Verschiedene: Die Gartenlaube (1873) | |
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Angaben setzte, sondern weil ich im Augenblick nichts Besseres zu thun wüßte, und weil ich glaubte versprechen zu können, ihm bei dieser Gelegenheit, als einen kleinen Gegendienst, einen klareren Begriff von nüchterner Naturbeobachtung beibringen und an einem Beispiel zeigen zu können, was eine „ungenau beobachtete Thatsache“ sei! Gesagt, gethan. Es wurde sofort der Auftrag gegeben, aus dem nahen Bache Krebse herbeizuschaffen, und bald hatten wir ein Körbchen voll vor uns stehen.
Was nun weiter geschah, will ich Ihnen durch dieselben Versuche erläutern, welche wir damals anstellten, denn ich habe in diesem Gefäß hier ebenfalls eine Anzahl frischer Krebse vorräthig.
Mein freundlicher Gesellschafter ergriff, seines Erfolges sicher, eines der Thiere und begann seine sogenannten „magnetischen“ Striche vom Schwanzende gegen das Kopfende, gerade so, wie ich es jetzt vor Ihren Augen thue. Der anfänglich widerstrebende Krebs beruhigte sich allmählich, und nun hat er sich in der That, den gekrümmten Schwanz hoch in der Luft, auf den Kopf stellen lassen und verharrt regungslos, wie schlafend, in dieser gezwungenen, unnatürlichen Stellung, indem er an dem Nasenstachel und den beiden untergeschlagenen Scheeren die nöthigen drei Stützpunkte findet.
Es ist wahrlich ein überraschender Anblick!
Während wir damals, wie jetzt, dem Gelingen des Versuches mit Befriedigung und Interesse zusahen, hatte ich jedoch meinerseits ein Thier ergriffen in der Absicht, sofort zu versuchen, dasselbe ohne alle vorhergehenden magnetischen Striche auf den Kopf zu stellen und damit jeden vernünftigen Gedanken an einen geheimnißvollen „magnetischen“ Einfluß der Luftstriche auszuschließen.
Und siehe da! – mein Krebs stand wirklich nach einigem, durch mein Festhalten vereiteltem Widerstreben ebenso regungslos frei auf dem Kopfe, wie der sogenannte „magnetisirte“ meines Gesellschafters und wie dieser hier, den ich soeben vor Ihren Augen ohne allen magnetischen Hocuspocus unmittelbar auf den Kopf gestellt habe.
Und wie verhielt es sich mit den sogenannten „entmagnetisirenden“ Strichen in der Richtung vom Kopf- gegen das Schwanzende? Mein Gesellschafter bearbeitete eifrig, schon während ich den schlagenden Gegenversuch anstellte, seinen „magnetisirten“ Krebs mit aufwärts geführten Kopfschwanzstrichen. Es dauerte ziemlich lange, bis sich der Krebs zu regen begann und endlich umkippte und fortkroch.
Sie sehen, auch meine Kopfschwanzstriche hier an diesem Krebs sind noch immer wirkungslos, fast muß ich fürchten, daß Sie die Geduld verlieren. In der That! unterbrechen wir getrost die sogenannte „entmagnetisirende“ Manipulation, und stellen wir lieber noch die übrigen vorhandenen Krebse ohne magnetischen Hocuspocus auf ihre Köpfe, um die frappante Thatsache wiederholt zu constatiren.
Je länger wir warten, um die „entmagnetisirenden“ Kopfschwanzstriche wieder aufzunehmen, desto sicherer sind wir, dieselben endlich erfolgreich zu finden. Es ist damit, wie mit jenem feierlichen Bittgang, welchen eine fromme katholische Gemeinde in Oesterreich von ihrem Pfarrer verlangte, um Regen auf die dürren Felder vom Himmel herabzuflehen, welchen aber der aufgeklärte „Josephiner“ mit den Worten auf später zu verschieben rieth: „Ja, Kinder! gern – aber schaut’s, jetzt no’ nit, der Barometer steht halt no’ all’weil viel z’ hoch!“
Befolgen denn auch wir den guten Rath des klugen Pfarrers, Sie würden, wenn wir es abwarten wollten, selbst sehen, daß nach und nach alle die auf ihren Köpfen regungslos dastehenden Krebse ganz von selbst, ohne irgend eine mysteriöse Manipulation, wieder beweglich werden! Also auch mit dem „entmagnetisirenden“ Einfluß der Kopfschwanzstriche ist es nichts, höchstens mögen sie auf ganz mechanische Weise durch Erregung von Luftströmungen, von Abkühlungen und Erwärmungen oder sonstigen natürlichen Störungen den Vorgang des Wiedererwachens, das heißt die Wiederherstellung der normalen Functionsfähigkeit des alterirten Krebsnervensystems etwas beschleunigen!
Sie sehen also, meine hochverehrten Anwesenden! unsere damaligen und jetzigen Versuche verliefen genau so, wie ich es vorhergesehen hatte, und ich hoffe, Sie werden jetzt, wie mein Gesellschafter von damals, die Ueberzeugung gewonnen haben, daß das sogenannte „Magnetisiren“ der Krebse zwar eine Thatsache ist, aber, wie ich es nenne, eine „ungenau beobachtete“ Thatsache, also keine! Zugleich wird Ihnen der eigentliche Begriff, welchen ich mit der Bezeichnung „ungenau beobachtete Thatsache“ verbinde, und der Grund, warum ich gerade diese Bezeichnung für Etwas, was eben keine Thatsache ist, dennoch wähle, klar und deutlich geworden sein.
Das allein wirklich Thatsächliche beim sogenannten „Magnetisiren“ der Krebse ist die auf die Luftstriche nachfolgende Regungslosigkeit der Thiere; indem man aber diese thatsächliche, zeitliche Succession ohne alle Prüfung für einen durch ein mysteriöses, sogenanntes „magnetisches“ Agens vermittelten ursächlichen Zusammenhang nimmt, so glaubt man diesen in Wirklichkeit gar nicht existirenden Zusammenhang als thatsächliches Ereigniß unmittelbar wahrgenommen zu haben. Deshalb nenne ich eben solche vermeintliche Ereignisse, wie das „Magnetisiren“ der Krebse, die sich in Wirklichkeit niemals zugetragen haben, nichtsdestoweniger Thatsachen, aber zum Unterschiede von wirklichen – „ungenau beobachtete“, um zugleich den charakteristischen Umstand anzudeuten, daß ihnen stets etwas wirklich Thatsächliches zu Grunde liegt und ihnen einen Schein von Realität giebt, der den Urtheilslosen unwiderstehlich bestrickt und gefangen nimmt, und der nur bei nüchterner Prüfung und genauerer Beobachtung in sein Nichts verschwindet. Diese letzteren sind aber nicht Jedermanns Sache, und hieraus erklärt sich die alle Schranken der Vernunft und Besonnenheit durchbrechende Macht, welche die „ungenau beobachtete Thatsache“ ausübt, und die ungeheuer wichtige Rolle, die sie in der Geschichte des menschlichen Irrthums spielt!
Ein glücklicher Griff.
Die preußische Conflictszeit stand in voller Blüthe. Mit schmerzlicher Aufmerksamkeit folgte man den Verhandlungen und Vorfällen des Abgeordnetenhauses, und nur mit stillem Ingrimm oder mit lauter Verwünschung ward von Vielen der Name genannt, der heute einer der gefeiertsten und populärsten nicht blos Preußens, sondern Deutschlands, ja der Welt geworden ist, der Name, an den sich die Hoffnungen des vollendlichen Ausbaues des deutschen Reiches knüpfen. Galt doch der Mann, welcher ihn trug, der zeitweilige Einsiedler in der Schmollzelle von Varzin, für den Typus des specifischen märkischen Junkerthums, der die Errungenschaften der mit der Regentschaft aufsteigenden „neuen Aera“ wieder über den Haufen zu werfen und das Gottesgnadenthum in seiner volksfeindlichkeit Ausschließlichkeit neu aufzurichten trachtete.
Indeß übermächtig, wie sie auch die Seelen der modernen Menschen beschäftigt, die alleinige Theilnahme konnte die Politik doch nicht in Anspruch nehmen. Auch andere Interessen machten ihre Rechte geltend, Kunst und Wissenschaft, geistige und sinnliche Genüsse der mannigfaltigsten Art, zumal in einer Stadt von der Bedeutung Berlins. Trotz der parlamentarischen Kämpfe und Zerwürfnisse florirten nach wie vor die Theater, die Concerte und Bälle, die Ausstellungen und die von verschiedenen Vereinen, wie in anderen Wintern, veranstalteten gemeinnützigen und literarischen Vorträge.
Von den letzteren erregte plötzlich einer eine weit über das gewöhnliche Niveau von Beifall und Anerkennung hinausgehende Sensation. Es war ein Vortrag im Concertsaale des königlichen Schauspielhauses; der Vorlesende war schon durch frühere ähnliche Leistungen als eleganter und klarer Redner und zugleich als ein Mann von seltenem Wissen bekannt und darum der Besuch ein sehr zahlreicher. Im Vorjahre bereits hatte er seinem Publicum viele anregende Erheiterung dargeboten, indem er die Eigennamen des Berliner Wohnungsanzeigers oder Adreßkalenders einer sprachgelehrten und geistvollen Analyse und Gruppirung unterzog. Diesmal hatte er sich ein allgemeineres hochbedeutsames Thema gewählt – den Citatenschatz des deutschen Volkes, jene „von geschichtlich nachweisbaren
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_113.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)