Ventrikulografie

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Ventrikulografie der linken Herzkammer bei einer Takotsubo-Kardiomyopathie

Die Ventrikulografie (von lateinisch Ventriculus cordis, ‚Herzkammer‘, beziehungsweise Ventriculus cerebri, ‚Hirnventrikel‘, und von altgriechisch γραφή graphē oder γραφία graphía, stammt ab vom Verb γράφειν gráphein „schreiben“) ist der Oberbegriff für mehrere verschiedene medizinische Untersuchungsmethoden.[1]

Der Begriff wird heute weitestgehend synonym zur Lävokardiografie (lateinisch laevo, links, griechisch καρδία, kardia, oder latinisiert cardia, Herz) verwendet. Diese dient zur Diagnostik der Wandbewegungen und der Größe der linken, seltener auch der rechten Herzkammer im Rahmen einer Herzkatheteruntersuchung[2] (selektive Dextrokardiographie[3]).

Medizinhistorisch wurde der Begriff auch für andere Untersuchungen verwendet.[4]

Lävokardiografie

Schema des menschlichen Herzens
Lävokardiogramm einer hypertrophen Kardiomyopathie mit mittventrikulärer Obstruktion

Zur Untersuchung des linken Ventrikels wird ein Pigtail-Katheter über die Aorta und die Aortenklappe in die Spitze der linken Hauptkammer vorgebracht. Bei der Untersuchung der rechten Herzhälfte wird der Katheter dagegen über die große untere Hohlvene, über den rechten Vorhof und über die Trikuspidalklappe in die rechte Hauptkammer vorgeführt.

In beiden Fällen (Rechtsherzkatheter oder Linksherzkatheter) wird während der Gabe (durch den Herzkatheter) eines meistens jodhaltigen Röntgen-Kontrastmittels mit Röntgenstrahlen ein Film (12,5 Bilder pro Sekunde) über mehrere Herzzyklen erstellt.

In der nachfolgenden Auswertung können eventuelle Wandbewegungsstörungen (Hypokinesie, Dyskinesie, Akinesie, Aneurysma) in der Systole beurteilt werden. Im Weiteren sind auch die Bestimmung des enddiastolischen und des endsystolischen Volumens durch eine Planimetrie und hierüber die Berechnung auch des Auswurfvolumens (Schlagvolumen, Ejektionsvolumen, siehe Ejektionsfraktion) möglich.

Zuletzt kann (je nach Katheterlage in der linken oder in der rechten Herzkammer) eine mögliche Undichtigkeit (Insuffizienz) der Mitralklappe und eingeschränkt auch der Trikuspidalklappe, semiquantitativ beurteilt werden. Ebenso sind die Einflüsse eines Ventrikelseptumdefektes und eines Aortenklappenfehlers beziehungsweise eines Pulmonalklappenfehlers darstellbar. Man kann Regurgitationen (mit Pendelblut) und sowohl einen Rechts-links-Shunt wie auch einen Links-rechts-Shunt erkennen.

Während der Ventrikulografie werden heute routinemäßig Druckmessungen durchgeführt. Außerdem wird die Lävokardiografie meistens auch mit einer Koronarangiographie kombiniert.[5]

Radionuklid-Ventrikulografie

Die Radionuklid-Ventrikulografie zur Bestimmung der Volumina des rechten und linken Herzventrikels[6] ist eine, inzwischen weitgehend durch die Echokardiografie (Herzultraschall) verdrängte,[7] nuklearmedizinische Untersuchung. Siehe auch Radionuklidangiografie.

Zerebrale Ventrikulografie

Als zerebrale Ventrikulografie wird ein analoges heute obsoletes röntgenologisches Untersuchungsverfahren zur Darstellung (als Ventrikulogramm[8]) der vier Hirnventrikel bezeichnet,[9][10] das von der Angiographie[11] und der Magnetresonanztomographie verdrängt wurde. Siehe auch craniale Computertomographie (CCT) und Pneumoenzephalographie[12] (Luftenzephalographie).

Geschichte

Kardiologie

Im Laufe der Zeit wurden zahlreiche ventrikulographische Funktionsgrößen bestimmt. 1956 schlugen Dodge und Tannenbaum[13] eine Methode zur Bestimmung des linksventrikulären Volumens vor. Seither wurde eine Vielzahl weiterer Verfahren publiziert. So konnten das Schlagvolumen, das Herzzeitvolumen, die Auswurffraktion, die mittlere normierte systolische Auswurfrate, die zirkumferentielle Wandspannung, der linksventrikuläre Krümmungsradius und die linksventrikuläre Muskelmasse abgeschätzt werden.[14]

Neurologie und Neurochirurgie

Im Jahr 1918 führte der Neurochirurg Walter Edward Dandy die Ventrikulografie ein.[15] Es gab zahlreiche verschiedene Verfahren zur Röntgenkontrastdarstellung des Ventrikelsystems.[16] Zur Kontrastierung wurden (röntgenpositive oder röntgennegative) Kontrastmittel, aber auch Luft bzw. Sauerstoff[17] verwendet. So definierte Willibald Pschyrembel 1972 die „Ventrikulographie [als] röntgenologische Darstellung der Hirnventrikel nach Luftfüllung durch direkte Punktion.“[18] Dort wurde auf die Enzephalographie mit den beiden Formen Elektroenzephalographie (EEG) und Pneumenzephalographie (vermittels gasförmiger Kontrastmittel) verwiesen.

Literatur

  • Ventrikulographie (Lävokardiographie). In: Erland Erdmann (Hrsg.): Klinische Kardiologie. Krankheiten des Herzens, des Kreislaufs und der herznahen Gefäße. 8. Auflage, Springer-Verlag, Heidelberg 2009, ISBN 978-3-642-16480-4, S. 25. books.google

Einzelnachweise

  1. Peter Reuter: Springer Klinisches Wörterbuch 2007 | 2008. Springer-Verlag, Heidelberg 2007, ISBN 978-3-540-34601-2, S. 1948.
  2. Willibald Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch. 268. Auflage. Verlag Walter de Gruyter, Berlin / Boston 2020, ISBN 978-3-11-068325-7, S. 1871.
  3. Volker Taenzer: Röntgendiagnostik mit jodhaltigen Kontrastmitteln. 1. Auflage, Verlag Brüder Hartmann, Berlin 1971, ISBN 3-920630-04-1, S. 24 f.
  4. Medizin-Duden: Wörterbuch medizinischer Fachbegriffe. 10. Auflage, Dudenverlag, Berlin 2021, ISBN 978-3-411-04837-3, S. 844.
  5. Myron G. Sulyma (Hrsg.): Wörterbuch der Kardiologie. Band IV, Medikon-Verlag, München 1984, ISBN 3-923866-10-0, S. 775.
  6. Daniel Scheidegger: Definition und Meßgrößen der akuten respiratorischen Insuffizienz: Lungenkreislauf, Herzfunktion. In: Jürgen Kilian, H. Benzer, Friedrich Wilhelm Ahnefeld (Hrsg.): Grundzüge der Beatmung. Springer, Berlin u. a. 1991, ISBN 3-540-53078-9, 2., unveränderte Auflage, ebenda 1994, ISBN 3-540-57904-4, S. 109–120; hier: S. 116–118.
  7. Christiane Bieber, Hanns-Wolf Baenkler, Keikawus Arastéh, Roland Brandt, Tushar Chatterjee: Duale Reihe Innere Medizin, Thieme, Stuttgart 2012, ISBN 978-3-13-118163-3, S. 54, books.google
  8. Vgl. E. Lysholm: Das Ventrikulogramm / Die Seitenventrikel. In: Acta Radiol. Supp. Band 25, 1937, S. 1 ff.
  9. Maxim Zetkin, Herbert Schaldach: Lexikon der Medizin, 16. Auflage, Ullstein Medical, Wiesbaden 1999, ISBN 978-3-86126-126-1, S. 2121 f.
  10. Günter Thiele, Heinz Walter (Hrsg.): Reallexikon der Medizin und ihrer Grenzgebiete. Urban & Schwarzenberg, Loseblattsammlung 1966–1977, 6. Ordner (S–Zz), München / Berlin / Wien 1974, ISBN 3-541-84006-4, S. V 30.
  11. Wolfgang Seeger, Carl Ludwig Geletneky: Chirurgie des Nervensystems. In: Franz Xaver Sailer, Friedrich Wilhelm Gierhake (Hrsg.): Chirurgie historisch gesehen. Anfang – Entwicklung – Differenzierung. Dustri-Verlag, Deisenhofen bei München 1973, ISBN 3-87185-021-7, S. 229–262, hier: S. 234.
  12. Gergely Klinda: Zur Geschichte der Pneumenzephalographie, Dissertation, Medizinische Fakultät der Charité, Universitätsmedizin Berlin (2010).
  13. H. T. Dodge, H. L. Tannenbaum: Left ventricular volume in normal man and alterations with disease. In: Circulation, 14. Jahrgang, 1956, S. 927.
  14. J. Cyran: Globale und regionale Kontraktionsstörungen des Herzens. In: Gerhard Riecker (Hrsg.): Herzinsuffizienz. In: Handbuch der inneren Medizin, 5. Auflage, 9. Band, 4. Teil, Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg / New York / Tokyo 1984, ISBN 3-540-13022-5, S. 312–317.
  15. Wolfgang Seeger, Carl Ludwig Geletneky: Chirurgie des Nervensystems. In: Franz Xaver Sailer, Friedrich Wilhelm Gierhake (Hrsg.): Chirurgie historisch gesehen. Anfang – Entwicklung – Differenzierung. Dustri-Verlag, Deisenhofen bei München 1973, ISBN 3-87185-021-7, S. 229–262, hier: S. 240.
  16. Frieder Láhoda (Hrsg.): Wörterbuch der klinischen Neurologie. 3. Auflage. Einhorn Presse Verlag, Reinbek bei Hamburg 1990, ISBN 3-88756-209-7, S. 271.
  17. Otto Jüngling: Zur Technik der Sauerstoffüllung der Hirnventrikel zum Zwecke der Röntgendiagnostik. In: Zentralblatt für Chirurgie. Band 49, 1922, S. 833 ff.
  18. Willibald Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch. 251. Auflage. Verlag Walter de Gruyter, Berlin / New York 1972, ISBN 3-11-003657-6, S. 1277.