„Dysmorphophobie“ – Versionsunterschied
[gesichtete Version] | [gesichtete Version] |
Inhalt gelöscht Inhalt hinzugefügt
KKeine Bearbeitungszusammenfassung |
eher medizinisch, psychiatrisch, neurologisch und psychologisch als theologisch und philosophisch |
||
(47 dazwischenliegende Versionen von 31 Benutzern werden nicht angezeigt) | |||
Zeile 1:
{{
| 01-CODE = F22.8
| 01-BEZEICHNUNG = ''Sonstige anhaltende wahnhafte Störungen''<br />Wahnhafte Dysmorphophobie
| 02-CODE = F45.2
| 02-BEZEICHNUNG = ''Hypochondrische Störung''<br />Dysmorphophobie (nicht wahnhaft)
}}
== Etymologie und Synonyme ==
<!--
Zeile 15:
Der Ausdruck ist ein [[Gräzismus]], gebildet aus dem [[Altgriechische Sprache|altgriechischen]] ''dys'' ‚schlecht‘ (hier im Sinne von ‚Miss-‘) und ''morphé'' ‚Form‘ (hier im Sinne von ‚gestaltet‘) sowie ''phóbos'' ‚Furcht‘. Er wurde erstmals 1886 von dem Turiner Neurologen [[Enrico Morselli]] (1852–1929) verwendet.<ref>Enrico Morselli: ''Sulla dismorfofobia e sulla tafefobia.'' Band VI. Bollettino Accademia delle Scienze, Mediche di Genova 1886. S. 110–119.</ref> Die [[ICD-10]] hat diesen Ausdruck übernommen.
Synonyme sind ''Missgestaltsfurcht'', ''
Eine weitere klinische Störung ist die
Diese Symptomatik wird oft als ''Adonis-Komplex'' bezeichnet.<ref>Harrison G. Pope, Katherine A. Phillips, Roberto Olivardia: ''Der Adonis-Komplex. Schönheitswahn und Körperkult bei Männern.'' dtv, München 2001, ISBN 3-423-24249-3.</ref> Auch die Ausdrücke ''Körperdysmorphie'' bzw. ''body dysmorphia'' oder ''Muskeldysmorphie'' bzw. ''muscle dysmorphia'' finden für die männliche Form bis heute Verwendung.<ref>C. G. Pope, H. G. Pope, W. Menard, C. Fay, R. Olivardia, K. A. Phillips: ''Clinical features of muscle dysmorphia among males with body dysmorphic.'' In: ''Body Image.'' Band 2, 2005, S. 395–400.</ref><ref>G. Kanayama, S. Barry, J. I. Hudson, H. G. Pope Jr.: ''Body image and attitudes toward male roles in anabolic-androgenic steroid users.'' In: ''American Journal of Psychiatry.'' Band 163, 2006
Der Unterschied zur körperdysmorphen Störung besteht darin, dass bei der [[Muskeldysmorphie]] nicht einzelne Körperteile als entstellt wahrgenommen werden, sondern sich der wahrgenommene Makel auf die gesamte [[Muskulatur]] bezieht: Betroffene gehen davon aus, zu klein und schmächtig zu sein. Darin besteht nun auch der Unterschied zur klassischen Essstörung,
== Definitionen ==
Morselli definierte eine
*
* Scham gegenüber Mitmenschen und
*
– als [[pathognomonisch]] für die Erkrankung.
Das Buch ''Pflegediagnosen und Maßnahmen''<ref>Marilynn Doenges, Mary Frances Moorhouse, Alice C. Geissler-Murr
Price (1999)<!-- Literatureintrag?--> definiert: „Ein verändertes Körperbild liegt vor, wenn individuelle und soziale Copingstrategien zur Veränderung der Körperrealität, des Körperideals und der Körperrepräsentation durch Verletzung, Erkrankung oder Behinderung oder soziale [[Stigmatisierung]] unwirksam oder überfordert werden.“
Das DSM-IV nennt die folgenden drei Kriterien, nach denen eine ''Body Dysmorphic Disorder'' angenommen werden kann:<ref name=":0">{{Literatur |Autor=Ulrike Buhlmann, Heide Glaesmer, Ricarda Mewes, Jeanne M. Fama, Sabine Wilhelm |Titel=Updates on the prevalence of body dysmorphic disorder: A population-based survey |Sammelwerk=Psychiatry Research |Band=178 |Nummer=1 |Datum=2010-06 |DOI=10.1016/j.psychres.2009.05.002 |Seiten=171–175}}</ref>
* A: Beschäftigung mit einem eingebildeten Schönheitsfehler. Wenn eine leichte körperliche Anomalie vorhanden ist, ist die Sorge der Person deutlich übertrieben.
* B: ''Eines der folgenden Kriterien trifft zu.''
** B1: Die Beschäftigung mit dem Schönheitsfehler verursacht klinisch signifikanten Stress, oder
** B2: Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
* C: Die Beschäftigung mit dem Schönheitsfehler ist nicht besser durch eine andere psychische Störung erklärbar (z. B. Unzufriedenheit mit der Körperform und -größe bei [[Anorexia nervosa]]).
== Häufigkeit ==
Eine Studie aus 2009, die über 2.500 [[Repräsentativität|repräsentativ]] ausgewählte Deutsche im Alter von 14 bis 93 Jahren befragte, ermittelte eine [[Prävalenz]] von 2,0 % bei Frauen und 1,5 % bei Männern bezogen auf die ''Body Dysmorphic Disorder'' nach den DSM-IV-Kriterien. Nur bezogen auf die Kriterien A und B (ohne Ausschluss anderer psychischer Störungen) liegt die Häufigkeit bei 5,6 % für Frauen und 2,5 % für Männer.<ref name=":0" /> Eine [[systematische Übersichtsarbeit]] aus 2016 ermittelte eine Prävalenz von 1,9 % in der allgemeinen erwachsenen Bevölkerung (2,1 % bei Frauen, 1,6 % bei Männern).<ref>{{Literatur |Autor=David Veale, Lucinda J. Gledhill, Polyxeni Christodoulou, John Hodsoll |Titel=Body dysmorphic disorder in different settings: A systematic review and estimated weighted prevalence |Sammelwerk=Body Image |Band=18 |Datum=2016-09 |DOI=10.1016/j.bodyim.2016.07.003 |Seiten=168–186}}</ref>
== Ursachen ==
Die genauen Ursachen für die Entstehung der körperdysmorphen Störung sind unbekannt. Es wird mittlerweile angenommen, dass sowohl biologische als auch soziokulturelle Faktoren hierbei eine Rolle spielen könnten. Vor allem im angelsächsischen Wissenschaftsbetrieb wird die körperdysmorphe Störung ebenso wie u. a. [[Hypochondrie]], [[Trichotillomanie]] und [[Anorexia nervosa]] zu den [[Zwangspektrumstörung|Zwangsspektrumserkrankungen]] ''(Obsessive Compulsive Spectrum Disorders)'' gezählt. Die Ursachen seien daher ähnlich wie bei der [[Zwangsstörung]].<ref>
In jüngster Zeit wird ein Zusammenhang zwischen der Nutzung [[Soziale Medien|sozialer Medien]] und der Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper bzw. damit zusammenhängend die Entwicklung einer körperdysmorphen Störung diskutiert. Insbesondere der häufige visuelle Vergleich mit anderen, als besser aussehend wahrgenommenen Personen („Aufwärtsvergleich“) könnte die Entwicklung von Symptomen begünstigen, die den Symptomen der körperdysmorphen Störung ähneln, und zudem zur Aufrechterhaltung der Symptome beitragen. Während Frauen möglicherweise mehr Zeit in sozialen Medien verbringen und dort auch häufiger visuelle Vergleiche durchführen und daher stärker betroffen sein könnten, kann auch bei Männern eine negative Auswirkung auf die eigene Körperwahrnehmung im Zusammenhang mit sozialen Medien festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf die Muskulatur.<ref>{{Literatur |Autor=Francesca C. Ryding, Daria J. Kuss |Titel=The use of social networking sites, body image dissatisfaction, and body dysmorphic disorder: A systematic review of psychological research. |Sammelwerk=Psychology of Popular Media |Band=9 |Nummer=4 |Datum=2020-10 |ISSN=2689-6575 |DOI=10.1037/ppm0000264 |Seiten=412–435}}</ref>
== Symptome ==
Die Betroffenen nehmen ihren Körper oder einzelne Körperteile als [[Hässlichkeit|hässlich]] oder entstellt wahr. Am häufigsten werden das Gesicht und der Kopf so wahrgenommen, z. B. infolge von Akne, Narben, einer als zu groß empfundenen Nase oder Ohren oder asymmetrischen Gesichtszügen. Etwas seltener werden Füße oder Geschlechtsteile so wahrgenommen.
Die Betroffenen leiden wegen dieser Einschätzung ihres Aussehens oft unter zwanghaften Gedanken, die bis zu mehrere Stunden am Tag andauern können. Weiterhin zeigen sie oftmals sogenannte ritualisierte Verhaltensweisen: Überprüfen des Erscheinungsbildes in Spiegeln oder anderen reflektierenden Oberflächen, Vergleichen des eigenen Aussehens mit dem von anderen Personen, Auftragen von Makeup oder anderen Kosmetikartikeln.
Viele der Betroffenen haben keine oder nur eine geringe Krankheitseinsicht,
Der Dopingforscher Luitpold Kistler hat darauf hingewiesen, dass die Krankheit auch bei [[Bodybuilding|Bodybuildern]] auftritt, die trotz objektiv enormer Muskelmasse vermeintliche Defizite an sich feststellen würden:<ref name="Kistler">Frieder Pfeiffer:
{{Zitat|Diese Menschen haben ein gestörtes Selbstbild. Wenn ein 140 Kilogramm schwerer, muskelbepackter Mann, der zehn Kilogramm abnimmt, nicht mehr aus dem Haus
Auch [[Selbstverletzendes Verhalten]] (SVV) ist häufiges Symptom für Störungen in der Wahrnehmung hinsichtlich des eigenen Körpers.
=== Soziale Folgen ===▼
Die Fremdwahrnehmung hinsichtlich des eigenen Körpers weist bei Dysmorphophobie große bis extreme Unterschiede zur [[Selbstwahrnehmung]] auf. Die Betroffenen fühlen sich häufig in der Öffentlichkeit von anderen angestarrt und fürchten, die vermeintliche Entstellung gebe anderen Anlass zu Ablehnung, Verachtung oder anderen negativen Bewertungen. Aufgrund der befürchteten Hässlichkeit des eigenen Körpers ist es für Betroffene oftmals schwierig bis unmöglich, sich mit als attraktiv empfundenen Personen zu unterhalten und eine Liebesbeziehung zu führen.
Dysmorphophobie kann den Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben zur Folge haben, in Extremfällen auch eine vollständige [[
Eine weitere Folge kann der Wunsch nach einer [[Schönheitsoperation|kosmetischen Korrektur]] der angeblichen Defizite sein.<ref>Theo K. Bouman et al.: ''Cosmetic Professionals Awareness of Body Dysmorphic Disorder.'' In: ''Plastic & Reconstructive Surgery.'' Band 139, Nr. 2, 2017, S. 336–342, [[doi:10.1097/PRS.0000000000002962]], [http://journals.lww.com/plasreconsurg/Fulltext/2017/02000/Cosmetic_Professionals__Awareness_of_Body.16.aspx Volltext]</ref>
== Behandlung ==
Zeile 59 ⟶ 76:
Eine [[Metaanalyse]] der kognitiv-behavioralen Psychotherapieresultate aus acht [[Fallserie]]n und zwei kontrollierten Untersuchungen ergab, dass [[kognitive Verhaltenstherapie]] bei Patienten mit einer Dysmorphophobie bzw. körperdysmorphen Störung wirksam ist.<ref>J. Williams, T. Hadjistavropoulos, D. Sharpe: ''A meta-analysis of psychological and pharmacological treatments for body dysmorphic disorder.'' In: ''Behavior Res. Therapy.'' Band 44, 2006, S. 99–111.</ref>
Ebenso haben sich [[Serotonin-Wiederaufnahmehemmer]] als wirksam erwiesen.<ref>E. Hollander, M. R. Leibowitz, R. Winchel et al.: ''Treatment of body-dysmorphic disorder with serotonin uptake blockers.'' In: ''American Journal of Psychiatry.'' Band 146, 1989, S. 768–770.</ref><ref>K. A. Phillips, R. S. Albertini, J. M. Siniscalchi, A. Khan, M. Robinson: ''Effectiveness of pharmacotherapy for body dysmorphic disorder: a chart-review study.'' In: ''Journal of Clinical Psychiatry.'' Band 62, 2001, S. 721–727.</ref> Insbesondere [[Fluoxetin]] zeigt ein gutes Ansprechen in [[Monotherapie]].<ref>
==
<references />▼
* [[Body Integrity Identity Disorder]]▼
* [[Lookism]]▼
* [[Idealbild]]▼
* [[Schönheitsoperation]]▼
* [[Zönästhesie]]
== Literatur ==
* {{Literatur|Autor=Stefan Brunhoeber,
|TitelErg=Ein Therapiemanual [mit CD-ROM] |Verlag=Hogrefe |Ort=Göttingen/Bern/Stockholm/Wien/Paris/Oxford/Prag/Toronto/Cambridge, MA/Amsterdam/Kopenhagen |Jahr=2009 |ISBN=978-3-8017-2213-5 * {{Literatur
|Autor=Marilynn E. Doenges, Mary Frances Moorhouse, Alice C. Geissler-Murr
|Titel=Pflegediagnosen und Maßnahmen
|Herausgeber=Chris Abderhalden, Regula Ricka
|Auflage=3., vollständig überarbeitete und ergänzte
|Verlag=Hans Huber
|Ort=Bern/Göttingen/Toronto/Seattle
|Jahr=2002
|ISBN=3-456-82960-4
|Übersetzer=Annina Hänny
|Originaltitel=Nurse’s Pocket Guide}}
* {{Literatur
|Autor=Harrison G. Pope, Katherine A. Phillips, Roberto Olivardia
|Titel=Der Adonis-Komplex
|TitelErg=Schönheitswahn und Körperkult bei Männern
|Verlag=dtv (Taschenbuch 24249)
|Ort=München
|Jahr=2001
|ISBN=3-423-24249-3}}
* {{Literatur
|Autor=Lissy Scharf
|Titel=Adonis-Komplex
|TitelErg=Körperwahrnehmung und Körperwahrnehmungsstörungen bei Männern
|Ort=Bernburg
|Jahr=2005
|Kommentar=Diplomarbeit an der [[Hochschule Anhalt]]<!-- ohne ISBN -->}}
== Weblinks ==
* [http://www.koerperdysmorphestoerung.de/ koerperdysmorphestoerung.de]
* ''Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik'': [https://lexikon.stangl.eu/8123/dysmorphophobie/ Dysmorphophobie]
== Einzelnachweise ==
{{Gesundheitshinweis}}▼
▲<references />
▲{{Gesundheitshinweis}}
▲* [[Body Integrity Identity Disorder]]
▲* [[Lookism]]
▲* [[Idealbild]]
▲* [[Schönheitsoperation]]
[[Kategorie:
[[Kategorie:Körperbau]]
|