Verschiedene: Die Gartenlaube (1873) | |
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Gegen Abend des genannten Tages fuhr bei leichtem Regenschauer ein bedeckter Hôtelwagen durch das Schloßthor, und der Graf erblickte vom Fenster aus an dem ihm zugewandten Schlage das Gesicht seines Schwagers. Erfreut eilte er hinab, die Ersehnten zu empfangen, doch brach sein heiterer Willkommengruß plötzlich ab, als er den jungen Mann allein und mit unheilvoller Miene aussteigen sah. Böse Ahnung überfiel ihn, wie Sonnenfinsterniß den hellen Tag. Er faßte seinen Schwager beim Arme und führte ihn, ohne eine Silbe zu äußern, eiligst in sein Zimmer, um dort nach den ersten Worten, die er vernahm, sprachlos in einen Sessel zu sinken.
Stephan Sandor gehörte nicht mehr zu den Lebenden. Eine Pistole, deren Schloß er untersucht haben mochte und die er sicher nicht geladen wähnte, war in seiner Hand losgegangen, und der Schuß hatte die unseligste Richtung genommen. Das Verhängniß war am Abend vor dem zur Abreise bestimmten Morgen hereingebrochen, nachdem der Freund auf Stephan’s Wunsch schon seit einigen Tagen sein Gast gewesen. Beide hatten noch an demselben Tage einen Abstecher nach Pest gemacht, wo Sandor den bestellten Brautschmuck persönlich abgeholt und des Vetters Zeugenunterschrift bei seinem Notar in Anspruch genommen hatte, um die gerichtlich beglaubigte Schenkung eines seiner Güter an Thea vollziehen zu lassen, welches er der Braut als Morgengabe zugedacht. Er hatte sich nach der Rückkehr auf das Gut zeitig zurückgezogen, nachdem beide junge Männer die ersten Abendstunden heiter verplaudert, und dabei geäußert, daß er Thea noch zur letzten Meldung seiner nahen Ankunft schreiben und sein Reisegeräth ordnen wollte. Nachdem der unheilvolle Schuß gefallen, fand sich in der That ein bereits gesiegelter Brief an Fräulein Rostan auf dem offenen Schreibpulte, während die Schenkungsurkunde und das Etui mit den Brillanten daneben lagen. Auf einem Seitentische stand das geöffnete Pistolenkästchen, welches Sandor bei seinen Reisen stets mit sich zu führen pflegte. Ein Notizbuch, das sich in der Tasche seines Rockes fand, umschloß einige Briefe und die Photographie seiner Braut, nebst trockenen Blumen und einer zerknickten Schleife: sprechende Zeugen eines hoffnungsreichen Glücks, das durch die furchtbarste Katastrophe plötzlich zertrümmert worden. Der junge Mann breitete diese Reliquien seines Freundes mit strömenden Augen vor Mattern aus und übergab ihm Brief, Schmuck und Urkunde als Eigenthum der verwittweten Braut.
Thea!
Beide Männer bebten vor der Aufgabe zurück, der Unseligen mitzutheilen, was ihr nicht verborgen bleiben konnte, und entschlossen sich nach langem Ueberlegen, die schwere Stunde sogleich und gemeinsam zu bestehen. Mattern frug durch ein paar Zeilen an, ob seine Pflegetochter sich wohl genug befinde, um ihn und einen Boten Stephan’s, der Kunde über dessen Ausbleiben brächte, noch heute zu empfangen, und erhielt die mündliche Bestellung zurück, daß Thea die Herren in ihrem Zimmer erwarte.
Der erste Blick, welchen der Unglücksbote auf die Braut seines Freundes warf, frappirte ihn auf das Aeußerste. Gab es wirklich Ahnungen? Thea’s Wange hätte nicht farbloser, ihr Blick nicht erloschener sein können, wenn sie bereits Alles gewußt, und doch lag ein Ausdruck unsagbarer Spannung um den zuckenden Mund. Unendliches Erbarmen ergriff ihn, dem schönen jungen Wesen gegenüber, der die Götter das Höchste ihrer Gaben nur geschenkt, um es ihr wieder zu entreißen. Er versuchte zu sprechen, die furchtbare Kunde wollte aber nicht über seine Lippen.
Als der Fremde sie nur ansah und fortdauernd stumm blieb, als sie des Grafen zerstörte Miene schaute, kam ein Wandel über Thea; es war, als würde sie steinern. Das lebensvolle Antlitz erstarrte zum „Bilde ohne Gnade“. Sie war es, welche das Schweigen brach: „Keine Schonung – sagen Sie das Aeußerste – ich werde Stephan nicht wiedersehen –“
Des jungen Mannes Thränen brachen unaufhaltsam hervor. Er verstand die Worte, welche schwer und kalt niederfielen, wie etwas Todtes, nur in seinem Sinn. Das ahnende Herz der Braut hatte ihr das Ungeheure voraus verkündet, und mit dem heißen Schmerz des eigenen Verlustes strömte nun die jammervolle Geschichte, die er miterlebt, aus ihm hervor.
Thea regte sich nicht. Ihre Lippen wurden weiß, aber die Besinnung verließ sie keinen Augenblick. Als das letzte Wort gefallen, sagte sie tonlos: „Der Brief – wo ist der Brief?“
Ein standhaftes Quarkbrod. In einer Kammer neben dem sogenannten Trompeterstübchen im herzoglichen Schlosse zu Eisenberg stand bis zum Jahre 1805, wo die verwittwete Herzogin Amalie von Gotha das Schloß als ihren Wittwensitz bezog, ein Spinnrad alter Form, künstlich mit Elfenbein ausgelegt und mit eben solchen Ringen und glockenähnlichen kleinen Zierrathen behangen, welches Herzog Christian, auch ein geschickter Drechsler, seiner zweiten Gemahlin, Sophie Marie, selbst gedrechselt hatte. Auf dem Gestelle lag ein Stück schwarzes Brod, mit Quark bestrichen, vom Zahn der Zeit, sowie von Würmern durchnagt, jedoch noch ganz. Die Chronik von Eisenberg erzählt darüber folgende anmuthige Sage:
Die Herzogin war eine sehr fleißige Hausfrau, die, wenn sie sonst Nichts zu thun wußte, Wolle spann, wie viele andere Frauen damaliger Zeit. Besonderes Vergnügen machte es ihr, wenn sie bald bei dem, bald bei jenem Zeugmachermeister sich selbst Wolle holen oder das Garn heimtragen konnte. Sie wählte zu diesen Gängen stets die Abendstunden und kleidete sich dann in das Gewand einer armen Bäuerin oder Bürgerfrau.
Eines Abends im Herbst, wo sie auch ihre Wolle aufgesponnen hatte, beschloß sie, eine ähnliche Wanderung zu unternehmen, warf sich in ihre Verkleidung und verhüllte das Gesicht noch mit einem Tuche. So nahm sie ihr Päckchen mit Garn unter den Arm und verließ das Schloß. Ihr Weg ging, wie man erzählt, in die Johannisgasse zu einem Zeugmacher, Langenbach mit Namen. Die von einem spärlichen Lämpchen erhellte Unterstube öffnend, traf sie die Familie beim bürgerlichen, damals kärglichen Abendbrode, dessen Hauptbestandtheil, die Suppe, bereits verzehrt war. Quark und Schwarzbrod, in jener Zeit schon eine respectable Kost, nebst einem Kruge selbstgebrauten Bieres schmückte den mit einem weiß- und blaugestreiften reinlichen Tuche bedeckten Tisch. Einen schüchterten „Guten Abend“ bietend und gesegnete Mahlzeit wünschend, eröffnete die Fürstin dem Meister, daß sie Garn bringe und wieder Wolle mitnehmen wolle, und wurde von diesem angewiesen, sich einstweilen auf die nahe der Thür stehende hölzerne Lehnbank niederzusetzen, bis er sein Quarkbrod gegessen und dann sein Tischgebet gesprochen habe. Geduldig setzte sich die Fürstin auf den ihr angewiesenen Platz und wartete, als die Meisterin ihrem Eheherrn in’s Ohr flüsterte, daß sie der armen Frau auch eine Quarkbemme streichen wolle. Der Meister genehmigte es, und nun erhielt die Spinnerin das Brod mit den Worten: „Da, nehmt es Euren Kindern mit, denen wird es etwas Seltenes sein.“
Freundlich dankend nahm die gute Fürstin das Brod, betete dann andächtig mit der gesättigten Familie das Tischgebet, erhielt nun ihren Lohn, nachdem der Meister sorgfältig die Zahlen gezählt und ihr Gespinst gelobt hatte. Ihr Bündchen frische Wolle unter dem Arme wanderte sie dem Schlosse wieder zu, erzählte dem Gemahl das gehabte Abenteuer, zeigte ihm das erhaltene Quarkbrod und freute sich mit ihm in herzlicher Eintracht.
Tags darauf wunderte sich Meister Langenbach nicht wenig, als er auf’s Schloß beschieden wurde, und noch mehr, als er, in der Herzogin Zimmer eingeführt, diese am Spinnrade eine Wolle spinnen und das Quarkbrod sahe, welches seine mildthätige Ehehälfte der armen Frau für ihre Kinder gegeben. Und Herzog Christian, der auch zugegen war, bewillkommnete den Meister freundlich, reichte ihm die Rechte und sprach: „Seid nicht ängstlich, lieber Meister, weder ich noch mein Gemahl zürnen Euch ob Eurer Milde, wir sind Euch vielmehr wohl gewogen und wollen auch ferner, so Ihr weiter ein so wackerer, frommer Meister bleibt, Euch nicht vergessen. Darum sagt, was können wir für Euch thun, daß Euer Wohlstand sich hebe?“
Was das gutmüthige Fürstenpaar dem Meister an Wohlthat zugewendet, davon schweigt die Sage, doch muß die Erweiterung seines Geschäfts, sein Fleiß und seine Rechtschaffenheit ihm wohlgelungen sein, denn von seinen Söhnen hieß der eine der goldene, der andere der silberne Langenbach.
Das Quarkbrod aber blieb zum immerwährenden Andenken auf dem Spinnrade liegen, das unter dem fürstlichen Hausgeräthe im Jahre 1805 mit versteigert ward und jetzt wahrscheinlich längst zerfallen und als unnütz auf die Seite geschafft worden ist.
Abonnentin in Wiborg. Dank für Mittheilung! Die Ungenirtheit, mit welcher finnländische Zeitungen die Gartenlaube plündern, war uns in diesem Umfange allerdings bisher unbekannt. Wir werden übrigens, angesichts der dortigen Preßzustände, keinen Finger rühren, um gegen dieses literarische Piratenthum einzuschreiten, und gönnen den Leutchen ihr bischen Vergnügen. Curios ist freilich, daß die schwedischen Lettern, welche heute zu Artikeln über die „großmäuligen Deutschen“ benutzt werden, morgen Uebersetzungen deutscher Novellen drucken.
A. W. in Wien. Wir würden die von Ihnen erwähnte Erinnerungsstätte an den großen deutschen Meister gern durch einen illustrirten Artikel in unserem Blatte vor der Vergessenheit bewahren und bitten Sie, uns zu Bild und Text zu verhelfen.
F. M. in M. Ungeeignet. Manuscript steht zur Verfügung.
R. in Schlesien. Tod!!
T. R. in Wien und H. H. in Eckernförde. Ungeeignet.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 818. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_818.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)