Verschiedene: Die Gartenlaube (1873) | |
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Mitten im Herzen Deutschlands liegt das kleinste der vier sächsischen Herzogthümer, das Herzogthum Sachsen-Altenburg. Preußisches und reußisches Gebiet trennen dasselbe in zwei fast gleich große, nach ihrer Beschaffenheit und ihren Bewohnern aber völlig verschiedene Theile, den Ostkreis und den Westkreis, oder, wie man dieselben wohl auch treffend zu bezeichnen pflegt, das Kornland und das Holzland. Letzteres, ein Stück des schönen Saalthales, grenzt unmittelbar an das Thüringerland an; dunkle rauschende Wälder sind sein Schmuck und sein Schatz; Saale und Orla durchströmen sein Waldrevier; Tannenduft und Waldluft durchwehen es, und die Berge Thüringens strecken ihre letzten Ausläufer, oder wenn man lieber will, ihre ersten Vorboten bis mitten hinein in das schöne Land. Auch seine Bewohner sind Thüringer Stammes, wie dieser begabt mit der naturfrischen Biederkeit und Leichtlebigkeit des munteren Völkchens der Thüringer; Wohlstand und reiche Habe ist ihnen, gleich diesen, nicht zu Theil geworden und nur mühsam ringen sie dem wenig fruchtbaren Boden die nothdürftigen Früchte ab; aber was ihnen Feld und Wiese versagt, das giebt ihnen in reicher Segensfülle ihr herrlicher Wald, und frohgenügsam neiden sie nicht dem reicheren Nachbar das Loos, sondern freuen sich Dessen, was ihnen der Wald freigebig schenkt an Beeren, Holz und Arbeit.
Anders dagegen der Ostkreis des Herzogthums! Dort dehnen sich weithin die gesegneten Fluren des Kornlandes; auf den saftigen Wiesen lagert schmuckes, wohlgenährtes Vieh und die Scheuern vermögen kaum die reichen Gaben des Feldes zu fassen. Dort birgt die Tiefe das schwarze Gold der Braunkohlen, welches der Dampfwagen weithin in die Ferne trägt; dort breitet sich die stattliche Hauptstadt des Landes aus; dort ragt auf hohem Porphyrfelsen stolz das Schloß des Fürstenhauses empor; dort sitzt in behäbigem, soliden Wohlstande auf schönen, von den Vätern ererbten Gütern der eigentliche Nährstand des Herzogthums, der Altenburger Bauer. Er bewohnt zum großen, fast ausschließlichen Theile den reichen Strich des Ostkreises und hat sich, trotz aller zerstörenden Einflüsse der Zeit, mit zäher Ausdauer seine zahlreichen Eigenthümlichkeiten in Tracht, Sitten, Gebräuchen und Sprache Jahrhunderte hindurch bewahrt.
Der Altenburger Bauer ist nicht, wie der Holzländer, thüringischen Stammes, sondern vielmehr slavischen Ursprungs. Vor langen Jahrhunderten drang ein Zweig des großen Slavenstammes, die Sorben-Wenden, von Osten her immer weiter nach Sachsen vor, siedelte sich hier mit praktischem Verstande an, wurde nach und nach völlig germanisirt und rief eine vortreffliche Bodencultur und so jenen Wohlstand hervor, der noch heute ihre Nachkommen auszeichnet. Aus dieser Abstammung von den Sorben-Wenden erklärt sich die mannigfache Eigenart der Altenburger Bauern. Insbesondere zeigt sich dieselbe in der ganz eigenthümlichen, von der aller Umwohner wesentlich verschiedenen Tracht. Freilich hat auch hier die Zeit bereits sehr Vieles geändert, aber Vieles, das Hauptsächlichste, ist doch geblieben, und schon das Gebliebene ist merkwürdig genug.
Am wenigsten Veränderung hat die männliche Tracht erlitten. Das Hauptstück derselben ist die Kappe, ein langer Tuchrock von dunkler Farbe und inwendig mit grünem Flanell gefüttert. Sie wurde jedoch an Fest- und Sonntagen mit „der Weißen“ vertauscht, einem der Kappe ähnlichen Rocke von sehr weißem Tuche, mit schwarzbesetzten Aermeln, Futter von blaustreifigem Zeuge und an den Seiten mit einem Einschnitte versehen, durch welchen die schwarzen, bauschigweiten Lederhosen sichtbar werden. Ein sauberes Hemd mit sehr weiten, in seine Fältchen gelegten Aermeln, Hosenträger aus schwarzem lackirten Leder, ein schwarzes, breites Brusttuch oder ein Brustlatz, hohe, enganliegende Stiefeln, endlich ein einfaches Filzhütchen mit schmaler Krempe vervollständigen den Anzug des echten Bauersmannes. Doch ist noch von den genannten Kleidungsstücken bereits manches verbannt oder doch in den Hintergrund gedrängt worden. Namentlich ist die sogenannte „Weiße“ jetzt gar nicht mehr zu sehen und nur noch in den Kleiderschränken des Großvaters als Rarität zu finden. Statt ihrer und auch statt der Kappe trägt jetzt der Bauer den bequemeren Spenser, eine kurze Jacke, und außerdem zum Schutze gegen Kälte und Regen den sogenannten Matin (spr.: Mateng), einen weiten, langen Mantel von verschiedenen Stoffen und Farben. Ebenso hat auch die gewöhnliche Schirmmütze das alte Hütchen fast vollständig verdrängt.
Wenn nun die männliche Tracht, welche kleidsam, volksthümlich und dabei praktisch und dauerhaft ist, sich wesentlich gleich geblieben, so ist dies bei der weiblichen durchaus nicht der Fall. Hier haben Mode und Zeit arge Verwüstungen angerichtet, Kleidungsstücke völlig beseitigt, andere an deren Stelle geschaffen und den alten neue Formen gegeben. Man vermag genau nachzuweisen, daß die große Umwälzung in der weiblichen, namentlich der festlichen Bauerntracht, wie sie sich etwa seit dem Jahr 1800 vollzogen hat, in der Hauptsache eine Folge der französischen Revolution gewesen ist, wenn sich auch schon vorher mannigfache Aenderungen Bahn gebrochen hatten. Es würde jedoch Stoff zu einer besonderen Abhandlung liefern, wollte man die einzelnen Stadien verfolgen, welche die Weibertracht durchlaufen hat, bis sie zur heutigen und neuesten Form und Art hindurchgedrungen ist. Begnügen wir uns daher mit der Thatsache und sehen wir uns ein wenig die heutige Tracht der schöneren Hälfte des Bauernstandes an.
Das Bleibende in allem Wechsel ist der weibliche Rock, heute, wie in alter Zeit, enganliegend, nur bis zum Knie reichend, aus vielen ganz dichtaneinander genähten steifen Falten bestehend und die Formen ihrer Trägerinnen mehr als zur Genüge andeutend. Zu ihm gehören weiße, für Wirthschaft und Werktag wohl auch dunkle Strümpfe, auf deren Beschaffenheit und Verzierung viel Werth gelegt wird und welche die mehr oder weniger guten Waden der Bäuerinnen, alle Heuchelei in dieser Beziehung unmöglich machend, in das hellste Licht setzen. Weiter gehören zum Anzug Aermel von verschiedenem Stoff und verschiedenartige Mieder, ebenfalls je nach Stand und Wohlhabenheit, während bei kaltem Wetter und an Sonn- und Festtagen noch eine glattanliegende Jacke über Mieder und Aermel getragen wird. Dazu trägt man vor der Brust einen mächtigen, vom Kinn bis zum Rockanfange reichenden Vorstecklatz von Pappe, mit Zeug überzogen und durch Bänder gehalten. Dieser Latz ist das Ungeheuerlichste der weiblichen Bauerntracht, bedeckt vom Kinn an den ganzen Vorderleib, und wer will, kann beinahe mit der Hälfte des Gesichts, mindestens mit Mund und Nase, unter diesen Panzer hineinkriechen und sich hinter demselben verstecken. Endlich kommt noch der Kopfputz dazu; er besteht jetzt nur in einem mehr oder weniger kostbaren Kopftuche mit breiten Kanten, welches das Oberhaupt vollständig bedeckt, nicht eine Spur des Haares sichtbar werden läßt und von dem geschürzten Knoten in zwei langen, breiten Flügeln fast bis auf den halben Rücken hinabreicht.
Das ist in Kurzem das Bild der Altenburger Bäuerin. Charakteristisch ist es wohl, aber daß es schön sei, dürfte selbst der größte Schmeichler nicht zu behaupten wagen. Ist doch durch diese Tracht Alles, was die Zierde der weiblichen Gestalt ausmacht, völlig verhüllt, in ein Tuch eingewickelt und durch einen Panzer von Pappe versteckt, Anderes dagegen mit einer Offenheit in grelles Licht gesetzt, welche die Formen ihres Reizes entkleidet! Mag sie auch in der Haus- und Landwirthschaft recht praktisch sein, mögen mich manche neueste und neue Modethorheiten des schönen Geschlechts nicht minder unschön und ungeheuerlich sein, so muß es doch im Allgemeinen ausgesprochen werden, daß das allmähliche Abkommen dieser Tracht ein allzugroßer Verlust nicht genannt werden könnte.
In der weiblichen Tracht liegt der Keim zum allmählichen Absterben der ganzen Nationaltracht des Altenburger Bauernstandes; sie besonders ist zu jeder Zeit der Gegenstand der Neugierde, der Verwunderung, ja wohl gar des Spottes gewesen. Darf sich die Bäuerin in ihrer Tracht doch kaum in einer fremden Stadt sehen lassen, ohne daß ihr lächelnd die Erwachsenen nachschauen, und wohl gar die liebe Jugend, kritische Bemerkungen machend, in hellen Haufen jubelnd hinter ihr einherzieht und ihr ein unwillkommenes Geleite giebt! Kein Wunder also, daß das junge hübsche Bauernmädchen Lust bekommt,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 441. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_441.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)