Stolpersteine

Projekt des Künstlers Gunter Demnig, um Opfer des Nationalsozialismus zu würdigen
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Stolpersteine nennt sich ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig. Mit entsprechend verlegten Gedenktafeln will er an das Schicksal der Menschen erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Die Stolpersteine sind annähernd würfelförmige Betonsteine mit einer Kantenlänge von 96&nbsp× 96  und einer Höhe von 100 Millimetern,[1] auf deren Oberseite sich eine individuell beschriftete Messingplatte befindet. Sie werden in der Regel vor den letzten frei gewählten Wohnhäusern der NS-Opfer niveaugleich in das Pflaster bzw. den Belag des jeweiligen Gehwegs eingelassen. Mittlerweile finden sich über 50.000 Steine (Stand: Januar 2015) nicht nur in Deutschland, sondern auch in 18 weiteren europäischen Ländern.[2] Die Stolpersteine sind das größte dezentrale Mahnmal der Welt.[3]

Stolperstein

Der Weg zu den Stolpersteinen

 
Gunter Demnig, Mai 2012
 
Schriftspurgerät von 1990 „...Eine Spur durch’s Vergessen“
 
Erster Stolperstein vor dem Kölner Rathaus mit dem Deportationsbefehl von Heinrich Himmler (verlegt am 16. Dezember 1992)

Zum 50. Jahrestag der Deportation von 1000 Roma und Sinti aus Köln setzte sich Demnig 1990 künstlerisch damit auseinander, da diese für die Nationalsozialisten eine „Generalprobe“ der nachfolgenden umfangreicheren Judendeportationen war. Dabei zog der Künstler mit einer als rollbare Druckmaschine aufgefassten Einrichtung den Deportationswegen folgende Spuren durch die Stadt. Anschließend ließ er einen ersten mit einer Messingplatte versehenen und beschrifteten Stein vor dem Historischen Kölner Rathaus in das Pflaster ein. Dies geschah am 16. Dezember 1992, dem 50. Jahrestag des Befehls Heinrich Himmlers zur Deportation der „Zigeuner“ (Auschwitz-Erlass). Auf dem Stein sind die ersten Zeilen dieses Erlasses zu lesen. Außerdem beteiligte sich Demnig mit diesem Stein an der Diskussion um das Bleiberecht aus Jugoslawien geflohener Roma.

In Ausdehnung auf alle Verfolgtengruppen entwickelte Demnig in den Folgejahren das Projekt „Stolpersteine“. Zunächst war es nur als theoretisches Konzept für die Veröffentlichung Größenwahn – Kunstprojekte für Europa gedacht, da Demnig für ganz Europa von sechs Millionen notwendigen Stolpersteinen ausging. Der Pfarrer der Antoniter-Gemeinde in Köln animierte Demnig jedoch, wenigstens einige ausgewählte Steine zu verlegen, um ein Zeichen zu setzen. 1994 kam es so zu einer Ausstellung von 250 Stolpersteinen in der Antoniterkirche in Köln. Am 4. Januar 1995 verlegte Demnig probeweise und ohne Genehmigung durch Behörden die ersten Steine in Köln. Im Mai 1996 beteiligte er sich an der Ausstellung Künstler forschen nach Auschwitz in der NGBK in Berlin-Kreuzberg und verlegte in der Berliner Oranienstraße 51 Steine ebenfalls ohne Genehmigung. Erstmals mit behördlicher Genehmigung wurden am 19. Juli 1997 zwei Steine auf Einladung des Gedenkdienst-Gründers Andreas Maislinger in Sankt Georgen bei Salzburg verlegt.[4] Friedrich Amerhauser war der erste Bürgermeister, der Gunter Demnig die Zustimmung zur Verlegung von Stolpersteinen gab.[4] Amtlich genehmigt wurden in Deutschland weitere Stolpersteine im Jahr 2000 in Köln verlegt. Daraus entwickelte sich dann eine Folge von Aktionen zu Verlegungen, die zum weltweit größten „dezentralen Mahnmal“ führten.

Intention

Demnigs Intention ist unter anderem, den NS-Opfern, die in den Konzentrationslagern zu Nummern degradiert wurden, ihre Namen zurückzugeben. Das Bücken, um die Texte auf den Stolpersteinen zu lesen, soll eine symbolische Verbeugung vor den Opfern sein. Mit der Markierung der „Tatorte von Deportationen“, die häufig mitten in dichtbesiedelten Bereichen liegen, wird gleichzeitig die von einigen Zeitzeugen vorgebrachte Schutzbehauptung, nichts von den Deportationen bemerkt zu haben, in Frage gestellt.

Demnig kritisierte seinerseits das Konzept zentraler Gedenkstätten für die Opfer, die seiner Meinung nach in der Öffentlichkeit nicht ausreichend sichtbar seien. An solchen Mahnorte werde einmal im Jahr von Honoratioren ein Kranz niedergelegt, „aber andere können die Mahnmale einfach umgehen“. Sein Ziel sei es, die Namen der Opfer zurück an die Orte ihres Lebens zu bringen.[5] Trotz des Begriffs Stolpersteine geht es Demnig nicht um tatsächliches „Stolpern“. Er zitiert auf die Frage nach dem Namen des Projektes gerne einen Schüler, der nach der Stolpergefahr gefragt antwortete: „Nein, nein, man stolpert nicht und fällt hin, man stolpert mit dem Kopf und mit dem Herzen.“[6]

Unterstützung und Finanzierung

Daten für seine ersten Steine erhielt Demnig in Zusammenarbeit mit dem Gemeinnützigen Verein für die Verständigung von Roma & Sinti (Rom e. V.), woraufhin sich viele die Recherche durchführende Initiativen, häufig auch Schülergruppen, gründeten. Eine wichtige Hilfe stellt neben lokalen Archiven und historischen Adressbüchern die Datenbank der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem dar. Finanziert werden Stolpersteine durch private Spenden. 2012 kostete ein Stein einschließlich seiner Verlegung 120 Euro.[7]

Im Jahr 2012 wurde das Projekt mit dem Marion Dönhoff Förderpreis für internationale Verständigung und Versöhnung ausgezeichnet und mit 20.000 Euro gefördert. Jurymitglied Anne Will sagte dazu, „dass es inzwischen mehr als 37.000 dieser Steine gibt, ist eine große Leistung und ein großes Verdienst. Denn sie lassen die Deutschen ein ums andere Mal über die nationalsozialistischen Verbrechen „stolpern“ und halten so die Erinnerung an die Opfer wach“.[8] Demnig erhielt 2012 den Erich-Kästner-Preis, dessen Preisgeld von 10.000 Euro den Stolpersteinen sowie dem Neuen Jüdischen Friedhof in Dresden zugutekommen soll. Laudator Avi Primor würdigte das Projekt mit den Worten: „[Die Stolpersteine sind] das Gegenteil von Verdrängung. Sie liegen zu unseren Füßen, vor unseren Augen und zwingen uns zum Hinschauen. Durch Projekte wie die Stolpersteine wurde ein Dialog zwischen den Menschen in Deutschland und Israel möglich.“[9]

Herstellung und Gestaltung der Steine

 
Stolperstein vor der Verlegung

Die Stolpersteine werden ausschließlich in Handarbeit hergestellt, weil dies nach Demnig im Gegensatz zur maschinellen Menschenvernichtung in den Konzentrationslagern steht. Die Steine stellte er anfangs selbst her, mit der Ausdehnung des Projektes lässt er sich mittlerweile von dem Bildhauer Michael Friedrichs-Friedländer unterstützen, der je Stein 50 Euro erhält.[10] Seit 2006 werden die Stolpersteine in dessen Werkstatt im Künstlerhof Berlin-Buch angefertigt.[11][12] Sobald neue Daten vorliegen, bestimmt Demnig den Text, in der Regel beginnt dieser mit „Hier wohnte …“ gefolgt vom Namen des Opfers und dem Geburtsjahr, häufig mit Deportationsjahr und Todesort. In einigen Fällen beginnt der Text wie in Greifswald mit „Hier lebte …“, in Frankfurt (Oder) „Hier wirkte…“, in Hamburg „Hier lehrte …“ oder vor der Humboldt-Universität zu Berlin „Hier lernte …“. Je nach Anlass beginnen die Texte zum Beispiel in Mannheim „Hier erschossen …“, in Heide „Hier arbeitete …“ oder „Hier stand …“ wie in Pforzheim. Seine Texte schlägt er in speziell zugeschnittene Messingplatten, die vom Text her betrachtet nach oben und unten leicht und rechts und links deutlich überstehen und anschließend nach hinten gebogen werden. Letztlich wird der fertige Stolperstein durch Beton unterlegt gegossen. Die Messingplatte ist durch die rechts und links umgebogenen Flächen fest mit dem Gesamtstein verbunden.

Verlegungen

 
Stolpersteinverlegung
Video der Verlegung des Ersatz-Stolpersteines zum Auschwitz-Erlass vor dem Kölner Rathaus im März 2013, nachdem Unbekannte das Original, 1992 verlegt, im Jahr 2010 herausgebrochen und entwendet hatten[13]

Die Stolpersteine lässt Demnig bündig in den Bürgersteig ein. Dies geschieht unmittelbar vor dem letzten vom Opfer frei gewählten Wohnort. Wichtigste Quelle für Wohnungsanschriften wie auch der Personeneinträge für jegliche Gedenkbücher sind die Ergänzungskarten der Volkszählung vom 17. Mai 1939.[14][15] Sind die Wohnhäuser der Opfer nicht mehr erhalten, da beispielsweise die Stadtstruktur beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg neu geordnet wurde, wurden einige Stolpersteine auf oder vor entstandenen Freiflächen verlegt. Die Stolpersteine gehen nach der Verlegung in das Eigentum der Stadt oder Gemeinde über, wofür die behördliche Genehmigung wichtig ist.

Bis April 2015 haben Gunter Demnig und seine Vertreter über 50.000 Steine[2] in etwa 1200 Städten und Gemeinden[16] in Deutschland, Österreich (seit 1997), den Niederlanden (seit 2007), Ungarn (seit 2007), Polen (seit 2008), Tschechien (seit 2008), Belgien (seit 2009), der Ukraine (seit 2009), Italien (seit 2010), Norwegen (seit 2011), der Slowakei (seit 2012), Slowenien (seit 2012), Frankreich (seit 2013), Kroatien (seit 2013), Luxemburg (seit 2013), Russland (seit 2013), der Schweiz (seit 2013), Rumänien (seit 2014) und (2015[17]) in Spanien gesetzt. Stolpersteine für Dänemark befinden sich in der Planung.

Kritische Stimmen

Die vehementeste Kritik an Demnigs Projekt kommt von Charlotte Knobloch, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und ehemaligen Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, die es als „unerträglich“ bezeichnete, die Namen ermordeter Juden auf Tafeln zu lesen, die in den Boden eingelassen sind und worauf mit Füßen „herumgetreten“ werde. [18] Die Meinungen gehen unter prominenten Juden jedoch auseinander. Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland Salomon Korn verteidigte das Projekt.[19] Auch der Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses und ehemaliger Zentralratspräsident (bis Nov 2014) Dieter Graumann oder der aktuelle Zentralratspräsident Josef Schuster haben sich für die Stolpersteine ausgesprochen.[20] Demnig widerspricht Knoblochs Metapher „auf Schicksale mit Füßen zu treten“ und hält sie für eine Verharmlosung der Verbrechen der Nazis, denn diese hätten „nicht einfach auf den Menschen rumgetrampelt, sie hatten ein Mordprogramm“.[21]

Städte, die die Verlegung von Stolpersteinen ablehnen, berufen sich meist auf die Kritik von Knobloch oder machen die Zustimmung zur Verlegung von einem positiven Votum ihrer jüdischen Gemeinde abhängig. Das bekannteste Beispiel ist München, (von 1935 bis 1945 auf Hitlers Veranlassung mit dem nationalsozialistischen Titel Hauptstadt der Bewegung bezeichnet), wo die beiden einzigen auf öffentlichem Grund verlegten Stolpersteine aus dem Bürgersteig der Mauerkircherstraße entfernt wurden, da der Stadtrat und der maßgebliche Teil der jüdischen Gemeinde gegen Stolpersteine sind.[22] Die beiden entfernten Stolpersteine kamen nach einer Zwischenstation auf dem jüdischen Friedhof in die Münchner Musikhochschule und waren bis 2011 Teil einer künstlerischen Installation. Mit Verweis auf den Brandschutz wurden die Steine von der Münchener Feuerwehr entfernt. Sie sind jetzt in einem Keller eingelagert.[23] In München gibt es nur Stolpersteine auf Privatgrund. Mehr als 200 Stolpersteine für Münchener Opfer wurden bereits hergestellt und können nicht verlegt werden; sie lagern in einem von der Initiative Stolpersteine für München e. V.[24] angemieteten Kellerraum. Nach den Kommunalwahlen in Bayern 2014 wurden die Stolpersteine im Dezember 2014 erneut zum Thema im Rahmen einer Stadtratsanhörung des Münchner Stadtrats, bei der es zu einer eklatanten Auseinandersetzung kam.[25] Am 28. April 2015 hat dann der Stadtrat erneut mehrheitlich gegen die Stolpersteine gestimmt und stattdessen in einem sogenannten Kompromiss die Anbringung von Erinnerungstafeln an Hauswänden bei Erfüllung diverser Bedingungen in Aussicht gestellt.[26]

In einigen Städten werden die Genehmigungen für die Verlegung der Stolpersteine nach Diskussionen und teilweise unter Auflagen (zum Beispiel Zustimmung der Hauseigentümer) erteilt. In Krefeld lehnte beispielsweise der Stadtrat eine Verlegung auf Wunsch der jüdischen Gemeinde ab, die sich der Argumentation Knoblochs anschloss. Erst nach einem erfolgreichen Bürgerbegehren wurde ein Kompromiss gefunden: Wenn die jeweiligen Hauseigentümer und die Angehörigen der Opfer zustimmen, können die Stolpersteine verlegt werden. Inzwischen wurden auch in Krefeld Stolpersteine verlegt.[27] Auch in Rheinbach gibt es trotz Initiativen der Bürger sowie Unterschriftensammlungen bislang keine Zustimmung zur Verlegung.[28][29] In Augsburg wurden im Mai 2014 zwei Stolpersteine in Anwesenheit von Gunter Demnig auf einem Privatgrundstück verlegt. Für Stolpersteine im öffentlichen Raum fehlt bislang die Genehmigung des Augsburger Stadtrats.[30]

Mitunter kritisieren Hausbesitzer oder Mieter, vor deren Häusern die Stolpersteine verlegt werden, das Projekt. Hierfür gibt es mehrere Gründe. Die Spannweite reicht von rechtsradikalem Gedankengut,[31] dem Glauben an eine Wertminderung durch die Stolpersteine[32] über eine fachliche Ablehnung des Projektes bis zur Angst vor rechtsradikalen Übergriffen nach der Verlegung.[33] Das Landgericht Stuttgart fällte in einem örtlichen Fall ein Urteil, das Juristen als eine Grundsatzentscheidung zugunsten der Kunstobjekte werten. Stolpersteine stellen demnach keine Beeinträchtigung oder Wertminderung von Eigentum dar und müssen daher nicht entfernt werden.[34]

Seit den Verlegungen der ersten Steine kommt es immer wieder zu Vandalismus und politisch motivierten Aktionen gegen Stolpersteine, zum Teil mit rechtsextremem Hintergrund.[35]

Angehörige von NS-Opfern kritisierten im Jahr 2014, dass auf einigen Stolpersteinen „Nazijargon“ zu lesen sei. So seien als Grund für eine Verurteilung die nationalsozialistischen Begriffe wie „Rassenschande“, „Gewohnheitsverbrecherin“ oder „Volksschädling“ angegeben, ohne dass eine Relativierung der Begriffe erfolge.[36] Auch Wissenschaftler schlossen sich den Bedenken an. Martina Staats, Leiterin der Gedenkstätte Wolfenbüttel, findet „Beschriftungen in Tätersprache nicht angemessen“. Solche Begriffe ohne sprachliche Distanzierung zu zitieren sei „einfach unmöglich“ und sehr schmerzhaft für die Überlebenden der NS-Verfolgung, sagte Detlef Garbe, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme der taz.[37] Gunter Demnig antwortete im November 2014 auf seiner Homepage mit einem „offenen Brief an die Schreiberlinge der TAZ u. a.“ und wies diese Vorwürfe zurück. Dabei unterstellte er den Journalisten, sie wollten durch ein angeblich beabsichtigtes Weglassen von wichtigen Nazibegriffen Geschichte fälschen. Er vertrat die Ansicht, das Publikum sei nicht so dumm wie von den Kritikern angenommen und werde seine Beschriftung der Stolpersteine immer richtig verstehen.[38]

Besteuerung

Das Finanzamt Köln erhob 2011 zunächst den vollen Mehrwertsteuersatz von 19 % für die bis dahin insgesamt 27.000 in Deutschland verlegten Stolpersteine. Als Begründung wurde angegeben, dass es sich um eine Massenproduktion handele und das Verlegen der Steine keine schöpferische Tätigkeit sei. Deshalb könne der ermäßigte Steuersatz für urheberrechtlich geschützte Kunstwerke nicht in Anspruch genommen werden.[39] Später verzichtete das Finanzamt auf die Steuernachzahlung, wollte künftig jedoch den vollen Mehrwertsteuersatz erheben. Im Juni 2011 entschied der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans, dass es bei einem Steuersatz von 7 % bleibe.[7][40]

Ähnliche und abgeleitete Projekte

In Rostock werden seit 2002 Gedenksteine durch das Max-Samuel-Haus verlegt, die ebenfalls als Stolpersteine bezeichnet werden, aber in keinem Zusammenhang zum Demnigschen Kunstprojekt stehen (siehe: Liste der Stolpersteine in Rostock).

Seit 2005 werden in Wien pflastersteinartige – nicht von Gunter Demnig stammende – Gedenktafeln verlegt. Dieses Projekt heißt Steine der Erinnerung[41] und wird von der Stadt Wien[42] dem Nationalfonds und privaten Spendern unterstützt. Demnig betrachtet die „Steine der Erinnerung“ als Plagiat.[43]

Im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit den Verbrechen der nationalsozialistischen Diktatur hat das Projekt Erinnern für die Zukunft[44] 2008 begonnen, im Wiener Bezirk Mariahilf Gedenkobjekte für 740 ermordete Mariahilfer anzubringen. Die Gedenkobjekte bestehen aus 10 cm × 10 cm großen Messingplatten, die mit Namen und Lebensdaten der Opfer beschriftet sind.

Noch bevor Gunter Demnig im Jahr 2010 die ersten Stolpersteine in Italien verlegte, wurden am 26. Januar 2009 in der piemontesischen Stadt Saluzzo die ersten 21 „Spuren der Erinnerung“ verlegt“.[45] Vor den früheren Wohnhäusern von 21 ermordeten Juden wurden 12 cm × 12 cm große Messingplatten in den Boden eingelassen. Die Platten wurden von Schulklassen im Rahmen des lokalen Projektes „Tracce del ricordo“ (Spuren der Erinnerung) gestaltet. Der Text beginnt stets mit „Qui abitava“ (Hier wohnte), es folgen Name, Todesort, Alter und der Grund der Deportation: „Perché Ebreo/a“ (weil er/sie Jude/Jüdin war).

Am 20. März 2009 wurden im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf die ersten elf „Denksteine“ verlegt. Entstanden sind die „Denksteine“ in Anlehnung an die Stolpersteine. Es sollte ursprünglich mit Stolpersteinen an die Opfer aus dem „Büro Pfarrer Grüber“ erinnert werden. Demnig war mit den längeren Texten sowie Form und Gestaltung nicht einverstanden und regte deshalb eine „handwerklich gestaltete Alternative“ an.[46] Mittlerweile wurden auch in weiteren Berliner Bezirken Denksteine verlegt.

Projekte mit anderer Intention

  • Der Künstler Tom Fecht erinnert mit dem Projekt „Namen und Steine“ und seinen Steinen an über 40 Orten an die Opfer von Aids.
 
„Schmunzelsteine“, Leichlingen
  • In Leichlingen wurden auf Initiative der Ehrensenatoren des Festkomitees Leichlinger Karneval „Schmunzelsteine“ verlegt, die an verstorbene Karnevalisten erinnern sollen. Im Unterschied zu den Stolpersteinen verläuft die Inschrift auf den „Schmunzelsteinen“ nicht parallel zu den Seiten, sondern diagonal. Außerdem sind sie auf einem freien Platz verlegt und nicht vor Häusern. Nach der Verlegung kam es von vielen Seiten zu Protesten und es wurde gefordert, die Steine wieder zu entfernen. Für Gunter Demnig sind die „Schmunzelsteine“ eine unerlaubte Kopie, er möchte jedoch selbst nicht juristisch dagegen vorgehen.[47]
  • Auf dem Platz des Unsichtbaren Mahnmals in Saarbrücken wurden auf der Unterseite von Pflastersteinen die Namen von 2146 jüdischen Friedhöfen eingemeißelt.

Stolpersteine im Radio und Internet

Zwischen 2012 und 2013 entstanden durch eine Kooperation von sechs unabhängigen Radiostationen in Erfurt, Halle (Saale), Hamburg, Nürnberg, Linz und Salzburg die ersten Hörstolpersteine. Hierbei handelt es sich um 60 kurze Biografien von Personen aus diesen sechs Städten und deren Umland, die mit einem Stolperstein geehrt wurden. Zudem entstanden zwölf längere Sendungen, die ausführlich Teilaspekte des Holocaust oder des Projekts „Stolpersteine“ behandeln. Alle Sendungen erschienen als Radiobeiträge und sind auch im Internet abrufbar.[48]

Am 8. November 2013 startete SWR2 ein Hörfunkprojekt, das sich an Gunter Demnigs Arbeit orientiert und über einen Zeitraum von zwei Jahren läuft. Die ein- bis dreiminütigen akustischen Stolpersteine werden zu unterschiedlichen Tageszeiten gesendet und gehen den Lebensgeschichten der Verfolgten des NS-Regimes aus dem Sendegebiet nach. Die auf den Stolpersteinen eingravierten Lebensdaten werden durch Briefauszüge, Tagebucheinträge und Interviews mit Zeitzeugen ergänzt. Sie erzählen von Einzelschicksalen, der Auslöschung ganzer Familien oder vom Neubeginn in einem fremden Land. Im Internet können die Stolpersteine (aufbereitet mit Archivmaterial wie persönlichen Dokumenten, Fotos oder Videos) jederzeit angehört werden.[49] Eine App für mobile Endgeräte ermöglicht es zudem, die akustischen Stolpersteine vor Ort abzurufen und eine Route zu weiteren Gedenksteinen anzuzeigen.[50]

Film

Die Dokumentarfilmerin Dörte Franke hat über die Stolpersteine den Dokumentarfilm Stolperstein gedreht. Dörte Franke ist die Tochter von Uta Franke, Demnigs Lebensgefährtin und damalige Koordinatorin des Projektes.[51] Nach Vorführung auf zwei Filmfestivals hatte der Film am 1. November 2008 im Kölner Odeon-Kino Premiere und war seit dem 6. November 2008 bundesweit in den Kinos zu sehen.

Literatur

  • Joachim Rönneper (Hrsg.): Vor meiner Haustür. „Stolpersteine“ von Gunter Demnig. Ein Begleitbuch. Arachne-Verlag, Gelsenkirchen 2010, ISBN 978-3-932005-40-4.
  • NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln (Hrsg.): Stolpersteine. Gunter Demnig und sein Projekt. Emons, Köln 2007, ISBN 978-3-89705-546-9.
  • Ulrike Schrader: Die „Stolpersteine“ oder Von der Leichtigkeit des Gedenkens. In: Geschichte im Westen. Zeitschrift für Landes- und Zeitgeschichte. 21, 2006, ISSN 0930-3286, S. 173–181.
Commons: Stolpersteine – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Schritte zum Verlegen von Stolpersteinen (PDF; 2,5 MB)
  2. a b In #Turin (Italien) wurde heute der europaweit 50.000ste #Stolperstein verlegt! Er erinnert an Eleonora Levi. #Demnig @_Stolpersteine_ am 11. Januar 2015 auf Twitter
  3. Andreas Nefzger: Der Spurenleger. In: FAZ.net. 7. Februar 2014, abgerufen am 16. Dezember 2014.
  4. a b „Stolpersteine“ zur mahnenden Erinnerung Pressemitteilung der Zeugen Jehovas vom 19. Juli 1997
  5. Obermayer German Jewish History Award. Pressemitteilung zur Preisverleihung 2005
  6. Geschichte auf arte: „Mit Kopf und Herz stolpern“ / Stolpersteine gegen das Vergessen
  7. a b Webseite des Künstlers: Steuerprüfung ’04 bis ’08 – Eine gute und eine weniger gute Nachricht
  8. 10 Jahre Marion Dönhoff Preis: Auszeichnungen gehen an Karl Schwarzenberg und das Projekt Stolpersteine. Mitteilung des Zeitverlags, 2. Dezember 2012
  9. Erich-Kästner-Preis 2012 für Gunter Demnig. Mitteldeutscher Rundfunk, 25. November 2012
  10. Thorsten Schmitz: Ausgebucht. Nicht: Süddeutsche Zeitung, 23. April 2014, S. 3
  11. Susanne Gannott: Der Stolperstein-Hersteller: Verbunden mit den Schicksalen. In: taz.de. 30. September 2011, abgerufen am 16. Dezember 2014.
  12. Steffi Bey: Emotionen auf der Messingplatte
  13. Stefan Palm: Weitere "Stolpersteine" in Köln. Erinnerung an Zwangsarbeiter, jüdische Familie, Roma und Sinti. Stadt Köln - Amt für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, 15. März 2013, abgerufen am 24. März 2013.
  14. vgl. die Hauptquelle der Wohnanschriften der 55.696 Shoah-Opfer im Gedenkbuch Berlins der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus: Ihre Namen mögen nie vergessen werden!, Freie Universität Berlin, Hentrich, 1995, S. 1409: „Dokumentiert werden in diesem Band: eine Berliner Anschrift, sofern vorhanden, wurde die Anschrift der Volkszählung von 1939 angegeben und nicht die Anschrift unmittelbar vor der Deportation.“
  15. Siehe dazu die im Internet veröffentlichte Version der Ergänzungskarten der Volkszählung vom 17. Mai 1939 bei Tracing the Past, zuletzt am 11. November 2014 abgerufen.
  16. Holocaust-Gedenken / Münchner kämpfen für Stolpersteine DIE WELT 2015-04-29 Abruf 2015-05-04
  17. http://www.catalangovernment.eu/pres_gov/AppJava/government/news/282268/navas-municipality-spanish-state-commemorate-nazi-victims-stolperstein-plaques.html
  18. Opfer des NS-Terrors – Neue Diskussion über die "Stolpersteine". In: sueddeutsche.de. 17. Mai 2010, abgerufen am 16. Dezember 2014.
  19. Hanauer Entscheidung gegen „Stolpersteine“ bedauert. Der Vize-Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Professor Dr. Salomon Korn, im Gespräch mit HanauOnline
  20. Gedenken, das entzweit 2014-10-13 Süddeutsche Zeitung Abruf 2015-05-03
  21. Mit dem Stein kommt der Name zurück. SWR2 Kulturgespräch, 8. November 2013
  22. Philipp Gessler: Münchner Streit um Stolpersteine: Wer gedenkt am besten? In: taz.de. 28. Juni 2008, abgerufen am 16. Dezember 2014.
  23. Rudolf Stumberger: In München darf niemand stolpern. In Neues Deutschland, 1. Dezember 2012
  24. Webseite der Initiative „Stolpersteine für München e. V.“
  25. München streitet über Stolpersteine / Eklat bei Anhörung 2014-12-05 Süddeutsche Zeitung Abruf 2015-05-03
  26. Gedenktafeln statt Stolpersteine 2015-04-28, Süddeutsche Zeitung, Abruf 2015-05-03
  27. Stolpersteine für Krefeld: Chronik
  28. Gerda Saxler-Schmidt: Stolpersteine abgelehnt – Rheinbacher Bürgermeister erntet Kritik. In: General-Anzeiger, 24. April 2013
  29. Rheinbacher Stolpersteine – Kompromiss noch möglich. In: Bonner Rundschau, 15. April 2014
  30. Initiativkreis Stolpersteine für Augsburg und Umgebung, abgerufen am 18. März 2015.
  31. Steine des Anstoßes. Holocaust-Leugner wehrt sich gegen Mahnmal für ermordete Juden. In: Berliner Zeitung, 28. November 2008
  32. StadtRevue Köln 03/2004: Anstößige Steine (Memento vom 8. Mai 2009 im Internet Archive)
  33. General-Anzeiger: Eklat bei der Verlegung der Stolpersteine in Alfter. Vor einem Haus sind Gedenkplatten nicht erwünscht.
  34. Roman Deininger: Erinnerung an den Nationalsozialismus – Großer Sieg für Mini-Denkmäler. In: sueddeutsche.de. 15. September 2011, abgerufen am 16. Dezember 2014.
  35. Angriff auf die Erinnerung. In: tagesspiegel.de. , abgerufen am 16. Dezember 2014.
  36. Elke Hoesmann: Gedenken mit Nazijargon. In: Weserkurier, 9. November 2014
  37. Petra Schellen: Erinnerung an NS-Opfer: Über Sprache stolpern. In: taz.de. 20. Oktober 2014, abgerufen am 15. Januar 2015.
  38. Homepage Demnig [1] abgerufen 15. Januar 2015.
  39. Stolpersteine keine Kunst. In: Rhein-Sieg-Rundschau, 24. Februar 2011, S. 46
  40. monitor vom 16. Juni 2011: Keine Kunst: „Stolpersteine“ sind für das Finanzamt nur „Hinweisschilder“ (PDF; 65 kB)
  41. Webseite des Projekts „Steine der Erinnerung“
  42. Weg der Erinnerung durch die Leopoldstadt (abgerufen am 14. Juni 2010)
  43. Aussage Demnigs im Film Stolperstein
  44. Webseite des Projektes „Erinnern für die Zukunft“
  45. Webseite des Projektes „Gedenkorte Europa“ des Studienkreises Deutscher Widerstand 1939–1945 für den Ort Saluzzo
  46. Denksteine für Mitarbeiter des Büros Pfarrer Grüber im Lexikon des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf
  47. WDR-Mediathek: Ärger um „Schmunzelsteine“
  48. Hörstolpersteine. Abgerufen am 20. Juni 2014.
  49. SWR2: Alle Menschen mit einem Hörstolperstein im Überblick. SWR2, abgerufen am 3. März 2015.
  50. SWR2 Stolpersteine. Ein Stein, ein Mensch, eine Stimme. SWR2, abgerufen am 28. April 2014.
  51. Biografie von Uta Franke