30 Jahre Sega Saturn: Als Sega an Nintendo vorbeiziehen wollte

Vor 30 Jahren, am 22. November 1994, erscheint in Japan die Spielkonsole Saturn. Sega will damit an Nintendo vorbeiziehen – doch es kommt alles anders.

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FĂŒr die Konsole erscheint allerlei Zubehör, auch ein Lenkrad (links im Bild).

(Bild: RenĂ© Meyer)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • RenĂ© Meyer
Inhaltsverzeichnis

Das Mega Drive von Sega und das Super Nintendo liefern sich in den frĂŒhen 1990-er Jahren ein Rennen Kopf an Kopf. Im Heimatland Japan hat Nintendo die Nase vorn, aber in Europa und in den USA ist das Mega Drive stark. Mit zwei kombinierbaren AufsĂ€tzen will Sega USA die Konsole (die dort Genesis heißt) lĂ€nger am Leben halten: mit einem CD-Laufwerk namens Sega CD und dem 32X, das mehr Power, mehr Farben und mehr Sound bietet. Sega Japan drĂ€ngt hingegen auf einen Nachfolger, um einen Vorsprung vor Nintendo zu haben: Dessen Nintendo 64 kommt erst im Juni 1996. Am Ende macht man beides: Das Mega Drive wird aufgerĂŒstet; und gleichzeitig erscheint sein Nachfolger Saturn.

Es ist eine aufregende Zeit. Wenige Tage nach dem Saturn bringt Sony die PlayStation auf den Markt. Die beiden 32-Bit-Konsolen stellen alles auf den Kopf. Statt 2D nun 3D. Statt Cartridges nun CD-ROMs. Hierzulande kann man zunĂ€chst nur aus der Ferne mitfiebern: Beide GerĂ€te sollen erst ein Jahr spĂ€ter nach Europa kommen. Neuigkeiten erfĂ€hrt man noch nicht aus dem Newsticker oder von YouTube, sondern aus monatlichen Zeitschriften. Immerhin kann man sich bereits elektronisch austauschen, ĂŒber Mailboxen, FidoNet, Usenet oder, ganz schick, ĂŒber Compuserve. Screenshots gibt es darĂŒber auch; und mit GlĂŒck hat der HĂ€ndler eine VHS-Kassette mit bewegten Bildern erhalten.

Viele Spiele fĂŒr den Saturn sind von Sega selbst und basieren auf erfolgreichen Arcade-Versionen. Unter den Titeln, die damals die Konsole prĂ€gen und heute als Klassiker gelten, sind sicher diese:

  • "Virtua Fighter": Der Spielautomaten-Erfolg ist einer der Starttitel des Saturn. Statt 2D wie etwa bei "Street Fighter" zuvor gibt es bei dem PrĂŒgelspiel 3D-Modelle aus farbigen Polygonen. Der Nachfolger ein Jahr spĂ€ter setzt auf Texturen auf den Modellen und auf Motion Capturing.
  • "Saturn Bomberman": Gilt als eine der besten Umsetzungen der Serie. Bis zu 10 Spieler treten gegeneinander vor einem Bildschirm an. Möglich machen es Multitaps, Adapter, ĂŒber die an beide Controller-AnschlĂŒsse je sechs Gamepads eingestöpselt werden können.
  • "Nights into Dreams": Das kunterbunte Jump'n'Run-Spiel vom Sonic-Team könnte als "Sonic" durchgehen. Es ist auch im Bundle mit einem Analog-Controller erhĂ€ltlich.
  • "Tomb Raider": Lara Croft erlebt ihre ersten Abenteuer 
 auf dem Saturn: Entwickler Core Design ist eng mit Sega verbunden und entwickelt zuvor u.a. Exklusiv-Spiele fĂŒr das Sega CD. Die Versionen fĂŒr DOS und PlayStation kommen erst mehrere Wochen spĂ€ter.
  • "Daytona USA": Ein Arcade-Rennspiel, basierend auf dem beliebten Spielhallen-Titel.
  • "Sega Rally Championship": Wiederum eine Automaten-Umsetzung. Eines der ersten Rally-Spiele und eines, das je nach OberflĂ€che unterschiedliches Fahrverhalten simuliert.
  • "Sonic Jam": Eine Zusammenstellung der Sonic-Spiele des Mega Drive, eingebettet in eine dreidimensionale Lobby. Noch nicht das Sonic 3D, das man sich erhofft.
  • "Panzer Dragoon": Ein flotter Rail Shooter (bei der man sich wie auf einer Schiene durch die Level bewegt) mit 3D-Echtzeitberechnung.
  • "Radiant Silvergun" von Treasure: Ein Shoot'em-up fĂŒr die Spielhalle, das nur in Japan erscheint, aber international ein Geheimtipp wird.
  • "Shining the Holy Ark": FĂŒr seine Rollenspiele ist der Saturn weniger berĂŒhmt; aber es gibt sie; wie den Nachfolger des Mega-Drive-Spiels "Shining in the Darkness", Teil der langlebigen Shining-Reihe.

FĂŒr den Saturn erscheint außerdem allerlei Zubehör wie LenkrĂ€der sowie ein Modem, Tastatur und Maus zum Surfen im Web und fĂŒr einige Onlinespiele.

Am Anfang gibt es nur fĂŒnf Spiele, aber der Auftakt in Japan verlĂ€uft gut. Bis Jahresende 1994 kann Sega 500.000 Konsolen absetzen; Sony nur 300.000. Sega hat Sony mit seiner PlayStation zunĂ€chst noch nicht im Blick, so heißt es. Sie ist nur einer von mehreren Konkurrenten, neben dem 3DO, dem CD-i und anderen CD-basierten Konsolen. Aber dafĂŒr startet sie unerwartet stark. Und der eigentliche Wettbewerber Nintendo soll ja noch kommen.

Sega und Sony wollen mit ihren 32-Bit-Maschinen den (im Vergleich zu Japan grĂ¶ĂŸeren) US-Markt im September 1995 betreten. Um einen Vorsprung vor Sony zu erzielen, kĂŒndigt Sega ĂŒberraschend auf der (ersten) E3 im Juni 1995 ein sofortiges Erscheinen der Konsole an, fĂŒr 399 Dollar. Im Nachhinein sicher ein Fehler, denn weder gibt es ein attraktives Angebot an Spielen, noch sind die HĂ€ndler darauf vorbereitet – und sie reagieren verschnupft.

Und Sony nimmt nur eine Stunde spĂ€ter Sega den Wind aus den Segeln, mit nur einem einzigen Wort: "299". Eine Sternstunde des Marketings. US-Chef Steve Race wird fĂŒr eine "kurze PrĂ€sentation" nach vorn gebeten, sagt nur dieses Wort und geht wieder. "299". 100 Dollar weniger als Sega. Nintendo stellt auf der E3 1995 ĂŒbrigens – nur – den Virtual Boy vor.

Nach Deutschland kommt der Saturn am 8. Juli 1995 zu einem Preis von 750 Mark. Am 29. September folgt die PlayStation – fĂŒr 599 Mark.

Als eine Art Heim-Version der in Japan so beliebten Automaten-Spiele lĂ€uft der Saturn gut in Japan, ĂŒberholt die VerkĂ€ufe des Mega Drive und gilt rĂŒckblickend als erfolgreichste Sega-Konsole in Japan. Doch international gerĂ€t der Saturn zum Flop. Die PlayStation verkauft sich am Ende zehnmal so oft (und das Nintendo 64 dreimal so oft).

Es ist nicht nur der höhere Preis. Es kommt vieles zusammen, das den Erfolg des Saturn verhindert, darunter die verwirrende Alternative aus Mega Drive mit Sega CD und 32X.

  • Die Konsole ist technisch potent, aber statt eines starken und schnellen Prozessors gibt es gleich zwei RISC-Chips von Hitachi. Und allerlei Nebenprozessoren. Entwickler tun sich schwer, die Leistung auszunutzen, vor allem beide Prozessoren parallel anzusteuern, zumal es am Anfang an einem vernĂŒnftigen Entwickler-Kit mangelt und Spiele in Assembler entwickelt werden mĂŒssen.
  • Dadurch bekommt der Saturn das Image einer vor allem fĂŒr 2D gedachten Konsole, wĂ€hrend die PlayStation fortschrittlicher wirkt.
  • Sony fĂ€hrt eine gewaltige Marketing-Kampagne auf, um seine erste Konsole einzufĂŒhren. Auch wenn der Hersteller bisher nur wenig mit Spielen am Hut hat, kennt doch jeder den Namen des Walkman-Erfinders.
  • Sony sichert sich die UnterstĂŒtzung zahlloser Entwickler, in Japan etwa Namco (des schĂ€rfsten Mitbewerbers von Sega bei Arcade-Automaten) und Square, die mit "Final Fantasy VII" Nintendo untreu werden.

Als 1996 noch das Nintendo 64 kommt, zieht Sega die Notbremse und konzentriert sich auf einen Nachfolger: Dreamcast erscheint nur vier Jahre nach dem Saturn, 1998. Eine Reihe von Projekten, die fĂŒr den Saturn begonnen werden, kommt erst fĂŒr Dreamcast. Es ist einer der GrĂŒnde, weshalb es kein vernĂŒnftiges Sonic-Spiel fĂŒr den Saturn gibt. Auch wenn sich der Saturn etwas besser verkauft als Dreamcast, dĂŒrfte er rĂŒckblickend die am wenigsten bekannte Konsole von Sega sein. Doch sie begleitet bis heute eine treue Fan-Gemeinde. Beliebte Anlaufstelle ist das Projekt SHIRO! mit Website, Podcast und sogar einem Print-Magazin.

(mki)