Russlands Sat-Spionage im Visier der NSA
Von Erich Moechel
Die Vorgänge auf dem Dach der russischen UN-Botschaft in Wien Donaustadt geschehen nicht unbeobachtet. Von der amerikanischen UN-Vertretung in den obersten Stockwerken des EY-Towers besteht nämlich direkte Sicht auf den gesamten russischen Antennenpark. Das haben Messungen mit dem Geoinformationssystem der Stadt Wien ergeben.
Wie in jeder wichtigen US-Botschaft ist dort der „Special Collection Service“ (NSA/SCS) stationiert, der zur NSA gehört. Der SCS betreibt auch die verdeckten Richtfunkantennen zur lokalen „Nachrichtenaufklärung“ in einem ominösen Hüttchen auf dem Dach der US-Botschaft. Ein Video, das ORF.at zugespielt wurde, zeigt auf der russischen Vertretung ein nachgerade baugleiches Gegenstück.
Von Nachahmungen dieses Stunts wird dringend abgeraten, weil das in diesem Fall gleich mehrfach illegal und dementsprechend strafbewehrt ist. Das Video wie auch sämtliche Fotos in diesem Artikel können mit Zitat der Quelle und Hinweis auf die Lizenz CC BY-SA 3.0 frei verwendet werden.
Staterooms mit guter Aussicht
Seit 2014 ist bekannt, dass es sich bei den Dachaufbauten auf den Botschaften der USA und Großbritanniens um Knoten eines Netzes zur Mobilfunküberwachung in Wien
Von der US-Vertetung in den obersten drei oder vier Etagen des Ernst&Young-Towers in mehr als 130 Metern Höhe ist das Dach der russischen Botschaft in etwa aus demselben Blickwinkel wie auf dem Coverfoto einzusehen. Die Distanz beträgt 3,8 Kilometer Luftlinie. NSA/SCS hat aber nicht nur über Teleobjektive mit langen Brennweiten alle Vorgänge auf dem Dach der russischen Vertretung im Blick. Hinter den Glasfasermatten der ansonsten aus Plastik oder Holz konstruierten Hüttchen steht eine Reihe kleinerer Richtfunkantennen, die getarnt sind, weil sich ihre Ziele nicht am Satellitenhimmel sondern irgendwo in der Stadt befinden.
In den NSA-Dokumenten aus dem Fundus Edward Snowdens werden diese Hüttchen als „Staterooms“ bezeichnet. Dieser Begriff stammt aus der Seefahrt und bezeichnet Räumlichkeiten in Aufbauten über der Brücke mit Panoramablick. Die gängigste Hypothese zu diesen Set-Ups ist, dass mit den Richtantennen Metadaten von den „Area Controllern“ der Mobilfunknetze abgegriffen werden. Bei diesen Stationen wird nämlich laufend eingemeldet, welches Mobiltelfon gerade neu in welcher Funkzelle eingeloggt ist. Das war der Wissenstand im Jahr 2014, es ist allerdings fraglich, wie weit diese Art von Überwachung im 5G-Zeitalter überhaupt noch funktioniert.
Nomen Nescio/FM4
Spion gegen Spion in Wien Donaustadt
Auf dem Gebäuderund in Wien 22 drängen sich mehr als ein Dutzend Spiegel unterschiedlicher Größen, die auf alle möglichen Sat-Positionen zielen.
In diesem Fall dürfte jedenfalls klar sein, wohin ein Teil dieser Antennen, die sich da über der US-Vertretung auf etwa 15 Quadratmetern Grundfläche drängen, gerichtet ist. Russlands Hütte ist wiederum genau in Richtung ihres US-Gegenstücks positioniert. Das Equipment hinter den Glasfasermatten sollte also durchaus ähnlich sein, nämlich kleine Richtfunkschüsseln, die Datenströme von anderen Funkdiensten abgreifen. Offenbar sind beide Stationen hinter Abstrahlungen her, die Rückschlüsse auf das Funk-Equipment der jeweils anderen Seite erlauben.
Bekannt ist jedenfalls, dass von der US-Seite innerhalb des Towers immer dann massive, äußerst breitbandige Funkstörungen ausgingen, die den Mobilfunkempfang in den Stockwerken darunter lahmlegten, wenn in der Botschaft hochrangige Beamte oder Politiker zu Besuch waren. Die USA verfügen seit dem Krieg gegen Saddam Hussein 2003 über ein ganzes Arsenal solch breitbandiger Funkjammer, die im Irak gegen ferngezündete Bomben eingesetzt wurden.
Nomen Nescio/FM4
Recherche wurde nun bestätigt
Alle bisher identifizierten Komponenten der vier großen Dishes stammen entweder von der kanadischen Norsat oder von Swedish Microwave.
Swedish Microwave (SMW) hat eine Anfrage von ORF.at mittlerweile beantwortet und dabei bestätigt, dass es sich beim Empfangsequipment eines dieser Dishes um SMW-Komponenten handelt. Es handle sich dabei um ein System für das Ku-Band mit den dazu passenden Blockkonvertern, heißt es in dem Schreiben. Im Ku-Band senden die weitaus meisten TV-Satelliten für Europa, deren Datentransponder arbeiten ebenfalls großteils in diesem Band.
Das russische Außenministerium gehöre allerdings nicht zu den Kunden von SMW, so das Unternehmen weiter und verwies auf die Sanktionen. Das kann nur heißen, dass diese Teile von einem Reseller geliefert wurden, was in dieser Branche absolut üblich ist. Von der Firma Norsat, deren Komponenten sich gleich auf drei Antennen finden, steht eine Stellungnahme bis jetzt noch aus.
Nomen Nescio / Radio FM4
Gelebte Neutralität, auf österreichische Art
Mitten im Weichbild von Wien Aspern steht eine ausgewachsene Überwachungsstation, über die Russland Datenströme von Transpondern westlicher Satelliten abgreift. Einige wenige der Dishes auf dem Rund der russischen UN-Botschaft in der Erzherzog-Karl-Straße 182 dienen mit großer Sicherheit als Bodenstation für eigene Spionagesatelliten. Von Wien Kaisermühlen aus wiederum überwacht die NSA über eine verdeckte Station zur elektronischen Nahfeld-Aufklärung das Treiben auf dem Dach der russischen Vertretung Tag und Nacht. Die NSA-Station wiederum wird von einer verdeckten Station zur elektronischen Nahfeld-SIGINT des russischen Auslandsgeheimdiensts Sluzhba Vneshney Razvedki (SVR) rund um die Uhr beobachtet.
Danmit hat Wien seinen zweifelhaften Ruf als europäische Spionagehauptstadt nicht nur souverän verteidigt sondern Österreich auch ein Alleinstellungsmerkmal beschert. Keine dreißig Kilometer donauabwärts bei Kittsee überwacht nämlich die NSA zusammen mit dem Heeresnachrichtenamt über die großen Dishes der Königswarte alle möglichen Satelliten von Interesse bis weit in den Nahen Osten. Österreich ist damit das einzige bisher bekannte Land der Welt, in dem die beiden verfeindeten Großmächte je eine große SIGINT-Station zur Satellitenüberwachung betreiben. Das ist gelebte Neutralität, auf Österreichisch halt.
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Publiziert am 27.11.2022