Es war das dritte oder vierte Mal, als er fast gestorben wäre. Da fasste David Fajgenbaum einen Entschluss. "Ich kam aus dem Krankenhaus und hatte das intensive Gefühl, dass ich aus jeder Sekunde das meiste herausholen muss", sagte er 2016 dem "Science Mag". 2010 begann der damalige Medizinstudent im dritten Jahr und durchtrainierte College-Football-Spieler mit 25 Jahren plötzlich unter Nachtschweiß, Müdigkeit und Gewichtsverlust zu leiden. Damals arbeitete er im Krankenhaus in der Gynäkologie und wusste nicht, warum es ihm plötzlich nicht mehr gut ging. Und auch als es ihm noch schlechter ging, biss er die Zähne zusammen und holte weiterhin Babys auf die Welt. Nach seinem Examen allerdings machte er sich direkt auf den Weg in die Notaufnahme der Uniklinik in Pennsylvania.
Nach diversen Bluttests sagten ihm die Ärzte, seine Leber, seine Nieren und sein Knochenmark würden "nicht arbeiten". Sie behielten ihn gleich dort. Eine Netzhaut-Blutung machte Fajgenbaum vorübergehend blind, ein paralleles Organversagen brachte ihn auf die Intensivstation. Dort blieb er sieben Wochen lang ohne Diagnose. Als Fajgenbaum sich langsam erholte, sagten seine verblüfften Ärzte: "Lasst uns hoffen, dass es nicht zurückkommt." Niemand wusste, was er hatte.
Er forschte in seiner eigenen Kindheit nach
Als Fajgenbaum entlassen worden war, verbrachte er Wochen damit, in seinen Krankenakten als Kind nach einer Erklärung zu suchen. Nach etwas, was Ärzte vielleicht übersehen hatten. Seine medizinische Vorgeschichte ergab, dass er an einer seltenen und tückischen Immunkrankheit litt, Morbus Castleman, über die noch relativ wenig bekannt war. Fajgenbaum verwarf seine Pläne, Onkologe zu werden, beendete seine Assistenzarztzeit und immatrikulierte sich an der Hochschule für Wirtschaft – um dort ein Kompetenz-Netzwerk aus Hunderten Ärzten, Forschern und Arzneimittel-Experten aus der ganzen Welt aufzubauen. Er brachte mit seinem Arzt Fachartikel heraus, schrieb Studien über seinen Fall, fand eine neue Variante seiner Erkrankung, sammelte weitere Studien zu Castleman.
Ihm wurde klar, dass er sterben könnte, bevor er ein Heilmittel für sein Leiden findet. Doch er hatte sein Ziel vor Augen und tat alles, um sich selbst und viele andere zu retten. "Es macht mir Spaß, etwas Unbekanntes zu jagen", sagte er damals dem "Science Mag". Bei ihm wurde die gefährlichste Art von Castleman diagnostiziert, Fajgenbaum musste eine aggressive Chemotherapie machen. Trotz der Behandlung sagten die Ärzte seiner katholischen Familie, dass er nicht überleben würde. Die Eltern riefen den Priester und Fajgenbaum erhielt die letzte Ölung. Im November 2010, mit 25. Zwei Tage später erholte sich sein Körper. Fajgenbaum machte sich Hoffnung.
Eigeninitiative war gefragt
Fünfzehn Monate später kehrten die Symptome zurück. Fajgenbaum beschloss, selbst zu forschen: Welche Immunzellen sind dafür verantwortlich? Welchen Verlauf gibt es? Warum schlägt die Behandlung nicht an? Welchen Notfallplan gibt es? Die Ärzte hatten alles getan, doch nichts schlug an. Er musste sich erneut einer Chemo unterziehen. Im Sommer 2012 konnte er das Krankenhaus verlassen.
Fajgenbaum setzte auf Schwarmintelligenz. In einer öffentlichen medizinischen Datenbank suchte er jeden Forscher heraus, der zu Castleman publiziert hatte. Er schrieb hunderte Mails und lud zu einer Konferenz in Atlanta ein. Zu seinem Erstaunen wussten die meisten nichts von den Arbeiten der anderen. Es trafen sich 27 Experten, fünf weitere wurden telefonisch hinzugeschaltet. Fajgenbaum, damals noch sechs Monate vor seinem Abschluss, leitete die Veranstaltung. Es stellte sich heraus, dass unter den Ärzten große Uneinigkeit herrschte. Von der Terminologie bis hin zu lohnenswerter Forschung. Es gab keine Strategie. Fajgenbaum kam zu dem Schluss, dass er betriebswirtschaftliche Kenntnis brauchte, bewarb sich an der ausgezeichneten Wharton School in Pennsylvania – und beeindruckte dort seine Professorin.
Ein neuer Angang
Fajgenbaums Behandlung war dem klassischen Verlauf gefolgt. Er erkrankte erneut. Er kam auf die Idee, dieses Mal einen anderen Weg zu gehen, indem man T-Zellen aktiviert. Seine Ärzte stimmten zu. Dem angehenden Arzt wurde klar, dass er die Dinge selbst in die Hand nehmen musste – und weitere Experten brauchte; brillante Geister mit einer anderen Herangehensweise. Fajgenbaum vernetzte hunderte Forscher durch ein Online-Portal, trug mögliche Castleman-Studien zusammen und priorisierte sie.
Sein weltweites Netz aus Forschern hatte Erfolg. 2014 entwickelte ein Labor eine Antikörper-Medizin für den Morbus Castleman. Fajgenbaum nimmt seit Januar 2014 das Immunsuppressivum Sirolimus und ist seither gesund. Seine wöchentlichen Bluttests ergaben, dass sein Immunsystem sich erholte. Der mittlerweile 34-Jährige arbeitet als Assistenzprofessor und erforscht seltene Krankheiten. Er ist mit seiner Freundin verheiratet, die ihm während seiner Erkrankung eine emotionale Stütze war, und ist Vater einer Tochter. Vor ein paar Tagen ist sein Buch erschienen: "Chasing My Cure", "Auf der Jagd nach meiner Heilung".
Quelle:"Science Mag"