Stiftskirche St. Cyriakus (Gernrode)

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Westfront der Stiftskirche St. Cyriakus
Grundriss der Kirche aus Georg Dehios „Kirchliche Baukunst des Abendlandes“ von 1901

Die Stiftskirche St. Cyriakus in Gernrode (Landkreis Quedlinburg, Sachsen-Anhalt) ist eines der bedeutendsten romanischen Architekturdenkmäler in Deutschland. Sie gilt als eines der Musterbeispiele ottonischer Architektur. Die Kirche, die erstmals 961 erwähnt ist, befindet sich aufgrund der Restaurierungen im 19. Jahrhundert heute weitgehend im Zustand des 10. Jahrhunderts, lediglich die Westapsis wurde um 1130 ergänzt. Heute ist die Kirche Pfarrkirche der evangelischen Kirchengemeinde Gernrode.

Gründung und Gründungsbau

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Die Kirche von Südosten
Westwerk und der Ansatz des Langhauses aus dem Bereich des Kreuzganges. Deutlich zu erkennen die Gliederung der Südwand mit doppelstöckigem Kreuzgang, Seitenschiff und Hauptschiff

Das Frauenstift Gernrode wurde 959 vom Markgrafen der sächsischen Ostmark Gero gegründet. Gero war eine der Hauptstützen Kaiser Ottos I., die Burg Gernrode war einer von Geros Hauptsitzen. Zur Gründung des Stiftes führte, dass das Aussterben von Geros Familienlinie 959 absehbar war: Geros Sohn Siegfried, der als Mitgründer des Stiftes gilt, starb kinderlos in diesem Jahr, wahrscheinlich nach längerer Krankheit. Die Stiftung einer religiösen Frauengemeinschaft sollte durch andauerndes Gebetsgedenken dem Seelenheil Geros und seiner Söhne dienen (Memoria). Siegfrieds Witwe Hathui wurde von Gero als erste Äbtissin Gernrodes eingesetzt. Das Kloster Frose, das Gero 950 gegründet hatte, wurde in ein Frauenstift umgewandelt und der Neugründung unterstellt. Die reiche Ausstattung, Geros politische Bedeutung und auch die Hathuis, die eine Nichte Königin Mathildes war, brachten die Neugründung in die Gruppe der wichtigsten Frauenstifte des Reiches, zu denen die von Verwandten des ottonischen Herrschergeschlechts geleiteten Stifte zu Gandersheim, Quedlinburg, und Essen gehörten. Bereits 961 erhielt das neugegründete Stift von Otto I. den Status eines Reichsstiftes.

Mit dem Bau der Kirche begann man wahrscheinlich bereits im Jahr der Stiftsgründung. Die Kirche war vermutlich zunächst den Stiftspatronen Maria und Petrus gewidmet. Nachdem sie jedoch eine Armreliquie des Hl. Cyriakus erhalten hatte, die Gero vermutlich bereits 950 in Rom zunächst für die Abtei Frose erworben hatte, wurde dieser Heilige Patron von Stift und Kirche. Beim Tod Geros 965 war der Bau bereits so weit fertiggestellt, dass dieser an der herausragenden Stelle, nämlich in der Vierung, beigesetzt werden konnte.

Der Gründungsbau kann anhand der noch vorhandenen Bausubstanz weitgehend rekonstruiert werden. Er war eine kurze dreischiffige Basilika mit Stützenwechsel. Die Seitenschiffe enthielten Emporen. St. Cyriakus ist damit eine Emporenbasilika, einer aus Byzanz stammenden Form, in der hier erstmals nördlich der Alpen gebaut wurde. An das Langhaus schloss sich im Osten ein Querhaus an, das mit dem Mittelschiff eine Vierung bildete. Östlich vom Querhaus lagen Nebenapsiden an den Querhausarmen sowie ein Chor mit Apsis. Unter dem Chorbereich befand sich eine kurze dreischiffige Hallenkrypta mit einem Zugang durch zwei seitliche Stollen. In der Westwand der Krypta bestand eine Confessio. Der Bau besaß ein Westwerk aus einem quadratischen Mittelturm, der westlich von zwei runden Treppentürmen flankiert wurde. Östlich begleiteten den Mittelturm quadratische Flankenräume. Eine Empore im Westwerk und in den Flankenräumen hatte Verbindung zu den Emporen in den Seitenschiffen.

Noch heute ist am Grundriss der Kirche zu erkennen, dass die Mittelachsen von Westwerk, Kirchenschiff und Ostteil verschoben sind. Dieses wird darauf zurückgeführt, dass zunächst der Ostteil gebaut wurde, dann das Westwerk und erst zuletzt das Kirchenschiff, an dessen Stelle vermutlich eine provisorische Kirche stand, die das Ausfluchten verhinderte. Die gesamte Anlage der Kirche deutet auf einen Gesamtbauplan, da sie um das kurze, nur zwei Doppeljoche umfassende Langhaus herum konzipiert ist. Den Doppelarkaden des Erdgeschosses entsprechen jeweils drei Doppelarkaden auf den Emporen, jede einzelne von einem Bogen überfangen. Die Zweiteilung des Erdgeschosses wird im Emporengeschoß durch einen Mittelpfeiler fortgesetzt. Die Säulen des Kirchenschiffs tragen Maskenkapitelle, die sich aus korinthischen Kapitellen ableiten. Bemerkenswert sind die aus dem Blattwerk der Kapitelle erscheinenden Gesichter. Die Säulen der Langhausarkaden tragen keine Kapitelle, die Kämpfer sitzen unmittelbar auf den Schaftringen der Säulen auf.

Die Erweiterung zur Doppelchoranlage

Die Säulen der Westkrypta zeigen typisch romanische Formen

Im 12. Jahrhundert wurde die Kirche teilweise erheblich umgestaltet, optisch am auffälligsten war die Erweiterung des Westwerks. Die gerade Westwand, die den Gründungsbau abgeschlossen hatte, entfiel durch den Bau des Westchores mit Westapsis mit der darunter liegenden, dreischiffigen Westkrypta. Die Treppentürme des Westwerkes wurden erhöht. Dies wird daraus geschlossen, dass die durch feinteilige Blendarkaturen ausgezeichneten Geschosse des Turmpaares ursprünglich sicherlich nicht von zwei weiteren unverzierten Geschossen überragt wurden. Darüber hinaus entstand das oberste Turmgeschoß mit den gekuppelten Fensteröffnungen erst im 12. Jahrhundert. Außerdem ließen sich in Höhe des unteren Simses der beiden durch Blendarkaturen ausgezeichneten Obergeschosse die Anfänge von Gesimsstücken nachweisen. Bei dem Umbau entfielen auch die Emporen der Seitenschiffe, vermutlich weil die Wände der Seitenschiffe erneuert wurden. Die Querhausarme wurden zur Vierung geöffnet, so dass ein durchlaufendes Querhaus entstand, die Querhausarme erhielten zudem Emporen. Das heilige Grab in der Mitte des südlichen Seitenschiffes wurde erneuert, zudem wurden der sich an die Kirche anschließende Flügel des Kreuzgangs in seiner noch heute bestehenden doppelstöckigen Form erbaut.

Spätere Baugeschichte bis zur Restaurierung

In den nördlichen Arm des Querhauses wurde in spätgotischer Zeit eine Schatzkammer eingebaut. Mit der Aufhebung des Stiftes 1616 begann die Kirche zu verfallen. Die Stiftsgebäude, die im 18. Jahrhundert noch fast vollständig erhalten gewesen sind, wurden im 19. Jahrhundert abgebrochen. Die Kirche selbst diente als landwirtschaftliches Gebäude, zu diesem Zweck waren teilweise Fenster zugemauert worden. Die Apsiden waren von dem Gebäude abgemauert worden und hatten Zugänge von außen erhalten. Die Krypten dienten zur Aufbewahrung von Kartoffeln, die Langhausempore als Getreidespeicher und im Kreuzgang wurde Vieh untergebracht.

Erst 1834 machte der Kunsthistoriker Franz Theodor Kugler auf den heruntergekommenen Bau aufmerksam. Als mittelalterlicher Bau fand die „neuentdeckte“ Kirche im Zeitalter des Historismus Beachtung. Der Kunsthistoriker Ludwig Puttrich bewegte Herzog Leopold Friedrich von Anhalt-Dessau dazu, den weiteren Verfall zu verhindern und eine Restaurierung zu veranlassen.

Die Restaurierung durch Ferdinand von Quast

Blick ins Mittelschiff nach Westen, 1877

Mit der Restaurierung der Stiftskirche beauftragte man einen ausgewiesenen Experten in der noch neuen Disziplin der Denkmalpflege, den preußischen „Konservator der Denkmäler“ Ferdinand von Quast. Ert untersuchte zunächst die vorhandene Bausubstanz, seine Aufzeichnungen erlauben es, die 1858 noch vorhandenen Teile des Ursprungsbaus und des romanischen Umbaus zu unterscheiden. Ferdinand von Quast bewahrte bei der Restaurierung 1858 bis 1866 weitgehend die originalen Bauformen. Die Emporen des Langhauses wurden wieder geöffnet, die Öffnungen in den Außenwänden der Apsiden wieder geschlossen und die Apsiden wieder zur Kirche hin geöffnet. Lediglich die Ausmalung der Kirche gestaltete von Quast nach seinen eigenen Vorstellungen. Seine Pläne, die Stiftsklausur wieder aufzubauen und die Türme des Westbaus zu erhöhen, um so ein idealisiertes Mittelalter zu schaffen, wurden nicht umgesetzt. Die Restaurierung von Quasts hat wie die Kirche selbst den Status eines Denkmals.

Zwischen 1907 und 1909 wurde der nördliche und 1910 der südliche Treppenturm des Westwerks grundlegend erneuert, woran zwei in das Mauerwerk eingelassene Steintafeln erinnern.

Ausstattung

Von der reichen Ausstattung des ottonischen Baus haben sich nur geringe Reste erhalten, da diese 1616, als das Stift aufgelöst war, von den Reformierten entfernt wurde. Die karge Ausstattung der Reformierten ist ebenfalls nicht mehr vorhanden, die heutige Ausstattung ist im wesentlichen historistisch und wurde 1860/61 nach der Restaurierung geschaffen. Über die Zeit erhalten blieben lediglich einige Grabplatten von Äbtissinengräbern, die 1519 neu geschaffene Tumba des Stiftsgründers Gero sowie das Heilige Grab.

Das „Heilige Grab“

Blick ins Mittelschiff nach Osten, rechts das Heilige Grab, um 1850

Das Heilige Grab befindet sich im südlichen Seitenschiff. Die genaue Datierung ist umstritten. Beim romanischen Umbau der Kirche war das Grab jedenfalls bereits vorhanden. Es handelt sich um das älteste erhaltene Heilige Grab in Deutschland. Das Heilige Grab hatte eine wichtige Funktion in der Gernroder Stiftsliturgie während der Ostertage. Im Rahmen liturgischer Osterspiele, die für Gernrode aus einer erhaltenen Handschrift rekonstruiert werden konnten, aber auch aus anderen Frauenstiften wie Essen bekannt sind, wurde am Karfreitag der vom Kreuz genommene Corpus in den Sarkophag des Heiligen Grabes gelegt. In der Auferstehungsliturgie des Ostersonntags wurde er dann wieder feierlich daraus hervorgeholt und den anwesenden Gläubigen gezeigt.

Das Grabmal setzt sich aus einem offenen Vorraum und der eigentlichen Grabkammer zusammen. Der Vorraum ist vom Mittelschiff der Kirche durch eine kleine Tür begehbar, die Grabkammer hingegen ist nur über diesen Vorraum erreichbar. Dieser Zustand war jedoch nicht der ursprüngliche.

Der gesamte Reliefschmuck des Heiligen Grabes bezieht sich auf das Thema der Grablegung und der Auferstehung. Die Öffnung in der Wand zum Mittelschiff bildete eine Wirkungsquelle, um die Heilswirkung der im Heiligen Grab geborgenen Reliquie, eines Dornes der Dornenkrone Christi, auf die im davor im Mittelschiff begrabenen Äbtissinnen ausstrahlen zu lassen. Ein Oculus in der Außenwand der Kirche erlaubte eine entsprechende Ausstrahlung in den Kreuzgang, wo die übrigen Würdenträger des Stifts begraben waren.

Grabmal des Markgrafen Gero

Das in der Vierung der Stiftskirche für den als Stifter verehrten Markgrafen Gero wurde 1519 als Hochgrab errichtet. Es war eine gemeinsame Stiftung der Äbtissin Elisabeth von Weida und der Pröpstin Ursula von Kittlitz, das Wappen beider ist auf den Seiten der Tumba abgebildet. Es ist aus Sandstein hergestellt und hat die Maße von 94 cm Höhe, 99 cm Breite sowie 212 cm in der Länge.

Das Gero-Grabmal

Auf den Seitenflächen befinden sich mehrere auf dem Sockel stehende Figuren. Auf der Nordseite: Andreas, Mathias, Johannes und Petrus. Die Südseite ist mit folgenden Figuren versehen: Antonius, Hedwig (die Figur hält ein Modell der Kirche in der Hand möglicherweise sollte hier die erste Äbtissin des Stiftes Hathui (Hedwig) dargestellt werden), daneben noch die Figuren von Maria, Elisabeth sowie Onofrius. Die beiden Schmalseiten bieten nur Platz für je zwei Figuren. Auf der Westseite sind mit Cyriakus und Metronus die Stiftspatrone dargestellt, an der Ostseite finden sich die Apostel Philippus und Thomas.

Die Figuren der Seiten haben im Gegensatz zur Liegefigur auf dem Deckel der Tumba keine hohe künstlerische Qualität. Die Deckplatte zeigt den Markgrafen im Hochrelief in einer Rüstung aus dem Beginn des 16. Jahrhunderts. In seiner rechten Hand hält er das Schwert, in seiner Linken die Fahne. Die Füße sind auf einen Löwen gestützt, der ein Wappenschild hält. Bei der Figur ist die Vermutung ausgesprochen worden, dass sie aus der Werkstatt von Tilman Riemenschneider stammt, wohl nicht von ihm selbst, sondern von einem seiner Gesellen.

Bei der Renovierung der Stiftskirche 1865 wurde das Grabmal geöffnet. Man fand darin die Knochen eines Mannes mit einer Körperlänge von 1,84 m.

Tafelbild des Markgrafen Gero

Tafelbild Geros

Auf der Südempore des Querhauses befindet sich ein Tafelbild des Markgrafen Gero, das zu Beginn des 16. Jahrhunderts entstand. Allerdings ist dessen Bedeutung für die Malereigeschichte belanglos, da die Qualität der Tafel relativ gering ist. Für die Geschichte der frühen deutschen Skulptur hingegen, hat das Tafelbild eine besondere Bedeutung. Auf dem Bild ist frontal ein Mann in einem kurzen roten Leibrock mit Gurt zu erkennen, der auf einem flachen sechseckigen Sockel steht, auf dem außerdem noch ein Hund liegt. In der linken Hand trägt der bärtige Mann ein Richtschwert, über dessen Parierstange ein Schild mit aufgemaltem Adler hängt. Den rechten Arm hat er erhoben, um eine Lanze mit einem Wimpel mit schreitendem Löwen zu umfassen. Die zahlreich mit Edelsteinen eingefassten Borten des Gewandes des 10. Jahrhunderts zeugen davon, dass es sich um eine hochrangige Persönlichkeit handelt. Die Inschrift GERO DVX ET MARIHIO FVNDATOR HVIVS ECCLFSIE SAXOIIVM lässt keinen Zweifel aufkommen, dass es sich um den Stifter der Kirche, Markgraf Gero handelt. Es gilt in der Forschung als sicher, dass der Künstler des 16. Jahrhunderts auf eine wesentlich ältere Vorlage, möglicherweise die zeitgenössische Grabplatte, zurückgegriffen hat, von der auch die fehlerhafte Inschrift übernommen wurde. Wenn dies stimmt, wäre dieses Tafelbild die Abbildung des nicht mehr im Original vorhandenen, frühestens Werkes einer figürlichen Grabpalstik im deutschsprachigen Raum.

Grabplatten

Die Äbtissinnen des Stiftes wurden bis ins 16. Jahrhundert vor dem Kreuzaltar bestattet. Bei den Grabstellen handelte es sich vermutlich um gemauerte Schächte, welche die Holz- oder Bleisärge aufnahmen und mit in den Kirchenboden eingelassenen Grabplatten verschlossen wurden. Die Grabplatten waren mit Inschriften gekennzeichnet, ab 1324 auch mit einer Darstellung der Verstorbenen. Bei der Kirchenreparatur der Jahre 1830/31 wurden diese Grabplatten bis auf zwei zu den Treppenstufen verarbeitet, die den Ostchor hinaufführen, die Beschriftungen sind noch teilweise zu erkennen. Die beiden Platten welche Quast noch vorfand, waren die Doppelgrabplatte der Äbtissinnen Adelheid vom Walde und Bertradis von Snaudit, die 1912 in die südliche Nebenapsis verbracht wurde, und die Grabplatte Elisabeths von Weida, die 1924 aufrecht vor der nördlichen Epistelambo aufgestellt wurde.

Taufstein

Ein romanischer Taufstein steht im westlichen Mittelschiff. Er stammt nicht aus der ursprünglichen Kirche, sondern aus der abgerissenen Kirche von Alsleben und wurde im ausgehenden 19. Jahrhundert durch Ferdinand von Quast nach Gernrode gebracht. Das achtseitige Taufbecken ist tief in den Sandstein eingearbeitet, es hat eine Höhe von 93 cm und einen Durchmesser von 120 cm. An den Rundbogennischen der Außenseiten ist es mit figürlichen Reliefs ausgestattet, die das Leben Christi darstellen, in zwei Dreiergruppen die Kreuzigung und den Salvator Mundi, sowie in je einem Relief die Geburt Christi und Himmelfahrt. Die Umsetzung der Darstellung erfolgte jedoch nur mit begrenztem künstlerischen Vermögen, beispielsweise stimmen die Proportionen der Figuren nicht. Der Stein wurde um 1150 gearbeitet. Der Sockel der Taufsteins ist eine Arbeit des 19.Jahrhunderts.

Ausstattung und Stiftsliturgie um 1500

Aus der Stiftsbibliothek sind ein Brevier des ausgehenden 15. Jahrhunderts sowie ein Prozessionale von 1502 erhalten. Aus diesen Schriften und Baubeobachtungen kann die liturgische Situation im Stift Gernrode um 1500 rekonstruiert werden.

Die liturgische Einrichtung

Ostchor und nördliches Querhaus
Detail des Südflügels mit dem angebauten Kreuzgangflügel. Deutlich zu erkennen ist der im 19. Jh. ergänzte Dachreiter

Die Stiftskirche verfügte um 1500 über zahlreiche Altäre, deren Aufstellungsorte teilweise bekannt sind, teilweise aus den Quellen erschlossen wurden:

  • Der Hauptaltar, gewidmet St. Cyriakus, mit dem Schrein der Cyriakus-Reliquie stand in der östlichen Apsis. Nördlich davon stand das Sakramentshäuschen, davor das Gestühl der Stiftskanoniker, das durch eine Schranke vom Rest der Kirche getrennt war.
  • Die Ostkrypta enthielt einen Altar der 11.000 Jungfrauen der Ursulalegende. Die Verehrung dieser Heiligen dürfte entweder auf den Kontakt Geros mit Erzbischof Brun zurückzuführen sein oder auf die Verwandtschaft Geros mit dem Erzbischof Gero von Köln.
  • In der Vierung befand sich das Stiftergrab, das vermutlich durch eine Öffnung zur Krypta an der Heilswirkung der in der Confessio aufbewahrten Reliquie teilgenommen hat. Um 1500 war diese Reliquie auf dem Hauptaltar, so dass die Fenestella und die Confessio vermauert waren.
  • Im nördlichen Querhaus stand unten ein Marienaltar, in der oberen Etage befand sich ebenfalls ein Altar, da dort eine Piscina nachgewiesen ist. Westlich vor dem unbekannten Altar befand sich die Schatzkammer, die auch als Sakristei diente.
  • Im unteren Geschoss des südlichen Querhauses stand der Altar des Heiligen Petrus. Auf der Empore darüber befand sich ein Michaelsaltar, vor dem sich das Hauptgestühl der Stiftsdamen befand.
  • Im Triumphbogen zwischen Vierung und Kirchenschiff stand ein Kreuzaltar. Über diesem konnte durch Baubeobachtung die Existenz eines Triumphkreuzes nachgewiesen werden. Vor dem Triumphbogen befand sich die Grablege der Äbtissinnen, mit dem Grab Hathuis in der Mitte der ersten Reihe vor dem Kreuzaltar.
  • Im Mittelschiff befand sich ferner ein Allerheiligenaltar, der über ein eigenes Altargestühl verfügte und vermutlich durch Schranken von der Kirche abgetrennt war. Vor der Westseite des Gestühls bestand noch genügend Platz, um durch die mittig angeordnete Treppe in die Westkrypta zu gelangen.
  • Im Westchor befand sich der Altar des Metronus, der im späteren Mittelalter zum zweiten Patron der Stiftskirche geworden war. In der Krypta unter dem Westchor befand sich vermutlich der Reliquienschrein dieses Heiligen, möglicherweise auch noch ein weiterer Altar.
  • Im nördlichen Seitenschiff befand sich am östlichen Ende der Altar der Hl. Katharina mit eigenem Gestühl, weiter westlich davon befand sich ein Bild des Heiligen Cyriakus.
  • Im südlichen Seitenschiff befand sich das Heilige Grab mit dem symbolischen Sarkophag Christi. In der östlichen Vorkammer des heiligen Grabes stand ein Altar des Heiligen Ägidius, vor der westlichen Schauseite des Heiligen Grabes ein Altar des Hl. Johannes des Evangelisten, der auch über ein eigenes Gestühl verfügte.

Liturgische Nutzung um 1500

Alltags und an gewöhnlichen Sonntagen

Die Stiftskirche war eine Prozessionskirche, die diversen Altäre und Orte wurden entsprechend dem Kirchenjahr aufgesucht und einbezogen. Die tägliche Hauptmesse vollzog ein Stiftskanoniker am Hauptaltar im Ostchor, während sich die Stiftsdamen in ihrem Gestühl auf der südlichen Querhausempore befanden. Ein Sichtkontakt zwischen dem Geschehen am Hochaltar und den Damen bestand nicht, außer für die Singmeisterin, die ihren Platz auf der Empore neben dem Vierungspfeiler hatte. Auf der Empore verrichteten die Damen auch die üblichen Stundengebete, Vesper und Vigil. Der Michaelsaltar auf dieser Empore stand in keiner Beziehung zu diesem Chordienst des Stiftskapitel, Messhandlungen an diesem fanden nicht in Gegenwart der Damen statt. An gewöhnlichen Sonntagen war der Hauptmesse eine Prozession der Damen vorgelagert, die durch den Kreuzgang erfolgte, wo eine Statio in der Marienkapelle erfolgte. Von dort zog der Konvent durch die westliche Verbindungstür der Kirche zum Kreuzgang in die Kirche ein, durch das Mittelschiff mit den Gräbern der Äbtissinnen und Geros und über die Chortreppe auf die Empore.

An Festtagen

An besonderen Festtagen war der liturgische Ablauf weit farbiger und individueller. Für jeden Feiertag war genau geregelt, welche Gruppe wann welche Handlung vollzog. Exemplarisch hierfür ist der Ablauf am Palmsonntag. Zur Prim befanden sich die Kanoniker im Hochchor, die Stiftsdamen auf der südlichen Querhausempore. Nach der Prim erhoben sich die Kanoniker aus ihrem Gestühl und zogen in Prozession über die Chortreppen ins Mittelschiff. Dort trafen sie auf die Prozession der Stiftsdamen, die über die Chortreppe ihre Empore verlassen hatten, und die den Kanonikern nun vor den Eingang des Heiligen Grabes folgten. Dort stellten sich die Stiftsdamen nach Osten gewendet auf und sangen ein Antiphon, während die Kleriker in das Heilige Grab eintraten. Dort nahmen die Kleriker das Gemmenkreuz mit der Dornreliquie auf und trugen es hinaus. Die Kleriker begaben sich mit dem Kreuz zum Kreuzaltar und stellten es dort auf. Nach dem Ende des Antiphons begaben sich auch die Damen zum Kreuzaltar, wo Kanoniker und Stiftsdamen gemeinsam einen Hymnus anstimmten. Nach diesem zogen der Damenkonvent wieder auf die Empore, um dort die Terz zu singen. Nach der Terz wurden vor der Schranke des Hauptchores die Palmzweige geweiht und vom Diakon an die Kanoniker und Stiftsdamen verteilt. Die Damen prozessierten mit den Zweigen durch die westliche Tür zum Kreuzgang, durch den Kreuzgang und wieder zuück in die Kirche vor den Kreuzaltar, zu dem sich inzwischen auch die Kanoniker begeben hatten. Es folgte ein Hymnus, danach begaben sich zuerst die Damen, dann die Kanoniker und zuletzt der Hebdomadar vor dem Kreuz zur Verehrung in Proskynese. Im Anschluss trugen Hebdomadar und Diakon das Kreuz vom Kreuzaltar zur Chorschranke, vor der es aufgestellt wurde. Alle Gruppen begaben sich dann in ihre Gestühle, um der Hauptmesse beizuwohnen. Nach der Vesper versammelten sich die Stiftsdamen im Gestühl des Katharinenaltars, die Kanoniker auf der Bank am Cyriakusbild westlich davon. Die Singmeisterin sang ein Antiphon, während der Einzug Jesu in Jerusalem dargestellt wurde, indem ein Diakon und ein Subdiakon einen hölzernen Palmsonntagsesel aus dem Westteil der Kirche durch das Kirchenschiff zum Petersaltar unter der Stiftsdamenempore zogen. Anschließend begaben sich die Stiftsdamen und die Kanoniker in ihre üblichen Gestühle zur Komplet und begaben sich anschließend zu Bett.

Nutzungsgeschichte und heutige Nutzung

Ort der Straße der Romanik

Die Stiftskirche St. Cyriakus war seit der Gründung des ersten Kirchenbaus bis zur Auflösung des Stiftes 1616 die Stiftskirche des von Gero gegründeten Frauenstifts und Mittelpunkt des Stiftslebens. Die Kirche war weder Pfarr- noch Bischofskirche, sondern diente hauptsächlich den Angehörigen des Frauenstifts. Ihre Stellung war daher einer Klosterkirche vergleichbar, auch wenn das Stift Gernrode wahrscheinlich nicht der benediktinischen Klosterregel folgte, sondern den Institutio sanctimonialium, der 816 von der Aachener Reichssynode festgelegten kanonikalen Lebensform für Frauenkommunitäten, wie sie in den vom sächsischen Hochadel begründeten Stiften Essen, Gandersheim, Quedlinburg oder Elten angewendet wurden. Im der Kirche fanden die Stundengebete und Messen der Stiftsgemeinschaft statt, sowie die Fürbitten für die verstorbenen Stiftsangehörigen, die adeligen Förderer des Stiftes und deren Vorfahren im Rahmen des organisierten Totengedenkens. Da die Äbtissin Elisabeth von Weida sich bereits 1521 der protestantischen Lehre Martin Luthers anschloss, wurde die Stiftskirche eine der ersten protestantischen Kirchen überhaupt. Das Frauenstift war von 1521 bis zur Auflösung evangelisch. Nach Auflösung des Stiftes diente die Kirche zeitweise einer reformierten Gemeinde, erst diese entfernte die mittelalterliche Ausstattung, später erfolgte eine Profanisierung. Die Kirche diente unter anderem als Getreidespeicher. Seit der Restaurierung ist die Stiftskirche Pfarrkirche der evangelischen Gemeinde St. Cyriakus Gernrode. Außer zu Gottesdiensten wird die Kirche auch für Konzerte genutzt, unter anderem wird das Osterspiel der Stiftliturgie alljährlich zu Ostern aufgeführt.

Die Kirche steht seit 1960 unter staatlichem Denkmalschutz und ist heute Bestandteil der Straße der Romanik.

Literatur

  • O. v. Heinemann: Geschichte der Abtei und Beschreibung der Stiftskirche zu Gernrode. Quedlinburg 1877.
  • Hans K. Schulze, Reinhold Specht, Günter W. Vorbrodt: Das Stift Gernrode. Mit einem kunstgeschichtlichen Beitrag über die Stiftskirche, Köln/Graz 1965.
  • Klaus Voigtländer: Die Stiftskirche zu Gernrode und ihre Restaurierung 1858 – 1872, Berlin 1980, 2 Aufl. 1982.
  • Werner Jacobsen: Die Stiftskirche von Gernrode und ihre liturgische Ausstattung. In: Essen und die sächsischen Frauenstifte im Frühmittelalter. Klartext Verlag, Essen 2003, ISBN 3-89861-238-4.
  • Ulrich Knapp: Ottonische Architektur. Überlegungen zu einer Geschichte der Architektur während der Herrschaft der Ottonen. In: Klaus Gereon Beuckers, Johannes Cramer, Michael Imhof (Hrsg.): Die Ottonen. Kunst – Architektur – Geschichte. 2002, ISBN 3-93-252691-0.
  • Deutsche Stiftung Denkmalschutz (Hrsg.): Monumente Edition - Romanik in Sachsen-Anhalt. Monumente-Publ., Bonn 2002; ISBN 3935208057.

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