Verschiedene: Die Gartenlaube (1873) | |
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erwarb, welches damals die Volksschule zu bieten hatte. Und nun regt sich plötzlich in ihm der Drang, eigene Gedanken schriftlich niederzulegen, und nicht blos Componirtes meisterhaft auszuführen, sondern selbst zu componiren. Virtuosenruf, sonst wiederum eines der höchsten Ziele von hundert Anderen, erwarb er sich genügend auf Kunstreisen, die ihn nach Wien, Berlin und vielen anderen musikalischen Großstädten führten. Aber Lobe’s Streben war eben ein höheres, und er mußte bei seiner immerhin beschränkten Einnahme und Zeit seine eigenen Wege dahin einschlagen. Bücher wurden des Rastlosen Lehrer. Die weimarsche Hofbibliothek hatte keinen eifrigern Benutzer als ihn. Er studirte neuere Sprachen, Geschichte, Philosophie etc., anfangs bunt durcheinander, bald aber immer planmäßiger, wozu ihm, wie er selbst erzählt, der Umgang mit Gymnasiasten aus den höheren Classen und mit Studenten besonders fördernd war. Die damals gangbarsten Lehrbücher für musikalische Composition schaffte er sich selbst an. Bald versuchte der Käfigvogel die ersten Flüge im Freien; und wenn es ihm auch mit der Ausnahme der erstes Recension ebenso schlecht erging wie mit der Aufführung der ersten Composition, wie er mit beneidenswerthem Humor in dem Buche geschildert hat, das wir gleich abermals nennen müssen, so konnten ihn die schlimmsten Erfahrungen doch nur auf Augenblicke entmuthigen; die Spannkraft in der jungen Brust war zu gesund, um sich zusammendrücken zu lassen. So hatte er denn schon viel und Vielerlei studirt und gelesen, geschrieben und componirt, als er im Jahre 1818, einundzwanzig Jahre alt, den Entschluß faßte, an das erste große Werk zu gehen, an die Composition einer Oper.
Ich greife nun wieder zu dem „schönen Buche“, welchem ich die Geschichte von dem ersten Auftreten des elfjährigen Virtuosen nacherzählt habe. Es ist Lobe’s eigenes Werk,[1] und ich muß auch jetzt ihm nur nacherzählen, weil die Mittheilung des Originals nicht für die Raumverhältnisse dieses Artikels paßt.
„Meine erste Oper“ ist die Ueberschrift des betreffenden Capitels. Auch für die Oper hatte Lobe es an Vorarbeiten nicht fehlen lassen; lagen doch beide Opernalmanache von Kotzebue vollständig von ihm componirt in vielen Partitur-Convoluten unter seinen Notenhaufen. Dennoch stand er jetzt vor einem Haupthinderniß seines Unternehmens: woher einen Text nehmen? Er selbst wagte sich mit einem solchen Antrage noch an keinen namhaften Dichter; ein befreundeter Student hatte ihm zwar sein poetisches Talent dazu zur Verfügung gestellt, war aber nur bis zum Titel des Stückes gekommen: „Wittekind“. Es blieb Lobe nichts übrig als der kühne Entschluß, sich den Text selbst zu machen.
Welche Arbeit für seine, wenn auch noch so strebsame, für solch ein Unterfangen doch völlig ungeschulte Kraft! Er verstand nichts von den dramatischen Bedingnissen, nichts von der Prosodie etc., hatte noch nie einen Vers gemacht, – das Alles, Alles mußte erst gelernt werden, ehe er nur an die Arbeit selbst gehen konnte. Er schloß sich vom Augenblicke dieses Entschlusses an von Allem ab und vor Allem ein, was nicht zu seiner Dienstpflicht gehörte; von früh bis Nacht kamen die Bücher und die Schreibfeder nicht aus seiner Hand; selbst zu Tisch nahm er ein Buch mit und genoß abwechselnd einen Bissen Speise und einen Bissen Geschichte, Dramaturgie, Prosodie. So studirte er Tag und Nacht; Tragkörbe voll Excerpte aus den haufenweise zusammengeschleppten Büchern ließ er später in die Papiermühle wandern, und dafür neues unbeschriebenes Papier zu erhalten, das schließlich wieder denselben Weg ging.
Nach fast einem Jahre solcher Vorübungen hielt er sich endlich für genügend ausgerüstet für die Arbeit selbst. Er entwarf den Plan und schritt zur Ausführung. Freilich ging da erst die größte liebe Noth los, der Kampf mit den Reimen und Versfüßen brachte ihn oft schier zur Verzweiflung – aber die Beharrlichkeit verließ ihn nicht, und nach abermals einem schweren vollen Jahre lag sein Text in einer schmucken Reinschrift fix und fertig vor ihm.
Nur einen einzigen Feiertag gönnte er sich dafür und verbrachte ihn, mit glühendem Kopfe und Herzen, größtentheils in Wald und Flur, und als er sich Abends selig ermattet zu Bett legte, sagte er: „Morgen geht’s an die Composition.“
Und wirklich und wahrhaftig ging am Morgen das Componiren los, und es dauerte ununterbrochen wieder ein Jahr, denn die Oper hatte drei Acte. Endlich schrieb er die letzte Note hin und dahinter „Fine!“ – Beinahe drei Jahre waren vergangen, seit er nach den ersten Hülfsbüchern auf die Bibliothek geeilt war.
„Die Oper,“ so erzählt Lobe, „wurde angenommen. Die Proben begannen, und eines Tages erschien als Ankündigung der nächsten Vorstellung im Theater: ‚Sonnabend, zum ersten Male: Wittekind, große Oper in drei Acten, Text und Musik vom Hofmusikus Lobe.‘ – ,Ach, das Leben ist doch schön!’ Das fühlte ich recht lebhaft, als ich die Ankündigung in unserem damaligen Wochenblatte immer und immer wieder las und nun auch den von mir gemachten Text, hübsch gedruckt, vor mir sah!
„Und doch schlich ich am Tage der Ausführung in großer Angst und Sorge in das Haus und drückte mich in eine dunkle Ecke auf der Galerie. Endlich ging’s los!
„Die Sänger wurden applaudirt, auf die Musik, das fühlte ich, kam wenig davon, und der Text – hatte wenig Interesse. – Freunde und Bekannte machten mir zwar Elogen, ich aber war auf’s Tiefste niedergeschlagen und herzlich froh, als das Werk nach der zweiten Aufführung zurückgelegt wurde. Ich glaubte überzeugt sein zu müssen, auch nicht das geringste Talent zu besitzen – und versank einige Zeit in Schwermuth und völlige Unthätigkeit. Welche Hoffnungen, welche ausdauernde Anstrengungen, und – welcher Erfolg!
„Es handelte sich,“ so schließt Lobe, „hier ganz und gar nicht darum, welchen Werth das Werk an sich hatte. Ich sprach nicht von den Thaten meines Talents, sondern von dem Produkte meines Willens und Fleißes, von dem Resultat der Beharrlichkeit. Ohne alle Vorkenntniß, Vorbildung, ohne Lehrer, ohne Hülfe eine so langathmige Arbeit in drei langen Perioden – Vorstudien – Text – Musik –, durchzusetzen, das ist Etwas, wie der finden wird, der’s versuchen will – und Jeder kann’s, wenn er will.“ –
Trotz alledem folgte jener ersten bald eine zweite Oper: „Die Flibustier“ mit Text von Ed. Gehe (Ouvertüre und Clavierauszug der ganzen Oper bei Breitkopf und Härtel). Sie fand Beifall, noch bedeutenderen aber die dritte: „Die Fürstin von Granada“, die Lobe in Leipzig unter Ringelhardt selbst drei Male dirigirte. (Partitur und Clavierauszug bei Schott in Mainz.) Zu dieser Oper hatte er, mit Ausnahme der Reimverse, die ein dichtender Freund ihm besorgte, den Text wieder selbst gedichtet. In Weimar wurden ferner ausgeführt: „Der rothe Domino“, Text von der Frau von Langen in Dresden, und „König und Pächter“, Text von Freiherrn von Biedenfeld. Außer diesen fünf Opern haben wir von ihm noch viele Ouvertüren, Concerte für Flöte, Clavierquartette und andere Kammermusikstücke.
„Im Jahre 1846,“ schreibt uns Lobe in einer selbst-biographischen Skizze, „wurde ich durch Vermittelung des guten edeln Franz Liszt pensionirt.“ Der Großherzog ernannte den verdienten Mann zum Professor der Musik, und Lobe siedelte nun nach Leipzig über und übernahm die Redaction der Breitkopf-Härtel’schen Allgemeinen musikalischen Zeitung, die er bis zum Schluß des fünfzigsten Bandes, 1848, führte.
Von dieser Zeit an war er ein ganz freier Mann und konnte nun an die Ausführung lange gehegter und vorbereiteter Pläne zu seinen theoretischen Büchern gehen. Wenden wir uns gleich zum wichtigsten derselben, dem Hauptwerke seines Lebens, seinem vierbändigen „Lehrbuch der musikalischen Composition“ (Leipzig, Breitkopf und Härtel). Der erste Band, enthaltend die Harmonie- und Formenlehre, erlebte bereits die dritte, die zweite, die Lehre von der Instrumentation, die zweite Auflage. Wie im ersten Bande die Harmonielehre auf ganz einfache und bestimmte wenige Grundprincipien zurückgeführt ist, so stellt der zweite als Grundprincip der Instrumentation den Contrast auf, weil alle Farbengebung auf glücklicher Contrastirung beruhe. Ganz besonderes Gewicht ist auf den dritten Band zu legen, welcher die „Lehre von der Fuge, dem Canon und dem doppelten Contrapunkt, mit besonderer Rücksicht auf Selbstunterricht“ enthält und die Ehrenbezeichnung eines reformatorischen Werkes verdient. Wie kein Anderer hat er es verstanden, die ganze Lehre einfach und klar, wie man Alles von ihm gewohnt ist, neu aufzubauen, während die Theoretiker
- ↑ Aus dem Leben eines Musikers. Leipzig, J. J. Weber. 1859.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_339.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)