Die Nutzung künstlicher Intelligenz ist in einigen Onlinemarketing-Agenturen längst gelebter Alltag. KI unterstützt Agenturen dabei, Nutzerverhalten vorherzusagen, Zielgruppen personalisierter anzusprechen, Kampagnenausspielung zu automatisieren oder eigenständig Content zu erstellen. Von den Vorreitern der Branche können auch andere Agenturen und ihre Kunden lernen.
Die Digital-Marketing-Agentur Pia Media und die Performance-Marketing-Agentur The Boutique Agency beispielsweise experimentieren seit Jahren mit KI-gestützten Kampagnen. Für ihren erfolgreichen Einsatz von Google AI sowie dessen Weiterentwicklung für die Kunden MediaMarktSaturn (Pia Media) und BSTN (The Boutique Agency) wurden sie kürzlich von Google und BCG mit dem ersten Deutschen Agentur & Partner Award (eine lokale Ergänzung des „Premier Partner Awards“) ausgezeichnet. Grund genug, Managing Director Michael Schönherr (Pia Media) und Agenturchef Oliver Zenglein (The Boutique Agency) zu fragen, inwieweit KI die Marketing- und damit auch die Agenturwelt revolutioniert. Im gemeinsamen Gespräch wollten wir von ihnen wissen:
- Wie verbessert künstliche Intelligenz die Performance von Kampagnen?
- Wie unterstützt KI das Wachstum?
- Wie verändert KI die Produktivität im Agenturalltag?
- Und wie wird KI die Zukunft weiter prägen?
KI & Performance: „Wer Google AI nicht nutzt, hat massive Opportunitätskosten“
„Künstliche Intelligenz krempelt die Arbeit von Agenturen um. Deshalb müssen wir uns mit dem Thema beschäftigen, bevor die Entwicklung irgendwann nicht mehr aufzuholen ist“, betont Pia-Media-Managing-Director Michael Schönherr.
Den derzeit größten Beitrag leistet künstliche Intelligenz aus Sicht der beiden Agenturchefs vor allem bei der Verbesserung der Kampagnen-Performance. So würden die Marketer beim Gebotsmanagement mittlerweile fast ausschließlich auf Google AI vertrauen. „Um das richtige Gebot zum richtigen Zeitpunkt zu platzieren, müssen Hunderte Faktoren berücksichtigt werden. Predictive AI ist inzwischen so gut, dass sie regelbasierten Systemen oder menschlichem Ermessen keine Chance mehr lässt“, sagt Oliver Zenglein von The Boutique Agency.
Einen echten Mehrwert bietet künstliche Intelligenz für Onlinemarketing-Agenturen aber auch, wenn es darum geht, Zielgruppen persönlich und kanalübergreifend anzusprechen. „Früher war es relativ aufwendig, potenzielle Käuferinnen und Käufer entlang der Customer Journey zu begleiten“, sagt Zenglein. „Mit Kampagnenformaten wie PMax ist das viel einfacher und skalierbarer geworden. Das ist wirklich ein Gamechanger.“ Auch Michael Schönherr beobachtet, wie künstliche Intelligenz die Silos zwischen Search, Display und YouTube zunehmend aufbricht: „Google stellt uns hier einen mächtigen Werkzeugkasten zur Verfügung – und das weitgehend per Plug-and-play. Wir kennen eigentlich kein Setup mehr, das dem heute noch etwas entgegensetzen könnte. Wer diese Tools heute nicht nutzt, hat massive Opportunitätskosten.“
Aus Zengleins Sicht sei die Wirksamkeit künstlicher Intelligenz dann besonders groß, wenn man sie „nicht als Insellösung einsetzt, sondern im Zusammenspiel denkt“. Ein Beispiel: Broad Match. Das KI-gestützte Matching von Suchbegriffen entfalte seine volle Effizienz erst in Kombination mit Smart Bidding, denn mit einem breiteren Matching lassen sich die Gebote besser anpassen und Kampagnen zielgerichteter ausspielen.
„KI ist keine Insellösung, sondern entfaltet ihr Wachstumspotenzial erst im Zusammenspiel.“
— Oliver Zenglein, CEO The Boutique Agency
Darüber hinaus benötige künstliche Intelligenz qualitativ hochwertige Daten, um optimale Ergebnisse zu liefern. Und dafür sei menschliches Know-how gefragt: „Wir haben schnell gemerkt, dass wir eine eigene Einheit für Daten und Business Intelligence brauchen“, sagt Schönherr. Für die Elektronikkette MediaMarktSaturn hat Pia Media die Product Insights & Performance Automation (PIPA) entwickelt – und damit den „German Agencies & Partners Award 2023“ von Google und BCG gewonnen.
Die komplett in der Google Cloud aufgebaute Plattform führt Daten aus verschiedenen Quellen zusammen, darunter Produktdaten, Preisinformationen, Onsite- und Benchmark-Daten oder Business Intelligence Insights auf Produktebene. Google AI greift bei der Ausspielung von Display- und Shopping-Kampagnen auf PIPA zurück, um zu prognostizieren, welche Produkte zu welchem Zeitpunkt an welche Zielgruppen ausgespielt werden sollten, um die Geschäftsziele von MediaMarktSaturn am effizientesten zu erreichen. „Google AI kann hervorragende Ergebnisse liefern. Aber ein sich selbst optimierendes System ist immer nur so gut wie der Input, den es bekommt“, erklärt Schönherr.
Das Zusammenspiel von Google AI und PIPA lieferte für die MediaMarktSaturn-Kampagne überzeugende KPIs. Bei den Google Display Ads stiegen der ROAS und die CTR um jeweils 35 Prozent – bei einem 25 Prozent niedrigeren CPC. Ähnlich gute Ergebnisse zeigten die Google Shopping Ads: ein um 22 Prozent höherer ROAS bei 21 Prozent weniger CPC.
Auch The Boutique Agency überzeugte die Jury des „German Agencies & Partners Award“ mit einer cleveren Idee zur Verbesserung der Datenqualität und den daraus resultierenden guten Performance-Ergebnissen – in diesem Fall mit YouTube Action Campaigns. Der Streetwear-Händler BSTN wollte testen, ob sich YouTube nicht nur zum Brand Building, sondern auch zum Abverkauf nutzen lässt. Um schnell die potenziell interessantesten Kundinnen und Kunden anzusprechen, setzte das Team auf eine zweistufige KI-gestützte Gebotsstrategie. Im ersten Schritt stand der Aufbau eines Pools von Kundinnen und Kunden mit hoher Conversion-Wahrscheinlichkeit im Vordergrund. Anschließend stiegen die Marketer mit Unterstützung von Google AI auf Targeting um, um die Effizienz zu steigern und den Umsatz zu erhöhen. Das Ziel wurde erreicht: 50 Prozent mehr Umsatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum und eine um 13 Prozent höhere CTR.
KI & Wachstum: Neue Geschäftsbereiche für Agenturen und mehr Umsatz für Kunden
Durch den Einsatz von Google AI konnten laut Schönherr und Zenglein die beiden Agenturen den Umsatz ihrer Kunden in den vergangenen Jahren um bis zu 30 Prozent steigern. Aber auch den Agenturen selbst liefert die künstliche Intelligenz Wachstumsimpulse. „Die Ziele unserer Kunden sind meist komplex. Es geht nicht immer nur um Umsatz“, sagt Michael Schönherr. „KI hat uns gezwungen, uns in komplexere Zusammenhänge einzuarbeiten – von der Plattform über Tech und Data bis hin zur Kreation. All das müssen wir als Agentur beherrschen. Der Ansatz wird also ganzheitlicher. Und das eröffnet uns neue Geschäftsbereiche in Evaluation, Audit, Consulting oder Marktforschung.“
Agenturchef Zenglein beobachtet Wachstum noch an anderer Stelle: „Als klassische Performance-Marketing-Agentur haben viele unserer Kunden in der Vergangenheit wenig in Upper- und Midfunnel-Maßnahmen investiert“, sagt er. Damals habe es getrennte Budgettöpfe gegeben – einen für Branding-Kampagnen im Upper Funnel und einen für Sales-Kampagnen im Lower Funnel. Und jedes Team habe um die Budgets gekämpft. Durch den Einsatz KI-gestützter Formate wie PMax oder Demand Gen können Unternehmen inzwischen auch in Upper- und Midfunnel-Maßnahmen investieren, ohne den ROI aus den Augen zu verlieren. Und davon würden auch die Performance-Marketing-Agenturen profitieren.
KI & Produktivität: Prozess- und Kosteneffizienz ist heute noch ein USP, künftig Commodity
Ein weiteres Thema, mit dem sich Agenturen aus Sicht von Michael Schönherr noch von der Konkurrenz abheben können, ist Prozess- und Kosteneffizienz. Denn künstliche Intelligenz automatisiert routinemäßige und wiederkehrende Aufgaben. „Wenn man da nicht mitzieht, fällt man irgendwann hinten runter“, sagt der Managing Director.
„Schon bei der Strategieentwicklung kann KI schnell und präzise Daten aus unterschiedlichen Quellen analysieren und so Markttrends und Konsumentenverhalten bewerten.“
— Michael Schönherr, Managing Director Pia Media
Sowohl bei The Boutique Agency als auch bei Pia Media entlastet künstliche Intelligenz die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter inzwischen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. „Da haben wir enorme Einsparpotenziale“, so Schönherr. In der Konzeptionsphase würden Frameworks teilweise schon automatisiert erstellt. Und in der Umsetzung würden Tools wie Midjourney die Produktivitätsraten steigern. Im Kampagnenmanagement sei der Produktivitätsschub seit Jahren spürbar: „Früher haben unsere Consultants noch tagelang Suchbegriffe ausgewertet. Heute sind sie froh, dass sie Zeit für andere Themen haben“, sagt Oliver Zenglein.
„Wir sehen eine Verschiebung von Aufgaben in neue Arbeitspakete“, erklärt Michael Schönherr. „Wir brauchen vielleicht weniger Expertinnen und Experten für bestimmte Kanäle, dafür aber mehr Strateginnen und Strategen, die vom Businessmodell her denken, oder Analystinnen und Analysten, die die Gold Nuggets im Datenstrom finden.“ Die neuen Job-Profile seien T-förmig, sagt er. Neben tiefem Fachwissen sei auch die Fähigkeit gefragt, mit anderen kollaborativ zusammenzuarbeiten.
KI-Trends der Zukunft: 4 Tipps zur Umsetzung
Und was bringt KI für die Zukunft? Oliver Zenglein sieht einen großen Trend im Bereich Big Data: „KI macht Datenanalysen und die Aktivierung von Daten für eine immer breitere Masse an Advertisern verfügbar“, so seine These. „Es werden sich diejenigen durchsetzen, die einen guten Produktfokus haben, für den Kundennutzen optimieren und ihr Business mit einer gewissen Kreativität angehen.“ Michael Schönherr erwartet einen Boom in Sachen Hyper-Personalisierung. „KI macht es möglich, dass wir Daten in noch nie dagewesenen Maße analysieren und Zielgruppen extrem personalisiert ansprechen können“, sagt er.
Damit auch andere Agenturen und ihre Kunden das volle Potenzial von KI ausschöpfen können, müssen sie aus Sicht der beiden KI-erfahrenen Marketer lieber klein als spät starten. „Die wirklich innovativen Kräfte in den Agenturen brauchen Freiraum und Ressourcen, um sich mit den rasanten Entwicklungen auseinandersetzen zu können“, so Zenglein. Darüber hinaus müssen Agenturen unternehmensintern ideale Voraussetzungen für den Einsatz von KI schaffen. Dazu würden KI-freundliche Accountstrukturen genauso wie transparente und klare Guidelines zum verantwortungsvollen und datenschutzfreundlichen Umgang mit KI zählen. Und auch die Mitarbeitenden müssten mitgenommen werden. „Wir alle müssen verstehen, dass wir an einem Scheidepunkt stehen“, sagt Schönherr. Auch in Zukunft werde der Mensch eine zentrale Rolle im Marketing spielen: „KI kann immer nur das zusammenführen und weiterentwickeln, was schon da war“, ergänzt Zenglein. „Die Frage ist: Was war denn noch nicht da? Darauf können Agenturen gezielt den Fokus legen.“