OPUS - Ryuichi Sakamoto (2023) (2024)

Während der 96. Oscar-Verleihung im März leuchtete das Gesicht von Komponist Ryūichi Sakamoto in Erinnerung auf der großen Leinwand. Sakamoto stirbt am 28. März 2023. Er war nicht nur Filmmusiker, sondern Pionier der Neo-Klassik, elektronischer Musik und Jazz. Musik geht bei ihm über Grenzen. Im Interview mit der „Zeit“ im Jahre 2009 sagte er unter anderem: „Techno könnte Klassik werden“. Der Film „Opus“ von Neo Sora ist nun ein letztes gemeinsames Herzensprojekt – welches umgesetzt werden musste, solange es gesundheitlich noch möglich war. „Fünf Dekaden, eine Performance“, Sakamoto spielt sich sein eigenes Requiem. In gleichförmigen Bildern performt er 20 von ihm ausgewählte Stücke in seinem liebsten Studio (NHK 509 in Tokyo). Kaum ein Notenblatt passt zwischen die einzelnen Darbietungen, außer einiger einsamer Zwischenmenschlichkeiten, die in Leerstellen sichtbar werden.

Die Landschaft der zeitgenössischen Filmmusik wird – außerhalb der vielen Namen, die kaum jemand kennt – von einigen Großen beherrscht. Da wären u.a. die stolprigen Walzer von Yann Tiersen, die herzzerreißenden Stücke von Ludovico Einaudi oder die Wall-of-Sound-Epen von Hans Zimmer. Versucht man die Musik von Sakamoto zu fassen, ist sie womöglich mit „Abenteuerlust“ am besten beschrieben.

Komplexe Harmonien, die aber nicht abschrecken, sondern in eine Tonwelt einladen, stetig anschwellend, ohne überzufallen. Kleine Melodien bauen sich auf, verschwinden wieder, nur um im Finale als Hymne zurückzukehren. Leidenschaft wäre wohl eine Untertreibung. Gleiches gilt für Sakamotos Performance. Die zurückhaltende Inszenierung räumt ihm die ganze Bühne ein – diese muss er nur mit seinem Flügel teilen.

Konzertfilme erleben momentan einen gewissen Aufschwung. Da wären die ausverkauften Kinosäle bei Künstler:innen wie Taylor Swift oder BTS. Selbiges stellt man bei etwaigen Eventveranstaltungen wie z.B. „Anime Nights“ in übergroßen Cineplex fest, während Kinos bei herkömmlichen Vorstellungen verhältnismäßig leer bleiben. Das Kino als Veranstaltungsort blüht auf. Umso interessanter waren die verdutzten Gesichter beim Film Festival Cologne, auf dem der Opus 2023 gezeigt wurde. Im Vorhinein tauschten sich noch einige Zuschauer:innen über ihre liebste musikalische Untermalung von Sakamoto aus. Alle, die den Klappentext des Films nicht gelesen hatten, machten sich bereit, einem informativen Dokumentarfilm – einem Nachruf – beizuwohnen. Entsprechend dicker und spannungsgeladener wurde die Luft mit jedem weiteren Stück, das angestimmt wurde; im luftleeren Raum ohne Worte. Für manche ist das reine Zuhören in kinematischer Form eine Herausforderung. Sonst überfordert uns das Kino mit seiner Gleichzeitigkeit, hier geschieht es anhand radikaler Konzentration. Zuhören. Einfach zuzuhören. Vielleicht gar nicht so einfach.

A24 brachte im Jahr 2023 den als „bestes Konzert aller Zeiten“ bezeichneten Film Stop Making Sense (1984) der Band Talking Heads zurück ins Kino. Ein Vergleich scheint jedoch zunächst völlig unangebracht. Doch rückt auch dieser Film die Musik als solche in den Fokus. „Ohne die üblichen Zwischenschnitte aufs jubelnde Publikum, ohne störende Backstage-Streiflichter und langweilige Musiker-Interviews, hält er in Bild und Ton brillant fest, was auf der Bühne passiert“, schrieb Der Spiegel 1984. Diese Worte würde ich gerne auf OPUS übertragen.

Ein weiteres zeitgenössisches Beispiel findet sich in This Much I Know to Be True (2022) von Andrew Dominik. Dieser fängt das neueste Album der Musiker Nick Cave und Warren Ellis ein und ist das absolute Gegenstück des puristischen Requiems Opus. Die Kamera kreist, Schnitte folgen dem Takt. Die Punk-Kammermusik von Nick Cave ist im Stil des Films abgebildet. Dementgegen ist Opus ein stiller Raum und reiner Resonanzkörper der Musik, welche das Publikum selbst in ihrem Tempo begehen kann.

Grenzen zwischen Handwerk und Kunst verschwimmen bei Filmmusik. Thom Yorke, der Frontmann der Rockband Radiohead, welcher den Soundtrack der Neuinterpretierung von Suspiria (2018) von Luca Guadagnino komponierte, beschrieb in einem Interview mit der BBC, wie erfrischend es war, lediglich fremde Ideen umzusetzen. Ähnliche Kommentare kennt man von Sakamoto. Doch nun sind wir hier. Sakamotos Stücke, die er einst für andere geschrieben hat, werden wieder seine eigenen. Die Aura eines Kunstwerkes, welches bald im Alter unumkehrbar verloren gehen wird, formuliert den Film als ein Gegenmittel des Vergessens.

Der Film ist keine Selbstbefragung, sondern dokumentierte Erinnerung, eine Reise, auf die uns Regisseur und Komponist mitnehmen möchten. Fairerweise sollte gesagt sein: Kann man mit der Musik von Sakamoto überhaupt nichts anfangen, werden die 103 Minuten zäh. Aber kleine Zeichen von Zweifel, Zufriedenheit und paradox-angestrengter Gelassenheit, in den Gesichtszügen des Japaners, könnten selbst diejenigen gewinnen.

Opus wohnt etwas Sonderbares inne. Ein Genre, das sonst entweder kaum Aufmerksamkeit findet (Übertragung klassischer Konzerte im Kino bspw. werden nur mäßig besucht) oder zum absoluten Spektakel kulminiert, hält sich in Opus eine liminale Wage. Die Treue zur Form als Ausdauerakt und der Wunsch ans Erinnern lässt einen jedoch keineswegs abschweifen oder gar die Augen zufallen. Der Film gibt seinem Publikum ein Klavier, einen Komponisten und 20 Stücke. Jede Note zählt.

Im Kino ist zurzeit außerdem Sakamotos letzte Filmmusik in Die Unschuld (Monster) von Hirokazu Koreeda zuhören. Auch dort tänzelt er ein letztes Mal zwischen Mustern und Brüchen, reduziert über die Tasten.

OPUS - Ryuichi Sakamoto (2023) (2024)
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Author: The Hon. Margery Christiansen

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