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Der Chiemsee –das „große Wasser“

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Den See, an dem sie lebten, nannten die früheren Anwohner in ihrer Sprache *Cheuma – was so viel bedeutete wie ‚großes Wasser‘. Der heutige Name lautet ‚Chiemsee‘. berger (3) / Pültz (3)
Den See, an dem sie lebten, nannten die früheren Anwohner in ihrer Sprache *Cheuma – was so viel bedeutete wie ‚großes Wasser‘. Der heutige Name lautet ‚Chiemsee‘. berger (3) / Pültz (3) © OVB

Prien – Obwohl das Land um den Chiemsee schon sehr früh von Kelten und Römern, wenn nicht gar von Illyrern besiedelt war, tragen viele Orte um den See deutsche Namen wie Grabenstätt oder Übersee und Feldwies, Breitbrunn und Gstadt oder Seebruck. Dieser Name wurde sehr oberflächlich als Ort der Gottheit Bedaius erklärt.

Für den letztgenannten Ort ist jedoch der frühere Name Bedakon, latinisiert Bedaium, aus keltischer Zeit bekannt.

Dieser vermeintlich keltische Gott ist aber allein in der Umgebung von Bedaium (Seebruck) selbst und erst in römischer Zeit auf ein paar Weihesteinen bezeugt. So wie heute viele Namenforscher gerne Personennamen, die sonst nicht belegt sind, aus Ortsnamen erschließen und dann wiederum diese Ortsnamen an Hand des daraus erschlossenen Personennamens erklären, haben offensichtlich schon die Römer diesen Zirkelschluss angewendet und aus dem keltischen Ortsnamen Bedaium den Gott Bedaius erschlossen, der wohl deshalb nur in der Umgebung von Seebruck auf Weihesteinen genannt wird. Mithilfe des erschlossenen Namens dieser vermeintlichen Gottheit wurde dann wieder der Ortsname gedeutet.

Der Name Bedakon oder latinisiert dann Bedaium dürfte aber vielmehr auf gallisch bedo ‚Kanal‘ oder ‚Graben‘ zurückgehen. Zusammen mit der keltischen Endung für Ortsangaben -akon beziehungsweise der lateinischen -aium bezeichnet der Name die Ansiedlung am Graben der Alz. Interessanterweise heißt heute noch der Ortsteil von Seebruck östlich der Alz Graben. Hier kann durchaus eine spätere Übersetzung des alten keltischen Ortsnamens vorliegen.

Lacus Bedaius in römischer Zeit

Den See, an dem der Ort Bedaium lag, nannten die Römer Lacus Bedaius, nach der von ihnen erschlossenen Gottheit. Aber wie der vermeintliche Gott offensichtlich nur in römischer Zeit auf sehr engem Raum verehrt wurde, war auch dem römischen Namen des Sees keine Fortdauer beschieden. Der heutige Name Chiemsee wird meistens aufgrund der ältesten überlieferten Belege Chieminsaeo oder Chiemincseo als See bei Chieming erklärt. Tatsächlich ist es so, dass Seen häufig von Auswärtigen nach einem markanten Ort an ihrem Ufer benannt werden, während sie bei den Einheimischen meist keinen Namen haben, sondern einfach der See genannt werden. Es gibt aber auch Seen, die nicht nach Orten an ihrem Ufer, sondern aufgrund ihrer Eigenart Namen erhalten haben. Dazu zählen die Müritz in Mecklenburg, die aufgrund ihrer Größe den anderen Seen dort gegenüber slawisch morcze  ‘kleines Meer‘ genannt wurde, und der Balaton (Plattensee) in Ungarn, der auf ein slawisches blatna oder blato zurückgeht, das etwa ‚sumpfiges Gebiet‘ heißt, womit der frühere Name der Römer Pelso (zu lateinisch palus ‚Sumpf‘) praktisch als Übersetzung weitergeführt wurde.

Bei einem derart großen Gewässer wie dem Chiemsee ist ebenfalls anzunehmen, dass er schon lange vor der Entstehung des Ortes Chieming von der damaligen Bevölkerung mit einem Namen belegt wurde. Der ehemals römische Ort Bedaium, der auf eine frühere keltische Siedlung zurückgeht, zeigt, dass die Gegend um den Chiemsee schon vor langer Zeit besiedelt war. Und die früheren Anwohner, ob Kelten oder schon Illyrer, haben dem See mit Sicherheit einen Namen gegeben.

Wenn die ältesten schriftlichen Belege von Namen der heutigen sprachlichen Form bereits sehr ähnlich sind, ist die Dialektaussprache des Namens von besonderer Bedeutung, da sie oft ältere Formen beibehält und deshalb Rückschlüsse auf frühere Aussprachevarianten zulässt. In der deutschen Standardsprache wird der Name Chiemsee mit langem ī gesprochen. Die Dialektaussprache keamsǟ zeigt aber deutlich, dass er in der Mitte seines ersten Bestandteils keinen Langvokal ī, sondern den alten Diphthong (Zwielaut) ie aufweist, der vor n und m im Bairischen zu ea verändert wird (Riemen - reama). Dieser Diphthong ie kann entweder aus dem germanischen Langvokal ē oder über den althochdeutschen Diphthong io aus dem germanischen beziehungsweise indogermanischen eu hervorgegangen sein. Demnach könnte Chiem auf ein älteres illyrisches oder keltisches *kem oder chem beziehungsweise *keum oder cheum zurückgehen. Solche Formen sind zwar für das nur spärlich überlieferte Illyrische oder Keltische nicht belegt, es gibt aber das Griechische χεῡμα (cheuma) ‚Guss‘ oder ‚Fluss‘ aus indogermanisch ĝheu- ‚gießen‘. Da im Griechischen ein entsprechendes Wort belegt ist, darf auf Grund dessen räumlicher Nähe zum Illyrischen angenommen werden, dass der Name *Chem oder *Cheum aus dieser Sprache stammt und soviel wie ‚großes Wasser‘ bezeichnet hat. So wie der Chiemsee für die jetzige Bevölkerung an seinen Ufern einfach ‚der See‘ heißt, haben ihn die damaligen Anwohner schlicht ‚großes Wasser‘ in ihrer Sprache *Cheuma genannt. Aufgrund der oben genannten lautlichen Entwicklungen ist daraus dann Chiem entstanden, dem später das Attribut ‚See‘ angefügt wurde. Die heutige Aussprache kīmsē (im Dialekt keamsǟ) mit k im Anlaut ist eine spätere Entwicklung, wie auch Chemie, das ebenfalls von griechisch χημεία (chemeia) kommt, im süddeutschen Raum mit k am Wortanfang kemī gesprochen wird.

Für den Ort Chieming muss man demnach keinen *Chiemo als Namengeber erschließen. Vielmehr dürfte die Ansiedlung nach dem See benannt worden sein als Ort am oder an der Chiem, also am großen Wasser. Die Endung -ing bezeichnet nämlich nicht nur eine Zugehörigkeit, wie fälschlicherweise häufig behauptet wird, sondern sehr allgemein auch die Ähnlichkeit mit etwas wie der Berg Säuling, der einer Säule gleichkommt, oder die Lage an oder bei etwas wie der Ort Buching mit der Lage an einem Buchenwald.

Die Prien – „die Hervorsprudelnde“

Der bedeutendste Ort am Chiemsee ist wohl Prien. Der Name des Ortes geht zweifellos auf den gleichnamigen Fluss zurück, der durch ihn hindurchfließt. Selten aber ist der Name eines Gewässers derart fälschlich gedeutet worden wie der der Prien. Der erschlossene Name *Brigenna, der sich leider weiter Verbreitung und Beliebtheit erfreut, kommt aus sachlichen wie lautlichen Gründen keinesfalls in Betracht. Zudem kann er auch nicht als ‚die aus den Bergen Kommende‘ erklärt werden. Darüber hinaus würde eine derartige Bezeichnung keinerlei Unterscheidung zu den übrigen Alpenflüssen darstellen. Auch andere Flüsse der näheren Umgebung wie Traun oder Tiroler Ache, aber auch Salzach und Inn kommen aus den Bergen, was obendrein auf alle Flüsse rund um die Alpen zutrifft.

Es gibt zwar das keltische brig für ‚Berg‘, aber die Endung -enna stammt aus dem Etruskischen und ist nur südlich der Alpen belegt. Zudem wird durch diese Endung nur die Lage bei oder in einer Örtlichkeit benannt, wie die italienische Stadt Ravenna aus einem vorrömischen rava ‚Sumpf‘ und der etruskischen Endung -enna die ‚Stadt am Sumpf‘ (beim Po-Delta) bezeichnet. Keinesfalls beinhaltet -enna eine Bewegung von etwas her. Ein Name *Brigenna könnte also allenfalls den Ort an oder auf einem Berg bezeichnen. Bei einem Gewässer, das von einem Berg oder aus den Bergen kommt, wird brig mit dem Zusatz -ach versehen wie bei der Brigach im Schwarzwald. Hier macht die Benennung als ‚Bergfluss‘ auch einen Sinn, da in dieser Gegend die anderen Zuflüsse der Donau nicht aus den Bergen kommen.

Aber auch aus lautlichen Gründen ist eine Herleitung des Namens Prien von *Brigenna unmöglich. Da sich auch bei Prien die ältesten bezeugten Belege Priene beziehungsweise Prien kaum von der heutigen Form unterscheiden, ist auch hier die Dialektaussprache von besonderer Bedeutung. Die Mundartform prean zeigt wieder deutlich, dass der Vokal in Prien nicht durch einen Langvokal ī, wie er in der deutschen Standardsprache gesprochen wird, sondern wie bei Chiemsee durch den alten Diphthong ie repräsentiert wird. Nach den Gesetzmäßigkeiten der mittelhochdeutschen Kontraktionen, eine Lautverbindung -ige- kann zu langem î zusammengezogen werden, könnte eine Form *Brigenna zu *Brîna weiterentwickelt werden, aus der schließlich durch die neuhochdeutsche Diphthongierung (mîn zu mein) *Brein bzw. *Prein entstehen könnte, aber nicht Prien mit dem Diphthong (Zwielaut) ie in der Mitte.

Wie schon oben angeführt, kann der Diphthong ie entweder aus dem germanischen Langvokal ē oder über den althochdeutschen Diphthong io aus dem germanischen beziehungsweise indogermanischen eu entstanden sein. Es müsste also ein keltisches oder illyrisches *brena oder *breuna zu Grunde liegen, die wiederum auf die indogermanische Wurzel bhrēu- für ‚Quelle‘ oder ‚Hervorsprudelndes‘ aber auch für ‚anschwellen‘ zurückgehen. Auf *brena ist auch der Name des Flusses Brenno (im Dialekt brèna) im Tessin zurückzuführen. Und aus der Form *Brena kann ganz gesetzmäßig Priene und Prien entstehen.

Der Name der Prien dürfte also auf ein keltisches *Brena ‚die Hervorsprudelnde‘ oder ‚die Anschwellende‘ zurückgehen. Letzteres passt sehr gut zur Prien, wenn sie nach der Schneeschmelze häufig stark anschwillt.

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