Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1873) 246.JPG

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

ein förmliches Verlöbniß zwischen ihm und Friderike stattgefunden hat. Aber darum heuchelte er sich doch keineswegs vor, er hätte das geliebte Kind nicht zu den süßesten Hoffnungen ermuthigt. Friederike mußte des festen Glaubens und Vertrauens sein, der Heißgeliebte würde sie als seine Frau heimführen. Das wußte Goethe und dieses Wissen wurde ihm später zur bittersten Reuequal. Lange Jahre nachher hat er als sein Selbstankläger und Selbstanschuldiger gesagt: „Eine solche jugendliche auf Gerathewohl gehegte Neigung ist der nächtlich geworfenen Bombe zu verglichen, die in einer sanften glänzenden Linie aufsteigt, sich unter die Sterne mischt, ja einen Augenblick unter ihnen zu verweilen scheint, alsdann aber abwärts wieder dieselbe Bahn, nur umgekehrt, bezeichnet und zuletzt da, wo sie ihren Lauf geendet, Verderben hinbringt. Allein wie soll eine schmeichelnde Leidenschaft uns voraussehen lassen, wohin sie uns führen kann?“

Die Frage war und ist vollberechtigt. Die Leidenschaft schmeichelt dir erst den kleinen Finger, dann alle zehn Finger, dann den Arm ab, und bevor du es merkst, hat sie dich ganz. Sie ist der Fluch, aber sie ist auch der Segen des Menschendaseins. Was wäre dieses ohne sie für eine salzlose Posse! Die Leidenschaft schafft Leiden, gewiß; aber indem sie das thut, erhebt sie das weltgeschichtliche Satyrspiel zur Tragödie und macht den Kampf zwischen ihr und dem Schicksal zu einem „Schauspiel für Götter“.

Mitten in einem solchen Kampfe stehend, hat unser Student natürlich weder Muße noch Stimmung zu ausdauernder Arbeit gefunden. Auf fortgesetzte Vorstudien zum „Faust“ deutet die Lesung magischer und mystischer Scharteken hin. Wie weit etwa der erste Wurf des Götz noch in Straßburg getrieben worden sein mag, ist unnachweisbar, jedenfalls ist der Gedankengehalt des Aufsatzes „Von deutscher Baukunst“, welchen Goethe vor Jahresschluß 1771 zu Ehren Erwin’s von Steinbach im rauschenden Kataraktstil der Kraftgenialität niederschrieb, Straßburger Gewächs ganz und gar. Eine Notiz in dem kunterbunten Tagebuche, welches der Wolfgang zu Straßburg führte, kann uns glauben machen, er habe sich damals auch mit dem Gedanken beschäftigt, ein Cäsar-Drama zu dichten. Daneben wurde doch, um den leidigen Casus der Promotion endlich abzuthun, eine Dissertation in anständigem Latein zuwegegeschneidert über das Thema „Der Gesetzgeber ist nicht allein berechtigt, sondern auch verpflichtet, einen bestimmten Cultus festzusetzen, von welchem weder die Geistlichen noch die Laien sich lossagen dürfen.“ Diese hochconservativ-kirchenrechtliche Anschauung von Seiten des eigentlichen Löwen der Sturm- und Drangperiode hat etwas Verblüffendes, welches sich aber, ohne daß man von Goethe’s „aristokratischer Natur“ zu reden brauchte, leicht dahin erklären dürfte, daß es den jungen Löwen gejuckt habe, paradox zu brüllen. Dem Herrn Vater daheim, welchem das juristische Opusculum in sauberer Abschrift übermittelt wurde, gefiel dasselbe nicht übel; dagegen schüttelte ein wohlweiser Decan der Facultät den Kopf dazu und rieth unserm Candidaten, die Dissertation doch lieber zurückzuziehen und über anderweite Theses zu disputiren, um den Grad eines Licentiaten zu erlangen; denn um diesen, nicht um den Doctorgrad handelte es sich.

Goethe ist nur par courtoisie Doctor geworden, d. h. man nannte den Licentiaten so, und er ließ es sich gefallen, weil in seinen Augen der eine Titel gerade so viel werth war wie der andere, das heißt nichts. Unser Candidat stellte sechsundfünfzig „Positiones juris“ zusammen, die er in öffentlicher Disputation vertheidigen wollte. Die merkwürdigste dieser Thesen war wohl die dreiundfünfzigste („poenae capitales non abrogandae“, die Todesstrafen sind beizubehalten), weil sie ein Thema berührte, welches in der jurisprudenzlichen Welt auch heute noch heftig hin- und hergezerrt wird. Uebrigens war eine derartige Disputation dazumalen in Straßburg und anderwärts nur eine Formalität mit abgekarteter Rollenvertheilung, im Grunde der helle Jux. Die Goethe’sche ging am 6. August von 1771 im Thomanum, dem alten Universitätsgebäude, vor sich „wie geschmiert“, einer Ueberlieferung zufolge nicht ohne einen komischen Zwischenfall. Lerse nämlich habe zum Spaß als Respondent dem Disputanten so warm gemacht, daß dieser aus seiner Rolle und aus seinem Latein fiel und dem Bedränger deutsch zurief: „Ich glaube, Bruder, Du willst an mir zum Hektor werden!“

Zu Ende August’s verließ der neugebackene Herr Licentiat das Elsaß. Er ritt zuvor noch nach Sesenheim hinaus, zum bittersten Abschiede, den er wohl jemals genommen, zum Abschiede von der Geliebten, zu welcher er in der letzten Strophe eines seiner Friederiken-Lieder gesagt hatte:

„Fühle, was mein Herz empfindet,
Reiche frei mir Deine Hand!
Und das Band, das uns umwindet,
Sei kein schwaches Rosenband“ –

und die er nun zu verlassen kam. Kein Tadel, kein Vorwurf fiel von den Lippen Friederike’s. Dieses einfache Landmädchen scheint instinctiv gefühlt zu haben, daß es sich ziemte, das Glück und Unglück, von einem zur Unsterblichkeit Berufenen geliebt worden zu sein, mit stiller Würde zu tragen.

„Es waren peinliche Tage,“ erzählt der alte Goethe. „Als ich ihr die Hand vom Pferde reichte, standen ihr die Thränen in den Augen und mir war sehr übel zu Muthe.“ Sehr glaubhaft, fürwahr, daß ihm das Herz schwer in der Brust lag auf seinem Ritte gen Straßburg. Aber wer vermöchte zu sagen, wie schwer ihr das Herz in der Brust gelegen haben mag, als der heißgeliebte, treulose Reiter hinter den Bäumen von Sesenheim verschwand. Sie hat dieses schwere Herz bis zum 3. April von 1813 mit sich herumgetragen: da ist es ihr endlich leicht geworden im Tode. Und sie starb unvermählt, obzwar es ihr an Freiern keineswegs gefehlt hatte. Aber keiner hatte ihr Jawort gewonnen; denn, soll sie gesagt haben, „wer von Goethe geliebt worden, kann keinen Andern lieben!“ und dabei war sie verblieben.




Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Von Guido Hammer.
Nr. 37. Kleines Wild.


Wie oft schon kehrte ich vom Wildgange heim, ohne einen Schuß gethan, ja nur ein jagdbares Wild dabei erblickt zu haben, und die Meinigen scherzten dann wohl: daß ich wieder einmal „die Flinte spazieren getragen“ habe. Und doch waren oft gerade solch’ scheinbar ungenützt verstrichene Tage von ganz besonderem Hochgenuß für mich; denn von der Leidenschaftlichkeit, die erfolgreiche Jagd mit sich zu bringen pflegt, nicht abgezogen, konnte ich ja um so beschaulicher tausenderlei Betrachtungen in der reichen Gottesnatur nachhängen. Und welch’ köstliche Stunden habe ich verlebt, wann ich so recht im Wonnegefühle vollster Unabhängigkeit, frei wie das Wild im Walde, mit dem ich von jeher auch dessen Bedürfnißlosigkeit theilte, an sonniggoldenen Herbsttagen sorglos die Fluren nach Beute durchstreifte! Konnte ich kein Wild erjagen, so wußte ich mich für diesen Verlust durch einen recht aus dem Vollen schöpfenden Naturgenuß zu entschädigen. In süßem Nichtsthun lag ich bald auf weicher, schwellender Moosdecke, über mir das magische Dunkel hoch aufstrebender Tannen, bald im grasigen Grunde unter weitschirmenden Buchen hingestreckt. Durch düsteres Nadelgezweig oder goldschimmerndes Blättergewirr sandte ich die Blicke zum azurnen Himmel, den am Horizont aufsteigenden, wachsenden und dann im Weiterziehen wieder vergehenden Wolkengebilden und den kreisenden oder schnell dahinschießenden Vögeln nach. Aber auch auf mancher baum- und strauchlosen, nur einförmig von lieblicher Erica überwucherten Haidestrecke gab es Freude genug Aug’ und Sinn zu ergötzen.

Zwischen der felsigen Halde eines Gebirgsrodelandes voll halbverraster Haidebüschel und einem kümmerlich stehenden Haferfelde bildet ein Damm von hochaufgeworfenen Ackersteinen die Grenze. Eine wettertrotzende knorrige Eberesche mit purpurnen Fruchtbüscheln ist demselben entwachsen. Dort bröckelt es eben leise im lockern Geröll. Rasch wendet sich das Auge danach,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_246.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)