Verschiedene: Die Gartenlaube (1873) | |
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reicht der deutschen Kaiserin den Arm, und rückwärts bewegt sich der Zug nach dem ersten Empfangssalon, in welchem eine Portière von rothem Sammet bis jetzt von zwei Dienern fast ängstlich bewacht worden war. Beim Nahen des Zuges öffnet sich diese, derselbe passirt einen schmalen Gang, der rechts und links mit rothen goldgestickten Sammetdraperien verhängt ist, es ist eine Brücke, deren Passage so gegen jede Zugluft geschützt ward, und nun befinden sich die Gäste des Grafen im Zaubergarten der Armida, inmitten der Märchenwelt aus Tausend und einer Nacht. Der Garten der Bellaria ist in eine Fluth von Licht getaucht. Um die äußere Umhegung sind Tausende von großen farbigen Ballons und Lampions gezogen; sie gehen in Festons von Baum zu Baum und hängen aus allen Zweigen. „Je braverai la nature,“ hatte Graf Andrassy scherzweise gesagt, als man ihn auf die drohenden Wetterwolken aufmerksam machte, die sein Fest wohl verderben möchten, und gleich als ob die Drohung des Premiers gefruchtet hätte, der Himmel ist jetzt tiefblau und wolkenlos. Aus dem dunklen Aether schauen die funkelnden Sterne, und im leisen Abendwinde wiegen sich die Ballons.
In den Rosen- und Jasminbüschen glühen rothe, grüne und gelbe Glaskugeln wie riesige Leuchtkäfer; am Ende des Gartens ist ein elegantes Zelt mit Sophas und Fauteuils errichtet. Ueber demselben bauen sich hohe Lampenpyramiden auf und werfen ihre blendenden Lichtstrahlen über den ganzen Garten. Horch! diese Cymbalklänge, diese Fiedeln mit ihren bald ausgelassenen, lustigen, bald tiefwehmüthigen Klängen, mit ihren grellen Uebergängen und ihren hinreißenden, sinnfesselnden Melodien – ist diese Musik nicht eine Erinnerung an die ungarischen Pußten, an das Heimathland des Festgebers? Ja wohl! Wer einmal Zigeuner hat spielen hören, der vergißt diese Musik nimmermehr. Da vorn auf dem Rasen ist das Orchester aufgepflanzt. Die schwarzgebrannten Musiker sind in das bunte ungarische Nationalcostüm gekleidet – eine Art blauer und rother Husarentracht –, der Cymbalspieler mitten in der Bande; die Augen der Spielenden funkeln; die Fiedelbogen fliegen; Graf Andrassy hat sie veranlaßt, näher an das Zelt zu treten, in dem sich die kaiserlichen Herrschaften niedergelassen haben. Die Kaiserin Augusta scheint sich des Zaubers dieser Töne nicht erwehren zu können; in eine Fülle von weißen Spitzen gehüllt, lehnt sie in dem rothseidenen Sopha, und die Künstler von der Pußta müssen, sobald sie geendet haben, immer von Neuem wieder beginnen und immer mehr spielen, bis fast der Reichthum ihrer Melodien erschöpft ist.
Auf den Teppichen, mit denen die Wege des Gartens belegt sind, bewegt sich die übrige Gesellschaft. Da plaudert Graf Andrassy vertraulich mit einem hochgewachsenen und stattlichen Herrn, der die preußische Uniform der Generale à la suite trägt; es ist der Botschafter des deutschen Reiches in Wien, General von Schleinitz, und die Art und Weise, wie Beide miteinander verkehren, ist eine Bürgschaft, daß zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn „All right“ ist. In der Nähe steht der Kaiser Franz Joseph. Er hat die beiden Kaiserinnen auf einen Augenblick verlassen und spricht mit einem Herrn, dessen gedrungene Gestalt im schwarzen Fracke, mehr noch der graumelirte Cotelettenbart diesem ein ausgesprochen amerikanisches Aussehen geben. Es ist der Generaldirector der Weltausstellung, der vielangegriffene Freiherr von Schwarz-Senborn. Um den Kaiser und den Generaldirector hat sich ein Kreis von Herren gebildet. Unter diesen ragt eine Persönlichkeit über alle Anderen um eine Kopflänge hervor. Kennen wir ihn doch! Ja wohl, obwohl er anfängt, dick und grau zu werden, – und das ist immer peinlich für einen so großen Virtuosen der Persönlichkeit wie Franz Dingelstedt, einst Deutschlands Nachtwächter und Heerrufer. Nun ist er Herr von Dingelstedt, Ritter des Comthurkreuzes und anderer Kreuze.
Aber nicht nur der Director des Burgtheaters ist da, auch die Dramatiker des Musentempels am Michaelerplatze befinden sich in der Nähe und einer seiner ältesten und genialsten darstellenden Mitglieder – der treffliche Laroche. Eine Weile später geht es wie ein Lauffeuer durch die Säle: „Laroche! Wo ist Laroche? Die deutsche Kaiserin will ihn sprechen!“ – Der berühmte Künstler war noch unter Goethe in Weimar engagirt und von dort datirt wohl auch die persönliche Bekanntschaft der deutschen Kaiserin mit ihm. Der Mann an seiner Seite mit der gedrungenen Figur, mit dem röthlichen Barte, der Brille und einem kleinen Firmament auf der Brust ist Mosenthal, der Andere neben ihm stehende mit dem schwarzen Vollbarte Weilen. Der Dritte in der Gruppe ist kein Deutscher; dieser Michel-Angelo-Kopf auf einer Gnomenfigur gehört keinem Geringeren an als dem großen französischen Genremaler Meyssonnier. Er wird von einem deutschen Maler, dem Schöpfer des „Triumphzuges der Germania“, von dem hageren Piloty aus München fast um drei Kopflängen überragt.
So ist hier Geist und Geburt, Rang und Verdienst, Jugend und Schönheit einmüthig versammelt. Auf dem grünen Rasen rauschen die bauschigen Schleppen; unter den grünen Laubenbogen blitzen Augen und Diamanten hervor, und um das Früchtebüffet unter dem Lindenbaume hat sich eine Gesellschaft von jungen Herren und Damen gruppirt, die an Reiz und Fröhlichkeit der Jugend an Winterhalter’s Decamerone erinnert. Das wogt und schwirrt, das plaudert und lacht. Dazwischen tönen die Melodien der Zigeuner und flimmern die Sterne und blähen sich im lauen Abendwinde die Ballons an den Bäumen und die Schleier in den halbgelösten Locken. Durch die Blätter geht ein Wogen wie eine leise Mahnung an die Anwesenden, die heilige Ruhe der Nacht nicht länger zu stören und daß es Mitternacht und Zeit sei, nach Hause zu gehen. Die Antwort darauf ist nur ein erneutes Aufwallen der hochgehenden Festeslust. Wer könnte sich von dem Paradeisgärtchen auf der Bellaria, von der Soirée des Grafen Andrassy so leichten Herzens und zu so früher Stunde trennen? Georg Horn.
Selbst aus den Beständen schrankenlos freien Wildes lernt sehr bald der scharf und unablässig beobachtende Jäger die darunter befindlichen verschiedenen Individualitäten heraus erkennen, noch leichter und sicherer aber gelingt ihm dies natürlich in geschlossenen Wildbahnen. Eigenartiges Gebahren, hervorstechende Physiognomie, auffallende Stärke oder besonderer Wuchs an Körper, Geweihen und anderem Gewäff, wie markirte Färbung einzelner Stücke, oder auch in’s Auge springende andere Merkzeichen, die solche etwa durch Schuß- oder sonstige Verwundungen erhielten, wirken hierbei mit.
So lebte unter anderem ein derartiges Exemplar, ein capitales Wildschwein, welches fast alle eben angeführten Eigenheiten zusammen an sich vereinigte, viele Jahre in den eingezäunten Wildgehegen des allbekannten Jagdsitzes zu Moritzburg bei Dresden, wo es seiner Zeit männiglich nur unter dem Namen „Tappfuß“ bekannt war. Dasselbe war nämlich früher einmal, bei einer sogenannten Königsjagd von dem dazu zu Gaste geladenen damaligen Kronprinzen, jetzigem regierenden Herzog von Coburg, lauftlahm angeschossen worden und in Folge des daraus entstandenen tappenden Ganges eben zu jener Benennung gekommen. Außerdem hatte besagter Anschuß dieses Schwein so vorsichtig und schlau gemacht, daß es nicht einmal mehr seines Gleichen traute, vielmehr von beregter Zeit an vom Rudel sich fern hielt und nur noch für sich allein die fernsten und einsamsten Theile des weiten Revieres durchstrich. Nur in dem einen Punkte wich es sonderbarer Weise davon ab, daß es zu der allabendlich stattfindenden Fütterung nach wie vor ganz regelmäßig auf dem Kirrplatze erschien. Hier war der borstige Einsiedler gegen Mensch und Thier sogar dreister, als alles übrige herbeikommende Wild, als wisse der unwirsche Keiler ganz genau, daß das Wild auf diesem Platze, wenigstens während der Fütterung, Gefahren von Menschen, trotz ihrer unmittelbaren Nähe, nicht
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 633. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_633.JPG&oldid=- (Version vom 5.1.2021)