Fanny Birkenruth
Fanny Birkenruth, geb. Freundlich (* 21.März 1841 in Wittelshofen Lk. Ansbach; † 6.Mai 1912 in Rom ) entstammte dem fränkischen Landjudentum und war eine akkulturierte, in allen Künsten gebildete Privatière. Sie wirkte in Kreisen von Literaten, Künstlern und Feministinnen im Rom der Jahrhundertwende.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Sie wird als Fanny Freundlich und 5. Kind des wohlhabenden Stoffhändlers, Hajum Meier Freundlich und seiner 2.Ehefrau Hannchen Seller, in die orthodox jüdische Großfamilie der Freundlichs (Friendlys in den USA) im Dorf Wittelshofen geboren.[1] Früh bewegt sie sich in liberalen jüdischen Kreisen Fürths [2]. Im Zuge der ab 1861 gesetzlichen Gleichstellung verlässt sie 19-jährig das ghettoisierte Landleben. Nach der heimlichen Geburt einer unehelichen Tochter, die sie unter falschem Namen in Pflege gibt, heiratet sie ein Jahr später den 36 Jahre älteren, vermögenden Antiquitätenhändler Abraham Birkenruth und bewegt sich von da an in gehoben kultivierten, assimilierten Kreisen Kassels. Nach dem frühen Tod A. Birkenruths zieht die erst 32-Jährige, finanziell unabhängige Witwe, in die Kulturmetropole Dresden. Ihre Tochter belässt sie in Pflege und im Glauben, sie sei ihre Tante.
Sie steht mit kulturschaffenden, emanzipierten Frauen ihrer Zeit in intellektuellem Kontakt, besonders mit der Musikschriftstellerin, Marie Lipsius, alias La Mara und dem Zirkel um die Bayreuther Festspiele. 1882 lässt sie sich in Rom in der 13, Via Gregoriana nieder. Als Privatière verkehrt sie in deutsch-römischen Kulturkreisen und im literarischen Salon der Schriftstellerin Malwida von Meysenbug, der sie als enge Vertraute bis zum Tod beisteht, als ihre „Eccelenza - ihr Finanzminister.“ [3] [4] Auf dem protestantischen Friedhof Roms, dem „Cimitero acattolico“, liegen die prächtigen Grabmonumente der beiden Freundinnen nebeneinander.
In ihren letzten Lebensjahren lässt sich Fanny Birkenruth protestantisch taufen und engagiert sich im Evangelischen Frauenverein der protestantischen Gemeinde Roms zu Frauenrecht und Frauenfürsorge. Sie steht in regem Austausch mit namhaften internationalen Frauenrechtlerinnen wie der österreichischen Schriftstellerin Marie Herzfeld, der schwedischen Reformpädagogin Ellen Key, der Wagner Sängerin Emilie Heim in Zürich und ist eng befreundet mit Adeline Stinnes, der Witwe des Großindustriellen Hugo Herrman Stinnes, bei der sie in Mühlheim während ihrer Deutschland-Besuche residiert.
Am 6.Mai 1912 stirbt sie im deutschen evangelischen Krankenhaus, der Casa Tarpea, am Kapitol in Rom
Rezeption
Fanny Birkenruth, eine „selten ausgeprägte Persönlichkeit“[5], lebt als Wegbereiterin weiblicher, jüdischer Akkulturation den Traum einer gebildeten, sozialengagierten Privatière und Förderin der Frauenfürsorge um 1900 in Rom. Familiär zahlt sie durch die gesellschaftlich erzwungene Verleugnung ihrer unehelichen Tochter einen hohen Preis. Entfremdet von ihren Nachkommen, stirbt sie mit diesen unversöhnt in Rom. Die Identität des unehelichen Vaters, eines jüdischen Cousins auf US-amerikanischem Heimaturlaub, hatte sie nie preisgegeben. Dieses Geheimnis rettet 80 Jahre später ihre assimilierten Nachfahren vor der Shoah. Da der jüdische Vater nie aktenkundig wurde, erfindet die Enkelgeneration einen „deutschblütigen Erzeuger“ und US-Auswanderer[6]. Mit Hilfe der US-Friendly-Verwandten gelingt ein fingiertes Affidavit, welches das NS-Reichssippenamt 1941 „bis zum Beweis des Gegenteils“[7] akzeptiert und die Nachkommen bewahrt.[8]
Literatur
1. Brenner, Michael, Eisenstein Daniela F. (Hrsg.): Die Juden in Franken, Oldenbourg Verlag München, 2012
2. Brooks-Friendly, Natalie: The Friendly Family. The Descendants of the Freundlichs of Bavaria, Newbury Street Press, Boston Machusetts,1998.
3. Joachim Radkau: Malwida von Meysenbug : Revolutionärin, Dichterin, Freundin: eine Frau im 19. Jahrhundert, München Hanser, 2022, ISBN 978-3-446-27282-8. S.48
4. Heyde, Franziska: Fanny Birkenruth geb. Freundlich - Wahrheiten entfalten sich. Selbstverlag Murnau 2023. VLB - ISBN 978-3-000-7386-2-3
https://email.t-online.de/em/bin/service.mailbox/delivermessagepart?folder=INBOX.Buch-Fanny+Franziska&uId=136787581419010&mimePartId=2&disposition=inline
Einzelnachweise
[1] https://www.familysearch.org/search/catalog/687365 The Friendly family:The descendants of the Freundlichs of Bavaria by Natalie Brooks Friendly
[2] https://www.blz.bayern.de/die-juden-in-franken_p_208.html Michael Brenner & Daniela F. Eisenstein (Hrsg.)
Die Juden in Franken.
[3] Nachlass Malwida von Meysenbug Nr. 191 Fanny Birkenruth
https://www.archive.nrw.de/landesarchiv-nrw/landesarchiv-nrw-abteilung-ostwestfalen-lippe-detmold
[4] Lippisches Literaturarchiv
[5] Franziska Heyde: Das Leben der Fanny Birkenruth geb. Freundlich. Wahrheiten entfalten sich. Selbstverlag Murnau 2023. VLB: ISBN 978-3-00-073862-3 S.81 „Erinnerungen zu Fanny Birkenruth“ von Pf. Schubert, Botschaftsprediger der evangelischen Christuskirche Ro
[6] Abstammungsbescheid vom 30.10.1941 des Reichssippenamts Berlin
[7] Ebenda
[8] Franziska Heyde: Das Leben der Fanny Birkenruth geb. Freundlich. Wahrheiten entfalten sich. Selbstverlag Murnau 2023. VLB: ISBN 978-3-00-073862-3 S. 88 ff