum Geborgenheit vermittelte, waren die Erinnerungen der Alten Welt hier stark und so störte Unruhe seinen Schlaf. Bilder bedrängten ihn, tauchten auf wie Gasblasen aus den dunklen Tiefen eines Gebirgsees. Aus dem Weltraum betrachtet durchzogen Lichterketten wie Adern weite Bereiche der Erdoberfläche. Jedes dieser Lichter sprach von Leben, sprach von Wohnungen und Häusern, Familien mit Kindern, Einkaufszentren, Unterhaltung, Theater und Geborgenheit, aber auch Unwissenheit und Ignoranz. Blitze zuckten durch diese Bilder. Gewitterwolken breiteten sich über die Erdoberfläche aus. Wie eine tiefgraue, fast schwarze Decke bedeckten sie den Erdball. Grelle Blitze zerrissen immer wieder das Dunkel. Es gab Flammen, Lärm und Zerstörung. Der Tag des jüngsten Gerichts aus einem der heiligen Bücher der Alten Welt. Der Höhepunkt war eine Feuersäule, ein Blitz; und Nathan wurde aus dem Traum gerissen, wie ein Ertrunkener, der Wasser ausspuckt, um gierig nach Luft zu schnappen.

    Er schlief sogleich wieder ein, bis zum nächsten Hochschrecken – und so ging es die ganze Nacht .. .

    Das erste Licht des Morgens fiel durch das Loch. Nathans Gelenke und Knochen beklagten ächzend das harte Lager und trotz Dehnung ging er steif ans Werk und durchsuchte ein zweites Mal den Raum. Wehmütig blickte er dabei auf die Kaffeemaschine und wünschte sich in diesem Moment nichts sehnlicher als ein dampfendes Getränk aus den Eingeweiden dieser Maschine.

    Er inspizierte den Raum gründlich, blickte hinter schief in den Angeln hängende Schranktüren und in Schubladen.

    Unter dem Tresen glitzerte etwas. Er keuchte, als er sich verrenken musste, um in die Ecke zu gelangen. Er streckte seine Finger, spreizte sie, so weit es ging. Sie streiften etwas Hartes, Metallisches. In der Hoffnung, etwas Wichtiges entdeckt zu haben, schob er den Müll zur Seite, streckte sich so weit wie möglich und zog mit zittrigen Fingern den Gegenstand heraus.

    Gold!

    Unter viel Dreck verborgen, sah er es glänzen. Er wischte die Oberfläche vorsichtig blank und zum Vorschein kam eine Scheibe. Sie war schwer, vermutlich aus massivem Gold. Linien wie Bilder und eine unbekannte Schrift waren darauf graviert. Er zerrte daran, doch eine Kette verhinderte, dass der Gegenstand freikam.

    Er entfernte mehr Müll, zerrte heftiger und plötzlich gab die gesamte Oberfläche des Schuttberges unter dem Tresen nach und befreite die Überreste eines fast vollständig verwesten Menschen. Die goldenen Glieder der Kette klemmten zwischen seinen Halswirbeln fest.

    Schon wieder die Überreste eines Menschen.

    Seine Neugierde war erwacht. Wer mochte das gewesen sein und welche Rolle hatte er in der Gesellschaft der Alten Welt?

    Ich frage mich, was ich sonst noch alles hier finden kann.

    Bald war die Leiche freigelegt. Die Verschüttung hatte offenbar lange nach dem Tod stattgefunden, denn etliche Knochen wiesen Kratzer und andere Beschädigungen auf. Als er den Arm vom Schutt befreite, fand er noch etwas: Unter einem schweren Brocken, dessen Entfernung ihn viel Kraft kostete, lag ein staubiger Koffer.

    Behutsam nahm er Koffer und Medaille und brachte beides an einen Tisch in der Mitte des Raumes. Mehr Zeit, als notwendig war, um zu erkennen, dass der Koffer aus Kunststoff bestand und bis auf einige Kratzer unbeschädigt war, blieb ihm allerdings nicht, denn von draußen drang ein lautes Bellen an seine Ohren.

    Er erinnerte sich an den Wildhund vom Vorabend und das Bild von einem braun gefleckten verwilderten Köter, dreckig und stinkend, huschte durch seinen Geist. Etwas im Klang des Bellens ließ ihn aufhorchen und er vermeinte, einen warnenden Unterton darin zu vernehmen.

    Etwas stimmt nicht. Etwas ist da draußen und der Hund hat anscheinend Angst davor.

    Er wollte keine Zeit verlieren, packte schnell seinen Rucksack, band den Koffer mit einer Schnur daran fest und erhob sich vom Tisch.

    Gerne hätte er sich noch ein wenig länger umgesehen und auch die Kaffeemaschine mitgenommen, um sie später einzutauschen. Jetzt hielt er es aber für besser, erst einmal zu verschwinden. Da er als Einziger von diesem Ort wusste, konnte er jederzeit wiederkommen, um ihn genauer zu untersuchen.

    Das Loch, durch das er in den Raum hineingestürzt war, befand sich mehr als einen Meter über seinem Kopf. Um es erreichen zu können, musste er darunter einen Schuttberg aufhäufen.

    Als er diesen schließlich erklomm, bekam er gerade so mit der Hand den Lochrand zu fassen. Er hoffte, dass die brüchige Kante sein Gewicht würde aushalten können, zog sich mit einer Hand hoch und streckte seine andere Hand aus dem Loch. Seine Finger gruben sich in eine Ritze im Stein, rutschten aber wieder ab, nur um gleich darauf schließlich in einer anderen Spalte Halt zu finden. Schmerzhaft hievte er seinen Körper ganz heraus, rollte von der Kante weg und tat einen tiefen Atemzug kühler Morgenluft. Der Staub ließ ihn husten.

    Er tastete nach der Schnur, die er sich ans Bein gebunden hatte, und löste sie. Dann zog er Rucksack und Koffer hoch, die daran befestigt waren.

    Die Sonne stand schon knapp über dem Kamm der fernen Berge und brach sich in den dicken Staubwolken, die allerorts träge in der Luft hingen, sodass diese aussahen, als würde ein Feuer in ihnen brennen.

    Nathan erhob sich, genoss kurz den Anblick und dachte traurig, dass dies die einzige Zeit am Tage war, zu der die Welt schön aussah. Es gab zu viel sauren Regen, stürmischen Wind und dunkle Gewitterwolken, dafür viel zu wenig Pflanzen, als dass sich allzu oft ein schöner Anblick finden würde.

    Ein Rascheln riss ihn aus seiner Starre und brachte ihm den Grund seines überhasteten Aufbruchs wieder in Erinnerung. Seinen geschärften Sinnen vertrauend, warf er sich zu Boden und rollte hinter einen hohen Grasbusch. In dieser gefährlichen Umwelt durfte man kein Geräusch ignorieren.

    Angestrengt blickte er zwischen den Grashalmen hindurch auf der Suche nach einem Feind. Obwohl er nichts wahrnehmen konnte, hatte er ein eigentümliches Gefühl, als ob ihn jemand – etwas – beobachten würde. Hatte er dort bei dem großen Felsen nicht etwas metallisch blitzen gesehen? Es roch auch unterschwellig nach altem Fett oder Maschinenöl.

    Kein Risiko.

    Hier abzuwarten konnte sehr gefährlich werden. Er entschied, auf seine Schnelligkeit zu vertrauen, zog sich den Rucksack mit dem Koffer daran an und jagte über die offene Landschaft davon.

    Obwohl sein Tempo hoch war, verursachte der geübte Ödlandläufer bei seiner Flucht zwischen Föhren und moosigen Felsen kaum ein Geräusch. In gleichförmigem Takt trugen ihn seine Beine über Sand, Fels und braunes Gras. Je länger er lief, desto mehr wich der karge graue Wald rotbrauner Steppe. Sich umzusehen wagte er nicht, denn dafür hätte er langsamer werden müssen. Er spürte aber seinen Verfolger, so als ob der kalte stinkende Atem einer Bestie in seinem Nacken hängen würde. Angst trieb ihm den Schweiß noch stärker aus den Poren.Kälte lag in der feuchten Morgenluft des Graslandes. Wo noch Augenblicken zuvor die ersten Sonnenstrahlen die Luft erhellt und erwärmt hatten, lag nun der feuchte Schleier des Nebels.

    Nathan strengte alle seine Sinne bis zum Maximum an. Seine Augen suchten nach Formen in den Schatten und seine Nase nach etwas anderem als Nässe in der feuchten Luft. Seine Haut kribbelte, als der morgendliche Wind den Schweiß verdunstete. Er schmeckte Blut im Mund und fragte sich, ob er sich wohl in die Zunge gebissen hatte.

    Immer schneller lief er, doch das Gefühl hörte nicht auf. Dann stürzte er, als plötzlich der Boden nicht mehr trittfest war und morastig wurde. Schlamm spritzte auf.

    Von einem öden Grasland direkt in eine schlammige Pfütze, wunderte er sich, während er sich hektisch wieder hochkämpfte.

    Wieder blitzte am Rande seiner Wahrnehmung etwas metallisch auf. Ist das mein Verfolger? Vor seinem geistigen Auge sah er einen Hund, so groß wie ein Mensch. Er trug eine Art Rüstung aus Metallplatten. Geifer troff ihm aus dem Maul, aus dem auch noch ein halb abgenagter – wahrscheinlich menschlicher – Oberschenkelknochen hing. Er spuckte ihn aus und hetzte zähnefletschend hinter dem Fliehenden her. Das Bild verschwand.

    Nathan schüttelte die Einbildung ab. Metallische Hunde! Ob ich deliriere?

    Er konzentrierte sich weiter auf seinen Kampf durch Schlamm und Moorgras. Wie Schlangen wand sich das Gras um seine Schenkel, das Moor sog an seinen Stiefeln und nur mühsam ließ sich ein Fuß vor den anderen setzen. Doch so plötzlich, wie der Morast begonnen hatte, war er auch wieder zu Ende. Auf festem Boden konnte er endlich wieder laufen.

    Die Gegend änderte sich abermals und als ob

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1