Lensch-Cunow-Haenisch-Gruppe

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Die Lensch-Cunow-Haenisch-Gruppe bezeichnet eine 1915 innerhalb der SPD entstandene Strömung im "nationalen Fahrwasser", [1] die aus ehemals der Parteilinken zugehörigen antirevisionistischen Marxisten bestand, und versuchte, die Zustimmung der SPD-Mehrheit zu den Kriegskrediten im August 1914 und die Burgfriedenspolitik der SPD-Führung unter Friedrich Ebert marxistisch zu untermauern.

Protagonisten

Die Protagonisten der Gruppe waren (mit ihren Funktionen in der SPD 1914):

Im intellektuellen Umfeld der Gruppe außerdem anzusiedeln sind Ernst Heilmann (später Fraktionsvorsitzender der SPD im Preußischen Landtag, starb im KZ), August Winnig (1922 aus der SPD ausgeschlossen), sowie der Münsteraner Professor Johann Plenge, bei dem der spätere SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher promovierte.[2]

Positionen

Ausgehend vom "Augusterlebnis" 1914, der scheinbaren nationalen Einheit aller Parteien und gesellschaftlichen Kräfte zu Kriegsbeginn, propagierte die Gruppe Begriffe wie "Staatssozialismus", "Kriegssozialismus" und "Volksgemeinschaft" und erhoffte sich von einem deutschen Sieg im Ersten Weltkrieg die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung in ganz Europa und die Befreiung der europäischen Völker von zaristischer Unterdrückung und britischem und französischem Imperialismus.

Die Gruppe stand, vor allem über Haenisch, dem russisch-deutschen Publizisten und Revolutionär Parvus (Israil Lazarewitsch Helphand) nahe, in dessen Zeitschrift Die Glocke ab 1915 die wichtigsten Schriften der Gruppe veröffentlicht wurden. Die Gruppe zerfiel 1917, als Parvus sich von ihr abwandte und begann, sich für die Revolution in Russland zu engagieren und außerdem immer mehr Mitgliedern der SPD die bevorstehende militärische Niederlage bewusst wurde.

Nach der Gründung der Weimarer Republik ordneten sich die Protagonisten wieder mehr dem politischen "Mainstream" zu: Heinrich Cunow arbeitete neben seiner Professorentätigkeit an der Berliner Universität (Völkerkunde) u. a. am Heidelberger Programm der SPD mit, verlor 1933 seine Professur und starb mittellos im niederländischen Exil. Konrad Haenisch wurde zunächst 1919 preußischer Kultusminister (Lensch und Cunow erhielten in dieser Zeit Professuren an der Berliner Universität). Zuletzt war er bis zu seinem Tod 1925 als SPD-Regierungspräsident des Regierungsbezirks Wiesbaden tätig, auf Betreiben von Innenminister Carl Severing (SPD) und ist zuletzt einer der Mitbegründer des Reichsbanner. Lediglich Lensch entfremdete sich weiter von der SPD. Ab 1920 war er für die von Hugo Stinnes (DVP) finanzierte Deutsche Allgemeine Zeitung tätig, ab 1922 auch als Chefredakteur. Lensch trat im Herbst 1922 aus der SPD aus, und kam damit einem Parteiausschlussverfahren zuvor. Der ehemalige Marxist wechselte danach endgültig ins nationalkonservative Lager über und starb 1926.

Literatur

  • Robert Sigel, 1976, Die Lensch-Cunow-Haenisch-Gruppe: Berlin, Duncker und Humblot (Reihe: Beiträge zu einer Geschichte Bayerns im Industriezeitalter, Band 14), ISBN 3-428-03648-4
  • Steffen Bruendel, Die Geburt der „Volksgemeinschaft“ aus dem „Geist von 1914“. Entstehung und Wandel eines „sozialistischen“ Gesellschaftsentwurfs, in: Zeitgeschichte-online, Thema: Fronterlebnis und Nachkriegsordnung. Wirkung und Wahrnehmung des Ersten Weltkriegs, Mai 2004, URL: <http://www.zeitgeschichte-online.de/md=EWK-Bruendel>
  • Joseph Rovan, 1980, Die Sozialdemokratie im Krieg 1914-1918: in: ders., Geschichte der deutschen Sozialdemokratie (Vorwort von Richard Löwenthal): Fischer Taschenbuch Verlag, Kapitel 5, S. 105-120 (Diskussion des intellektuellen Umfeldes der L.-C.-H.-Gruppe und ihrer Wirkungsgeschichte auf S. 109), ISBN 3-596-23433-6

Einzelnachweise

  1. Heinrich Potthoff: Die Sozialdemokratie von den Anfängen bis 1945, in: Susanne Miller/Heinrich Potthoff: Kleine Geschichte der SPD, Darstellung und Dokumentation 1848-1983, Verlag Neue Gesellschaft GmbH, Bonn, 5. überarbeitete Aufl., 1983, ISBN 3-87831-350-0, S.77
  2. Rovan, S. 109.