Der Künstler und die Assassinin: Zeitgenössischer Spannungsroman, poetisch und provokant
Von Patrick Wunsch
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Über dieses E-Book
Zur gleichen Zeit plant die Avantgarde, eine Untergrundorganisation, Anschläge auf Wohlhabende – wie Witt. Zum Auftakt soll die abgelegene, idyllische Siedlung Lys, in die sich der mediengejagte Künstler zurückgezogen hat, zerstört werden. Die aufstrebende Zoe nimmt sich der Mission an.
Patrick Wunsch
Patrick Wunsch wurde am 21. Februar 1988 in Bielefeld geboren, wo er bis heute lebt. Nach dem Abitur studierte er an der Universität Bielefeld Germanistik und Anglistik im Bachelor, gefolgt von einem Masterstudium der Interdisziplinären Medienwissenschaft. 2016, mit dem Einstieg ins Berufsleben, begann die Arbeit am Debütroman, die etwa ein Jahr später weitestgehend abgeschlossen war. Im März 2018 ging es weiter mit dem Nachfolger. Als Autor möchte Patrick Wunsch künstlerisch und philosophisch interessierten Lesern anspruchsvolle Werke bieten, die mit Poesie und Provokation den Zeitgeist abbilden, unbequeme Wahrheiten auf den Punkt bringen und nicht um jeden Preis konventionellen Formeln folgen. Er möchte Figuren schaffen, die fragwürdige Entscheidungen treffen, aber in ihrem Zwiespalt zwischen Idealismus und Zynismus sympathisch bleiben. Neben der Literatur betätigt sich Patrick Wunsch als Game Designer (Great Potion Games) und Musiker (träumen von aurora, Beyond Martian Skies).
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Buchvorschau
Der Künstler und die Assassinin - Patrick Wunsch
1
Es war der zwölfte Juni des Jahres, in dem der Erfolg des Künstlers Leon Witt seinen Höhepunkt erreicht hatte. Gegen achtzehn Uhr lag eine Ahnung von Abend in der Luft. Es kühlte ab. Die Sonne ließ sich träge sinken, wohlverdient am Ende eines Tages, an dem sie sich verausgabt hatte.
In drei Stunden würde ein anderer Stern am Himmel stehen.
»Bitte nicht rasen«, sagte Valerie. »Sterben werden wir alle, aber heute Abend würde es uns besonders schlecht passen.«
Vielleicht hätte der Chauffeur eine verdrießliche Miene gezogen, wäre es nicht Valerie May gewesen, die den Tadel an seinem Fahrstil aussprach. Er warf ein flüchtiges Lächeln in den Rückspiegel. »Sehr wohl, Mademoiselle.«
Mademoiselle, das gefiel Valerie. Zufrieden sank sie ins weiche Polster zurück.
Neben ihr sah Leon auf die Uhr. Leon Witt, der emsige Künstler, sah unablässig auf die Uhr. »Das Leben ist zu kurz für all die Dinge, die wir tun wollen«, sagte er, »wie könnte man da nicht in Eile sein? Man sollte es genießen, wenn man schon einmal gezwungen ist, sich Zeit zu lassen. Zeit ist der größte Luxus.«
Der Chauffeur lächelte erneut.
Valerie war klar, dass Leon das sagte, weil er vor einem öffentlichen Auftritt ohnehin nicht konzentriert arbeiten konnte. Der Abend war für ihn verloren, was das betraf. Nicht ein einziges Mal hatte er sein Notizbuch gezückt, seit sie losgefahren waren.
In der Stadt wurde der Verkehr dichter; der Fahrer bremste ab. Überall Licht und Lichter, Schilder und Warnsignale, kreuz und quer fuhren die Autos – da! Ein Radfahrer, der an Leons Fenster vorbeischoss und knapp den Seitenspiegel verfehlte! Ein Passant mit Einkaufstüten hastete über die Straße, ohne sich umzublicken, ein naives Gottvertrauen an den Tag legend, für das hier und heute keine Rechtfertigung mehr bestehen konnte.
Im Wagen nahm man die Geräusche kaum wahr, man sah das Chaos nur und hatte das Dröhnen und Sausen im Kopf. Alles da draußen wirkte so rau und holprig, die Limousine aber schwebte über den Asphalt.
Die gewaltigen Bildschirme an den Fassaden zeigten Dreisekünder. Models im Bikini grinsten in die Kamera, Männer im Anzug ließen den Blick in die Ferne schweifen. Dann das Produkt: ein Roman, ein Musikalbum, ein Computerspiel, ein Gemälde – das ließ sich so verkaufen –, ein Film. Kommerziell erfolgreiche Kunst bedeutete alles, in dieser Stadt besonders. Als die künstliche Intelligenz die ersten Bestseller schrieb und die Spitze der Charts eroberte, hatten nur Verrückte geglaubt, dass es sich noch zum Guten wenden würde. Doch das hatte es.
Valerie sah die Clips gern. Weil sie so kurz waren, musste jedes Bild, jede Bewegung beeindrucken. Sobald aber Leon erschien, wandte Valerie den Blick ab. Auch wenn er auf den bearbeiteten, dramatisch in Szene gesetzten Fotos und Sequenzen noch besser aussah, sollte sich ihr nicht die Seite ihres Freundes einbrennen, die jeder kannte.
Leon war ein Superstar, der König der Künstler. Schreiben, komponieren, gamedesignen, malen, filmen: Leon beherrschte all das besser als die meisten, die sich auf eine einzige Disziplin fokussierten. Ein renommiertes Magazin hatte ihn den Gott der Kreativität genannt. »Worte wie Blitze«, hatte eine große Zeitung geschrieben, eine andere »die zehn Gebote des Leon Witt« kundgetan.
Von den Metropolen Amerikas bis zu den entlegensten skandinavischen Siedlungen lasen die Menschen seine Geschichten und Gedichte, hörten seine Songs und Kompositionen, spielten seine Spiele, betrachteten seine Gemälde und Zeichnungen und sahen seine Filme und Videos. Sie schwärmten von provokanten Thesen und ewigen Wahrheiten. Sie »verschlangen an einem Stück«, »ließen in Dauerschleife laufen«, »suchteten die ganze Nacht«, »bewunderten ehrfürchtig«, »versanken in Melancholie«. Sie waren »ergriffen«, »inspiriert«.
Es gab Menschen, die sich dafür aussprachen, Leon Witt zum Kanzler oder zum Präsidenten zu wählen, zum Minister wenigstens – für Kunst, scherzten manche, und andere fanden Gefallen an der Idee. Valerie lachte darüber. Jemanden zum wichtigsten Vertreter des Volkes machen, der nichts mehr als seine Ruhe wollte! Solche Stimmen erhoben sich immer, wenn jemand in den Medien ein paarmal etwas Vernünftiges von sich gegeben hatte. Selten aber waren es so viele, und selten war man sich so einig: Das Beste, was dem Land passieren könne, sei die Führung des Künstlerkönigs. »Wer Probleme präzise analysieren und wiedergeben kann, hat sie halb gelöst«, fand man. »Wer das Volk zum Weinen bringen kann, besitzt die Empathie, die gewöhnlichen Politikern fehlt.«
Der Eindruck der Perfektion reichte über Leons eigene Person hinaus, denn er hatte die passende Gefährtin an seiner Seite: Die schöne Valerie begleitete ihn zu allen Veranstaltungen. Val. Immer entzückend auf den Fotos der Paparazzi. Immer witzig in den Interviews der Klatschpresse. Val dichtete keine Sonette, spielte keine Sonaten, entwarf keine Levels, keine Puzzles, keine Quests, malte oder zeichnete nicht und hatte nie einen Camcorder in der Hand gehalten. Für die Öffentlichkeit war sie trotzdem die Seelenverwandte des Künstlers. Sie war genau richtig – fand auch Leons Agent, der penibel darauf achtete, dass Leon nirgendwo allein auftauchte. Und Val ebenso wenig.
Der Wagen hielt auf dem Platz vor dem Gebäude. Leon stieg aus, öffnete Valerie die Tür und reichte ihr die Hand. Valerie ließ sich nicht gern bedienen, Leon aber konnte sie die eine oder andere galante Geste zubilligen.
»Monsieur Witt.« Der Fahrer lehnte sich auf das Dach der Limousine. »Meine besten Wünsche für das Interview. Ich schaue nicht viel fern, aber das werde ich mir ansehen.«
»Ich danke Ihnen.«
Nachdem der Wagen um die Ecke gebogen war, wandte sich Leon um und legte den Arm um Valerie. Nebeneinander stehend, betrachteten sie den Koloss aus Beton und Metall und Glas, der oberhalb der breiten, steinernen Freitreppe aufragte. Die unregelmäßigen Konturen muteten wie Bruchstellen an, als wäre dieser Brocken erst kürzlich mit einer gewaltigen Erschütterung, Staubwolken aufwirbelnd, vom Himmel gefallen. Schwer wie der Mond, ewig wie die Sonne.
Sie stiegen empor und traten ein. Das Abendrot fiel durch die Fensterfront; es hätte das Foyer mit dem spiegelnden Marmorboden dem Eindruck nach zum Glühen gebracht, wäre die Klimaanlage nicht solchermaßen aufgedreht gewesen, dass es Valerie in ihrer kurzärmligen Bluse fröstelte.
Zwei Stockwerke hoch war das Foyer. Treppen führten links und rechts des Empfangstresens hinauf zur Galerie. Wer von dort oben einen Blick in die Mitte der Halle warf, verlangsamte die Schritte, blinzelte, starrte. Einer jungen Frau fiel das Tablet aus der Hand. Ein Mann, der sich über das Geländer beugte, nickte Leon zu wie einem alten Bekannten. Dann kratzte er sich am Hinterkopf, tat einen Schritt nach hinten und verschwand.
Valerie ergriff Leons Arm. »Bist du nervös?«, fragte sie.
Er zuckte die Schulter. »Bin ich ein Mensch?«
Valerie lächelte. »Deshalb sind wir ja hier.«
Zur Linken öffnete sich eine Tür, und eine Frau mit blondem Haar, zum Pferdeschwanz gebunden, eilte herbei. Sie trug eine Brille mit dickem, rotem Rahmen und hatte ein breites, weißes Grinsen im Gesicht. »Entschuldigen Sie bitte!«, rief sie. »Es tut mir ja so leid! Es gab noch einige Details zu klären.« Obwohl sie gewiss viele Prominente willkommen geheißen hatte, schien sie sich über Valeries und Leons Ankunft besonders zu freuen. »Sie wissen ja, wie das ist«, sagte sie. »Man hat alles vorbereitet, geht die Flure auf und ab, weil man nur darauf wartet, dass es losgeht, und dann fällt einem last-minute noch etwas Wichtiges ein.« Sie räusperte sich. »Wie dem auch sei«, sagte sie. »Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Fahrt. Rémi kann ein wenig mürrisch sein, aber er ist immer pünktlich. Apropos …« Sie sah auf die Uhr. »Monsieur Witt, Mademoiselle – wenn Sie mir bitte folgen möchten?«
Valerie warf Leon einen konsternierten Blick zu. »Sie hat mich nicht mit Namen angesprochen«, raunte sie ihm auf Deutsch zu.
»Nicht jetzt«, flüsterte er streng, den gutmütigen Ausdruck jedoch wahrend.
Ja, ja, dachte Valerie und verzog den Mund. Haltung.
Die Mitarbeiterin wandte sich im Gehen um, zu Leon, den Kopf geneigt. »Und es soll wirklich Ihr letztes Interview sein?«, fragte sie im Tonfall des Bedauerns.
»Das kann ich Ihnen versichern. Ich brauche Zeit für das nächste Projekt.«
»Ich verstehe. Kann das Publikum von Ihrem aktuellen Werk auch offenkundig nicht genug bekommen, erwartet man mit Spannung, was darauf folgen mag. Man muss auf den Künstler verzichten lernen, wenn man mehr von ihm will.«
»Das hätte ich nicht besser ausdrücken können.«
Die Mitarbeiterin lachte. »Oh, ich bin sicher, das könnten Sie.« Ihr Blick verweilte einen Moment auf Leon. Erwartungsvoll. Womöglich hoffte sie, dass er sich gleich an einer noch treffenderen Formulierung versuchen würde. »Jedenfalls«, nahm sie das Wort zögerlich wieder auf, »fühlen wir uns geehrt, dass Sie das letzte Interview zu Spiegel und Vision in unserer Sendung geben. Wissen Sie, wenn man Ihre Romane aufmerksam liest, kann stellenweise der Eindruck entstehen, dass Sie das Fernsehen nicht besonders schätzen.«
»Das tue ich auch nicht. Doch viele andere tun es. Heute noch führt, wenn man eine große Anzahl Menschen erreichen will, kein Weg an diesem Medium vorbei. Daher bedanke ich mich trotz meiner Vorbehalte herzlich für die Einladung.«
»Sie wollen eine große Anzahl Menschen erreichen«, sagte die bebrillte, grinsende Frau, dass es beinahe wie eine Frage klang.
Valerie wandte sich zum Schmunzeln ab. Ein Interview vor dem Interview!
»Jeder echte Künstler will das«, sagte Leon. »Kunst ist nicht allein die kreative Arbeit, sondern auch eine Mission.«
»Deshalb wünschen Sie das Interview auf Englisch zu führen – obwohl Ihr Französisch wirklich gut ist.«
»Mein Französisch mag nicht schlecht sein«, sagte Leon, »doch auf Englisch fällt es mir leichter. Ich darf nicht riskieren, etwas Falsches zu sagen oder einen Gedanken unklar auszudrücken. Jeder soll exakt das verstehen, was ich meine.«
»Ein unmögliches Ziel!«, lachte die Frau schrill auf, den Eindruck des professionellen Zwiegesprächs zerstreuend.
Leon erwiderte das Lachen nicht. »Nur unmögliche Ziele sind überhaupt eine Anstrengung wert.«
Die Mitarbeiterin des Senders führte den berühmten Gast und seine Begleitung erst in die Garderobe und dann in die Maske. Sie bot Getränke und Canapés an.
»Merci«, sagte Valerie, als sie ihr Glas Champagner nahm.
Sie nippte daran, während sie die Handgriffe der Maskenbildnerin überwachte.
Nachdem das Werk getan war, trafen sich Valeries und Leons Blicke im Spiegel. Sie nickte. Er auch. Das Glas war leer; Valerie fühlte sich ein wenig besser. Die Nervosität, die sie empfunden hatte, war verschwunden.
Und Leon? Sein ruhiges Gemüt wahrte er stets, nun aber war er absolut still geworden. Valerie kannte ihn in diesem Zustand und versuchte nicht, die Konversation wiederzubeleben. Der Missionar bereitete sich vor, indem er schwieg. Auch Valerie lehnte sich zurück. Schloss die Augen. In den Nebenräumen ging es hektisch zu, doch verschwammen die Geräusche, verwässerten mit einer inneren Ruhe, die allmählich beständiger wurde. Die einen zuerst umwand wie warme Wolken und dann umwickelte wie eine weiche Decke.
»Kann es losgehen?« Die Stimme der Mitarbeiterin riss Valerie aus der Trance.
Blinzelnd wandte sie sich zur Uhr. Eine halbe Stunde war vergangen.
»Jawohl«, sagte Leon, der sich erhob. »Fangen wir an.«
»Du wirst das wunderbar machen«, sagte Valerie. »Wie immer.«
Langsamen Schrittes folgte Leon der Mitarbeiterin. Nahe des Ausgangs wandte er sich um. »Ich werde versuchen, dich zum Lachen zu bringen«, rief er.
»Ich würde lieber weinen müssen«, gab Valerie zurück.
»Heute also tiefsinnig?«
»Ich weiß nicht.«
Leon lächelte. »Was denn nun?«
»Ich will beides.«
»Gut«, sagte er. Und verschwand.
Eine Minute verging. Dann war der tosende Applaus bis in die Maske zu hören.
2
Auf der alten Straße wurde der Transporter ordentlich durchgeschüttelt. Er federte schlecht. Oder gar nicht. Über Stein und Wurzel ging es, und das eine ganze Weile. Die Kiefer krachten einem aufeinander, und das Hirn klatschte gegen die Schädeldecke. Dabei hatte Zoe schon dröhnende Kopfschmerzen von der ewigen Schwüle.
»Nimm doch nicht jeden Kiesel mit«, stöhnte Kain.
Babs machte eine verächtliche Grimasse. »Du läufst gleich.«
Don drehte die Musik weiter auf. Hektischer Technobeat, beißende Synthesizer, Rap mit verzerrter Stimme. Es klang genau wie alles andere, was Zoes Freunde hörten. Musik von Maschinen war das, mit der man sich nicht erwischen lassen durfte.
Die Hitze machte träge und gleichgültig. Zoe ließ sich in den Sitz sinken. Presste die Finger auf die Augenlider. Versuchte, regelmäßiger und tiefer zu atmen. Der Stoff des T-Shirts war nass am Rücken und unter den Achseln.
Dann ging es zwischen den Hügeln hinab und in den Wald. Die Steine wurden größer und die Wurzeln dicker. Die Kartons und Kisten im Kofferraum rumpelten und polterten, ab und zu schepperte es.
»Geht da nichts kaputt?«, fragte Zoe.
»Schwachsinn«, antwortete Don.
Babs sagte: »Das wird besser davon.«
Kain lachte.
Zwischen Wald und Moor führte die Straße ein Stück hinauf. Man hatte freie Sicht aufs Tal, das im Abendlicht lag. Es sah aus, als wäre die Sonne runtergestürzt und auf den Bergkamm geschlagen, zerschellt wie ein riesiger Kürbis, blutroten Saft über den Himmel verspritzend. Keiner hatte was gehört, dabei musste es ja einen gewaltigen Rums gegeben haben. Keinen kümmerte es. Die Welt drehte sich weiter, die Menschen gingen ihren Geschäften nach. Das Gesetz der Trägheit galt auch für die Gesellschaft.
»Verdammt«, sagte Don, »seht euch die Sonne an!«
»Wie Feuer«, sagte Babs.
Kain schnaubte. »Die leuchtet nur über Cielterre.«
Cielterre, Himmelserde. Aus der Ferne sahen sie den Ort, in dem reiche Aussteiger sich den Luxus gönnten, nicht mehr Teil der Gesellschaft zu sein. Der »Masse«, wie man sagte, obwohl jeder versuchte, wahnsinnig individuell zu sein.
»Im Schatten«, sagte Zoe, »lebt es sich nicht schlecht, wenn man weiß, wie. Aber bald schnappen wir uns das Licht.«
Von außen sah die Fabrik verlassen aus. Man ahnte, dass hier mal alles voller Arbeiter und voller Maschinen gewesen sein musste. Voller Rohstoffe und voller Produkte und voller Gier nach Profit. Aber jetzt? Der überwucherte Stein und das verrostete Blech, die ganze Ödnis davor und die ganze Wildnis drumherum, das ließ einen glauben, dass hier Jahre und Jahrzehnte lang keine Menschenseele mehr ein- oder ausgegangen war.
Es täuschte den arglosen Betrachter darüber hinweg, dass sich im Inneren dieses grässlichen Gebildes seit einigen Tagen wieder etwas regte. Die ramponierte, kalkverkrustete Muschelschale hatte neue Bewohner, klein und unscheinbar, aber bewaffnet mit spitzen Zähnen und scharfen Giftkrallen, die ohne Vorwarnung jedem ins Fleisch drangen, der einen Blick rein wagte. Die Leichtsinn und Neugier tödlich bestraften, einem den Garaus machten, noch bevor man die glühenden Augen in den Schatten aufblitzen sah.
»Zoe?«
»Huh?«
»Kommst du?«
»Äh, ja, ja!«
Zoe, die jetzt Verantwortung trug, setzte einen skeptischen Blick auf, als sie eintrat. Aber man hatte ihr nicht zu viel versprochen: Die verfallenden Hallen, die sie vor einer Woche zu ihrem Heim erkoren hatten, waren kaum wiederzuerkennen. Sauberer war es nicht, dafür deutlich lebhafter: Überall Jungs, die Hämmer schwangen oder Kisten trugen, und Mädels, die Werkzeuge anreichten oder Regale einräumten. Überall auf den Tischen Leergut, Pizzakartons, Tüten von Fastfood-Ketten und achtlos liegengelassene Handys. Auf dem Boden Pappteller, Plastikbesteck, und, in der Ecke, Rucksäcke, alle auf einen Haufen geworfen. Und was für ein Krach! Die Geräuschkulisse war weit entfernt von der gespenstischen Stille, die einen bei der ersten Besichtigung der Location empfangen hatte.
Babs kam herbei. Sie war mit der Aufgabe betraut gewesen, die Arbeiten zu überwachen. Zoe selbst hatte in der letzten Woche dafür Sorge getragen, dass man den alten Unterschlupf besenrein hinterließ. Dass man alle Spuren beseitigte.
»Und?«, fragte Babs. »Sind wir zufrieden?«
Die Augen richteten sich auf Zoe.
Jemand stöhnte erschöpft. »Ich kann’s nur hoffen. Es war ’ne Heidenarbeit.«
»Eine Heidenarbeit!«, pflichtete jemand anders bei.
»Wir hätten uns ja noch weiter umgesehen …«, meinte der Erste wieder.
»Es ist perfekt«, erwiderte Zoe, »glaub mir.« Nie und nimmer hätten sie auch nur was Vergleichbares in der Nähe gefunden. Eine verlassene Fabrik hinter einem schönen dichten Wald und einem verdammten Moor, besser ging es doch gar nicht.
Zoe nannte den Ort die »Fabrikhölle« und kam sich clever vor. Ein Wortspiel, das nicht einer gewissen Mystik entbehrte, und auf den Punkt brachte, was sich hier bot: Es war düster, es wurde geschrien, es roch nach Schweiß und Schwefel – na, jedenfalls roch es chemisch –, die Hitze war nicht loszuwerden und man hatte aus unerfindlichen Gründen dauernd einen bitteren Geschmack im Mund. In den Ecken kauerten Gestalten, bei deren Anblick sich einem der Magen umdrehte: Das waren die Dämonen. Ein paar Fackeln an die Wände, ein paar Kerzen auf die Tische, dann wäre das Bild komplett.
Zoe hatte diesen Ort geschaffen. Sie hatte ihn gefunden und tatkräftig bei der rudimentären Instandsetzung – kaltes Wasser, schwacher Strom – und der Einrichtung mitgewirkt. Zoe war die erzdämonische Raumgestalterin im Haus des Teufels. Und sie hatte ihre Sache gut gemacht. Hätte man das Zepter jemand anders in die Hand gegeben, Don oder Kain, würden sie jetzt ein Erdloch verstollen oder sich verschlissene Zelte mit Spinnen und Asseln teilen.
Davon abgesehen, hatte Zoe keine Wahl gehabt, als man an sie rangetreten war. Irgendwas mit »vertrauensvolle Aufgabe«, irgendwas mit »Deadline«. Der Auftrag kam von ganz oben. Da fragte man nicht nach. Da zeigte man sich dankbar, fühlte sich geehrt.
»Lasst mal«, sagte Babs zu den Jungs, die ihre Kartons und Kisten wieder auf die Schultern hieven wollten. »Wir gönnen uns jetzt was.«
Das klang gut. Zoe hoffte, der Alkohol würde gegen die Kopfschmerzen helfen. Tabletten hatte sie keine mehr.
Sie setzten sich an einen der abgeranzten Plastiktische, halb beige-, halb moosfarben, die kreuz und quer in der Halle standen. Da öffnete jeder seine Dose mit einem Zischen und begann ohne Umschweife, sich das Bier in die Kehle zu schütten. Don exte seins. Babs brauchte keine Minute für ihrs. Und auch Kain nahm den letzten Schluck, noch bevor so was wie eine Unterhaltung zustande gekommen war. Worüber hätte man sprechen sollen, nüchtern? Erst ab einem gewissen Pegel fing Geselligkeit an, Spaß zu machen. Also gleich das zweite hinterher! Zoe wurde schwindlig, als sie sich nach dem Kasten streckte. Bloß nichts anmerken lassen! Die spöttischen Bemerkungen der Freunde – oder wen man so nannte – konnten einem zusetzen, wenn man einen schwachen Moment hatte. Den Schatten von Stolz zerstreuen, den man empfand, weil man dazugehörte.
Zoe und die anderen lästerten, lachten, rauchten, soffen. Es hatte nicht lange gedauert, bis alle vier voll genug waren, die schelmischen Masken abzulegen und sich kameradschaftlich zu vergnügen. Man tauschte Zigaretten und Komplimente aus und stieß mit jeder Dose an, auch mehrfach. Ein Schleier trunkener Heiterkeit legte sich über die Gruppe, aus dem man den Rest der Fabrikhölle kaum mehr wahrnahm.
»Hey, sagt mal«, lallte Kain, das Kinn reckend, »warum ist denn die Flimmerkiste aus?«
Den Namen hatte sich der pummelige Junge mit dem ordentlich gekämmten Haar, den Knopfaugen und den Wangen, die wie Apfelwachs glänzten, selbst gegeben. Wenn man ihn fragte, wie er früher genannt wurde, bekam man keine Antwort. Zoe hätte geraten, dass er Felix oder Kai oder Kevin hieß. Nur so ein Gefühl.
»Wer sagt denn ›Flimmerkiste‹?«, lachte Babs. Sie kratzte sich den Arm. Die ganze Zeit kratzte sich Babs irgendwo. Zoe konnte sie sich gar nicht in stiller Haltung vorstellen. Das Mädel kratzte sich die Arme, die Taille, die Beine. Sie zupfte an der Haut zwischen ihren Fingern. Sie beugte sich unter den Tisch, um über die Knöchel zu reiben.
Dons Zottel hingen ihm ins Gesicht. Sie waren pechschwarz, aber übersät mit Schuppen. Er griff träge nach der Fernbedienung. »Feierabend!«, rief er mit dröhnender Stimme in die Halle. »Ich mein’s ernst, ihr Dumpfbacken! Hört auf mit dem Krach!« Dann schaltete er ein.
Zwei Personen saßen da. Ein Interview. Ein bekanntes Studio, blau und weiß und golden. Zoe kannte die Sendung. Irgendwas mit »Welt«? »Zeit«?
Schnitt: die Moderatorin. Brünett, seriöser Blick, nur die Bluse zu weit offen. Sie hielt die Karten locker in der Hand. Aufrichtiges Interesse, oder gut gespielt. »Es ist immer wieder