Vollständiger Finanzplan

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Ein Vollständiger Finanzplan (VOFI; im Englischen als Visualization of Financial Implications bezeichnet) ist ein Instrument der Investitionsrechnung und -planung. Die Grundeigenschaften des tabellarisch aufgebauten VOFI sind Transparenz und Ausbaufähigkeit, wodurch dieses Instrument eine immer weitere Verwendung findet vor dem Hintergrund der zunehmenden Transparenzforderungen im Unternehmensumfeld.

Aus einem VOFI lassen sich alle anderen Kennziffern der dynamischen Methoden der Investitionsrechnung extrahieren. Dadurch gibt er die Möglichkeit, die Nachteile und Prämissen der klassischen Methoden der Investitionsrechnung zu „entlarven“. Im Gegensatz zu den klassischen statischen und dynamischen Methoden werden mit dem VOFI Zinsen und Steuern genau berechnet, was für die Investitionsrechnung besonders wichtig ist, da sie auf Ein- und Auszahlungen basiert. Daraus ergibt sich ein weiteres besonderes Merkmal des VOFI: Der schwer errechenbare Kalkulationszinsfuß der klassischen statischen und dynamischen Investitionsmethoden muss nicht mehr berechnet werden und die Investitionsrechnungen sind somit wesentlich präziser.

Die Entwicklung und wissenschaftliche Fundierung des VOFIs beruht auf der Dissertation von Karl-Werner Schulte an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster im Jahre 1974.[1] In seinem Lehrbuch „Wirtschaftlichkeitsrechnung“ [erschienen 1978, in 4. Auflage 1986] wurde der VOFI-Ansatz auch einer breiteren akademischen Leserschaft bekannt. Seine Weiterentwicklung, insbesondere mit neuen technischen Möglichkeiten und seine Etablierung als Controlling-Werkzeug wurde maßgeblich von Heinz Lothar Grob und seinem Lehrstuhlteam an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster geleistet.

Konzeptionelles Schema eines Standard-VOFI

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
t = 0 … t = n
Zahlungsfolge der Investition
Eigenkapitaldispositionen
Fremdkapitaldispositionen
Re- und Ergänzungsdispositionen
Ertragssteuerzahlungen
Finanzierungssaldo von 0
Kredit- und Guthabenbestände

Beispiel für einen einfachen Standard-VOFI

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Datenbasis zum Beispiel (Alle Werte sind ganzzahlig gerundet):

  • Investition verursacht im Zeitpunkt 0 eine Anschaffungsauszahlung von 12000 Euro.
  • Sie wird linear über 5 Jahre abgeschrieben.
  • Am Ende gibt es keinen Liquidationserlös.
  • Die Zahlungsfolge zu den Zeitpunkten der Investition gibt die zukünftigen Ein- und Auszahlungen an, die durch die Investition verursacht werden.
  • Das verfügbare Eigenkapital beträgt 5000 Euro.
  • Es ist jederzeit ein unbegrenzter Kontokorrentkredit zu einem Zinssatz von 10 % aufnehmbar.
  • Ertragsüberschüsse können zu einem Zinssatz von 5 % angelegt werden.
  • Der Ertragssteuersatz beträgt 50 %.
Zeitpunkt 0 1 2 3 4 5
Zahlungsfolge der Investition -12000 -6000 7000 10000 4000 9000
Eigenkapital
Anfangsbestand 5000
-Entnahme
+Einlage
Konto-Korrentkredit
+Aufnahme 7000 2150
-Tilgung 4242 4908
-Sollzinsen 700 915 491
Standard-Anlage
-Anlage 1046 3226 5807
+Auflösung
+Habenszinsen 52 214
Steuerzahlungen
-Auszahlung 1843 3555 826 3407
+Erstattung 4550
Finanzierungssaldo 0 0 0 0 0 0
Bestandsgrößen
Kontokorrent-Kreditstand 7000 9150 4908 0 0 0
Guthabenstand 0 0 0 1046 4272 10079
Bestandssaldo -7000 -9150 -4908 +1046 +4272 +10079

Nebenrechnung zur Berechnung der Abschreibungen

Zeitpunkt 1 2 3 4 5
Buchwert zum Beginn des Jahres 12000 9600 7200 4800 2400
- Abschreibung (20 %) 2400 2400 2400 2400 2400
Buchwert zum Ende des Jahres 9600 7200 4800 2400 0

Nebenrechnung zur Berechnung der Ertragssteuern

Zeitpunkt 1 2 3 4 5
Ertragssteuermultiplikator 50 % 50 % 50 % 50 % 50 %
Ertragsüberschuss -6000 7000 10000 4000 9000
-Abschreibung 2400 2400 2400 2400 2400
-Zinsaufwand 700 915 491 0 0
+Zinsertrag 0 0 0 52 214
Steuerbemessungsgrundlage -9100 3685 7109 1652 6814
Auszahlung 1843 3555 826 3407
Erstattung 4550

Die betriebswirtschaftliche Problematik des VOFIs liegt in der mangelnden Zurechenbarkeit von Finanzierungsvorgängen auf die betrachtete Investition. Wegen der Unteilbarkeit der finanziellen Sphäre einer Unternehmung ist eine Planung für einzelne Investitionsobjekte logisch nicht haltbar.[2]

Steuer­erstattungen im VOFI sind dahingehend zu interpretieren, dass Verluste einer Investition in einer Periode zur Minderung des gesamten Unternehmensgewinns führen (der voll besteuert wird) und somit die Steuerschuld senken.

VOFI-spezifische Kennzahlen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

siehe Barwert

Der natürliche Zielwert des VOFI ist der Endwert der Investition, der sich am Bestandssaldo der letzten Periode ablesen lässt. Dieser Wert ist mit dem Endwert der Opportunität zu vergleichen. Ist die Differenz positiv, so gilt die Investition als vorteilhaft. Der Endwert der Opportunität berechnet sich durch Verzinsung des zu Anfang vorhandenen Eigenkapitals zu dem Zinssatz der Reinvestition der Ertragsüberschüsse.

In dem Beispiel (Verzinsung der anfangs vorhandenen, eigenen liquiden Mittel zum Reinvestitionssatz 5 %, abzüglich Ertragssteuern):

Anmerkung: Natürlich sollte der Endwert der Opportunität ebenfalls mit einem VOFI berechnet werden (analog zum Endwert der Investition). Hier wurde er aus Gründen der Übersichtlichkeit „ungenau“ mit der klassischen formelorientierten Investitionsmethode berechnet.

Es ergibt sich:

Die Entscheidungsempfehlung lautet: Investiere, da .

Gesamtkapitalrendite

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Pay-Off-Periode

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zur Ermittlung der Pay-Off-Periode stellt man den VOFI der Investition auf und den VOFI der Opportunität. Die Opportunität bezeichnet die Anlage des Eigenkapitals über die Laufzeit zu einem Kalkulationszinsfuß. Dann vergleicht man die Bestandssalden der Perioden der beiden VOFIs miteinander. Die Pay-Off-Periode ist diejenige Periode, in der das Bestandssaldo der Investition erstmals größer oder gleich dem Bestandssaldo der Opportunität ist.

Die Pay-Off-Methode stellt nach gängiger Literaturmeinung kein sinnvolles Entscheidungskriterium dar, da sie nicht die Ertragskraft der Investition quantifiziert, sondern lediglich den Amortisationszeitpunkt der Investition angibt, was nur eine Zusatzinformation darstellt.

Eine weitere Vereinfachung dieses Ansatzes stellt die Payback-Methode dar, die auf die Berechnung der Barwerte verzichtet.

Explikation der impliziten Prämissen der klassischen Investitionsrechnung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Annuität lässt sich als diejenige gleichmäßige Entnahme in bis interpretieren, bei der der Endwert des VOFI Null wird.

Gewinnvergleichsrechnung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Ergebnis der Gewinnvergleichsrechnung ist diejenige Entnahme in den Perioden bis , bei der der Guthabenstand in der jeweiligen Periode und der Endwert des VOFI Null wird. Das Ergebnis der Gewinnvergleichsrechnung für die mittlere Periode ist also der Guthabenstand in der mittleren Periode.

Interner Zinsfuß

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der interne Zinsfuß ist derjenige gleichmäßige Zinsfuß, bei dem der Kapitalwert gleich Null ist.

Kalkulationszinsfuß

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Kalkulationszinsfuß kann anhand der exakt berechneten Sollzinsen und Ertragszinsen berechnet werden.

Der Kapitalwert lässt sich als diejenige Entnahme in interpretieren, bei der der zusätzliche Endwert des VOFI Null wird – oder anders formuliert: bei der der Endwert des VOFI mit dem Endwert der Opportunität übereinstimmt.

Softwarewerkzeuge

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

VOFI-Tabellenkalkulation

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Standardwerkzeuge zur Berechnung und Präsentation von VOFIs stellen Tabellenkalkulationen dar.

mdaVOFI (Model Driven Architecture für VOFI)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es gibt ein Open-Source-Projekt zur Implementierung von VOFI mit dem Anwendungsentwicklungsansatz MDA (modellgetriebene Architektur).

  • Karl-Werner Schulte: Optimale Nutzungsdauer und optimaler Ersatzzeitpunkt bei Entnahmemaximierung. (= Schriften zur wirtschaftswissenschaftlichen Forschung. Band 89). Verlag Anton Hain, Meisenheim am Glan 1975, ISBN 3-445-01215-6. (Zugleich Münster, Dissertationsschrift).
  • Karl-Werner Schulte: Wirtschaftlichkeitsrechnung. 1. Auflage. Physica-Verlag, Würzburg 1978, ISBN 3-7908-0202-6. (4. Auflage. 1986, ISBN 3-7908-0342-1)
  • Heinz Lothar Grob: Einführung in die Investitionsrechnung. Eine Fallstudiengeschichte. 5., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Vahlen, München 2006, ISBN 3-8006-3276-4.
  • Heinz Lothar Grob: Investitionsrechnung mit vollständigen Finanzplänen. Vahlen, München 1989, ISBN 3-8006-1353-0 (Zugleich: Münster, Univ., Habil.-Schr.).

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Karl-Werner Schulte: Optimale Nutzungsdauer und optimaler Ersatzzeitpunkt bei Entnahmemaximierung. (= Schriften zur wirtschaftswissenschaftlichen Forschung. Band 89). Verlag Anton Hain, Meisenheim am Glan 1975, ISBN 3-445-01215-6. (Zugleich Münster, Dissertationsschrift)
  2. Heinz L. Grob: Einführung in die Investitionsrechnung. 4. Auflage. Vahlen, München 2001, S. 110.