Betragsfunktion

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Verlauf der Betragsfunktion auf

In der Mathematik ordnet die Betragsfunktion einer reellen oder komplexen Zahl ihren Abstand zur Null zu. Dieser sogenannte absolute Betrag, Absolutwert oder auch schlicht Betrag ist immer eine nichtnegative reelle Zahl. Der Betrag einer Zahl wird meist mit |x|, seltener mit , bezeichnet.

Definition

Reelle Betragsfunktion

Den absoluten Betrag einer reellen Zahl erhält man durch Weglassen des Vorzeichens. Auf der Zahlengeraden bedeutet der Betrag den Abstand der gegebenen Zahl von Null.

Für eine reelle Zahl gilt:

Komplexe Betragsfunktion

Für eine komplexe Zahl mit reellen Zahlen und definiert man

,

wobei die komplex Konjugierte von bezeichnet. Ist reell (d.h. , also ), so geht diese Definition in

über, was mit der Definition des Betrages einer reellen Zahl übereinstimmt.

Veranschaulicht man die komplexen Zahlen als Punkte der Gaußschen Zahlenebene, so entspricht diese Definition nach dem Satz des Pythagoras ebenfalls dem Abstand des zur Zahl gehörenden Punktes vom sogenannten Nullpunkt.

Eigenschaften

  • Die reelle Betragsfunktion ist überall stetig, jedoch an der Stelle 0 nicht differenzierbar.
    Da die Menge ihrer Nichtdifferenzierbarkeitsstellen das Maß 0 hat, ist sie schwach differenzierbar, und ihre schwache Ableitung ist , also die Äquivalenzklasse der Signumfunktion im Faktorraum .
  • Die komplexe Betragsfunktion ist überall stetig und nirgends komplex differenzierbar, da die Cauchy-Riemann-Differentialgleichungen nicht erfüllt sind.
  • Die einzige Nullstelle ist 0 (d. h. genau dann, wenn ).
  • Für alle gilt: , wobei die Signumfunktion bezeichnet.

  • Beide Betragsfunktionen, die reelle und die komplexe, werden archimedisch genannt, weil es eine ganze Zahl gibt mit . Daraus folgt aber auch, dass für alle ganzen Zahlen ebenfalls ist.[1]

Beispiele

Gleichung mit Absolutbetrag: Gesucht sind alle Zahlen , welche die Gleichung erfüllen.

Man rechnet wie folgt:

Die Gleichung besitzt also genau zwei Lösungen für , nämlich 2 und -8.

Betragsnorm und Betragsmetrik

Die Betragsfunktion erfüllt die drei Normaxiome Definitheit, absolute Homogenität und Subadditivität und ist damit eine Norm, genannt Betragsnorm, auf dem Vektorraum der reellen oder komplexen Zahlen. Die Definitheit folgt daraus, dass die einzige Nullstelle der Wurzelfunktion im Nullpunkt liegt, womit

gilt. Die Homogenität folgt für komplexe aus

und die Dreiecksungleichung aus

wobei sich die beiden gesuchten Eigenschaften jeweils durch Ziehen der (positiven) Wurzel auf beiden Seiten ergeben. Hierbei wurde genutzt, dass die Konjugierte der Summe bzw. der Produkts zweier komplexer Zahlen die Summe bzw. das Produkt der jeweils konjugierten Zahlen ist. Weiterhin wurde verwendet, dass die zweimalige Konjugation wieder die Ausgangszahl ergibt und dass der Betrag einer komplexen Zahl immer mindestens so groß wie ihr Realteil ist. Im reellen Fall folgen die drei Normeigenschaften analog durch Weglassen der Konjugation.

Die Betragsnorm ist vom Standardskalarprodukt zweier reeller bzw. komplexer Zahlen und induziert. Die Betragsnorm selbst induziert wiederum eine Metrik (Abstandsfunktion), die Betragsmetrik

,

indem als Abstand der Zahlen der Betrag ihrer Differenz genommen wird.

Verallgemeinerung: archimedisch und nichtarchimedisch

Verallgemeinert spricht man von einem Betrag, wenn eine Funktion von einem Integritätsbereich in die reellen Zahlen folgende Bedingungen erfüllt:

(0) Nicht-Negativität
(1) positive Definitheit
(2) Multiplikativität, absolute Homogenität
(3) Subadditivität, Dreiecksungleichung

Die Fortsetzung auf den Quotientenkörper von ist wegen der Multiplikativität eindeutig.

Ist für alle ganzen , dann nennt man den Betrag nichtarchimedisch.
Der Betrag für alle (ist nichtarchimedisch und) wird trivial genannt.

Bei nichtarchimedischen Beträgen gilt

(3') die verschärfte Dreiecksungleichung.

Sie macht den Betrag zu einem ultrametrischen. Umgekehrt ist jeder ultrametrische Betrag nichtarchimedisch.

Betrag und Charakteristik

  • Integritätsbereiche mit einem archimedischen Betrag haben die Charakteristik 0.
  • Integritätsbereiche mit einer von 0 verschiedenen Charakteristik (haben Primzahlcharakteristik und) nehmen nur nichtarchimedische Beträge an.
  • Endliche Integritätsbereiche (sind endliche Körper mit Primzahlcharakteristik und) nehmen nur den trivialen Betrag an.
  • Der Körper der rationalen Zahlen als Primkörper der Charakteristik 0 und seine endlichen Erweiterungen nehmen sowohl archimedische wie nichtarchimedische Beträge an.

Bewertung

Hat man einen nichtarchimedischen Betrag und wählt eine reelle Zahl , dann hat die Funktion mit für und folgende Eigenschaften:

(1) Definitheit
(2) Multiplikativität
(3') verschärfte Dreiecksungleichung

Eine Funktion mit diesen drei Eigenschaften nennt man eine Bewertung von oder . Es gibt jedoch auch Autoren, die hier von der exponentiellen Schreibweise oder Exponentenbewertung sprechen und den Begriff Betrag nicht zur Unterscheidung heranziehen. Ferner nennt man oder einen bewerteten Integritätsbereich bzw. Körper.

Umgekehrt kann man einer Bewertung einen nichtarchimedischen Betrag zuordnen, indem man setzt mit einer reellen Zahl .

Bewertungsring, Bewertungsideal, Restklassenkörper

Gegeben ein Körper mit einer (nichtarchimedischen) Bewertung . Die Menge

heißt Bewertungsring zu , die Menge

Bewertungsideal zu . Sie ist immer ein maximales Ideal, weshalb der Faktorring

ein Körper ist, der der Restklassenkörper der Bewertung genannt wird.

Ist das Bewertungsideal endlich erzeugt, so ist es ein Hauptideal , wo ein Primelement in sein muss.

Im Spezialfall gibt es die Bezeichnungen und für Bewertungsring resp. Restklassenkörper.

Vervollständigung

Der Körper lässt sich für jede Betragsfunktion, genauer: für die von jeder Betragsfunktion induzierte Metrik, vervollständigen. Die Vervollständigung von wird häufig mit bezeichnet.

Die archimedischen Vervollständigungen sind und . Nichtarchimedische sind für Primzahlen .

Beim trivialen Betrag entsteht nichts Neues.

Gradbewertung

Ist ein Körper und eine Unbestimmte über , dann lässt sich der Polynomring bilden. Wird (der sog. „Konstantenkörper“) trivial bewertet, d. h. für , und die Unbestimmte mit , dann kann man mit eine Bewertung

einführen, die zur Unterscheidung vom Polynomgrad als Potenzreihenbewertung bezeichnet sei. Sie gibt bei einem Polynom die Vielfachheit der Nullstelle X=0 an resp. negativ genommen bei einer Potenzreihe die Vielfachheit der Polstelle. Wie die Polynomgradbewertung erfüllt sie die Multiplikativität und anstelle des Gradsatzes die Subadditivität.

Vermöge der Multiplikativität lässt sich diese Bewertung eindeutig auf den Quotientenkörper fortsetzen.

Der (diskrete) Bewertungsring ist der Polynomring, das Bewertungsideal ist von der Unbestimmten (Uniformisierenden) erzeugt (und maximal), und der Restklassenkörper ist isomorph zum Konstantenkörper .

Bei der Vervollständigung für die von dieser Bewertung induzierte Metrik entsteht der Körper der (formalen) Potenzreihen

mit einem .Diese Reihen konvergieren unter der genannten Metrik, und zwar auch „absolut“, nicht aber notwendigerweise unter einer anderen Metrik von K. Der Ring der (ganzen) Potenzreihen

ist der zugehörige Bewertungsring. Die Reihen mit und , also die Elemente mit , sind die Primelemente dieses Bewertungsrings und Erzeugende des (vervollständigten) Bewertungsideals.

Stellenwertnotation

Unter den Darstellungen der Zahlkonstanten haben die Notationen mit Basis, Ziffern und einer Wertigkeit der letzteren abhängig von ihrer Position den absoluten Siegeszug gegenüber allen anderen Notationen davongetragen. Wir schreiben

,

wobei links die Ziffern mit nicht-negativen Exponenten stehen, anschließend das Stellenwert-Trennzeichen Komma »«, anschließend die Ziffern mit negativen Exponenten rechts und abschließend die tiefgestellte Basis »« kommt, die weggelassen werden kann, wenn sie zehn ist, und wobei die Ziffern aus einem endlichen Ziffernvorrat stammen. Wir meinen damit das Ergebnis der Summe

.

Dabei soll die Anordnung der Laufvariablen und Schleifengrenzen am Summenzeichen ausdrücken, dass wir – entgegen unserer gewohnten Schreibung von links nach rechts – rechts mit beginnen, bei jedem Schritt um die Standardschrittweite nach links hin erhöhen und ganz links die Summationsschleife mit beenden. (Bei ist die Schleife leer.)

Das Codierungsschema mit Basis und Ziffernvorrat sei mit bezeichnet.

Wir können diese Notation auch auf den nichtarchimedischen Kontext ausdehnen. Sind beide Grenzen und endlich, so kommt in beiden Kontexten dasselbe heraus. Ferner läuft der Additionsalgorithmus zweier Zahlen wie die Summationsschleife von rechts nach links und die Überträge werden immer in die linke Nachbarstelle weitergereicht. Dasselbe gilt für den Subtraktions- und Multiplikationsalgorithmus. In der Schule lernen wir, die archimedische Division links zu beginnen, wogegen man die nichtarchimedische Division besser rechts beginnt.[2]

Schließlich kann man im archimedischen Kontext und im nichtarchimedischen Kontext zulassen, nach der Vervollständigung für die entsprechende Metrik konvergieren in beiden Kontexten die Reihen absolut.

Die Tabelle stellt Voraussetzungen und Unterschiede bei archimedischem und nichtarchimedischem Kontext zusammen. Dabei sei der Einfachheit halber angenommen, dass , also Basis und Ziffern alle „ganz“ sind. Ferner sei im archimedischen Fall mit

.

Im nichtarchimedischen Kontext kann auf die Endlichkeit des Ziffernsystems verzichtet werden, da alle Aussagen gültig bleiben, wenn die Basis und das Repräsentantensystem des Restklassenkörpers einmal fest gewählt sind. Paradebeispiele hierfür sind die Funktionenkörper vom Transzendenzgrad 1.

  archimedisch nichtarchimedisch
Basis beliebig mit prim, d. h. erzeugt
minimales
Ziffernsystem
Menge mit
Elementen
Repräsentantensystem des
Restklassenkörpers
„ganze“ Zahlen
Vorzeichen erforderlich ja, bei und
nein
Addition, Subtraktion,
Multiplikation
von rechts nach links von rechts nach links
Überträge nach links nach links
Division,
Codierung der Ziffern
von links nach rechts von rechts nach links
Auswahl der Ziffern Intervallschachtelung Restklasse
bei Division durch
Darstellung
eineindeutig
nein, mehrere Darstellungen;
bei für
eine Menge vom Maß 0[2]
ja
-Ende rechts links
Hauptartikel Stellenwertsystem p-adische Zahl

Der Artikel Ultrametrik beschreibt weitere Besonderheiten der Geometrie in Räumen mit nichtarchimedisch induzierter Metrik.

Sowohl für den archimedischen wie den nichtarchimedischen Kontext eignen sich in Codierungsschemata mit einer Primzahl und einem Repräsentantensystem von . Dazu gehören die „balancierten“[2] Codierungssysteme mit einer ungeraden Primzahl als Basis und dem Ziffernvorrat . Sie haben die Eigenschaften:

  • Das Negative einer Zahl erhält man durch Austausch einer jeden Ziffer mit ihrem inversen Gegenüber.
  • Im archimedischen Kontext zeigt die erste von 0 verschiedene Stelle das Vorzeichen an.
  • Im archimedischen Kontext geschieht eine Rundung zur nächsten ganzen Zahl durch einfaches Abschneiden beim Komma.

Ferner eignen sich für beide Kontexte das negabinäre System bei und bei den Gaußschen Zahlen das System . Alle Systeme haben die Eigenschaften:

  • Auch im archimedischen Kontext wird kein Vorzeichen benötigt.
  • Im nichtarchimedischen Kontext hat eine ganze Zahl aus resp. eine endliche Darstellung, die mit der archimedischen zusammenfällt.
  • Ist oder die Darstellung einer Zahl mit ganz und unter mit der Periode im archimedischen Kontext, dann ist resp. die Darstellung der Zahl im nichtarchimedischen Kontext.[2]

Äquivalenz von Beträgen

Sind und Beträge eines Körpers , dann sind die folgenden drei Behauptungen gleichwertig:

  1. Jede Folge , die unter eine Nullfolge ist, d. h. , ist auch unter eine Nullfolge – und umgekehrt.
  2. Aus folgt .
  3. ist eine Potenz von , d. h. für alle mit einem festen .

Die Betragsfunktionen der rationalen Zahlen

Nach dem Satz von Ostrowski repräsentieren die in diesem Artikel erwähnten Beträge, der eine archimedische (und euklidische) und die unendlich vielen einer Primzahl zuzuordnenden nichtarchimedischen, alle Klassen von Beträgen der rationalen Zahlen .

Für diese Beträge gilt der Approximationssatz.

Unbestimmtes Integral einer Betragsfunktion

wobei die relleen Nullstellen von sind. Beispiel:

Weitere Verallgemeinerungen

Eine Abschwächung der Axiome für den Betrag führt auf den Begriff des Pseudobetrags.

Einzelnachweise

  1. van der Waerden: Algebra, Zweiter Teil. Springer-Verlag, 1967, Bewertete Körper, S. 212–213.
  2. a b c d Donald E. Knuth: The Art of Computer Programming, Volume 2, Arithmetic. Addison-Wesley, 1997, ISBN 0-201-89684-2, 2.4.1 Positional Number Systems, S. 213.