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Seite:Die Gartenlaube (1877) 359.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


auch das Herz ab, daß sie’s nicht weiß – gut, ich will’s Ihr sagen, dann werden’s bald Alle wissen, die statt vor ihrer eigenen Thür vor dem Himmelmooserhof kehren wollen. Ein Thurm soll’s werden, mit einem schönen Erker, in den man sich fein schön bequem hinein setzen kann und kann sich’s wohl sein lassen und hinaus schauen auf die ganze Gegend, die Berg’ und den See, als wenn sie Einem gehören thäten, alle miteinander. Ich hab’s so gesehn, wie ich zuletzt in’s Tirol hinein gereist bin – da giebt’s viel Häuser mit einem solchen Vorsprung; das hat mir gefallen, und drum will ich’s auch haben auf meinem Hof.“

Die Frau schwieg einen Augenblick und schien nach den rechten Worten für ihre Erwiderung zu suchen. „Also ist’s doch so, wie die Leut sagen,“ rief sie. „Das ist’s aber gerade, warum sie die Köpf’ zusammen stecken. Sie sagen, das sei keine Bauerei für einen Bauern – das wär’ nur an den Schlössern der Brauch und an den Häusern von den Edelmännischen, von den Herrn.“

Die Augen des Himmelmoosers funkelten unheimlich unter den schwarzen Brauen hervor.

„Und was bin denn ich?“ rief er aufspringend. „Bin ich etwann mit einem Wanderbündel über’m Rücken in’s Himmelmoos gekommen und haus’ darauf wie ein Pachter oder Fretter? Ich steh’ auf eigenem Grund und Boden und bin so gut und noch besser ein Herr, als ein Baron oder Graf, dem vielleicht kein Stein gehört von seinem Schloß. Wenn ich edelmännisch zahlen kann, darf ich auch edelmännisch bau’n, und wer dagegen was einzuwenden hat, der soll kommen und mir’s sagen – der Himmelmooser wird ihm die Antwort nicht schuldig bleiben.“

Der Zorn des Bauers hätte sich wohl noch lauter und kräftiger Luft gemacht, hätte nicht ein vor dem Hause entstandener Lärm dessen Erguß unterbrochen – ein Aufschrei des Schreckens und ein grober Fluch ließ sich hören, verbunden mit Geräusch wie von brechendem Holze. Frau Judika sprang an’s Fenster.

„Heilige Mutter Anna, das hätt’ ein schönes Unglück geben können,“ rief sie dann zurück. „Der dicke Gerichtsdienergehilf’ ist draußen; er ist auf die Einfassung von der Kalkgruben getreten und wär’ schier hineingefallen – bei einem Haar wär’ das Brett gebrochen.“

„So soll er halt die Augen aufmachen,“ rief der Bauer lachend entgegen, „damit er sieht, wo er hintritt – aber ich glaub’, die Lad’- und Anzeig’sechser schlagen ihm so gut an, daß er über seinen eigenen Schmeerbauch nicht mehr hinüber sieht.“

„Aber das eine Brett von der Einfassung ist auch schon ganz morsch,“ unterbrach ihn Judika, „ich hab’ es Euch neulich schon gesagt, Ihr solltet es ausbessern lassen, eh’s ein Unglück abgiebt.“

„Fällt mir im Schlaf nicht ein,“ schnauzte er sie an, „das Brett ist noch ganz gut, aber bei Allen und bei Ihr heißt es immer nur anschaffen, nur Alles neu machen lassen – natürlich, aus Ihrem Beutel geht es nicht, und der Himmelmooser soll nur blechen. Nichts da – das Brett hält, noch über Jahr’ und Tag. . . . Aber was will denn der Schergenknecht bei mir?“ fuhr er, sich der Thür nähernd fort, „kann ich mir doch um Leben und Sterben nicht einbilden, was der im Himmelmoos zu suchen hat.“

Der so freundlich Erwartete trat ihm bereits auf der Schwelle entgegen. Es war ein kleiner dicker Mann mit stark geröthetem Gesichte, das auch unter dem Einflusse des gehabten[WS 1] Schreckens nicht völlig zu erblassen vermocht hatte; er trug die graue blau eingefaßte Uniform der Gerichtsdiener und den üblichen Schleppsäbel, aber der schwarze Ledergurt schien weniger für den letztern da zu sein, als um, wie der Reifen ein Faß, seinen Körperumfang zusammen zu halten. Er athmete heftig und trocknete sich den Schweiß ab, was ihn aber nicht hinderte, in seinem Fluchen über das Unglück, das ihm beinahe zugestoßen, fortzufahren und dem Bauer mit einer Anzeige zu drohen, daß er seine Kalkgrube so schlecht verwahre.

„Das kann der Herr ja thun,“ unterbrach ihn der Bauer zornig, „wird schon sehen, wie weit er damit kommt. Ich mach’ das Holz nicht, und das Brett an der Gruben ist gut und stark genug; freilich, da müßt’ es von Eisen sein, daß es einen solchen Elephanten tragen könnte,“ setzte er etwas leiser hinzu, indem er dem Gerichtsdiener das Schreiben, das dieser in der Hand hielt, abnahm. „Ist das für mich?“ fragte er. „Was steht denn so Wichtiges in dem Schreiben, daß es nicht einmal bis übermorgen, am Sonntage, Zeit hat, wo ich ohnedem zum Landgerichte hineingekommen wär’?“

„Das haben wir nicht wissen können,“ entgegnete der Gerichtsdiener grob, „auch hat’s pressirt von wegen dem Prinzen – es betrifft den großen Eichbaum drüben an der Haselpoint.“

„Prinzen? Und meine große Eich?“ fragte der Bauer verwundert und begann sich eifrig die Hände zu reiben; die Häuserin, die eben wieder hereingekommen war, kannte das als ein Zeichen, daß ihm der Zorn zu Kopf zu steigen beginne, und fand es rathsam, in der Nähe zu bleiben.

„Was giebt’s schon wieder mit der Eich’?“ wiederholte er mit steigendem Nachdruck.

„Nun, Ihr wißt es ja, Himmelmooser – der Eichbaum ist der größte und älteste in der ganzen Gegend, und nirgends hat man eine so schöne Aussicht über den ganzen See; drum will der Prinz, der am liebsten da hinauf spazieren geht, daß der Baum ja gewiß stehen bleibt und bei Leibe nicht umgehauen wird.“

„Wer red’t denn aber von Umhauen? Der Baum ist ja selber meine Freud’, und so nothig ist der Himmelmooser auch noch nicht, daß er auf die paar Klaftern Holz anstehen sollt. Und ist denn der Prinz nicht selber bei mir gewesen und hat mir gesagt, wie gern er den Baum hat, und hab’ ich ihm nicht mein Wort gegeben für mich und Kinder und Kindeskinder, daß keins den Baum anrühren soll? Was braucht’s denn da noch?“

„Ja, der Prinz!“ entgegnete der Gerichtsdiener mit spöttischem Lachen. „Der Prinz wird wohl gedacht haben: ein doppelter Strick hält besser. Er hat mit dem gestrengen Gnaden Herrn Landrichter gesprochen, und wenn das Bauernwort etwa reißen thät, wird das vom Landgericht desto fester halten.“

Der Bauer hatte seine Brille geholt, aber er war zu erregt, um sie aufzusetzen; sie lag mit dem entfalteten Schreiben vor ihm auf dem großen Eßtische, auf den er sich mit beiden Händen aufstützte, als fühle er ein Bedürfniß nach etwas, was nicht wanke unter ihm. „So?“ stammelte er, „dem Prinzen ist mein Wort nicht genug gewesen? Kennt er mich so schlecht, und weiß er nicht, wenn der Himmelmooser etwas verspricht, wenn er sein Wort giebt für etwas, daß das so gut ist wie Brief und Siegel, und daß kein Mensch auftreten kann und kann sagen, er hat sein Wort nicht gehalten? Aber meinetwegen!“ fuhr er, sich etwas mäßigend fort, „mir kann’s recht sein. Giebt er mein Wort frei, so bin ich auch nicht daran gebunden – und was soll’s jetzt mit dem Landgericht?“

„Das könnt Ihr Euch wohl denken,“ war die Antwort des Gerichtsdieners, der das Schreiben aufnahm und abzulesen begann. „'In Erwägung, daß die auf dem Haselpoint stehende große alte Eiche zu den Zierden der Gegend gehört, deren Erhaltung also im allgemeinen öffentlichen Interesse geboten ist und es angemessen erscheinen läßt, Maßregeln hierfür zu treffen, ergeht an den Quirinus Ottlinger, Bauern im Himmelmoos, der gemessene Auftrag, sich bei schwerer Strafe jeder Beschädigung des erwähnten Baumes zu enthalten und insbesondere sich dessen Entfernung in keiner Weise beigehn zu lassen.'“

Der Bauer wechselte während des Lesens mehrmals die Farbe, und als der Gerichtsdiener ihm den Empfangsschein über den Befehl auf den Tisch legte, setzte er wie unwillkürlich unter denselben die schwerfälligen Buchstaben, die ihm statt der Unterschrift galten. „So,“ sagte der Gerichtsdiener, denselben einsteckend, „jetzt behüt’ Euch Gott bei einander! Jetzt werdet Ihr wissen, was Ihr zu thun habt.“

Er ging; der Bauer machte eine Bewegung, als wolle er demselben nacheilen und den in ihm aufkochenden Groll über den erhaltenen Befehl an dessen Träger auslassen, aber Judika vertrat ihm den Weg zur Thür. „Dein Glück, daß Du gehst, verfluchter Scherg!“ rief er und erhob, ihm nachdrohend, die geballte Faust. „Ja, wohl weiß ich, was ich zu thun habe, und brauche keinen solchen Bauernschinder dazu, daß er mir’s sagt. Geh’ Sie hinauf in die obere Stub’,“ fuhr er fort, indem er sich gegen Judika wendete und zugleich die Jacke auszog und über den Tisch warf. „Geh’ Sie hinauf und hole Sie mir meine gute Joppe herunter und den Sonntagshut! Ich will in’s Dorf hinunter.“

„O mein! rief Judika entgegen. „Was werdet Ihr jetzt

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: "gehaben"
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_359.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)