Jüdische Studien

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist die aktuelle Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 22. Februar 2024 um 19:09 Uhr durch Sokrates 399 (Diskussion | Beiträge) (Typografie).
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Jüdische Studien und Judaistik sind die offiziellen Bezeichnungen einer wissenschaftlichen Disziplin, die an mehreren deutschsprachigen Universitäten studiert werden kann und nach ihrem Selbstverständnis an die Tradition der Wissenschaft des Judentums anknüpft, die sich im 19. Jahrhundert als eigenständige akademische Disziplin entwickelte.

Begrifflichkeit

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die jüngere Bezeichnung Jüdische Studien lehnt sich an die nach der Schoa (Holocaust) zunächst im angloamerikanischen Raum und Israel fortgesetzte Disziplin der oben genannten Wissenschaft des Judentums an (Jewish Studies); als Begründer gilt in den USA Salo W. Baron (1895–1989), Historiker an der Columbia University, ehemals Hochschullehrer in Wien. Hingegen ist Judaistik die traditionelle Fachbezeichnung, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg im deutschsprachigen Raum durchsetzte, in Anlehnung an ähnlich gebildete Namen anderer Disziplinen wie Orientalistik, Romanistik, Germanistik, Hebraistik. Die ersten Gründungen deutschsprachiger judaistischer Institute an Philosophischen Fakultäten erfolgten seit den 1960er Jahren in Wien (Kurt Schubert), Berlin-West (Jacob Taubes), Köln (Johann Maier) und Frankfurt am Main (Arnold Goldberg). An der Humboldt-Universität in Berlin-Ost gab es das Fach Israelstudien.

Forschungsgegenstand des Faches

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Fach Jüdische Studien/Judaistik hat die Erforschung und Vermittlung der über 3000-jährigen Geschichte, Literatur-, Religions- und Kulturgeschichte des Judentums zum Ziel. Jüdische Religions-, Geistes- und Kulturgeschichte werden hierbei nicht als passives Objekt äußerer Einflüsse, sondern als aktiv handelnder Teil der allgemeinen Kultur aufgefasst. Unabdingbar für die Auseinandersetzung mit der jüdischen Religions- und Kulturgeschichte ist die Kenntnis der Quellensprachen des Judentums, insbesondere des Hebräischen, aber je nach Spezialisierung auch des Aramäischen, Judäo-Arabischen, Jiddischen, Judenspanischen, Judäo-Persisch, Judäo-Griechisch und weiterer Sprachen. Das Studium der hebräischen Sprache möglichst in all ihren literarischen Entwicklungsstufen (biblisch, rabbinisch, mittelalterlich, modern) wird als Grundvoraussetzung für die kritische Quellenlektüre angesehen. Dieses Prinzip gilt nicht erst für die Postgraduate-Phase, sondern bereits in den Bachelorstudiengängen, in denen an angelsächsischen Hochschulen meist noch mit Übersetzungen, also mit Texten aus zweiter Hand, gearbeitet wird. Mit dieser spezifisch judaistischen Expertise hebt sich Jüdische Studien/Judaistik von anderen Fächern der Philosophischen Fakultäten ab, die sich punktuell mit Judentum beschäftigen (Geschichte, Philosophie etc.).

Jüdische Studien/Judaistik sieht sich zwar in der Tradition der Wissenschaft des Judentums, was den philologischen und kulturhistorischen Anspruch angeht, doch während diese eine Disziplin von Juden für Juden war, die unter anderem der Neudefinition der jüdischen Identität im modernen Staat dienen sollte, wird in Jüdische Studien/Judaistik Wert darauf gelegt, das Judentum von einem neutralen Standpunkt aus zu erforschen. Daher ist das Fach normalerweise an einer Philosophischen Fakultät (oder, wo diese in ihrer klassischen Form nicht besteht, in einem der geschichts- und kulturwissenschaftlichen Fachbereiche) beheimatet und nicht an einer Theologischen Fakultät. Das Fach soll weder konfessionell gebunden als rein innerjüdische Angelegenheit definiert noch darauf beschränkt sein, das Judentum allein als Religion zu betrachten. In der Regel sind Lehre und Forschung der judaistischen Lehrstühle in den Bereichen der jüdischen/hebräischen Literatur, der Geschichte, Religions- und Geistesgeschichte angesiedelt.[1]

Johann Maier schrieb 1966 zum Spannungsfeld zwischen Wissenschaft des Judentums und Judaistik: „Zu Beginn dieses Jahrhunderts wurde zwar die Errichtung einer Lehrkanzel für Wissenschaft des Judentums an der Berliner Universität erwogen, doch blieb es beim Plan, da der Ausbruch des Ersten Weltkrieges seine Verwirklichung vereitelte. Im Falle der Verwirklichung wäre […] eine Definition des neuen Faches vonnöten gewesen. Denn Wissenschaft des Judentums war nun einmal Bezeichnung einer von jüdischen Wissenschaftlern geleisteten Arbeit, eine innerjüdische Veranstaltung, und dies selbst noch an der Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, die sich nicht die Rabbinerausbildung als Zweckbestimmung gesetzt hatte. Ein Vertreter dieser Richtung wäre […] vielfacher Mißdeutung ausgesetzt gewesen, nicht nur durch die nicht jüdische Umwelt, sondern durch die verschiedenen jüdischen Parteien selbst. Der Lehrkanzelinhaber wäre […] als Repräsentant des Judentums angesehen worden, womit […] sein innerjüdischer Standpunkt besondere Bedeutung gewinnt […] Demgegenüber ist für einen judaistischen Lehrstuhl die persönliche Religions- bzw. Volkszugehörigkeit des Fachvertreters grundsätzlich irrelevant, sofern er nur gewillt ist, seine Disziplin in einer nach wissenschaftlicher Objektivität ausgerichteten Betrachtungsweise zu betreuen. Nun hat ohne jeden Zweifel schon die alte Wissenschaft des Judentums eine unermeßliche Leistung von solch ‚objektiver‘ Art gezeigt, nur blieb die Auswirkung so gut wie ganz auf den innerjüdischen Bereich begrenzt, weil es sich nicht um die Ergebnisse einer traditionellen akademischen Disziplin handelte und weil man im außerjüdischen Bereich die Arbeit jüdischer Gelehrter zumeist von vornherein als pro domo angelegt und damit als ‚nicht objektiv‘ abstempelte.“[2]

An einigen Universitäten sind in jüngerer Vergangenheit auch Studiengänge entstanden, die eine Zusammenführung der Jüdischen Studien mit der Islamwissenschaft sowie teilweise auch den Sozialwissenschaften (und Israel-Studien) vertreten – so beispielsweise in einer Kooperation der Universität Heidelberg mit der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg seit dem Wintersemester 2019/20.[3] Hintergrund solcher Studiengänge ist einerseits das Bestreben, die existierende Trennung der Beschäftigung mit dem Judentum und Israel einerseits und den übrigen Kulturen des Nahen Ostens andererseits zu überwinden, worüber hinaus Derek Jonathan Penslar, Professor für Jewish History an der Universität Toronto auch eine „unglückliche Trennung“[4] der historisch orientierten Judaistik von den überwiegend sozialwissenschaftlich geprägten Israel Studies beklagt.[4] Im angestrebten Zusammengehen sollen die sprachbasierten Disziplinen, Islamwissenschaft und Judaistik, mit den methodenbasierten Sozialwissenschaften verbunden werden, um die gegenwartsbezogene Forschung zu forcieren.[5]

Schon im Jahr 2005 bestand in Hessen die Absicht, die Judaistik aus Frankfurt abzuziehen und in ein Zentrum für Orientwissenschaften in Marburg zu integrieren; die Initiative wurde mit Unterstützung des Verbands der Judaisten in Deutschland abgewiesen, da die systematische Anbindung an die Orientalistik eine willkürliche Beschränkung des Horizonts der Judaistik bedeutet hätte, die normalerweise den Anspruch hat, auch Geschichte und Kulturen jüdischer Gemeinden außerhalb des Orients, d. h. insbesondere Europas, aber auch Nord- und Südamerikas, des Fernen Ostens u. a. zu erforschen.[6] Nicht zuletzt aus organisatorischen Gründen (Verschmelzung vor allem kleinerer Fächer zu Fächergruppen) und einem allgemeinen Trend zur Einrichtung von Regionalstudien entstehen im In- und Ausland – oft an Stelle der herkömmlichen Jüdischen Studien/Judaistik, Islamwissenschaft, Sinologie, Indologie etc. – an immer mehr Orten Studiengänge, in die judaistische Module und Schwerpunkte in teils variablem Umfang inkorporiert sind, die sich jedoch primär als neue Fächer mit der Bezeichnung Naher und Mittlerer Osten (München), Asien und Mittelmeerraum: Sprachen, Kulturen, Gesellschaften (Halle/Saale) u. ä. präsentieren und Module enthalten, die bisher zum engeren judaistischen Kern nicht gehörten (Christlicher Orient, Iranistik u. ä.) Hiervon werden weitergehende interkulturelle und interdisziplinäre Effekte erwartet.

Universitäten und Lehrstühle

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Jüdische Studien/Judaistik kann an deutschen Universitäten als Ein- oder Zwei-Fach-Bachelor-Studiengang (Berlin, Düsseldorf, Frankfurt/Main, Köln, Münster, Heidelberg, Halle/Saale u. a.) sowie als Master-Studiengang (Berlin, Frankfurt/Main, Köln, Düsseldorf, Heidelberg u. a.) studiert werden. Lehrstühle mit einer kleineren Ausstattung gibt es in Göttingen, Mainz (judaistische Module im Studiengang Evangelische Theologie) und München (judaistische Module in den Nahoststudien). Lehrstühle mit einer Spezialisierung auf einen Teilbereich bestehen z. B. in Hamburg (jüdische Philosophie) und München (jüdische Geschichte). Alle Studiengänge stehen Bewerbern und Bewerberinnen unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit offen. Ausgenommen davon ist die Rabbinerausbildung, die in einer Kooperation zwischen dem Institut für Jüdische Studien der Universität Potsdam und dem Abraham Geiger Kolleg organisiert ist.

Liste der Standorte im deutschsprachigen Raum

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Deutschland[7]

Österreich

Schweiz

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 29. September 2020 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.juedische-studien.hhu.de
  2. http://judaistik.phil-fak.uni-koeln.de
  3. Nahostmaster. Abgerufen am 4. Juni 2020.
  4. a b Derek Jonathan Penslar: Israel in History – The Jewish State in Comparative Perspective. Routledge (Taylor & Francis Group), London and New York 2007, ISBN 978-0-415-40036-7, S. 66.
  5. Michael Nuding: Islamwissenschaft und Israel-Studien an deutschen Universitäten - Gehören Judaistik und Islamwissenschaft zusammen? In: Zenith Magazin. 28. Mai 2020, abgerufen am 4. Juni 2020.
  6. https://bildungsklick.de/hochschule-und-forschung/detail/land-richtet-forschungsstelle-juedische-studien-in-frankfurt-ein, aufgerufen am 10. August 2020.
  7. https://www.geschkult.fu-berlin.de/e/judaistik/Linkliste/Studium-in-Deutschland/index.html
  8. Professur für Judaistik. auf uni-bamberg.de.
  9. Institut für Judaistik. fu-berlin.de, 4. April 2006, abgerufen am 1. September 2016.
  10. Institut für Jüdische Studien, Abteilung für Jiddistik. auf phil-fak.uni-duesseldorf.de
  11. Professur Judaistik. uni-erfurt.de, abgerufen am 1. September 2016.
  12. Goethe-Universität – Seminar für Judaistik. uni-frankfurt.de, abgerufen am 1. September 2016.
  13. Judaistik. auf uni-freiburg.de
  14. https://www.uni-goettingen.de/de/55246.html
  15. Webmaster: Institut für Jüdische Philosophie und Religion. Abgerufen am 20. März 2018.
  16. Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg. Abgerufen am 22. August 2017.
  17. Seminar für Judaistik/Jüdische Studien. auf uni-halle.de.
  18. Martin-Buber-Institut für Judaistik. auf uni-koeln.de.
  19. Judentum in Tradition und Gegenwart B. A. Universität Leipzig, abgerufen am 9. August 2023.
  20. Professur für Judaistik. (Memento vom 5. Dezember 2013 im Internet Archive) auf uni-mainz.de.
  21. Studiengang Judaistik. auf uni-muenchen.de, abgerufen am 1. September 2016.
  22. Institut für Jüdische Studien und Religionswissenschaft auf uni-potsdam.de, abgerufen am 12. April 2021.
  23. Seminar für Religionswissenschaft und Judaistik/Institutum Judaicum. uni-tuebingen.de, abgerufen am 1. September 2016.
  24. Universität Trier: Germanistik – Jiddistik. uni-trier.de, abgerufen am 1. September 2016.
  25. Institut für Judaistik auf univie.ac.at
  26. Zentrum für Jüdische Studien. jewishstudies.unibas.ch, abgerufen am 12. April 2021.
  27. Institut für Judaistik. Abgerufen am 1. September 2016.
  28. Universität Luzern: Judaistik – Universität Luzern. unilu.ch, abgerufen am 1. September 2016.