Derek Bentley

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Derek William Bentley (* 30. Juni 1933; † 28. Januar 1953) war ein britischer Jugendlicher, der im Alter von 19 Jahren für einen Mord an einem Polizisten hingerichtet wurde, den ein Freund Bentleys begangen hatte. Der Fall beschäftigte die britische Justiz mehr als 45 Jahre und gilt neben der Hinrichtung von Timothy Evans als einer der größten Justizirrtümer in der britischen Kriminalgeschichte. Nach dem Wahlsieg der Labour-Regierung unter Tony Blair wurde Derek Bentley im Jahr 1998 postum begnadigt.

Jugendjahre

Bentley wuchs in schwierigen Verhältnissen auf und wurde während des 2. Weltkriegs während eines Angriffs durch eine deutsche V1 verschüttet. Anschließend wurde er Epileptiker und blieb in seiner Entwicklung weit zurück. Seine geistigen Fähigkeiten entsprachen denen eines 11-Jährigen, er konnte weder lesen noch schreiben und hatte einen IQ von 66. Zusammen mit einem 16-Jährigen Kleinkriminellen namens Christopher Craig brach er am 2. November 1952 in das Barlow & Parker Kaufhaus im Südlondoner Stadtteil Croydon ein. Während Bentley selbst unbewaffnet war, hatte Craig einen Revolver bei sich. Während des Einbruchs wurden beide beobachtet und die Polizei benachrichtigt.

Als die Polizei am Ort des Geschehens eintraf, versteckten sich die beiden Einbrecher auf dem Dach des Hauses. Detektiv Frederick Fairfax kletterte auf das Dach und bekam Bentley zu fassen. Dieser machte sich jedoch erneut frei und rief nach Aussage mehrerer Polizisten „Mach sie fertig, Chris![1]. Craig eröffnete schließlich das Feuer und verwundete Detektiv Fairfax an der Schulter. Dieser konnte Bentley jedoch trotzdem erneut in Gewahrsam nehmen. Bentley berichtete dem Detektiv unverzüglich, dass Craig einen Colt Kaliber .45 und eine nicht näher bestimmte Menge von Munition mit sich führte.

Nachdem weitere Polizisten zum Haus beordert worden waren, erklammen mehrere von ihnen das Dach. Der erste von ihnen war Police Constable Sidney Miles. Er versuchte das Dach mit mehreren Schritten zu überqueren, wurde aber bei dem Versuch von Craig mit einem Kopfschuss getötet. Nachdem Craig seine Munition verschossen hatte, sprang er vom Dach 10 Meter in die Tiefe, wobei er sich mehrere Brüche zuzog. Anschließend wurde er verhaftet.

Der Prozess

Craig musste kein Todesurteil befürchten, da er noch minderjährig war. Bentley war zwar volljährig, jedoch aufgrund seiner geistigen Defizite offensichtlich schuldunfähig. Er war jedoch bereits früher wegen kleinerer Diebstähle polizeilich erfasst worden, was ihm im Prozess negativ ausgelegt wurde.

Craigs und Bentleys Fall wurde unter dem Lord Chief Justice of England and Wales, Richter Rayner Goddard am Old Baily in London verhandelt. Die Verteidigung berief sich auf den Umstand, dass sich Bentley zum Zeitpunkt der Tötung von Police Constable Miles bereits in Polizeigewahrsam befand. Zu seinen Ungunsten sprach jedoch dass er sich der Verhaftung entzog, wobei ein Polizist verletzt wurde, und im Anschluss seinen Komplizen Craig zum Angriff aufforderte. Ob er die ihn kompromittierenden Worte „Let him have it, Chris!“ wirklich rief, ist umstritten.

Während des Prozesses musste die Jury verschiedene Fakten berücksichtigen. Es war unklar, wieviele Schüsse abgefeuert wurden und von wem. Ballistiker konnte nicht beweisen, dass der tödliche Schuss aus Craigs Waffe stammte.

Weiterhin war unklar, was Bently mit seinem Ausruf "Let him have it" meinte, falls er es überhaupt gesagt hatte. Obwohl der Ausruf durchaus als „Mach sie fertig, Chris!“ interpretiert werden konnte, wäre es auch möglich, dass Bentley seinen Komplizen überzeugen wollte, die Waffe an die Polizisten zu übergeben und sich selbst zu ergeben.

Die medizinischen Untersuchungen zeigten, dass Bentley Analphabet war und nur über eine unterdurchschnittliche Intelligenz verfügte. Jedoch bezeugte der untersuchende Arzt Dr. Matheson dass Bentley nicht wahnsinnig und somit schuldfähig sei.

Die Jury fällte ihr Urteil nach nur 75 Minuten und erklärte sowohl Bentley als auch Craig für schuldig des Mordes an PC Miles. Bentley wurde zum Tod durch den Strang verurteilt, während Craig aufgrund seiner Minderjährigkeit zu einer geringeren Strafe verurteilt wurde und nach 10 Jahren aus dem Gefängnis entlassen wurde.

Die Zweifel an den ballistischen Untersuchungen, Bentleys geistige Defizite und die Tatsache, dass er selbst nicht am Mord beteiligt war, führten zu scharfem Protest am Urteil. Hohe Lordkanzler von Großbritannien David Maxwell Fyfe lehnte es ab, trotz einer Petition, die von PC Miles Witwe und über 200 Mitgliedern des britischen Parlaments unterzeichnet war, sich an die junge aber noch ungekrönte Elizabeth II. zu wenden. Die Königin hätte unter Berufung auf das Gnadenrecht die Todestrafe in ein milderes Urteil umwandeln können. Der Labour-Abgebordnete des Bezirks Northhampton, Reginald Paget, drückte seine Bestürzung wie folgt aus:

Die große Verdammnis des deutschen Volkes war es, dass sie beiseite standen und nichts taten, als schreckliche Dinge geschahen. Jetzt soll ein nur zu drei Vierteln denkfähiger Junge von 19 Jahren für einen Mord gehängt werden, den er nicht begangen hat und der 15 Minuten nach seiner Verhaftung begangen wurde. Können wir da still bleiben, wenn eine solche schreckliche und schockierende Sache geschieht?[2]

Trotz scharfer Proteste der britischen Öffentlichkeit wurde Derek Bentley am 28. Januar 1953 durch Englands obersten Scharfrichter Albert Pierrepoint im Londoner Wandsworth Prison hingerichtet.

Nachgeschichte

Nach der Hinrichtung organisierte Bentleys Schwester Iris Kampagne mit dem Ziel der postumen Begnadigung Bentley. Noch 1992 lehnte es die konservative britische Regierung ab, den Fall neu aufzurollen. Erst nach dem Regierungswechsel im Jahr 1997 wurde der Fall Bentley erneut von offizieller Seite untersucht. Am 30. Juli 1998 wurde das Urteil gegen Derek Bentley revidiert und er von Richter Bingham freigesprochen.

Der Fall in der Populärkultur

Regisseur Peter Medak verfilmte Derek Bentleys Geschichte im Jahr 1998. Die Hauptrolle besetzte er mit dem bis dato unbekannten Christopher Eccleston.

Der Fall wurde weiterhin von mehreren Musikern verarbeitet, unter anderem von Elvis Costello in seinem Song Let Him Dangle.

Quellen

  1. Original: „Let him have it, Chris!
  2. Original: „The great condemnation of the German people was that they stood aside and did nothing when dreadful things happened. Now, a three-quarter witted boy of nineteen is to be hanged for a murder he did not commit and which was committed fifteen minutes after he was arrested. Can we be made to keep silent when a thing as horrible and as shocking as this is to happen?