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ADB:Bluhme, Friedrich

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Artikel „Bluhme, Friedrich“ von Roderich von Stintzing in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 734–737, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bluhme,_Friedrich&oldid=- (Version vom 4. Dezember 2024, 15:03 Uhr UTC)
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Band 2 (1875), S. 734–737 (Quelle).
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Bluhme: Friedrich B. (Blume), geb. in Hamburg 29. Juni 1797, † in Bonn 5. November 1874, besuchte das Johanneum und Gymnasium in seiner Vaterstadt von 1809 bis 1817 mit fast einjähriger, durch die Davoust’sche Schreckensherrschaft veranlaßter Unterbrechung, während welcher er (Juni 1813 bis Mai 1814) in Schleswig (Domschule) lebte. In Göttingen (Ostern 1817 bis Herbst 1818) und Berlin (bis Herbst 1819) wurden die Vorlesungen Heise’s, Hugo’s und Savigny’s entscheidend für seine Lebensrichtung. Nachdem er am 3. Januar 1820 in Jena zum Dr. jur. promovirt war (Diss. de geminatis et similibus quae in Dig. inveniuntur capitibus) vollendete er dort seine Abhandlung „Ueber die Ordnung der Fragmente in den Pandektentiteln“, welche (Herbst 1820) im 4. Bande der Zeitschr. für gesch. R.-W. erschien. Durch diese Untersuchung, welche das Räthsel des bei Compilation der Pandekten eingehaltenen Verfahrens löste und für die Kritik und Auslegung der Pandekten ein neues Hülfsmittel schuf, trat der jugendliche Gelehrte in den Kreis derer ein, welche damals an der Spitze historischer Rechtswissenschaft standen. Mit der Absicht, sich der Praxis zu widmen, war B. (Herbst 1820) Bürger und Advocat in seiner Vaterstadt geworden, entschloß sich jedoch bald, durch Hugo und Savigny ermuthigt, dem Gelehrten-Berufe zu folgen. Sein nächster Plan ging auf eine wissenschaftliche Reise durch Italien, die er bald nach seiner Habilitation in Göttingen, am 21. März 1821 antrat; erst im September 1823 kehrte er nach Deutschland zurück. Die Resultate seiner Forschungen über den Bestand und die Geschichte der Bibliotheken Italiens, welche in gleichem Umfange noch von Keinem durchgeführt waren, veröffentlichte er in seinem „Iter italicum“. (Bd. 1. 1824, Bd. 2. 1827, Bd. 3. 1830. „Supplementum, Index Mscr.“ 1834, Bd. 4. 1836). Im Auftrage der preußischen Akademie, der Herausgeber der „Monum. Germaniae“, für die von Schrader unternommene Edition des C. jur. civ., für Savigny’s Geschichte des R. Rechts im M.-A. führte er umfassende Untersuchungen von Handschriften zu ausgiebigem Erfolge. In Vercelli fand er (1822, October) eine Handschrift der Lex Dei, welche er, unter Benutzung der fast gleichzeitig von Lancizolle in Wien gefundenen, elf Jahre später (Bonn 1833. 8°. C. J. Antejust. 1833. 4°) herausgab. In Verona bildeten bei zweimaligen Aufenthalte die Palimpsesten des Gaius und des Codex Justin. den Gegenstand mühevoller Studien, deren Ergebnisse Göschen (1824) und E. Herrmann (1843) in ihren Ausgaben verwertheten. Wie B. durch lebhaften Briefwechsel die Verbindung mit seinen gelehrten Freunden in Deutschland unterhielt, so knüpfte er in Italien herzliche Beziehungen zu Niebuhr, der ihn zur Verlängerung und Ausdehnung seiner Reise veranlaßte, sowie zu manchen einheimischen Gelehrten. Noch vor seiner Rückkehr ward er unter Savigny’s Vermittlung zum außerordentlichen Professor in Halle (29. Mai 1823) mit 300 Thaler Gehalt ernannt. Im J. 1825 zum ordentlichen Professor (500 Thaler Gehalt) befördert, verheirathet er sich mit Luise Reil, der jüngsten Tochter des berühmten Mediciners, der vor 10 Jahren seiner aufopfernden Thätigkeit in den Kriegslazarethen erlegen war. Diese Ehe, welche nach beinahe 50jährigem Bestande erst sein Tod löste, ward die Grundlage einer ihn in allen Wechselfällen des Lebens beglückenden, anmuthigen und geistig veredelten Häuslichkeit. Von den Kindern, mit denen sie gesegnet war, wurden mehrere den Eltern frühzeitig entrissen; nur zwei überleben den Vater. – Im J. 1831 bemühte sich seine Vaterstadt Hamburg, B. als Syndicus zu gewinnen; allein die fast abgeschlossenen Verhandlungen zerschlugen sich. Dagegen folgte er einer Berufung nach Göttingen, das damals auf seiner Höhe stand. Mit Otfried Müller, Dahlmann, den beiden Grimms lebte er in vertrautester Freundschaft und beglückenden äußern Verhältnissen. Als aber nach wenig Jahren seine Vaterstadt zum zweiten Male seine Dienste begehrte, [735] glaubte B. sich diesen nicht wieder entziehen zu dürfen. Er übernahm die durch Cropp’s Tod erledigte, von Hamburg zu besetzende Stelle eines Rathes am Ober-Appellations-Gericht zu Lübeck (Ernennung vom 10. April, Einführung am 6. Juni 1833), welches damals unter Heise’s Präsidium hohen Ruhmes genoß. So befriedigend sich auch Bluhme’s Leben in der alten Hansestadt gestaltete, blieb doch die Sehnsucht nach der verlorenen gelehrten und akademischen Thätigkeit zurück. Er folgte daher nach zehnjähriger Amtsführung 1843 einer Berufung nach Bonn, wo er, zum Geheimen Justizrath ernannt, bis zu seinem Ende wirkte. Bei seinem Abgange von Lübeck widmete er Heise seine durch erläutende Anmerkungen und Beilagen werthvolle Ausgabe der „Gerichtsordnung für das Ober-Appellations-Gericht der 4 freien Städte“. Seine Thätigkeit an diesem Gerichtshofe, welche ihn mit den verschiedenen Zweigen des Rechts in praktische Verbindung gesetzt hatte, gab seinen wissenschaftlichen Interessen eine mehr universelle Richtung. Seine Vorlesungen umfaßten von jetzt an neben den Pandekten: den Civil- und Criminalprozeß, das Kirchenrecht und die juristische Encyklopädie. Aus diesen Vorträgen und namentlich denjenigen, welche er dem Kronprinzen von Preußen während seiner Studienzeit in Bonn, gehalten hatte, ging seine „Encyklopädie der in Deutschland geltenden Rechte“ (1. Abth. „Quellen“ 1847. 1854. 1863; 2. Abth. „Privatrecht und Civilproceß“ 1848–1852. 1855; 3. Abth. „Oeffentliches Recht“ 1. Strafrecht und Strafproceß 1854. 1865. 2. Kirchenrecht 1858. 1868) hervor. Indessen ist Bluhme’s Wirksamkeit als Lehrer niemals von so durchschlagendem Erfolge gewesen, wie seine litterarische Thätigkeit. Er war eine mehr sinnig forschende und combinirende, als nachdrücklich lehrhafte Natur, ein mehr sorgfältig sammelnder und sichtender, als schöpferisch gestaltender Geist. Seine umfänglichen und zahlreichen Quellen-Editionen, welche durchgehends auf einem reichen, mit sorgfältiger Kritik verwertheten Schatze handschriftlichen Materials beruhen, sind, wenn auch von ungleichem Werthe, mit den dazu gehörigen Untersuchungen und neben der Abhandlung über die Fragmenten-Ordnung sein bleibendstes Verdienst als Gelehrter. Im J. 1847 edirte er „Die Westgothische Antiqua“ nach einem Pariser Palimpsesten. Mit Lachmann und Rudorff unternahm er die Ausgabe der Römischen Agrimensoren (Bd. 1. 1848. Bd. 2. 1852.), deren zweiter Band seine Abhandlung über die Handschriften und Ausgaben enthält. Für die Monumenta Germaniae edirte er die Leges Burgundionum (Gundobada et Papianus) 1863; die Leges Langobardorum 1868 (Separatausg. 8°. 1870); das Edictum Theudoreci nebst Justinians sogen. „Sanctio pragmatica“ 1870 (Monum. German. leg. voll. III. IV. V.). Im Zusammenhange mit diesen Arbeiten stehen seine Abhandlungen über das burgundische Recht und die Bekräftigungsformeln der Rechtsgeschäfte vom 6. bis zum 9. Jahrh. (in Bekker’s und Muther’s Jahrbuch Bd. 1. 2. 3. 5.), seine Abhandlung „Omnis parentilla“ zu Homeyer’s Doctorjubiläum (1871), sowie seine beiden Schriften über die „Gens Langobardorum“, von denen die erstere als Festgabe zu Bethmann-Hollweg’s Doctorjubiläum (1868), die zweite als sein letztes Vermächtniß wenig Monate vor seinem Tode erschien. Seine Forschungen zum Westgothischen Recht sind unvollendet geblieben; einen Theil derselben veröffentlichte er zu Kraut’s Doctorjubiläum („Zur Texteskritik des Westgothenrechts“. 1872). – So tief auch Bluhme’s Leben von gelehrten Studien und strenger Erfüllung der Pflichten seines Lehramts durchwoben war, hat doch die darauf gewendete Arbeit seine geistigen Interessen niemals ganz erschöpft. Für die großen und kleinen Angelegenheiten des menschlichen Lebens erhielt er sich empfänglichen Sinn und rüstige Theilnahme; hat er sich auch praktisch an der Politik nicht betheiligt, so erfüllte ihn doch das wärmste oft bethätigte patriotische Bewußtsein; wiederholt [736] hat er die Geschäfte des Curatoriums und des Rectorats mit Umsicht und praktischem Takte geführt; als Ordinarius und fleißiger Mitarbeiter des Rectorats mit Umsicht und praktischem Takte geführt; als Ordinarius und fleißiger Mitarbeiter des Spruchcollegiums fand er in Bonn Gelegenheit, die in zehnjähriger Praxis erworbene Sicherheit und Erfahrung zu verwerthen, nachdem er schon in Halle in mehr als hundert Spruchsachen als Referent fungirt hatte; als Mitglied des Bonner Stadtraths nahm er jahrelang an den städtischen Angelegenheiten thätigen Antheil. Von Jugend auf lebte in ihm ein sinniges Verständniß für die Schönheiten der Natur, der bildenden Kunst und der Dichtung, Anlagen die er in seinen Mußestunden mit der ihm eigenen Emsigkeit pflegte und nährte. Mit stiller Heiterkeit des Gemüths verband sich ein tiefes religiöses Bedürfniß, und freudig ergriff er bei seiner Uebersiedlung nach Bonn die Aufforderung zu regster Theilnahme an dem in den evangelischen Gemeinden des Rheinlandes frisch erblühenden kirchlichen Leben. Als Mitglied des Presbyteriums (Kirchenältester) ward er der bewährte Consulent und Vertreter der Gemeinde in Rechtsangelegenheiten und bei synodalen Verhandlungen, 1846 Mitglied der Generalsynode, 1856 der Conferenzen in Berlin, im Herbst 1874 zum Abgeordneten für die bevorstehende Generalsynode gewählt. Als seine besondere Aufgabe erfaßte er die Klarlegung und Befestigung des Rechtsbodens der rheinischen evanglischen Kirche, ein Zweck dem seine Ausgabe der „Kirchenordnung vom 5. März 1835“ (1854. 1859. 1867) und sein „Codex des rheinischen evangelischen Kirchenrechts“ (1870) dienten. Der letzte Abschnitt dieses größeren Werks behandelt die brennende Frage über die Beitragspflicht der Civilgemeinden zum Bau der Pfarrhäuser, in welcher B. schon 1859 durch eine polemische Schrift („Das Gesetz vom 14. März 1845 etc.“) die Rechte und Interessen der evangelischen Kirchengemeinden im Sinn der gefährdeten Parität verfochten hatte. Mehrere Abhandlungen kirchenrechtlichen Inhalts (in Dove’s Zeitschrift für protest. Kirchen R. Bd. 4. 11.) bezeugen das rege Interesse, welches er den kirchlichen Kämpfen unserer Tage auch in weiterem Umfange zuwendete. Scharfe Polemik hat B. nie geliebt. Er war eine durchaus milde, zart organisirte Natur, die das Unedle, Unschöne und Ungeordnete fern hielt. Sie gab sich schon in seiner feinen und überaus ansprechenden äußeren Erscheinung kund. Eine eigenthümliche Anmuth und Sauberkeit lag in seinem Wesen und übertrug sich auf Alles was zu ihm gehörte und von ihm ausging; es sprach sich aus im Großen und Kleinen, in seiner zierlichen, bis in sein hohes Alter unveränderten Handschrift, der untadelhaften Ordnung seines gelehrten Apparats, in dem lieblichen Wohnsitze, den er sich am Ufer des Rheins erbaut hatte. Er gewann die Herzen und wußte erworbene Freundschaft treu zu pflegen. So waren denn auch seine beiden großen Ehrentage, das Doctorjubiläum am 3. Januar 1870 und das Amtsjubiläum am 29. Mai 1873, Feste an denen nicht nur die hohe Verehrung für den berühmten Gelehrten, sondern auch der Dank und die Liebe für den edlen Freund, den treuen Collegen, den thätigen Bürger und das hochverdiente Glied der Kirchengemeinde zum wärmsten Ausdruck kamen. – An Ehren und Auszeichnungen hat es ihm nicht gefehlt. Neben den Titeln, welche ihm die hannoversche und preußische Regierung verliehen hatten, empfing er zu seinem Doctorjubiläum den Rothen Adler-Orden 2. Classe. Die theologische Facultät in Bonn verlieh ihm am 300jährigen Gedächtnißtage der Synode zu Wesel (3. Novbr. 1868), die philosophische daselbst an seinem Doctorjubiläum ihre Doctorwürde, Jena erneuerte ihm an diesem Tage das Diplom. – Außer den schon genannten Schriften sind noch anzuführen: die in wiederholten Auflagen erschienenen Grundrisse zu seinen Vorlesungen; mehrere gedruckte Gutachten und Relationen; die von ihm besorgte und bevorwortete Uebersetzung der Gedichte des Lotichius Secundus (1826); seine Mitwirkung am Rheinischen Museum [737] für Jurisprudenz“ (1827. 1834); die Abhandlungen in der Zeitschr. für Gesch. R. W. (Bd. 7. 10. 14. 15) und der Zeitschrift für Rechtsgeschichte (Bd. 3 und 11). Einzelne Abhandlungen von ihm sind ins Italienische übersetzt, namentlich seine berühmteste über die Fragmenten-Ordnung von Pietro Conticini, Pisa 1838. – Die Rechtschreibung seines Namens hat er in Italien, um den landesüblichen Veranstaltungen auszuweichen, geändert, später aber das ihm ursprünglich zukommende h wieder aufgenommen.