„Kieselrot“ – Versionsunterschied

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Als '''Kieselrot''' oder '''Kieselrotasche''' bezeichnet man eine u. a. [[Polychlorierte Dibenzodioxine und Dibenzofurane|dioxinhaltige]] rote [[Schlacke (Metallurgie)|Schlacke]], die bei einem während des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkriegs]] angewandten [[Röstreduktion]]sverfahren zur [[Kupfer]]gewinnung anfiel. In Deutschland wurde sie ab den 1950er Jahren bis 1975 unter anderem als Belag für Sport- und Spielplätze (z. B. [[Aschenplatz|Aschenplätze]], [[Aschenbahn]]en) verwendet. Die extreme Belastung von Kieselrot durch Ultragifte wie Dioxin wurde erst 1991 entdeckt. In der Folge wurden zahlreiche [[Spielplatz|Spiel-]] und [[Sportplatz|Sportplätze]] gesperrt und saniert. Kieselrot enthält ein typisches Dioxinmuster, in dem hochchlorierte [[Dibenzofuran]]e dominieren. Daneben enthält es weitere hochchlorierte Verbindungen wie [[Hexachlorbenzol]] und [[polychlorierte Biphenyle]].
Als '''Kieselrot''' oder '''Kieselrotasche''' bezeichnet man eine rote [[Schlacke (Metallurgie)|Schlacke]], die bei einem während des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkriegs]] angewandten [[Röstreduktion]]sverfahren zur [[Kupfer]]gewinnung anfiel. In Deutschland wurde sie in den 1950er und 1960er Jahren ausgeliefert und vor allem als Belag für [[Aschenbahn]]en und [[Aschenplatz|Aschenplätze]] verwendet. Weiterhin wurden Gemeinden in Frankreich, Belgien, Holland und Dänemark beliefert.<ref>Der Spiegel: [http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/13490778 ''Exportschlager Kieselrot''], Heft 18/1991, 29. April 1991, abgerufen am 30. Oktober 2018.</ref> Die [[Polychlorierte Dibenzodioxine und Dibenzofurane|Dioxin]]-Belastung von Kieselrot wurde erst 1991 entdeckt. In der Folge wurden zahlreiche [[Spielplatz|Spiel-]] und [[Sportplatz|Sportplätze]] gesperrt und saniert. Kieselrot enthält ein typisches Dioxinmuster, in dem hochchlorierte [[Dibenzofuran]]e dominieren. Daneben enthält es weitere hochchlorierte Verbindungen wie [[Hexachlorbenzol]] und [[polychlorierte Biphenyle]].


== Geschichte ==
== Geschichte ==
Seit Ende der 1930er Jahre wurden in der Kupferhütte im sauerländischen [[Marsberg]] (Westfalen) von einem Nachfolgeunternehmen der [[Stadtberger Hütte AG]] [[Kupferschiefer]]-Vorkommen mit einem Kupfergehalt von nur 1,3–1,5 % abgebaut. Um möglichst viel Kupfer aus dem niedrigkonzentrierten Erz zu erhalten, verwendete man das Röstreduktionsverfahren: Dabei bildeten sich lösliche Kupfersalze, die aus dem erkalteten Roherz [[Auslaugung|ausgelaugt]] werden konnten. Die zurückbleibende Schlacke wurden auf [[Halde]]n deponiert.<ref Name="Ballschmiter,Bacher"/>Durch das Zusammenkommen von Kohlenstoff, Schwefel und Chlor bei einer vergleichsweise niedrigen Rösttemperatur entstanden im Röstgut erhebliche Verunreinigungen mit stark giftigen [[Chlororganische Verbindungen|hochchlorierten Organochlorverbindungen]] wie Dioxin (s. [[Kieselrot#Schadstoffentstehung und -Belastung|Schadstoffentstehung und -Belastung]]).
Seit Ende der 1930er Jahre wurden in der Kupferhütte im sauerländischen [[Marsberg]] (Westfalen) von einem Nachfolgeunternehmen der [[Stadtberger Hütte AG]] [[Kupferschiefer]]-Vorkommen mit einem Kupfergehalt von nur 1,3–1,5 % abgebaut. Um möglichst viel Kupfer aus dem niedrigkonzentrierten Erz zu erhalten, verwendete man das Röstreduktionsverfahren: Dabei bildeten sich lösliche Kupfersalze, die aus dem erkalteten Roherz [[Auslaugung|ausgelaugt]] werden konnten. Die zurückbleibende Schlacke wurden auf [[Halde]]n deponiert.<ref name="Ballschmiter,Bacher" /> Durch das Zusammenkommen von Kohlenstoff, Schwefel und Chlor bei einer vergleichsweise niedrigen Rösttemperatur entstanden im Röstgut erhebliche Verunreinigungen mit stark giftigen [[Chlororganische Verbindungen|hochchlorierten Organochlorverbindungen]] wie Dioxin (s. [[#Schadstoffentstehung und -Belastung|Schadstoffentstehung und -Belastung]]).


Im Sommer 1938, kurz nach Aufnahme der Produktion der Kupferhütte im sauerländischen Marsberg, kam es in der Gemarkung Marsberg zu einem größeren Viehsterben. Der Betriebsleiter der Hütte ging von einem Schaden von 600.000 bis 800.000 Reichsmark aus.
=== Frühe Warnung ===
1939 warnte der Betriebsleiter der Kupferhütte die Leitung der damaligen [[Hermann-Göring-Werke]] vor einer Verseuchung der Umwelt.<ref>Der Spiegel: [http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/13490095 ''Viele Bitterfelds''], Heft 17/1991, 22. April 1991, abgerufen am 3. Juni 2018.</ref>
Im Sommer 1938, kurz nach Aufnahme der Produktion der Kupferhütte im sauerländischen Marsberg, starb in der Gemarkung Marsberg „das Vieh gleich reihenweise“. Der Betriebsleiter der Hütte notierte den „für damalige Zeiten monströsen Schaden von "600 000 bis 800 000 Reichsmark"“. Der Bau eines Schornsteins in der Hütte, gedacht zur besseren Verteilung der Abgase, bewirkte nach Wissen eines Marsberger Heimatforschers nur, daß danach im benachbarten Waldecker Land das Vieh einging.
1939 warnte der Betriebsleiter der Kupferhütte im sauerländischen Marsberg die Leitung der damaligen Hermann-Göring-Werke vor einer Verseuchung der Umwelt: „Wenn der Konzern die Rückstände der Produktion, "Flugstaub" und "Chlor", nicht ordentlich beseitigen lasse, werde "die hiesige Gegend verarmen"“.<ref>[Der Spiegel 17/1991: „Viele Bitterfelds“ (vollständigere PDF-Version) http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/13490095], 22.04.1991, abgerufen 03. Juni 2018</ref>
=== Abbau und Vermarktung der Schlacke ===
Von 1955 bis wenigstens 1967 baute die Marsberger Tiefbaufirma ''Möllmann & Pohle'' 400.000 - 800.000 Tonnen der Schlacke wieder ab. Sie wurde unter der Bezeichnung ''Marsberger Kieselrot'' als Belag für Sport- und Spielplätze als auch für den [[Straßen- und Wegebau]] verkauft. Man verwendete das Material vor allem in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Niedersachsen und Bremen.<ref>Schul-AG ''Kieselrot'' aus Kassel: [http://www.veit-enno.de/kieselrot/UntitledFrame-47.htm ''Kapitel 3.4 Die Verbreitung von "Kieselrot"]''.</ref>


Von 1955 bis wenigstens 1967 baute die Marsberger Tiefbaufirma ''Möllmann & Pohle'' 400.000 800.000 Tonnen der Schlacke wieder ab. Sie wurde unter der Bezeichnung ''Marsberger Kieselrot'' sowohl als Belag für Sport- und Spielplätze als auch für den [[Straßen- und Wegebau]] verkauft. Man verwendete das Material vor allem in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Niedersachsen und Bremen.<ref>Schul-AG ''Kieselrot'' aus Kassel: {{Webarchiv |url=http://www.veit-enno.de/kieselrot/UntitledFrame-47.htm |text=''Kapitel 3.4 Die Verbreitung von "Kieselrot"'' |wayback=20050422055843 |archive-today= |archiv-bot=}}''.''</ref> Nach Angaben des Spiegel (19/1991) sollen mindestens 800.000 Tonnen Dioxin-Schlacke vermarktet worden sein.<ref>Der Spiegel: [http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/13487468 ''Gifte - Kreislauf des Todes''], Heft 19/1991, 6. Mai 1991, abgerufen am 2. Juni 2018.</ref>
Nach Angaben des Spiegel (19/1991) gelte jedoch als „sicher, daß mindestens 800 000 Tonnen Dioxin-Schlacke“ vermarktet worden seien - dies sei „genug Kieselrot für über 3000 Bolz- und Spielplätze“. In [[Marsberg]] würden darüber hinaus „städtische Angestellte und frühere Mitarbeiter von Transportfirmen“ schätzen, daß „mindestens eine Million Tonnen Kieselrot, womöglich sogar fünf Millionen Tonnen über Mitteleuropa verstreut“ worden seien.<ref>[Der Spiegel 19/1991: „Gifte - Kreislauf des Todes“ (vollständigere PDF-Version) http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/13487468], 06.05.1991, abgerufen 02. Juni 2018</ref> So sieht man es auch bei den [[Bremen|Bremer]] Beamten unter der sozialdemokratischen Umweltsenatorin [[Eva-Maria Lemke]]-Schulte, die den neuen Dioxin-Alarm auslöste: „Mindestens eine Million Tonnen“ der rötlich-schwarzen Kupferschlacke aus Marsberg, so Bremer Umweltbeamte, seien „bis 1975 für Sport- und Spielplatzbau an westdeutsche Kommunen geliefert“ worden. Es könnten aber auch, „nach den Produktionszahlen der Hütte“, bis zu fünf Millionen Tonnen gewesen sein.


Erst 1991 fielen bei Bodenuntersuchungen extrem hohe Dioxingehalte in der Nähe von Sport- und Spielplätzen auf, deren Belag aus Kieselrot bestand. Schnell wurde die Schlacke der sauerländischen Kupferhütte als Verursacher ermittelt.
=== Aufdeckung ab 1991, Relation der Giftmenge ===
Erst 1991 fielen den Bremer Umweltbeamten bei Routine-Messungen „extrem hohe“ Dioxingehalte in der Nähe von Sport- und Spielplätzen auf, deren Belag aus Kieselrot bestand. Schnell wurde die Schlacke der sauerländischen Kupferhütte als Verursacher ermittelt. Die "Dramatik der Meßergebnisse" (Lemke-Schulte) ergab: „120 000 Quadratmeter Spiel- und Sportfläche“ in der Hansestadt Bremen, „darunter auch der Trainingsplatz des Fußball-Bundesligisten Werder Bremen“, mussten gesperrt und saniert werden.<ref>[Der Spiegel 17/1991: „Viele Bitterfelds“ (vollständigere PDF-Version) http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/13490095], 22.04.1991, abgerufen 03. Juni 2018</ref> Die Schlacke aus dem Sauerland, „seit 1955 Spielgrund für Generationen von Kindern“, enthielt „bis zu 100 000 Nanogramm Dioxin je Kilogramm“. Zum Vergleich hätten beim [[Sevesounglück|Chemieunfall in Seveso]] „alle Flächen als "Todeszone A" gegolten“, die „im Schnitt mit 1000 Nanogramm (Milliardstel Gramm) Dioxin je Kilogramm Erde“ verseucht waren: Die Bewohner dieser Areale wurden zwangsweise evakuiert. Als man im Boden des [[Chemiepark Bitterfeld-Wolfen|Bitterfelder Chemiekombinats]] in Ostdeutschland knapp über 3200 Nanogramm Dioxin pro Kilo Erde fand, war Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) noch sicher: Derlei Werte seien „in Westdeutschland "unvorstellbar"“.<ref>[Der Spiegel 17/1991: „Viele Bitterfelds“ (vollständigere PDF-Version) http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/13490095], 22.04.1991, abgerufen 03. Juni 2018</ref><ref>[Der Spiegel 19/1991: „Gifte - Kreislauf des Todes“ (vollständigere PDF-Version) http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/13487468], 06.05.1991, abgerufen 02. Juni 2018</ref>


Obwohl man trotz der hohen [[Bodenkontamination|Bodenbelastung]] bei Blutuntersuchungen von insgesamt 98 Personen „lediglich bei einem Teil der Kinder geringfügig erhöhte Belastungen“ feststellte, welche „nach derzeitigem Kenntnisstand nicht als Gesundheitsgefährdung einzustufen“ seien, weil nur ein „geringer Transfer zum Menschen“ bestehe, empfahl man, diese aus Vorsorgegründen zu sperren und „vordringlich zu sanieren“.<ref>J. Wittsiepe, U. Ewers, F. Selenka: ''{{Webarchiv | url=http://www.hygiene.ruhr-uni-bochum.de/hygiene/dioxin/publikationsliste_abstract.cfm?LN=14 | wayback=20070613074621 | text=PCDD/F-Belastung nach Exposition gegenüber Kieselrot}}''. in [[DECHEMA]] (Hrsg.): ''Kriterien zur Beurteilung organischer Bodenkontaminationen: Dioxine und Phthalate''. S. 409–430, Frankfurt (1995).</ref>
=== Herabstufung der Gefährdungslage ===
Obwohl man trotz der hohen [[Bodenkontamination|Bodenbelastung]] bei Blutuntersuchungen von insgesamt 98 Personen „lediglich bei einem Teil der Kinder geringfügig erhöhte Belastungen“ feststellte, welche „nach derzeitigem Kenntnisstand nicht als Gesundheitsgefährdung einzustufen“ sei (1995), weil bei nicht beruflicher Nutzung demnach nur ein „geringer Transfer zum Menschen“ bestehe, empfahl man, diese aus Vorsorgegründen zu sperren und „vordringlich zu sanieren“.<ref>J. Wittsiepe, U. Ewers, F. Selenka: ''{{Webarchiv | url=http://www.hygiene.ruhr-uni-bochum.de/hygiene/dioxin/publikationsliste_abstract.cfm?LN=14 | wayback=20070613074621 | text=PCDD/F-Belastung nach Exposition gegenüber Kieselrot}}''. in [[DECHEMA]] (Hrsg.): ''Kriterien zur Beurteilung organischer Bodenkontaminationen: Dioxine und Phthalate''. S. 409–430, Frankfurt (1995).</ref>
==== Widersprüchliche amtliche Einschätzung in Nordrheinwestfalen und Bayern ====
Gemäß Stadtsprecher Oliver Trappe aus [[Bochum]] ging die Landesregierung NRW noch deutlich weiter. So könnten „Gemäß einem Erlass der Landesregierung vom 13.07.1991 (...) alle Flächen ohne gesundheitliche Schädigungen genutzt“ werden. Kieselrot könne jedoch „Auswirkungen auf die Umwelt“ haben. Dennoch ließ die Stadt Bochum „in Übereinstimmung mit dem Düsseldorfer Erlass“ nach und nach alle Plätze von der während der Kriegsproduktion entstandenen Schlacke befreien, die Sanierung war aber bis 2014 nicht abgeschlossen.<ref>[Jonas Erlenkämper: Stadt saniert Dioxin-belasteten Platz von Blau-Weiß Weitmar https://www.waz.de/staedte/bochum/stadt-saniert-dioxin-belasteten-platz-von-blau-weiss-weitmar-id9706932.html], waz.de, 17.08.2014</ref>
Dem Chemischen Untersuchungsamt Nürnberg dagegen reicht selbst eine Sperrung nicht aus: „Um die Sicherheit der Anwohner der betroffenen Sportanlagen zu gewährleisten“ heisst es dort, „reicht die Sperrung der Anlage nicht aus“. „Um eine Verwehung des belasteten Materials zu verhindern“, sei es notwendig, „die Sportplätze oder -bahnen mit Folie so abzudichten, dass kein Staub mehr ausgetragen werden kann“. „Langfristig“ bleibe aber nur ein kompletter Austausch des belasteten Bodens, der „als Sondermüll zu gelten“ habe.<ref>[„Ergebnisse aus Untersuchungsprogrammen des Chemischen Untersuchungsamtes: Dioxin-Belastung auf Nürnberger Sportplätzen durch „Kieselrot“-Beläge“ http://umweltdaten.nuernberg.de/fileadmin/Dokumente/Schwerpunktthemen/91-6-3.pdf], Juni 1991, abgerufen 03. Juni 2018</ref>


Während Nordrhein-Westfalen, Bremen und Hamburg nach ersten Ergebnissen einer Untersuchung an Einwohnern von Marsberg dioxinverseuchte Sportplätze 1991 wieder freigaben, hielten Länder wie Bayern, Niedersachsen, Hessen und Baden-Württemberg ihre Sportanlagen weiter geschlossen.<ref>[https://taz.de/!1694006/ ''Lösung: Richtwerte hochsetzen''], TAZ, 15. November 1991.</ref>
=== Schadstoffverschleppung und mögliche Kostenexplosion ===
Nachdem die Zusammenhänge geklärt waren, wurden in Deutschland etwa 1400 Sport- und Kinderspielplätze gesperrt. Ein Teil der Sportplätze wurde einige Zeit später wieder für den Gebrauch freigegeben. Sie sind heute zum größten Teil [[Bodensanierung|saniert]]<ref>Pressemeldung des Landessportbundes Hessen: ''[http://www.landessportbund-hessen.de/presse/pressemeldung-einzelansicht/archive/2004/february/article/dr-rolf-mueller-moegliche-gesundheits-belastungen-durch-kieselrot-jetzt-ausge-schlossen//e733a5b1dd.html Mögliche Gesundheitsbelastungen durch Kieselrot jetzt ausgeschlossen]''. 12. Februar 2004.</ref>, worunter man beispielsweise gemäß Erlass des Landesumweltminsteriums NRW in den neunziger Jahren als ''„langfristige Sicherung auch das Belassen auf der Fläche und die Aufbringung einer Sperrschicht“'' verstand. Diese relativ kostengünstige Methode der Sanierung birgt jedoch Mehrkosten, weil die Entsorgung mit weiteren Baukosten entweder später anfällt,<ref>Martina Kütterer: „Baustelle Lugauf-Sportplatz: Leichtathletikbereich dioxinfrei“ https://mobil.lkz.de/nachrichten_artikel,-Baustelle-Lugauf-Sportplatz-Leichtathletikbereich-dioxinfrei-_arid,309723.html], Ludwigsburger Kreiszeitung, 21. August 2015</ref> oder im Fall der Städte [[Bottrop]] und [[Schwerte]] auch das Risiko des erneuten Vordringens an die Oberfläche in sich birgt:


Untersuchungen belegen, dass von den belasteten Flächen dioxinbelastete Stäube in die nähere Umgebung verweht wurden. Es wird davon ausgegangen, dass sie über Jahre hinweg als Emissionsquellen für Dioxine wirkten.<ref>Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: [http://www.dioxindb.de/dokumente/3-Bericht-dioxine.pdf ''3. Bericht der Bund-/Länder-Arbeitsgruppe Dioxine''], etwa 2001, Kapitel 12.2.2 ''Kieselrot'', S. 106 bzw. 116 (PDF-Anzeige).</ref>
Die Stadt Bottrop sei 2013 „sehr überrascht“ gewesen, sagte der städtische Umwelt-Fachbereichsleiter Stefan Beckmann, dass die vom Land empfohlene Methode offenkundig nicht sicher sei. Demnach ergaben Kontrollen erneut „sehr hohe Dioxinwerte an der Oberfläche“, da die Deckschicht durch Aufweichung und Glätten des Platzes zerstört worden sei.<ref>[Norbert Jänecke: Bagger sollen mit Dioxin verseuchte Asche von Fußballplätzen in Bottrop entfernen https://www.waz.de/staedte/bottrop/bagger-sollen-mit-dioxin-verseuchte-asche-von-fussballplaetzen-in-bottrop-entfernen-id7523308.html], WAZ.de, 26.01.2013</ref>
Dass unter dem Spielplatz in Schwerte-Ost eine Kieselrotaschenschicht liegt, war der Stadtverwaltung schon seit 1992 bekannt. Auch dort war das Material nach Erlass des Landesumweltministeriums damals mit Boden abgedeckt worden. 2015 war man gemäß einer Mitteilung der Unteren Bodenschutzbehörde des Kreises Unna noch zur Einschätzung gekommen, „die vorhandene Abdeckung reiche aus“. 2017 ergab eine Sanierungsuntersuchung in Oberflächenmischproben erneut Belastungen durch Kieselrot: Ursächlich wurde festgestellt, dass es zu „einer witterungsbedingten Abnutzung und Abtragung der Deckschicht“ gekommen sei. Die Verwaltung sperrte den Spielplatz. Durch das mitsamt der Deckschicht erhöhte Entsorgungsaufkommen liegt die Sanierung der Anlage und des Bolzplatzes am Lindenweg „mittlerweile im siebenstelligen Bereich“. Die Stadt Schwerte hat Förderanträge gestellt.<ref>[Ingo Rous: Kieselrot in Schwerte-Ost: Wie lange dauert denn die Sperrung noch? http://www.ruhrtal-journal.de/kieselrot-in-schwerte-ost-wie-lange-dauert-denn-die-sperrung-noch/] ruhrtal-journal.de, 28. Februar 2018</ref>


== Einzelne Beispiele ==
Obwohl zahlreiche Städte schon 1991 „keine akute Gefahr“ vermeldeten bzw. diese „mit einwandfreiem Naturmaterial überdeckt“ hätten, befürchten Wissenschaftler, dass „die Schlacke Dioxine ausgase, "selbst, wenn sie unter Beton liegt"“. Nach Berechnungen des Chemikers Michael Braungart (Hamburger Umweltinstitut) gebe die sauerländische Schlacke „bundesweit pro Tag zwischen 800 und 1700 Gramm reines Dioxin-Gas in die Luft ab, "eine unvorstellbare Menge"“. Manche Wissenschaftler sehen diese angesichts der Mengen und Dosen sogar als „missing link“ ihrer [[Ubiquität]], d.h. wesentliche Ursache der Allgegenwart von Dioxinen in der Atemluft.<ref>[Der Spiegel 19/1991: „Gifte - Kreislauf des Todes“ (vollständigere PDF-Version) http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/13487468], 06.05.1991, abgerufen 02. Juni 2018</ref>
In [[Bochum]] könnten „Gemäß einem Erlass der Landesregierung vom 13.07.1991 (...) alle Flächen ohne gesundheitliche Schädigungen genutzt“ werden. Kieselrot könne jedoch „Auswirkungen auf die Umwelt“ haben. Dennoch ließ die Stadt Bochum nach und nach alle Plätze von der Schlacke befreien. Die Sanierung war aber bis 2014 nicht abgeschlossen.<ref>Jonas Erlenkämper: [https://www.waz.de/staedte/bochum/stadt-saniert-dioxin-belasteten-platz-von-blau-weiss-weitmar-id9706932.html ''Stadt saniert Dioxin-belasteten Platz von Blau-Weiß Weitmar''], waz.de, 17. August 2014.</ref>

Laut einer Veröffentlichung des Chemischen Untersuchungsamts Nürnberg aus dem Jahr 1991 reiche selbst eine Sperrung nicht aus: „Um die Sicherheit der Anwohner der betroffenen Sportanlagen zu gewährleisten“ heißt es dort, „reicht die Sperrung der Anlage nicht aus“. „Um eine Verwehung des belasteten Materials zu verhindern“, sei es notwendig, „die Sportplätze oder -bahnen mit Folie so abzudichten, dass kein Staub mehr ausgetragen werden kann“. „Langfristig“ bleibe aber nur ein kompletter Austausch des belasteten Bodens, der „als Sondermüll zu gelten“ habe.<ref>[http://umweltdaten.nuernberg.de/fileadmin/Dokumente/Schwerpunktthemen/91-6-3.pdf „Ergebnisse aus Untersuchungsprogrammen des Chemischen Untersuchungsamtes: Dioxin-Belastung auf Nürnberger Sportplätzen durch „Kieselrot“-Beläge“], umweltdaten.nuernberg.de, Juni 1991, abgerufen am 3. Juni 2018.</ref>

Nachdem die Zusammenhänge geklärt waren, wurden in Deutschland etwa 1400 Sport- und Kinderspielplätze gesperrt. Ein Teil der Sportplätze wurde einige Zeit später wieder für den Gebrauch freigegeben. Sie sind heute zum größten Teil [[Bodensanierung|saniert]]<ref>Pressemeldung des Landessportbundes Hessen: ''{{Webarchiv|url=http://www.landessportbund-hessen.de/presse/pressemeldung-einzelansicht/archive/2004/february/article/dr-rolf-mueller-moegliche-gesundheits-belastungen-durch-kieselrot-jetzt-ausge-schlossen//e733a5b1dd.html |wayback=20100205091321 |text=Mögliche Gesundheitsbelastungen durch Kieselrot jetzt ausgeschlossen }}''. 12. Februar 2004.</ref>, worunter man beispielsweise gemäß Erlass des Landesumweltministeriums NRW in den neunziger Jahren als ''„langfristige Sicherung auch das Belassen auf der Fläche und die Aufbringung einer Sperrschicht“'' verstand. Diese relativ kostengünstige Methode der Sanierung birgt jedoch Mehrkosten, weil die Entsorgung mit weiteren Baukosten entweder später anfällt,<ref>Martina Kütterer: {{Webarchiv|url=https://mobil.lkz.de/nachrichten_artikel,-Baustelle-Lugauf-Sportplatz-Leichtathletikbereich-dioxinfrei-_arid,309723.html |wayback=20180612162207 |text=''Baustelle Lugauf-Sportplatz: Leichtathletikbereich dioxinfrei''.}} Ludwigsburger Kreiszeitung, 21. August 2015.</ref> oder im Fall der Städte [[Bottrop]] und [[Schwerte]] auch das Risiko des erneuten Vordringens an die Oberfläche in sich birgt.

Die Stadt Bottrop sei 2013 „sehr überrascht“ gewesen, dass die vom Land empfohlene Methode offenkundig nicht sicher sei. Demnach ergaben Kontrollen erneut „sehr hohe Dioxinwerte an der Oberfläche“, da die Deckschicht durch Aufweichung und Glätten des Platzes zerstört worden sei.<ref>Norbert Jänecke: [https://www.waz.de/staedte/bottrop/bagger-sollen-mit-dioxin-verseuchte-asche-von-fussballplaetzen-in-bottrop-entfernen-id7523308.html ''Bagger sollen mit Dioxin verseuchte Asche von Fußballplätzen in Bottrop entfernen ''], WAZ.de, 26. Januar 2013.</ref>
Dass unter dem Spielplatz in Schwerte-Ost eine Kieselrotaschenschicht liegt, war der Stadtverwaltung schon seit 1992 bekannt. Auch dort war das Material nach Erlass des Landesumweltministeriums damals mit Boden abgedeckt worden. 2015 war man gemäß einer Mitteilung der Unteren Bodenschutzbehörde des Kreises Unna noch zur Einschätzung gekommen, „die vorhandene Abdeckung reiche aus“. 2017 ergab eine Sanierungsuntersuchung in Oberflächenmischproben erneut Belastungen durch Kieselrot: Ursächlich wurde festgestellt, dass es zu „einer witterungsbedingten Abnutzung und Abtragung der Deckschicht“ gekommen sei. Die Verwaltung sperrte den Spielplatz. Durch das mitsamt der Deckschicht erhöhte Entsorgungsaufkommen liegt die Sanierung der Anlage und des Bolzplatzes am Lindenweg „mittlerweile im siebenstelligen Bereich“. Die Stadt Schwerte hat Förderanträge gestellt.<ref>Ingo Rous: [http://www.ruhrtal-journal.de/kieselrot-in-schwerte-ost-wie-lange-dauert-denn-die-sperrung-noch ''Kieselrot in Schwerte-Ost: Wie lange dauert denn die Sperrung noch?''] ruhrtal-journal.de, 28. Februar 2018.</ref>


== Schadstoffentstehung und -Belastung ==
== Schadstoffentstehung und -Belastung ==
Die im sauerländischen Marsberg verarbeiteten [[Kupferschiefer]]-Vorkommen mit einem Kupfergehalt von nur 1,3–1,5 % enthielten neben anderen Verunreinigungen bis zu 10 % [[Bitumen]]. Um möglichst viel Kupfer aus dem niedrigkonzentrierten Erz zu erhalten, verwendete man das [[Röstreduktion]]sverfahren: dem Kupferschiefer wurden bis zu 8 % [[Natriumchlorid|Kochsalz]] und 2 % [[Pyrit]] beigemischt, dann wurde das Gemisch bei Temperaturen von 450 bis 600&nbsp;°C geröstet. Dabei bildeten sich lösliche Kupfersalze, die aus dem erkalteten Roherz [[Auslaugung|ausgelaugt]] werden konnten. Die zurückbleibende Schlacke wurden auf [[Halde]]n deponiert.<ref Name="Ballschmiter,Bacher"/>
Die im sauerländischen Marsberg verarbeiteten [[Kupferschiefer]]-Vorkommen mit einem Kupfergehalt von nur 1,3–1,5 % enthielten neben anderen Verunreinigungen bis zu 10 % [[Bitumen]]. Um möglichst viel Kupfer aus dem niedrigkonzentrierten Erz zu erhalten, verwendete man das [[Röstreduktion]]sverfahren: dem Kupferschiefer wurden bis zu 8 % [[Natriumchlorid|Kochsalz]] und 2 % [[Pyrit]] beigemischt, dann wurde das Gemisch bei Temperaturen von 450 bis 600&nbsp;°C geröstet. Dabei bildeten sich lösliche Kupfersalze, die aus dem erkalteten Roherz [[Auslaugung|ausgelaugt]] werden konnten. Die zurückbleibende Schlacke wurde auf [[Halde]]n deponiert.<ref name="Ballschmiter,Bacher" />
Durch das Zusammenkommen von Kohlenstoff, Schwefel und Chlor bei einer vergleichsweise niedrigen Rösttemperatur entstanden durch [[De-novo-Synthese]] im Röstgut erhebliche Verunreinigungen mit [[Chlororganische Verbindungen|hochchlorierten Organochlorverbindungen]].<ref>[https://www.bghm.de/uploads/tx_ttproducts/datasheet/BGI_722_03.pdf Auftreten von
Durch das Zusammenkommen von Kohlenstoff, Schwefel und Chlor bei einer vergleichsweise niedrigen Rösttemperatur entstanden durch [[De-novo-Synthese]] im Röstgut erhebliche Verunreinigungen mit [[Chlororganische Verbindungen|hochchlorierten Organochlorverbindungen]].<ref>{{Webarchiv|url=https://www.bghm.de/uploads/tx_ttproducts/datasheet/BGI_722_03.pdf |wayback=20180612144044 |text=Auftreten von Dioxinen (PCDD/PCDF) bei der Metallerzeugung und Metallbearbeitung - BG-Information, S. 13, 2.0: Entstehung von PCDD und PCDF }}</ref> In der Schlacke wurden [[Chlorbenzol]]e, [[Chlorphenole]], polychlorierte Biphenyle und [[polychlorierte Naphthaline]] nachgewiesen. Daneben waren auch schwefelhaltige Verbindungen wie chlorierte [[Benzothiophen]]e enthalten.
Dioxinen (PCDD/PCDF) bei der Metallerzeugung und Metallbearbeitung - BG-Information, S.13, 2.0: Entstehung von PCDD und PCDF]</ref> In der Schlacke wurden [[Chlorbenzol]]e, [[Chlorphenole]], polychlorierte Biphenyle und [[polychlorierte Naphthaline]] nachgewiesen. Daneben waren auch schwefelhaltige Verbindungen wie chlorierte [[Benzothiophen]]e enthalten.


Die größte Bedeutung unter den Schadstoffen in der Schlacke haben die [[Polychlorierte Dibenzodioxine und Dibenzofurane|polychlorierten Dibenzodioxine und Dibenzofurane]]. Charakteristisch für das Dioxinmuster von Kieselrot ist der besonders hohe Anteil der hochchlorierten Dibenzofuran-[[Kongener]]e. Als Gesamtgehalte an Dioxinen wurden 10.000–100.000 ng I-TEQ/kg Trockenmasse bestimmt.<ref Name="Ballschmiter,Bacher">[[Karlheinz Ballschmiter]], Reiner Bacher: ''Dioxine''. Verlag Chemie (VCH), Weinheim 1996, ISBN 3-527-28768-X.</ref>
Die größte Bedeutung unter den Schadstoffen in der Schlacke haben die [[Polychlorierte Dibenzodioxine und Dibenzofurane|polychlorierten Dibenzodioxine und Dibenzofurane]]. Charakteristisch für das Dioxinmuster von Kieselrot ist der besonders hohe Anteil der hochchlorierten Dibenzofuran-[[Kongener]]e. Als Gesamtgehalte an Dioxinen wurden 10.000–100.000 ng I-TEQ/kg Trockenmasse bestimmt.<ref name="Ballschmiter,Bacher">[[Karlheinz Ballschmiter]], Reiner Bacher: ''Dioxine''. Verlag Chemie (VCH), Weinheim 1996, ISBN 3-527-28768-X.</ref>

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== Gesundheitliche Folgen ==
== Gesundheitliche Folgen ==
Bei [[Schürfwunde]]n kann es zu sogenannten „[[Tätowierung#Schmutztätowierung|Schmutztätowierungen]]“ kommen, wenn Partikel bei Stürzen tiefer in die Haut eindringen und insofern ohne Operation dauerhaft in der Haut verbleiben und ihr schädigendes, z.&nbsp;B. wundheilungsstörendes oder [[karzinogen]]es, Potential dort entfalten können.<ref>[https://www.enzyklopaedie-dermatologie.de/dermatologie/schmutztatowierung-3638 „Schmutztätowierung“ In: Altmeyers Enzyklopädie: Dermatologie], abgerufen 03. Juni 2018</ref> Dem Marsberger Stadtdirektor Hans-Otto Hille fielen nach den Bremer Enthüllungen 1991 wieder Berichte von Sportlern ein, die sich bei Stürzen auf dem lokalen Fussballplatz verletzt hatten: „Die Schürfwunden, so übereinstimmende Beobachtungen, "verheilten praktisch erst nach Jahren"“.<ref>[Der Spiegel 17/1991: „Viele Bitterfelds“ (vollständigere PDF-Version) http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/13490095], 22.04.1991, abgerufen 03. Juni 2018</ref>
Bei [[Schürfwunde]]n kann es zu sogenannten „[[Tätowierung#Schmutztätowierung|Schmutztätowierungen]]“ kommen, wenn Partikel bei Stürzen tiefer in die Haut eindringen und insofern ohne Operation dauerhaft in der Haut verbleiben und ihr schädigendes, z.&nbsp;B. wundheilungsstörendes oder [[karzinogen]]es, Potential dort entfalten können.<ref>[https://www.enzyklopaedie-dermatologie.de/dermatologie/schmutztatowierung-3638 „Schmutztätowierung“ In: Altmeyers Enzyklopädie: Dermatologie], abgerufen am 3. Juni 2018.</ref>
Das [[Toxin|toxische]], u.&nbsp;a. stark [[Oxidationsmittel|oxidative]] und damit [[antioxidans]]verzehrende Potential der Dioxingase und -Partikel aus beim Sport und Spiel aufgewirbelten und eingeatmeten Stäuben ist zunächst abhängig von ihrem Aufnahmeweg (Lunge, Verdauungstrakt, Haut), im Fall der Partikel ihrer Größe, ihrer im Regefall langfristigen bis dauerhaften Einwirkungs- und Verweildauer, ihrer Dosis, ihrem Einwirkungsort, dem Alter der Person, ihrem Gesundheitszustand, der Umgebungstemperatur, der Abdrift durch Wind, u.s.w.. Da Dioxine als auch Polychlorierte Biphenyle jeweils sehr schlecht wasserlöslich (hydrophob) und sehr gut fettlöslich (lipophil) sind, finden sie sich im Körper primär in fettreichen Körpergeweben einschliesslich z.&nbsp;B. [[Myelinscheide|Nervenscheide]]n oder im Bereich der [[Zellmembran]]en wieder und werden dort ggf. dauerhaft abgespeichert und [[Kumulation|angereichert]]. Schon aufgrund ihrer laufenden [[Hämatopoese|Abbaues und Erneuerung]] ihrer Bestandteile kann eine Blutuntersuchung Belastungen mit diesen Wirkstoffen nur im Belastungsmoment bzw. kurzfristig abbilden.


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
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[[Kategorie:Kupfergewinnung]]
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[[Kategorie:Dioxin]]
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Aktuelle Version vom 16. Februar 2023, 10:14 Uhr

Als Kieselrot oder Kieselrotasche bezeichnet man eine rote Schlacke, die bei einem während des Zweiten Weltkriegs angewandten Röstreduktionsverfahren zur Kupfergewinnung anfiel. In Deutschland wurde sie in den 1950er und 1960er Jahren ausgeliefert und vor allem als Belag für Aschenbahnen und Aschenplätze verwendet. Weiterhin wurden Gemeinden in Frankreich, Belgien, Holland und Dänemark beliefert.[1] Die Dioxin-Belastung von Kieselrot wurde erst 1991 entdeckt. In der Folge wurden zahlreiche Spiel- und Sportplätze gesperrt und saniert. Kieselrot enthält ein typisches Dioxinmuster, in dem hochchlorierte Dibenzofurane dominieren. Daneben enthält es weitere hochchlorierte Verbindungen wie Hexachlorbenzol und polychlorierte Biphenyle.

Seit Ende der 1930er Jahre wurden in der Kupferhütte im sauerländischen Marsberg (Westfalen) von einem Nachfolgeunternehmen der Stadtberger Hütte AG Kupferschiefer-Vorkommen mit einem Kupfergehalt von nur 1,3–1,5 % abgebaut. Um möglichst viel Kupfer aus dem niedrigkonzentrierten Erz zu erhalten, verwendete man das Röstreduktionsverfahren: Dabei bildeten sich lösliche Kupfersalze, die aus dem erkalteten Roherz ausgelaugt werden konnten. Die zurückbleibende Schlacke wurden auf Halden deponiert.[2] Durch das Zusammenkommen von Kohlenstoff, Schwefel und Chlor bei einer vergleichsweise niedrigen Rösttemperatur entstanden im Röstgut erhebliche Verunreinigungen mit stark giftigen hochchlorierten Organochlorverbindungen wie Dioxin (s. Schadstoffentstehung und -Belastung).

Im Sommer 1938, kurz nach Aufnahme der Produktion der Kupferhütte im sauerländischen Marsberg, kam es in der Gemarkung Marsberg zu einem größeren Viehsterben. Der Betriebsleiter der Hütte ging von einem Schaden von 600.000 bis 800.000 Reichsmark aus. 1939 warnte der Betriebsleiter der Kupferhütte die Leitung der damaligen Hermann-Göring-Werke vor einer Verseuchung der Umwelt.[3]

Von 1955 bis wenigstens 1967 baute die Marsberger Tiefbaufirma Möllmann & Pohle 400.000 – 800.000 Tonnen der Schlacke wieder ab. Sie wurde unter der Bezeichnung Marsberger Kieselrot sowohl als Belag für Sport- und Spielplätze als auch für den Straßen- und Wegebau verkauft. Man verwendete das Material vor allem in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Niedersachsen und Bremen.[4] Nach Angaben des Spiegel (19/1991) sollen mindestens 800.000 Tonnen Dioxin-Schlacke vermarktet worden sein.[5]

Erst 1991 fielen bei Bodenuntersuchungen extrem hohe Dioxingehalte in der Nähe von Sport- und Spielplätzen auf, deren Belag aus Kieselrot bestand. Schnell wurde die Schlacke der sauerländischen Kupferhütte als Verursacher ermittelt.

Obwohl man trotz der hohen Bodenbelastung bei Blutuntersuchungen von insgesamt 98 Personen „lediglich bei einem Teil der Kinder geringfügig erhöhte Belastungen“ feststellte, welche „nach derzeitigem Kenntnisstand nicht als Gesundheitsgefährdung einzustufen“ seien, weil nur ein „geringer Transfer zum Menschen“ bestehe, empfahl man, diese aus Vorsorgegründen zu sperren und „vordringlich zu sanieren“.[6]

Während Nordrhein-Westfalen, Bremen und Hamburg nach ersten Ergebnissen einer Untersuchung an Einwohnern von Marsberg dioxinverseuchte Sportplätze 1991 wieder freigaben, hielten Länder wie Bayern, Niedersachsen, Hessen und Baden-Württemberg ihre Sportanlagen weiter geschlossen.[7]

Untersuchungen belegen, dass von den belasteten Flächen dioxinbelastete Stäube in die nähere Umgebung verweht wurden. Es wird davon ausgegangen, dass sie über Jahre hinweg als Emissionsquellen für Dioxine wirkten.[8]

Einzelne Beispiele

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In Bochum könnten „Gemäß einem Erlass der Landesregierung vom 13.07.1991 (...) alle Flächen ohne gesundheitliche Schädigungen genutzt“ werden. Kieselrot könne jedoch „Auswirkungen auf die Umwelt“ haben. Dennoch ließ die Stadt Bochum nach und nach alle Plätze von der Schlacke befreien. Die Sanierung war aber bis 2014 nicht abgeschlossen.[9]

Laut einer Veröffentlichung des Chemischen Untersuchungsamts Nürnberg aus dem Jahr 1991 reiche selbst eine Sperrung nicht aus: „Um die Sicherheit der Anwohner der betroffenen Sportanlagen zu gewährleisten“ heißt es dort, „reicht die Sperrung der Anlage nicht aus“. „Um eine Verwehung des belasteten Materials zu verhindern“, sei es notwendig, „die Sportplätze oder -bahnen mit Folie so abzudichten, dass kein Staub mehr ausgetragen werden kann“. „Langfristig“ bleibe aber nur ein kompletter Austausch des belasteten Bodens, der „als Sondermüll zu gelten“ habe.[10]

Nachdem die Zusammenhänge geklärt waren, wurden in Deutschland etwa 1400 Sport- und Kinderspielplätze gesperrt. Ein Teil der Sportplätze wurde einige Zeit später wieder für den Gebrauch freigegeben. Sie sind heute zum größten Teil saniert[11], worunter man beispielsweise gemäß Erlass des Landesumweltministeriums NRW in den neunziger Jahren als „langfristige Sicherung auch das Belassen auf der Fläche und die Aufbringung einer Sperrschicht“ verstand. Diese relativ kostengünstige Methode der Sanierung birgt jedoch Mehrkosten, weil die Entsorgung mit weiteren Baukosten entweder später anfällt,[12] oder im Fall der Städte Bottrop und Schwerte auch das Risiko des erneuten Vordringens an die Oberfläche in sich birgt.

Die Stadt Bottrop sei 2013 „sehr überrascht“ gewesen, dass die vom Land empfohlene Methode offenkundig nicht sicher sei. Demnach ergaben Kontrollen erneut „sehr hohe Dioxinwerte an der Oberfläche“, da die Deckschicht durch Aufweichung und Glätten des Platzes zerstört worden sei.[13] Dass unter dem Spielplatz in Schwerte-Ost eine Kieselrotaschenschicht liegt, war der Stadtverwaltung schon seit 1992 bekannt. Auch dort war das Material nach Erlass des Landesumweltministeriums damals mit Boden abgedeckt worden. 2015 war man gemäß einer Mitteilung der Unteren Bodenschutzbehörde des Kreises Unna noch zur Einschätzung gekommen, „die vorhandene Abdeckung reiche aus“. 2017 ergab eine Sanierungsuntersuchung in Oberflächenmischproben erneut Belastungen durch Kieselrot: Ursächlich wurde festgestellt, dass es zu „einer witterungsbedingten Abnutzung und Abtragung der Deckschicht“ gekommen sei. Die Verwaltung sperrte den Spielplatz. Durch das mitsamt der Deckschicht erhöhte Entsorgungsaufkommen liegt die Sanierung der Anlage und des Bolzplatzes am Lindenweg „mittlerweile im siebenstelligen Bereich“. Die Stadt Schwerte hat Förderanträge gestellt.[14]

Schadstoffentstehung und -Belastung

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Die im sauerländischen Marsberg verarbeiteten Kupferschiefer-Vorkommen mit einem Kupfergehalt von nur 1,3–1,5 % enthielten neben anderen Verunreinigungen bis zu 10 % Bitumen. Um möglichst viel Kupfer aus dem niedrigkonzentrierten Erz zu erhalten, verwendete man das Röstreduktionsverfahren: dem Kupferschiefer wurden bis zu 8 % Kochsalz und 2 % Pyrit beigemischt, dann wurde das Gemisch bei Temperaturen von 450 bis 600 °C geröstet. Dabei bildeten sich lösliche Kupfersalze, die aus dem erkalteten Roherz ausgelaugt werden konnten. Die zurückbleibende Schlacke wurde auf Halden deponiert.[2] Durch das Zusammenkommen von Kohlenstoff, Schwefel und Chlor bei einer vergleichsweise niedrigen Rösttemperatur entstanden durch De-novo-Synthese im Röstgut erhebliche Verunreinigungen mit hochchlorierten Organochlorverbindungen.[15] In der Schlacke wurden Chlorbenzole, Chlorphenole, polychlorierte Biphenyle und polychlorierte Naphthaline nachgewiesen. Daneben waren auch schwefelhaltige Verbindungen wie chlorierte Benzothiophene enthalten.

Die größte Bedeutung unter den Schadstoffen in der Schlacke haben die polychlorierten Dibenzodioxine und Dibenzofurane. Charakteristisch für das Dioxinmuster von Kieselrot ist der besonders hohe Anteil der hochchlorierten Dibenzofuran-Kongenere. Als Gesamtgehalte an Dioxinen wurden 10.000–100.000 ng I-TEQ/kg Trockenmasse bestimmt.[2]

Gehalte an polychlorierten Dioxinen (PCDD) und Furanen (PCDF) von Kieselrot in µg/kg[2]
Cl1DD - Cl3DD k. A. Cl1DF - Cl3DF k. A.
Cl4DD 9 Cl4DF 100
Cl5DD 23 Cl5DF 244
Cl6DD 32 Cl6DF 615
Cl7DD k. A. Cl7DF 1675
Cl8DD 530 Cl8DF 3140
Gesamt-PCDD 730 Gesamt-PCDF 6311

Gesundheitliche Folgen

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Bei Schürfwunden kann es zu sogenannten „Schmutztätowierungen“ kommen, wenn Partikel bei Stürzen tiefer in die Haut eindringen und insofern ohne Operation dauerhaft in der Haut verbleiben und ihr schädigendes, z. B. wundheilungsstörendes oder karzinogenes, Potential dort entfalten können.[16]

Einzelnachweise

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  1. Der Spiegel: Exportschlager Kieselrot, Heft 18/1991, 29. April 1991, abgerufen am 30. Oktober 2018.
  2. a b c d Karlheinz Ballschmiter, Reiner Bacher: Dioxine. Verlag Chemie (VCH), Weinheim 1996, ISBN 3-527-28768-X.
  3. Der Spiegel: Viele Bitterfelds, Heft 17/1991, 22. April 1991, abgerufen am 3. Juni 2018.
  4. Schul-AG Kieselrot aus Kassel: Kapitel 3.4 Die Verbreitung von "Kieselrot" (Memento vom 22. April 2005 im Internet Archive).
  5. Der Spiegel: Gifte - Kreislauf des Todes, Heft 19/1991, 6. Mai 1991, abgerufen am 2. Juni 2018.
  6. J. Wittsiepe, U. Ewers, F. Selenka: PCDD/F-Belastung nach Exposition gegenüber Kieselrot (Memento vom 13. Juni 2007 im Internet Archive). in DECHEMA (Hrsg.): Kriterien zur Beurteilung organischer Bodenkontaminationen: Dioxine und Phthalate. S. 409–430, Frankfurt (1995).
  7. Lösung: Richtwerte hochsetzen, TAZ, 15. November 1991.
  8. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: 3. Bericht der Bund-/Länder-Arbeitsgruppe Dioxine, etwa 2001, Kapitel 12.2.2 Kieselrot, S. 106 bzw. 116 (PDF-Anzeige).
  9. Jonas Erlenkämper: Stadt saniert Dioxin-belasteten Platz von Blau-Weiß Weitmar, waz.de, 17. August 2014.
  10. „Ergebnisse aus Untersuchungsprogrammen des Chemischen Untersuchungsamtes: Dioxin-Belastung auf Nürnberger Sportplätzen durch „Kieselrot“-Beläge“, umweltdaten.nuernberg.de, Juni 1991, abgerufen am 3. Juni 2018.
  11. Pressemeldung des Landessportbundes Hessen: Mögliche Gesundheitsbelastungen durch Kieselrot jetzt ausgeschlossen (Memento vom 5. Februar 2010 im Internet Archive). 12. Februar 2004.
  12. Martina Kütterer: Baustelle Lugauf-Sportplatz: Leichtathletikbereich dioxinfrei. (Memento vom 12. Juni 2018 im Internet Archive) Ludwigsburger Kreiszeitung, 21. August 2015.
  13. Norbert Jänecke: Bagger sollen mit Dioxin verseuchte Asche von Fußballplätzen in Bottrop entfernen , WAZ.de, 26. Januar 2013.
  14. Ingo Rous: Kieselrot in Schwerte-Ost: Wie lange dauert denn die Sperrung noch? ruhrtal-journal.de, 28. Februar 2018.
  15. Auftreten von Dioxinen (PCDD/PCDF) bei der Metallerzeugung und Metallbearbeitung - BG-Information, S. 13, 2.0: Entstehung von PCDD und PCDF (Memento vom 12. Juni 2018 im Internet Archive)
  16. „Schmutztätowierung“ In: Altmeyers Enzyklopädie: Dermatologie, abgerufen am 3. Juni 2018.