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Theoriefindung. Hier wäre wichtiger: Darstellung der verschiedenen theaterwissenschaftlichen, lit-wissenschaftlichen, historischen Analysen, zugeordnet den wichtigsten Autoren und Arbeiten zum Thema. Der Absatz, so wie er da stand, war dagegen eher eine essayistische Abschweifung ohne Quelle oder Zuordnung, daher mutmaßlich Theoriefindung.
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Ein [[Oratorium]] ist eine relativ feste konzertante Form, i. d. Regel eine mehrteilige und mehrstimmige dramatische Erzählung eines religiösen Inhalts, in Westeuropa meist für die [[Passion Jesu|Passion]]s- und [[Weihnachtsgeschichte]] genutzt. Inhalte sind demnach traditionell Kernereignisse des christlichen Mythos, die letztlich Erlösung und Rettung thematisieren – im vorliegenden Oratorium dagegen wird der Zivilisationsbruch des [[Holocaust]] zu einem Kerngeschehen, das jegliche Rettung ausschließt.
 
Die elf „Gesänge“ der ''Ermittlung,'' die sowohl erzählende wie auch dialogische Funktion haben, fassen die Aussagen gegen verschiedene Bewacher wie in Kapiteln thematisch zusammen; sieübertitelt folgensind dem Wegsie der Opfer von der [[Selektion (Konzentrationslager)|Rampe]] bei der Ankunft in Auschwitz bis zum [[Gaskammern und Krematorien der Konzentrationslager Auschwitz|Feuerofen]], so dass von immer grausameren Facetten der anonymen [[Gaskammer (Massenmord)|Massenvernichtung]] berichtet wird. Diese Gliederung greift damit auch auf die Darstellung des christlichen Leidensweges in Stationen zurück, zum Beispiel in [[Albrecht Dürer]]s [[Große Passion|Großer Passion]] in elfReihe Holzschnitten.nach:
*Gesang von der Rampe
*Gesang von der Aufnahme
*Gesang von der Schaukel
*Gesang von der Möglichkeit des Überlebens
*Gesang vom Ende der Lilly Tofler
*Gesang vom Unterscharführer Stark
*Gesang von der schwarzen Wand
*Gesang vom Fenol
*Gesang vom Bunkerblock
*Gesang vom Zyklon B
*Gesang von den Feueröfen.
 
Die Teile folgen damit dem Weg der Opfer von der [[Selektion (Konzentrationslager)|Rampe]] bei der Ankunft in Auschwitz bis zum [[Gaskammern und Krematorien der Konzentrationslager Auschwitz|Feuerofen]], so dass von immer grausameren Facetten der anonymen [[Gaskammer (Massenmord)|Massenvernichtung]] berichtet wird. Diese Gliederung greift auch auf die Darstellung des Leidensweges in Stationen zurück, zum Beispiel in [[Albrecht Dürer]]s [[Große Passion|Großer Passion]] in elf Holzschnitten.
 
Anders als im historischen Auschwitzprozess stehen nur 18 Angeklagte vor Gericht. Diese lassen sich durch ihre Namen und Aussagen klar identifizieren. Die Aussagen von mehreren hundert Zeugen dagegen fasst Weiss in den fiktiven, repräsentativen, aber anonymisierten Zeugenfiguren 1–9 zusammen. Unter ihnen stehen zwei Zeugen als Helfer von außerhalb des Lagers auf der Seite der Angeklagten, die anderen Zeugen sind ehemalige Häftlinge, darunter auch zwei Frauen. Die Anonymisierung der Zeugen folgt dem realen Geschehen, in dem die Namen der Opfer in Auschwitz einer in die Haut tätowierten Nummer weichen mussten.
 
Weiss präsentiert die Aussagen von Angeklagten und Zeugen, von Verteidigern, Anklägern und Richtern auf eine solche Weise, dass die Widersprüche zwischen den Aussagen der Täter und der Opfer den ganzen Text durchlaufen und die Zuschauer ohne einen festen Boden permanent zu eigenen Wertungen zwingen. Das [[Schluss (Literatur)|offene Ende]] des Stücks entspricht dem entpsychologisierten Ansatz des Autors, der die gesellschaftliche Verantwortung des Individuums und seine Wahlmöglichkeiten auch unter den Rahmenbedingungen der Diktatur fokussieren wollte.
 
== Der Massenmord aus der Gesellschaft ==
[[Datei:Interessengebiet KZ Auschwitz.svg|mini|KZ Auschwitz als Endverzweigung eines Systems]]
Die Bereitschaft zur Beihilfe zum Massenmord verknüpft Weiss nicht mit psychologischen, sondern mit ökonomischen Zusammenhängen: In den ''Ermittlungen'' erläutert der früher politisch tätige Zeuge 3 im ''Gesang von den Feueröfen III'', dass der Massenmord ohne die Unterstützung von „tausend Amtsstellen“ und „Millionen anderer“ nicht hätte funktionieren können, was die Verteidigung als Vorwürfe „gegen eine ganze Nation“ versteht. Zeuge 3 spricht bereits vorher im ''Gesang von der Möglichkeit des Überlebens II'' von den zugewiesenen „Rollen der Bewacher“ und der Häftlinge, die auch „einen Bewacher abgeben können“: „Wir kannten alle die Gesellschaft, aus der das Regime hervorgegangen war, das solche Lager erzeugen konnte. Die Ordnung, die hier galt, war uns in ihrer Anlage vertraut, deshalb konnten wir uns auch zurechtfinden in ihrer letzten Konsequenz, in der der Ausbeutende in bisher unbekanntem Grad seine Herrschaft entwickeln durfte und der Ausgebeutete noch sein Knochenmehl liefern musste.“ (Alle Satzzeichen hier ergänzt.) Es geht dem Zeugen 3 darum, die moralisierende „erhabene Haltung“ zu einer Kritik am Kapitalismus zu erweitern.<ref>„Ermittelt wird ein Sachverhalt, dessen politische Ursachen für Peter Weiss schon geklärt sind und die im Stück als kapitalismuskritische Erklärungsversuche des Zeugen 3 vorkommen.“ [https://www.menschenrechte.org/de/2022/01/27/die-ermittlung-von-peter-weiss-als-projekt-der-historisch-politischen-bildung¹/] </ref>
 
== Sprachliche Form und Entlastungsrhetorik ==
[[Datei:Bundesarchiv Bild 183-N0827-318, KZ Auschwitz, Ankunft ungarischer Juden.jpg|mini|Bundesarchiv Bild 183-N0827-318, KZ Auschwitz, Ankunft ungarischer Juden]]
Bewusst verzichtet Weiss auf ausschmückende Elemente: Das [[Bühnenbild]] soll sich auf einen nüchternen Gerichtssaal beschränken und jede Ablenkung von den Zeugenberichten vermeiden; der Text besteht aus einem klaren, überschaubaren Satzbau, der keinerlei [[Interpunktion]] aufweist und wie ein reimloses Epos gesetzt ist:. nurNur das Wort zählt, durch das sich dem Zuschauer das Leben und Sterben im Konzentrationslager vermittelt – ungeschmücktes Material für das Urteil der Zuschauer;. dasDas Geschehen wird sachlich, nüchtern und weitgehend ohne Emotion erzählt: Obgleich der Autor das Oratorium als „Drama“ bezeichnet, spricht er sich wegen des emotionalisierenden Stoffes gegen eine realistische Darstellung und für eine Reduktion auf das Konzentrat der Fakten aus – die einzige erwähnte Emotion ist das sich wiederholende Lachen der Angeklagten und ihre Empörung über die Anschuldigungen.
 
Durch diese [[Verfremdungseffekt]]e wird eine intensivere dramaturgische Wirkung auf den Zuschauer erzielt. Demselben Zweck dient die Rhythmisierung der Sprache in den Aussagen der Figuren. WegenUm seinerdie UniversalisierungsstrategieÜbertragbarkeit vermeidetdes derThemas, seine Universalisierung für andere Orte, Ethnien und Zeiten zu erleichtern, hat AutorWeiss im gesamtenganzen Stück einedas VerwendungWort des„Jude“ Wortsnicht „Jude“verwendet und nur am Ende wird ein rassistisches Motiv des Massenmordes erwähnt;.<ref>„Weiss hat Hinweise auf nationale oder ethnische Zugehörigkeiten oder auf historische Orte weggelassen. Meyer sieht darin eine ‘Universalisierung‘ [...], die den Text auf andere Orte und andere Zeiten übertragbar macht. Auf diese Weise wird die historische Distanz abgebaut, und es wird an die Rezipientinnen und Rezipienten appelliert, Vergleiche mit der Gegenwart herzustellen.“ [https://www.menschenrechte.org/de/2022/01/27/die-ermittlung-von-peter-weiss-als-projekt-der-historisch-politischen-bildung¹/]</ref> Als besondere Gruppen neben den aus rassischen Gründen Inhaftierten werden politische und kriminelle Häftlinge sowie die sowjetischen Kriegsgefangenen erwähnt.
 
Die Angeklagten versuchen mit folgenden Entlastungsstrategien ihr Handeln abzustreiten, zu verharmlosen oder zu rechtfertigen:
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* Rolf D. Krause: ''Faschismus als Theorie und Erfahrung. „Die Ermittlung“ und ihr Autor Peter Weiss''. Peter Lang, Frankfurt 1982 (Europäische Hochschulschriften, Reihe 1)
* Marita Meyer: ''Eine Ermittlung: Fragen an Peter Weiss und an die Literatur des Holocaust''. Röhrig, St. Ingbert 2000
* Jost Müller: Das Lachen der Angeklagten. Der Auschwitz-Prozess und die Ermittlung der Gegenwart im CDU-Staat. In: ''Die Wiederkehr des Verbrechens''. Zur Nachwirkung der NS-Staatsverbrechen in der westdeutschen Gesellschaft. Hrsg. von Jost Müller, Gisbert Broggini und Rembert Baumann. Quiqueg, Berlin 2020, S. 261–316.
* Erwin Piscator: Vorwort zu ''[[Der Stellvertreter]].'' Rowohlt, Reinbek 1963, S. 7–11; wieder in dsb., ''Theater, Film, Politik. Ausgewählte Schriften.'' Henschel, Berlin 1980, S. 411–435 (ausführlich zu seiner Inszenierung)
* Ingeborg Schmitz: ''Dokumentartheater bei Peter Weiss: von der „Ermittlung“ zu „Hölderlin“''. Peter Lang, Frankfurt 1981