Zagreb/Sarajevo – Aus dem Marschall-Tito-Platz wird nun der Platz der Republik. Der Name der Grünflächen vor dem Nationaltheater in Zagreb, das von den Österreichern Ferdinand Fellner und Hermann Helmer gebaut wurde, ist seit Monaten Stoff für Kontroversen. Vor wenigen Tagen hat die Stadtregierung mit 29 Stimmen und 20 Gegenstimmen beschlossen, den Namen des ehemaligen Staatschefs Jugoslawiens aus dem Zentrum der kroatischen Hauptstadt zu entfernen – obwohl Tito sicherlich der berühmteste Kroate ist.
Der Wunsch kam von einer extrem rechten Partei, die vom früheren Kulturminister Zlatko Hasanbegović mitgegründet wurde. Milan Bandić – seit dem Jahr 2000 Bürgermeister von Zagreb – brauchte die neue Kleinpartei, um eine Mehrheit im Stadtparlament zu haben. Dem gewieften Bandić waren Ideologien schon immer egal – ihm geht es um den Machterhalt, und für die Leute rund um Hasanbegović stand Symbolpolitik im Vordergrund. Die Umbenennung des Tito-Platzes war die Bedingung, Bandić zu unterstützen.
In Kroatien führt die Debatte über die historische Rolle Titos regelmäßig zu Gefühlsausbrüchen und heftigen politischen Auseinandersetzungen bei seinen Anhängern und Gegnern. Für Hasanbegović ist Tito nichts anderes als ein totalitärer Führer, der nach dem Zweiten Weltkrieg Verbrechen anordnete und Menschenrechte missachtete. Für seine Anhänger in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien ist der Antifaschismus, den Tito personifiziert, die einzige positive Ideologie, die Tradition hat und mit der man sich identifiziert, wenn man sich vom dominanten völkischen Nationalismus distanzieren will.
Reaktion auf Nationalismus
Die Südosteuropa-Historikerin Marie-Janine Calic schreibt dazu: "Jugo-Nostalgie" und "Tito-Nostalgie" seien auch als bewusste Reaktion auf den neuen Nationalismus in den Nachfolgestaaten zu begreifen, dem keineswegs alle Menschen anhängen. Gerade für junge Menschen, die Kinder waren, als Jugoslawien zerfiel, ist angesichts der trostlosen und perspektivlosen Gegenwart in vielen Staaten Ex-Jugoslawiens die Flucht in eine idealisierte Vergangenheit auch mit Hoffnung verbunden und mit der Möglichkeit, wenigstens auf irgendetwas stolz sein zu können.
In einem Forschungsprojekt namens "Finding Tito", das kürzlich durchgeführt wurde, fand Giorgio Comai von der Dublin City University heraus, dass die Benennung von Straßen und Plätzen nach Tito in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens heute recht unterschiedlich verteilt ist. Die meisten, nämlich 173, gibt es in Serbien – vor allem in der Vojvodina –, gefolgt von Kroatien (38), Mazedonien (36), Bosnien-Herzegowina (23), Slowenien (5) und Montenegro (4). Im Kosovo gibt es nicht einmal mehr eine Gasse, die nach dem Marschall benannt ist. Dafür gibt es in Sizilien, Sardinien, aber auch in São Paulo, Neu-Delhi und Moskau Straßen, die den Namen des erfolgreichen Marschalls tragen.
Kosovo-Befreiungsarmee heroisiert
Im ehemaligen Jugoslawien wurden ab den 1990er-Jahren – Tito starb 1980 – viele Straßen, die vorher die Namen von Antifaschisten getragen hatten, umbenannt, etwa 3.000 antifaschistische Denkmäler wurden zerstört oder entfernt. Vor allem im Kosovo werden derzeit überall die Straßen neu benannt – jede Verbindung zum früheren Jugoslawien soll symbolisch verschwinden. Im Gegenzug dazu werden die Kämpfer der Kosovo-Befreiungsarmee im gesamten Land mit Straßennamen oder Denkmälern heroisiert.
In Kroatien ist die unterschiedliche Erinnerung an Jugoslawien ein politisches Dauerthema, obwohl die Instrumentalisierung der Vergangenheit natürlich keines der aktuellen Probleme löst – etwa die Arbeitslosigkeit. Während die politische Rechte jegliches Erbe von Jugoslawien ablehnt, ist die ehemalige Sozialistische Föderative Republik für Linke eine Art Reservoir für ihre Identität. Die Rechte betreibt vor allem in Kroatien Revisionismus, indem etwa der NDH-Staat unter den faschistischen Ustascha glorifiziert wird, die Verbrechen verharmlost oder verleugnet werden und eine Kontinuität zwischen dem NDH-Staat und dem heutigen Kroatien in den Raum gestellt wird.
In jüngster Zeit sorgte wieder der Ustascha-Spruch "Za dom spremni" – Für das Vaterland bereit – für Aufregung, der vergangenen November auf einer Gedenkplatte ausgerechnet nahe dem Vernichtungslager der Ustascha in Jasenovac im Rahmen eines Wappens eingraviert worden war. Die Gedenkplatte, die eigentlich elf Soldaten ehren sollte, die im Kroatienkrieg (1991–1995) getötet worden waren, wurde nun entfernt. Doch auch das ist nur geschehen, weil die liberale Partei HNS, die kürzlich in die Regierung eingetreten ist, das zu einer Koalitionsbedingung gemacht hatte. Auch die Partei, die die serbische Minderheit in Kroatien vertritt, setzte sich dafür ein.
Nochmaliger Angriff
Die Verteidigungskräfte von Kroatien, genannt HOS, bedienten sich bereits in den extrem nationalistischen 1990er-Jahren des alten Ustascha-Spruchs. Für viele Menschen auf dem Balkan ist "Za dom spremni" aber eine Art Wiederbetätigung, haben doch die Ustascha allein in Jasenovac 83.000 Serben, Juden, Roma und Antifaschisten ermordet. Sie sehen in der Gedenktafel einen nochmaligen Angriff auf die Opfer. Völkisch-nationalistische Kroaten sehen sich hingegen in der Tradition der Ustascha. Die Ambivalenz im Umgang mit der Vergangenheit ist – ähnlich wie in Kärnten – an der politischen Reaktion zu sehen. Die Gedenktafel für die HOS-Kämpfer wurde nun nicht ganz zerstört – sondern nur ein paar Kilometer weiter nach Novska verlegt.
Der Spruch "Für das Vaterland bereit" ist in Kroatien nicht verboten. Premier Andrej Plenković – der den extrem rechten Flügel in der Partei ausgebremst hat – will aber nun ein Gesetz in Gang bringen, das den Umgang mit Symbolen totalitärer Systeme klären soll. Es ist zu erwarten, dass es dabei nicht nur um Symbole von Faschisten geht – sondern auch von Kommunisten.
Revisionismus nimmt zu
Der Journalist Sven Milekić verweist darauf, dass in Kroatien der Revisionismus – ähnlich wie in der Ukraine, in der Slowakei und in Polen – in den letzten Jahren zugenommen hat. "Es werden aus der Ustascha-Geschichte die Rosinen herausgepickt, und das geht Hand in Hand mit heutigem Nationalismus", sagt Milekić zum STANDARD. In Kroatien und in der Slowakei habe der Revisionismus die stärkste Verbindung zur katholischen Kirche. So wird etwa die jährliche Gedenkveranstaltung für die Massaker der Jugoslawischen Volksarmee im Jahr 1945 in Bleiburg, die Rechtsextreme anzieht, von der Kirche mitorganisiert.
Den Revisionisten geht es vor allem darum, die Massenverbrechen der Ustascha zu verharmlosen, indem sie sie mit anderen Verbrechen aufrechnen. Vor zwei Jahren wurde ein revisionistischer Film über Jasenovac, der vor allem antiserbisch war, vom damaligen Kulturminister Zlatko Hasanbegović gelobt. Derselbe Film wurde in einer Schule in Sisak im Religionsunterricht gezeigt. Anhänger der Ustascha findet man heute nicht nur in Kroatien, sondern auch in der benachbarten Herzegowina. (Adelheid Wölfl, 12.9.2017)