Bleibt AstraZeneca in den Regalen liegen? In Deutschland häufen sich die Berichte über eine schwindende Akzeptanz des Impfstoffes. Experten halten die Bedenken jedoch für unbegründet.
Die Vergabe des Impfstoffes des Herstellers AstraZeneca läuft in Deutschland bislang schleppend an. Das Gesundheitsministerium von Nordrhein-Westfalen habe „einzelne Hinweise“ erhalten, wonach „die Impfbereitschaft mit Blick auf AstraZeneca bislang tendenziell verhalten“ ausfalle, sagte eine Sprecherin dem „Spiegel“. Man betrachte diese Entwicklung „mit Sorge“.
„Ja, bei uns wurden Termine abgesagt, Leute sind nicht gekommen“, sagte eine Sprecherin des Kreises Paderborn. Grund sei offensichtlich Skepsis wegen des Impfstoffes. Absagen gab es nach einem Bericht der „Siegener Zeitung“ auch im Impfzentrum Siegen-Wittgenstein, wo Menschen über Impfreaktionen wie Abgeschlagenheit, Fieber oder Gliederschmerzen geklagt hätten. Die „Westfälischen Nachrichten“ berichteten am Mittwoch, dass in Münster etwa 30 Prozent der für die Impfung vorgesehenen Rettungsdienstmitarbeiter und ambulanten Pflegerinnen und Pfleger ihre Termine in der vergangenen Woche nicht wahrgenommen haben.
Im Saarland kritisierte Landesgesundheitsministerin Monika Bachmann (CDU), dass am Wochenende bei einer „Sonderimpfung im medizinischen“ Bereich 54 Prozent von 200 zur Impfung angemeldeten Personen nicht erschienen seien, ohne den Termin abzusagen. In Schleswig-Holstein seien „vereinzelte Absagen zu beobachten“, sagte eine Sprecherin des Landesgesundheitsministeriums zur „Bild“-Zeitung. Es gebe „einige Vorbehalte zum Impfstoff AstraZeneca“.
Nicht einmal 1000 Dosen
In Berlin sind bis Dienstagabend nicht einmal 1000 Impfdosen von AstraZeneca verimpft worden, obwohl 30.000 Dosen bereitstehen. „Wir würden gerne sehr viel mehr Menschen impfen“, sagte eine Mitarbeiterin des Impfzentrums Tegel der RBB-Abendschau. In der Hauptstadt dürfen die Menschen wählen, welchen Impfstoff sie verabreicht bekommen wollen – der von AstraZeneca scheint beim medizinischen Personal nur wenig nachgefragt.
Die Senatsverwaltung für Gesundheit sieht jedoch bislang keine spürbare Ablehnung des Impfstoffs. Die Vergabe laufe aber etwas langsamer an, sagte Sprecher Moritz Quiske am Mittwoch. In den Krankenhäusern werde das Personal geimpft. Da die Nebenwirkungen bekanntermaßen etwas stärker seien, werde meist etappenweise gespritzt, um dem Personal einen Tag Erholung zu gönnen.
Spahn: Astrazeneca ist „sicher und wirksam“
Der Virologe Christian Drosten hält grundsätzliche Bedenken gegen den AstraZeneca-Impfstoff für unbegründet und ist für einen breiten Einsatz des Präparats. Er sehe keine Veranlassung, das Vakzin aus schwedisch-britischer Produktion in Deutschland nicht zu spritzen, sagte der Charité-Virologe im Podcast „Coronavirus-Update“ vom Dienstag bei NDR-Info. Wenn er sich die öffentliche Diskussion um diesen Impfstoff anschaue, habe er den Eindruck, dass vieles falsch verstanden worden sei.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) unterstrich, dass der Impfstoff von AstraZeneca sicher sei. Er selbst würde sich impfen lassen, sagte er dem TV-Sender RTL. „Ausdrücklich auch mit AstraZeneca. Das ist ein sicherer und wirksamer Impfstoff“, unterstrich er.
Fieber und starke Schmerzen
Der Impfstoff von AstraZeneca hat eine geringere Wirksamkeit als die beiden anderen in Deutschland zugelassenen Vakzine von Biontech/Pfizer und Moderna. Kürzlich wurde zudem bekannt, dass das AstraZeneca-Präparat bei einer zunächst in Südafrika entdeckten Variante wohl weniger vor milden und schweren Verläufen von Covid-19 schützt. Drosten sieht bei der Studie jedoch einige Einschränkungen.
Gleichzeitig gibt es Hinweise darauf, dass die Nebenwirkungen bei AstraZeneca stärker ausfallen als bei anderen Präparaten. In einem Hamburger Klinikum klagten Pfleger über Schmerzen und starkes Fieber. Beim Dortmunder Rettungsdienst hatte sich ein Viertel der Beschäftigten nach der Impfung krankgemeldet. In mehreren Krankenhäusern in Niedersachsen war die Impfung mit AstraZeneca wegen der starken Nebenwirkungen am Dienstag vorübergehend gestoppt worden. Der Impfstoff ist in Deutschland nur für Menschen unter 65 Jahre zugelassen.
„Es gibt immer ein Haar in der Suppe“
Drosten sagte hingegen: „Wir müssen alles dransetzen, jetzt so schnell wie möglich in der Breite zu impfen.“ Die verfügbaren Impfstoffe seien extrem gut gegenüber dem, was man erwarten konnte. „Es gibt immer irgendwo ein Haar in der Suppe, und manche schauen da mit dem Vergrößerungsglas drauf.“ Die Sprecherin des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums betonte gegenüber dem „Spiegel“, Nebenwirkungen seien ein Zeichen dafür, dass der Impfstoff funktioniere, indem er die gewünschte Gegenreaktion des Körpers auslöse.
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte der „Rheinischen Post“ (Mittwoch): „Alle Impfstoffe haben ein reguläres Zulassungsverfahren durchlaufen und sind hochwirksam.“ Für die nächsten Monate bleibe absehbar, dass nicht ausreichend Impfstoffe zur Verfügung stünden. „Deshalb muss priorisiert werden. Solange das so ist, kann es keine Wahlmöglichkeiten geben.“
Noch kein Zeitplan für Kinder
Für die Impfung von Kindern und Jugendlichen gibt es indes noch keinen Zeitplan. „Wann bei Covid-19-Impfstoffen mit einer Zulassungserweiterung in der Europäischen Union für die Anwendung bei Kindern und Jugendlichen zu rechnen ist, ist derzeit noch nicht absehbar“, antwortete das Gesundheitsministerium auf eine schriftliche Frage des FDP-Bundestagsabgeordneten Stephan Thomae.
In der Antwort, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, heißt es weiter: „Klinische Prüfungen mit zugelassenen Covid-19-Impfstoffen, die Kinder und Jugendliche einschließen, haben nach den Eintragungen im Studienregister in den USA teilweise begonnen oder sind in Kürze geplant.“
FDP-Fraktionsvize Thomae kritisierte: „Wenn die Bundesregierung verspricht, dass allen Menschen bis Ende des Sommers ein Impfangebot gemacht wird, schließt das Kinder und Jugendliche offenbar nicht mit ein.“ Ein Impfstoff für die Jüngsten wäre aber wünschenswert. Vor allem Familien mit vorerkrankten Kindern müsse eine Perspektive geboten werden für eine Rückkehr dieser Kinder in Kitas und Schulen.