Verschiedene: Die Gartenlaube (1873) | |
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Es giebt ein schönes Buch: „Aus dem Leben eines Musikers“, dessen erstes Capitel eine gar rührende Geschichte erzählt.
Ein elfjähriger Knabe, der brave Sohn armer Eltern, der durch fürstliche Huld Unterricht im Flöteblasen und Geigenspielen erhalten, sollte zum ersten Male im Hoftheater in einem Zwischenact mit seiner Flöte vor Hof und Publicum auftreten. Da war Beides groß, der Freudeschrecken vor der Ehre und die Angst vor dem Wagniß. Sein Lehrer, der ihn lieb hatte, redete ihm Muth zu und war doch selbst nicht ohne Bangen vor dem Erfolg, und fast mit Recht. Am Morgen vor dem wichtigen Abend war Probe im Theater. Da stand der arme Junge zwischen den dunkeln Coulissen, so zitternd vor Frost, denn es war tief im Winter, und vor Herzklopfen, als ob er auf die Bühne zu seiner Hinrichtung geführt werden solle. Endlich stellt der alte grämliche Orchesterdiener sein Pult knapp vor den Souffleurkasten und brennt die zwei Lichter desselben an. Nun muß er heraus. Das ganze Theater liegt zwar in Finsterniß, aber das Orchester ist hell und von jedem Pulte her richten sich die Augen auf ihn. Sein Lehrer tritt an das Dirigentenpult und ruft ihm zu: „Mach’ Dich fertig und gieb A an!“ – Dieser eine Ton, zum Stimmen des Orchesters, dieses A – ach Gott! das meckerte wie eine alte Frau, die in der Kirche singt. Da konnte ein höhnischer zweiter Violinspieler sich nicht enthalten, auszurufen: „Der hat schöne Angst!“ Und das war des Knaben Rettung. Das weckte den in ihm schlafenden Mann auf, sein tüchtiger Wille vollbrachte seine erste That. Konnte
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 337. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_337.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)