Verschiedene: Die Gartenlaube (1879) | |
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zu bringen, welche ihrerseits erst die Erkrankung eines zweiten Individuums zur Folge hat. So lange diese Entwickelung des Keims nicht eingetreten ist, kann eine gesunde und gesund bleibende Person sein Träger und Verschlepper sein, wie ein Schiff mit dem Ballast Keime verschleppt, die zwar einst nach Berührung mit Luft, Licht und Wärme, aber nicht im Schiffe selbst zur Entwickelung gelangen. Stimmt doch diese wissenschaftliche Anschauung in so vollkommener Weise mit den Erfahrungen überein, denen die Briefe Moltke’s aus dem Jahre 1837 in Bezug auf die Pest Ausdruck geben: „Es gehört gewiß eine besondere Concurrenz von unglücklichen Umständen dazu, um durch bloßes Begegnen eines Kranken angesteckt zu werden.“
Allgemein wird in älteren Berichten die Machtlosigkeit der Heilkunst beklagt. Auch die diesjährige Epidemie weist bis jetzt wenig Tröstliches in dieser Beziehung auf. Wir erinnern aber an die Fortschritte auf dem Gebiete der Desinfection und den Umstand, daß das bei der Pest noch nie in ausgedehnter und systematischer Weise angewandte Chinin sich so vielen krankmachenden Einflüssen gegenüber als vortreffliches Vorbeugungsmittel bewährte. Endlich denken wir unwillkürlich an die mächtigen Wirkungen, welche ein erst ganz neuerdings entdecktes Heilmittel, das Alkaloid der Jalaorandipflanze (Pilocarpin), auf die Beförderung aller Ausscheidungen unzweifelhaft ausübt. –
Den Regierungen endlich legen die Ereignisse die Fragen nach der Einrichtung ständiger internationaler Seuchencommissionen und einer Wiederholung jener Maßregel der französischen Regierung, welche von 1844 bis 1858 eigene Aerzte zur Beobachtung der Pest in Kairo stationirte, sehr nahe. Die Sanitätsverwaltungen müssen leider auch heute noch Feldzüge unternehmen, ohne sich auf Vorposten und Kundschafter stützen zu können, weil deren Beschaffung angeblich zu kostspielig ist. Wie man aber auch rechnen möge: gegenüber dem ungeheuren materiellen Verkehrsverluste, den auch nur die Ungewißheit über die Natur der Seuche zur Folge hat, erscheint die reichste Dotation von einem halben Dutzend tüchtiger, ständiger Beobachtungsärzte als eine wahre Kleinigkeit.
In unserem vorigen Artikel („Gartenlaube“ 1876, Nr. 35) versuchten wir bei Beschreibung der Nürnberger Fechterspiele dem Leser ein Bild wilder Kraft und Kampfeslust vorzuführen. Heute mag sich den Erinnerungen an die eben in den deutschen Städten verrauschten Carnevalswochen die Schilderung eines jener fröhlichen Tage anschließen, an denen sich die Nürnberger Bürgerschaft in lustiger Fastnachtseligkeit auszutoben pflegte. Das Schembartlaufen versetzt uns sowohl durch die fast überschäumende Fröhlichkeit des Volkes wie durch den farbigen Wechsel der Trachten und Aufzüge ganz besonders lebhaft in das derbe fröhliche Mittelalter und gewährt uns speciell einen erschöpfenden Einblick in das damalige Volksleben Nürnbergs.
Nach dem großen Aufruhr der Nürnberger Zünfte im Jahre 1349 erhielten die Metzger und Messerer für ihre dem alten Regiment bewiesene Treue von Karl dem Vierten die Erlaubniß, „für ewige Zeiten um Fastnacht einen Tanz halten und im Schembart (Schönbart = Maske) laufen zu dürfen“. Die ersten Verkleidungen mögen höchst primitiv gewesen sein, und so sehen wir denn auch auf den ältesten Abbildungen außer Reitern, welche
sich auf von Holz oder Papier nachgebildeten Pferden, Ochsen, Einhörnern etc. wacker herumtummeln, nur die Messerer und Metzger ihre Tänze halten. Die Messerer tanzten mit verschlungenen Schwertern, der Tanz der Metzger aber, Zämertanz genannt, bestand in allerhand künstlichen Verschlingungen, wobei sich die Tänzer gegenseitig an ledernen, wurstförmig gebildeten Ringen hielten.
Nach und nach wurden die Masken, Tänze und Aufzüge
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_148.jpg&oldid=- (Version vom 14.10.2021)