Lautes Denken
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Lautes Denken im Licht der Embodied Cognition:
neue Grenzen, neue Möglichkeiten in der
Schreibprozessforschung?
Einleitung
Obwohl es zum Verfahren des Lauten Denkens1 in den vergangenen rund 30
Jahren einige kontroverse methodologische Diskussionen gab, hat sich das Laute
Denken mittlerweile u. a. in der (fremdsprachlichen) Schreibprozessforschung,
in der Übersetzungsprozessforschung, in einigen Bereichen der kognitiven Psy-
chologie sowie in der Sprachlehr- und -lernforschung als anerkannte Erhebungs-
methode etablieren können. Der Einsatz des Lauten Denkens eröffnet je nach
Erhebungssituation, untersuchten Informantengruppen, Forschungsfragen und
Bezugsmodellen unterschiedlichste Einblicksmöglichkeiten in menschliche Denk-
und Verhaltensweisen. ForscherInnen, die mit der Methode des Lauten Denkens
arbeiten, sind deshalb u. a. mit einigen grundsätzlichen Fragen zu menschlichen
Repräsentations- und Verarbeitungsmechanismen konfrontiert. In den letzten
drei Jahrzehnten wurde bei dieser methodologischen Diskussion vor allem auf
verhältnismäßig einfache kognitionspsychologische Informationsverarbeitungs-
modelle rekurriert. Ausgelöst durch einen Paradigmenwechsel in der Kognitiven
Psychologie müssen nun allerdings grundlegende Fragen zu den inneren Ver-
arbeitungsmechanismen beim Lauten Denken neu diskutiert werden. Insbe-
sondere die Einbeziehung emotionaler, situationaler und sozialer Prozesse in die
Diskussion zur menschlichen Informationsverarbeitung scheint in Anbetracht
1
Unter Lautem Denken verstehe ich „eine spezielle Form der Introspektion, die sich […]
dadurch auszeichnet, dass die Versuchspersonen alles, was ihnen bei der Ausführung einer
konkreten Aufgabe durch den Kopf geht […], periaktional […], spontan und unselektiert
äußern […], wobei der Versuchsleiter möglichst wenig [bzw. gar nicht] eingreifen sollte
[…])“ (Göpferich 2008: 22).
Lautes Denken im Licht der Embodied Cognition 93
2
Erwähnt sei, dass in jüngster Zeit eine statistische Metaanalyse zu Studien, die im Bereich
der Zweit- und Fremdsprachenforschung mit dem Verfahren des Lauten Denkens gearbeitet
haben, vorgelegt wurde (Bowles 2010). Die Forscherin konnte in ihrer Untersuchung u. a.
nachweisen, dass die Leistungen von InformantInnen, die gebeten wurden, ihre Gedanken bei
einer sprachlichen Aufgabe zu verbalisieren, nicht signifikant besser oder schlechter ab-
schnitten als die Kontrollgruppen, welche die Aufgabe ohne Lautes Denken bearbeiteten.
94 Anna Katharina Schnell
Siehe hierzu auch den Forschungsüberblick speziell in Bezug auf Interferenzen beim
Übersetzen in Göpferich (2008: 27f.)
3
Gängige Sprachproduktionsmodelle (z. B. Levelt et al. 1999) widersprechen allerdings die-
sem Befund, da empirische Evidenz besteht, dass Enkodieren und Dekodieren unabhängige
Prozesse darstellen. Der eigene Output wird zum neuen Input, wenn er laut ausgesprochen
bzw. subvokalisiert wird. Es wird jedoch angenommen, dass SchreiberInnen diesen Rück-
Lautes Denken im Licht der Embodied Cognition 95
4
Es handelt sich um Lautdenkdaten von Studierenden (Frankoromanistik, Bachelor), die zu
der Fragestellung La vie d’un étudiant est-elle préferable à celle d’un lycéen? dt. „Ist das
Studentenleben dem Schülerdasein vorzuziehen?“ (Übersetzung AKS) einen Text mit
mindestens 150 Wörtern schreiben sollten. Die Studierenden waren während der gesamten
Schreibzeit allein in einem Raum und durften ein- und zweisprachige Print- und Online-
Wörterbücher sowie eine Grammatik benutzen. Zusätzlich zu den Lautdenkdaten wurden
Bildschirmvideos des gesamten Schreibprozesses aufgezeichnet. Die in diesem Rahmen er-
fassten Schreibhandlungen wurden in den Lautdenkprotokollen in eckigen Klammern einge-
tragen (siehe Beispiele). Vor und nach der Erhebung der Lautdenkdaten wurden die Stu-
dierenden ausführlich zu ihren Lese-, Schreib- und Sprachlernerfahrungen befragt.
Lautes Denken im Licht der Embodied Cognition 99
5
Sasaki (2008) und Smagorinsky (2001) plädieren allerdings für eine andere Sichtweise. Mit
Bezug auf soziokulturelle sprachtheoretische Überlegungen, gehen die ForscherInnen davon
aus, dass jegliche Form der Versprachlichung eine selbst- oder fremdadressierte dialogische
Handlung darstellt (vgl. auch Feick in diesem Band, Knorr in diesem Band).
Lautes Denken im Licht der Embodied Cognition 101
sichtbar wird. Emotionale Prozesse scheinen allerdings auch bei der Gesamt-
gestaltung eines Textes eine wichtige Rolle zu spielen:
9. […] moment irgendwas stimmt hier nicht c’est moi qui décide ce que je veux faire’
((1,2s)) j’ai beaucoup de l’autonomie dans ma vie’/ das passt doch irgendwie nich
((2,2s)) ähm ((1,5s)) das ist irgendwie doppelt ((2,1s)) oder ich brauch einen Übergang
[…] (InformantIn D ft2).
10. […] oh Gott das is jetz irgendwie komisch ((1,2s)) ich weiß gar nicht mehr was die
Frage war ((4,2s)) ach préférable ((1,6s)) dann stimmt das nich moment […]
(InformantIn B ft1).
11. […] A:H: wenn ich das jetzt noch reinbringe ist dann oben wieder alles Chaos […]
(InformantIn F ft2).
Besonders in Beispiel 9 wird deutlich, dass zunächst ein Gefühl da ist, dass
„irgendwas nicht stimmt“, und erst im nächsten Schritt analysiert der Informant
das Problem genauer. Aber auch die Beispiele 10 und 11 legen die Vermutung
nahe, dass Emotionen nicht nur (bewussten) Gedanken nachgelagerte Prozesse
sind, sondern SchreiberInnen wichtige Hinweise zu Problemen liefern, die sie
bewusst (analytisch) noch gar nicht durchdrungen haben. Einer der wenigen
Schreibforscher, der sich im Rahmen einer Untersuchung zu Schreibstrategien
von SchriftstellerInnen ebenfalls mit der Rolle von Gefühlen und Empfindungen
beim Schreiben beschäftigt hat, ist Ortner (2000):
Jeder Schreiber, fast jeder, weiß irgendwann, daß er mit seinem Text zu Rande gekom-
men ist (oder eben noch nicht). Warum weiß er das? Wie denn anders als gefühlsmäßig
sollte er wissen, ob er sein ihm mögliches Äquilibre erreicht hat? Er spürt es; er weiß es
intuitiv, aber er kann es rational kaum begründen, und er kann es – es analysierend –
kaum in Worte fassen.
Die gefühlsmäßige Bewertung verfestigt sich langfristig in Motiven, Einstellungen
und Dispositionen. Diese werden in ihrer Gesamtheit zu einer Art innerem Kompaß, der
bei der Aktualgenese als Leitinstanz immer dabei ist. (Ortner 2000: 161)
Es ist m. E. äußerst plausibel, dass unterschiedlichste sprach- und schreibbezo-
gene Erfahrungen, die ein(e) SchreiberIn im Laufe der Schreib- und Lese-
sozialisation gesammelt hat, in großen Teilen nicht bewusst vorhanden sind,
sondern in Form von Gefühlen und Empfindungen gespeichert wurden. Diese
werden dann beim Schreiben als „irgendetwas stimmt noch nicht“, „da passt was
nicht“, „das hört sich nicht gut an“, aber auch „genau das ist es, was ich sagen
wollte“ wahrgenommen. Aufgrund welcher Erfahrungen und Kenntnisse ein/e
SchreiberIn genau zu diesen Bewertungen kommt, kann ad hoc wahrscheinlich
in den wenigsten Fällen ermittelt werden. Levine/Petersen (2010) gehen davon
aus, dass unterschiedliche, in der Ontogenese erworbene Erfahrungen in sub-
tilen, meist nur unterschwellig wahrgenommenen Körperempfindungen gespeichert
werden. Es sind diese vielschichtigen körperlichen Signale, die (gesunden)
Lautes Denken im Licht der Embodied Cognition 103
Menschen dazu verhelfen, sich stetig in der Welt zu orientieren und ange-
messene Entscheidungen zu fällen – ohne stetig alles bewusst zu analysieren:7
Gedanken und Gefühle sind keine neuen und selbstständigen Prozesse, die unabhängig
von viszeralen Aktivitäten verlaufen; wir fühlen und denken aus dem Bauch heraus.
[…] Weniger schmeichelhaft für unsere Ichbezogenheit, konzentriert sich diese
(r)evolutionäre ‚von unten nach oben’-Sicht auf eine archaische, homöostatische Über-
lebensfunktion, welche die Vorlage für die neuronale Organisation und das Bewusstsein
liefert. Unsere sogenannten höheren Gedankenabläufe, in die wir inzwischen so vernarrt
sind, sind also eher Diener als Herren. (Levine/Petersen 2010: 311)
Man kann daher vermuten, dass Körperempfindungen auch beim (fremdsprach-
lichen) Schreiben wichtige Orientierungs- und Bewertungsgrundlagen liefern.
Bei schreibbezogenen Problemen sind zum Beispiel ein ungutes Gefühl im
Magen oder leichte Spannung in der Brust oder im Kopf denkbar. Das Auffin-
den einer passenden Formulierung könnte z. B. durch generelle (angenehme)
muskuläre und viszerale Entspannung angezeigt werden. Der große Vorteil eines
solchen felt sense (vgl. Gendlin 2008) ist, dass nicht alles kleinschrittig bewusst
analysiert werden muss. Aus informellen Gesprächen mit (dafür sensibilisierten)
SchreiberInnen weiß ich, dass die o. g. Körperempfindungen durchaus eine
alltägliche Erfahrung beim Schreiben sind. Diese emotionalen und empfin-
dungsbezogenen Verarbeitungsmechanismen sowie der potentiell bewusste Zu-
gang zu ihnen sind übrigens m. E. zwei wichtige Unterschiede zwischen Mensch
und Maschine (interessante biologisch-psychologische Überlegungen zum Auf-
bau, zur Funktion und zur Entwicklung des menschlichen Bewusstseins finden
sich ebenfalls bei Levine/Petersen 2010). In den von mir erhobenen Lautdenk-
protokollen ließen sich jedoch keine Verbalisierungen finden, die über eine
Steuerungsfunktion von Körperempfindungen beim Schreiben Auskunft geben.
Es ist deshalb davon auszugehen, dass auch diese inneren Verarbeitungsme-
chanismen zum größten Teil automatisiert – und u. U. parallel zu Gedanken –
verlaufen und deshalb nicht verbalisiert werden. Trotz der Schwierigkeit, diese
emotionalen und emotional-körperlichen Verarbeitungsmechanismen zu unter-
suchen, halte ich es für äußerst wichtig, derartige Überlegungen in die Dis-
kussion zum (fremdsprachlichen) Schreiben mit einzubeziehen. Es kann vermutet
werden, dass sich SchreiberInnen deutlich hinsichtlich ihrer schreibbezogenen
emotionalen und empfindungsbezogenen Wahrnehmungs-, Aneignungs-, Steue-
rungs- und Regulationsmechanismen differenzieren und diese große Auswir-
kungen auf das schreibstrategische Vorgehen haben. Zudem ist anzunehmen,
dass auch (fremd-) sprachliche Konzepte in Verbindung mit subtilen Körper-
signalen verarbeitet und reaktiviert werden und dass sich auch Fremdspra-
chenlernerInnen nicht unwesentlich dadurch unterscheiden, wie sehr sie Zugang
zu ihrem empfindungsbezogenen Sprachgefühl haben. Erstaunlich ist deshalb,
7
Levines Theorie stützt sich übrigens explizit auf das bereits 1981 von dem Psychologen
Gendlin entwickelte Konzept des felt sense (vgl. z. B. Gendlin 1981, 1998).
104 Anna Katharina Schnell
dass sich im Rahmen der Schreibforschung nur sehr wenige Forschende mit
emotionalen Prozessen beschäftigt haben (einige der wenigen Ausnahmen sind
neben Ortner 2000 z. B. Hayes/Nash 1996, Zimmerman/Kitsantas 2007). In
gängigen Schreibprozessmodellen (z. B. de Beaugrande 1984, Bereiter/Scarda-
malia 1987, Hayes/Flower 1980, Kellog 1994, Molitor 1987, Oerter/Montada
1982, Wrobel 2003) sowie Modellen zum fremdsprachlichen Schreiben (vgl.
Börner 1987, Chenoweth/Hayes 2001, Grabe 2001, Krings 1992, Portmann-
Tselikas 1991) spielen emotionale und empfindungsbezogene Prozesse keine
oder nur eine äußerst marginale Rolle. Ausführliche Kritik an diesem zweck-
rationalen Menschenbild der Schreibprozessforschung wurde übrigens ebenfalls
von Ortner (2000) geäußert. Deutliche Einwände gegen das mentalistische Sprach-
verständnis der Fremdsprachenforschung hat zudem Schwerdtfeger (2000) erho-
ben (siehe auch Küster 2004).
Hinsichtlich emotionaler Verarbeitungsmechanismen kann also festgehalten
werden, dass ein großer Einfluss auf die Abläufe beim (fremdsprachlichen)
Schreiben vermutet werden kann. Obwohl in Lautdenkprotokollen zum fremd-
sprachlichen Schreiben vereinzelt Spuren zu emotionalen Verarbeitungsmecha-
nismen erkannt werden können – teilweise übrigens deutlich auch über para-
linguale Merkmale – bleibt doch die genaue Beschaffenheit der emotionalen
Verarbeitung weitestgehend verborgen.
beobachten. Einige andere von mir untersuchte SchreiberInnen geben sich bei
ähnlichen Problemen wesentlich weniger Mühe und begnügen sich an derartigen
Stellen z. B. mit Aufzählungen oder weniger präzisen Ausdrücken. Die drei
Pausen in dieser Passage werfen allerdings die Frage auf, ob nicht noch weitere
Ausdrücke von der Informantin in Betracht gezogen, aber nicht verbalisiert
werden. Eine weitere interessante Beobachtung lässt sich in dem Beispiel zudem
im Anschluss an die Wörterbuchbenutzung machen. Der Informantin fällt ein,
dass sie „den articulateur logique [Konnektor] ganz vergessen“ hat. Diese
Aussage löst die Vermutung aus, dass die Informantin das Kohäsions-Prinzip
‚Benutze immer Bindewörter’ verfolgt – eine Vermutung, die übrigens anhand
anderer Passagen ihres Produktionsprozess noch untermauert werden kann. Eine
Auffälligkeit, die sich ebenfalls auf die Textgrammatik bezieht, findet sich in
dem Ausschnitt gleich im Anschluss. Die Informantin zieht in Erwägung, den
Satz En plus, il y a des parents qui […] zu schreiben, überprüft allerdings in der
kurzen Pause, ob sie il y a nicht bereits in einem vorangegangenen Satz
verwendet hat. Dieses lässt sich zum einen an der Verbalisierung „nee hatt ich
nich“, zum anderen mithilfe des Bildschirmvideos erkennen, in welchem sicht-
bar wird, dass die Informantin während der Pause mit dem Cursor über die
vorhergehenden Sätze fährt. Weitere aufschlussreiche Beobachtungen können
zudem hinsichtlich fremdsprachbezogener Phänomene gemacht werden. Dabei
sind die kurze Konjugationsunsicherheit hinsichtlich des Verbs occuper, die
Frage nach dem Genus von besoins sowie die Angleichung von leur zu nennen.
Ein weiteres fremdsprachenbezogenes Problem, bei welchem ein Wörterbuch
konsultiert wird, ist die Frage nach dem Übersetzungsäquivalent zu „Bedürf-
nisse“. Dieses kann allerdings sehr schnell dank des Hilfsmittels gelöst werden.
Durch die Verbalisierung „ja genau les besoins das war Bedürfnisse“ kann
jedoch vermutet werden, dass die Informantin den Ausdruck bereits kannte.
Bemerkenswert ist hinsichtlich der Wörterbuchbenutzung zudem, dass sich die
Informantin den Wörterbucheintrag trotz des gefundenen Ausdrucks noch
genauer anschaut. Dabei findet sie sehr schnell die Wendung „besoins essentiels
– Bedürfnisse des täglichen Lebens“, welche genau zu ihrem Ausdrucksbe-
dürfnis passt. Die Strategie, sich bei der Wörterbuchbenutzung nicht mit dem
ersten Übersetzungsäquivalent zu begnügen, sondern gewissenhaft den gesam-
ten Eintrag auf feste Wendungen zu untersuchen, lässt sich übrigens ebenfalls in
dem gesamten Lautdenkprotokoll der Informantin nachweisen. Dieses unter-
scheidet sie deutlich von einigen anderen von mir untersuchten studentischen
SchreiberInnen, welche die Wörterbucheinträge nicht oder nur selten genauer
anschauen.
Bereits anhand dieser kurzen Beschreibung wird deutlich, dass Lautdenk-
protokolle reichhaltige Einblicke in das Verhalten eines Schreibers/einer
Schreiberin ermöglichen. Die wichtigsten Fragen, die in diesem Rahmen beant-
108 Anna Katharina Schnell
wortet werden können, sind u. a.: In welchen Teilschritten entstand der Text,9
welche Probleme traten dabei auf und wie wurden diese gelöst? Einer reinen
Produktanalyse bleiben derartige Einblicke vollkommen verschlossen. Darüber
hinaus können – in dem präsentierten Beispiel vergleichsweise gut – das einigen
Bewertungen zugrundeliegende Konzeptionswissen bzw. das linguistische Ma-
krostrukturwissen (Textgrammatik- und Kommunikationsnormen im weitesten
Sinne) rekonstruiert werden. Zudem kommt auch in einigen Passagen das lingu-
istische Mikrostrukturwissen sehr gut zur Geltung. Allerdings sind derartig gute
Einblicke vergleichsweise selten. Bei einigen InformantInnen lassen sich z. B.
ausschließlich Formulierungs- und Lesetätigkeiten rekonstruieren. Insbesondere
hinsichtlich der textgrammatischen Planung besteht der begründete Verdacht,
dass alle von mir untersuchten InformantInnen stetig abstrahieren und perspek-
tivieren,10 diese Vorgänge allerdings nur dann rekonstruiert werden können,
wenn es dabei zu größeren Schwierigkeiten kommt. Diese Vermutung resultiert
zum einen daraus, dass in einigen Lautdenkprotokollen gar keine Verbalisie-
rungen zu textgrammatischer Planung zu finden sind, obwohl die entstandenen
Texte teilweise eine sehr gute Struktur aufweisen. Zum anderen lassen sich in
meinem Korpus auch einige (retrospektive) Metakommentare finden, die eben-
falls diese Annahme untermauern:
16. […] so noch mal die Aufgabenstellung ((1,1s)) wo ist sie denn ach ((2,3s)) genau
d’un étudiant ((2,1s)) [étudiant] manchmal hab ich das Gefühl ich denke zwar ähm/
oder ich denke so schnell dass ichs gar nich so schnell aussprechen kann ((1,3s)) weil
ich dann schon längst fertig gedacht habe und schon wieder was nächstes mache ir-
gendwie naja ((2,1s)) das ist so ein Denken ohne Worte […] (InformantIn B ft1)
17. […] dölöm dölöm ähm ((5,1s)) nee kann so bleiben ((1,2s)) [professeurs.] gut sorry
das ging gerade so schnell das konnte ich jetz nich alles sagen das waren ehr so Fetzen
ob ich das doch noch anders anordne wegen ((1,4s)) ähm der Aufgabenstellung ((2,1s))
oder ob das noch passt so das Argument war aber irgendwie noch komplizierter glaub
ich ((1,3s)) aber gut ich soll ja nichts erklären ((1,1s)) dann mal weiter […]
(InformantIn G ft1)
18. […] c’est pour cette raison que je vais discuter les côtés positives ja/ nur mal zur
Info ich hab gerad überlegt ob ich da noch einerseits anderseits reinbringen sollte
konnte ich aber nicht so schnell sagen passt aber auch nicht […] (InformantIn F ft2)
Bei der textgrammatischen Planung scheint es sich also ebenfalls um Prozesse
zu handeln, die bei den von mir untersuchten InformantInnen in großen Teilen
vollkommen automatisiert verlaufen. Dieses ist nicht verwunderlich, da die
9
Von Krings (1989) wurden übrigens drei interessante Datenanalysediagramme vorgeschla-
gen, mit deren Hilfe der Ablauf des (fremdsprachlichen) Schreibens systematisch dargestellt
werden kann. Ausführlich werden sie in Krings (1989: 403f.) dargestellt.
10
Interessante theoretische Überlegungen zum Prozess der Materialisierung von Gedanken
bei der Sprachproduktion im Allgemeinen sowie für das Schreiben im Besonderen haben z. B.
Chafe 1977, Molitor-Lübbert 2003, Ortner 1995, 2000, 2006 vorgelegt.
Lautes Denken im Licht der Embodied Cognition 109
12
Weitere Hinweise zur Auswertung von Lautdenkdaten finden sich u. a. bei Chi 1997, Heine
2010, Heine/Schramm 2007, Krings 1986, 1994, Kussmaul 1992 und Yang 2003.
Lautes Denken im Licht der Embodied Cognition 111
Zustände und Prozesse, die bewusstseinsfähig und somit verbalisierbar sind […] nicht
mittels introspektiver Verfahren untersucht werden sollten. (Aguado 2004: 32)
Abschließend möchte ich erwähnen, dass es insgesamt wünschenswert wäre,
wenn den emotionalen, empfindungsbezogenen, situationalen und sozialen Pro-
zessen sowohl in der (fremdsprachlichen) Schreibprozessforschung als auch in
der Sprachlehr- und -lernforschung deutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt
würde. Wie in diesem Aufsatz gezeigt werden konnte, wirken sie wahrscheinlich
stärker auf das gesamte menschliche Erleben ein, als bislang angenommen bzw.
in vielen Untersuchungen berücksichtigt wurde.
Ich danke Prof. Dr. Hans Peter Krings, Prof. Dr. Lena Heine, Prof. Dr. Susanne
Göpferich, Prof. Dr. Karen Schramm, Dr. Thora Tenbrink, Linn Gralla und
Evelyn Bergman herzlich für die vielen hilfreichen Kommentare und
Anregungen zu meinem Aufsatz.
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114 Anna Katharina Schnell