Verschiedene: Die Gartenlaube (1873) | |
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No. 39. | 1873. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.
Künstler und Fürstenkind.
Noch einen Brief erhältst Du, Gottfried, aus der alten Vaterstadt, und zwar aus folgenden Gründen. Unsere Abreise bleibt auf morgen früh bestimmt, obgleich heute Nachmittag die Fürstin Löwenheim durchaus darauf dringen wollte, die Abreise zu verschieben, bis ihr großer Ball vorüber sei. Der Herzog lehnte entschuldigend, aber sehr entschieden ab, und so ging die alte Dame unverrichteter Sache heim, nicht eher jedoch, als bis sie von Hedwig das Versprechen erhalten hatte, mit dem Bruder den Abend bei ihr zuzubringen. Von mir noch an den Wagen geleitet, wo ein warmer Händedruck, ein fröhliches „Wie freue ich mich auf morgen!“ mir gespendet wurde, fuhr sie fort. Es ist der erste Abend seit lange, Gottfried, den ich fern von ihr zubringe. Wie ich nach und nach hier im Hause den ganzen Kreis von Bekannten kennen lernte, wurde ich auch mit eingeladen, und so kam es, daß alle meine Abende nicht vom Lampenlichte, sondern von ihrer sonnigen Gegenwart beleuchtet wurden. Wie einsam fühle ich mich nun in meinem Zimmer! Der mir sonst willkommene Feierabend ist mir unerträglich, und zur Ruhe gehen kann ich auch nicht, ehe die Räder im Hofe rollen, die sie sicher unter dieses Dach bringen.
Verzeihe es also dem Freunde, wenn er dieses eine Mal nicht, um den Drang des Herzens zu stillen, an Dich schreibt, sondern – um sich die Zeit zu verkürzen. Ich habe Alles versucht – zu lesen, zu zeichnen nichts will mir gelingen, denn meine Phantasie malt mir stets ihr Bild vor Augen; in den Ohren erklingt ohne Unterlaß ihre Stimme. Schreibe ich an Dich, so darf ich doch hier und dort ihrer erwähnen, darf ihren Namen auf Papier zeichnen, und kann ihrer dabei gedenken.
Habe keine Angst, daß ich Dir nichts als den heutigen Brief wiederhole. Ich werde von anderen Dingen sprechen, werde dessen gedenken, was sich dieser Tage außer uns zugetragen, für einen Augenblick mich erinnern, daß neben mir und ihr noch eine Welt besteht. Als ich vor einigen Wochen die letzten Pinselstriche an meinem Bilde machte, trat unangemeldet zu meinem größten Erstaunen Graf von Werdau ein. Noch nie hatte er sich in mein Atelier verirrt, ich weiß nicht, ob freiwillig oder weil ein Verbot ihm die Thür desselben schloß.
Nachdem er, das Auge mit dem unausbleiblichen Zwicker bewaffnet, eine Zeitlang auf das Bild geblickt, sagte er schmunzelnd:
„Ein reizendes Mädchen, fürwahr! Welche Rundung und dabei welche Finesse! Wirklich eine Seltenheit! Und Sie haben sie zum Entzücken gemalt, junger Mann, genossen und doch geschmeichelt. Nehmen Sie meinen herzlichsten Dank!“
Er mir danken, weil ich meine Sonne, meines Lebens Idol, mit schwachen Strichen auf die Leinwand gebracht! Es war empörend, Gottfried, nicht wahr? Ich frug ihn, indem ich ruhig weiter malte:
„Hat Ihnen vielleicht Herzog Ernst das Bild zum Geschenke zugedacht?“
„Mir? Nein! Wie kommen Sie auf diesen Gedanken?“
„Weil Sie mir dafür danken.“
„Ach, das müssen Sie nicht so genau nehmen!“ sagte er näher tretend. „Ich sprach so in einem allgemeinen Familiengefühle, habe nämlich meine Absichten, endlich muß doch geheirathet sein, und Prinzessin Hedwig ist wunderbar.“
Das mir!!
„Sie sind ein charmanter Mensch,“ fuhr er, offenbar etwas in Champagnerlaune, nach kurzer Pause fort; „schon dieses Bild zeugt dafür, und daß Sie Sich so ganz unentbehrlich gemacht haben hier im Hause, spricht wohl auch nicht dagegen. Sie sehen, daß ich bon enfant bin, trage Ihnen gar nicht nach, daß Sie mich damals bei der Ali-Geschichte so gänzlich ausstachen. Apropos, wo haben Sie denn reiten gelernt?“
„Auf meines Vaters Pferden, Herr Graf.“
Er biß sich die Lippen, sprach dann aber doch gelassen:
„Ach, gerade wie ich auch! Sie nehmen gleich Alles übel und haben doch Unrecht. Wenn Sie mich zum Beispiel vorzüglich malen sehen würden, so wäre es ganz natürlich, wenn Sie die Frage an mich richteten: Wo haben Sie das gelernt?“
„Nicht im Entferntesten! Man kann ganz gut ausschließlich Künstler sein und dennoch nebenbei ein wildes Thier bändigen; das macht sich mit Courage. Aber man kann nicht ausschließlich Tänzer und Cavalier sein und ganz nebenbei noch vorzüglich malen.“
„Ach, Sie glauben nicht!“ Nun, das bringt mich auf die Sache, welche mich hierher führte. Ein ganz ordinäres Sprüchwort sagt: ‚Man muß mit den Wölfen heulen.‘ Das habe ich nun auf meinen Fall angewendet und gedenke es auszuführen. Mir liegt außerordentlich viel daran, Prinzessin Hedwig zu gefallen. Um dies zu bewerkstelligen, ist es vor Allem nöthig, die Sympathie des Geistes und der Seele festzustellen. Prinzessin Hedwig geräth seit einiger Zeit vor jeder zerfetzten alten Leinwand in Ekstase. ‚Gerathen wir auch in Ekstase‘ sprach ich zu
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 623. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_623.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)