Sobald es um Kultklassiker geht, müssen Produzenten mit Empörung rechnen; selbst das Remake-freudige Hollywood hat bislang die Finger von „Casablanca“ oder „Citizen Kane“ gelassen. „Pan Tau“ spielt, was den Weltruhm angeht, zwar in einer anderen Liga, aber hier ist die emotionale Gemengelage noch diffiziler: Die tschechisch-westdeutsche Koproduktion gehört zum gesamtdeutschen Kindheitskanon der Siebzigerjahre. Der herzensgute Herr Tau, der nur dann sichtbar ist, wenn er das auch will, war das perfekte TV-Pendant zu den imaginären Gefährten, die sich viele Kinder an ihre Seite träumen. Das macht die Geschichten nicht nur universell, sondern auch zeitlos; und deshalb ist die Neuverfilmung weitaus weniger erstaunlich als die Tatsache, dass es so lange gedauert hat.
Bei Gabriele M. Walther und ihrer Produktionsfirma Caligari („Ritter Rost“ / „Der kleine Drache Kokosnuss“) ist der Stoff in guten Händen, selbst wenn „Pan Tau“ 2.0 mit Blick auf den Weltmarkt entstanden ist; Ausgangspunkt der meisten Folgen ist daher eine englische Schule. Mit Ausnahme einiger deutscher Episodengäste sind so gut wie alle Sprechrollen mit englischsprachigen Schauspielern besetzt. Trotzdem bleibt die Serie der von Ota Hofman und Jindřich Polák entworfenen Originalfigur und damit auch dem humanistischen Ansatz treu: Die vom britischen Comedy-Zauberer Matt Edwards verkörperte Titelfigur ist stets und bedingungslos auf Seiten der Kinder. Wo Pan Tau herkommt, wird auch 2020 nicht erklärt. Fakt ist: Geduldig harrt er als Schulmaskottchen in einer Vitrine aus, bis er benötigt wird.
Ähnlich maßgeblich beteiligt wie Walther war Franziska Meyer Price; die Regisseurin vieler kurzweiliger TV-Produktionen (von „Doctor’s Diary“ über „Doc meets Dorf“ bis zu Komödien wie „Weihnachts-Männer“ und „Nesthocker“) hat fast alle Teile inszeniert (als dritter „Creator“ wird Koautor Marcus Hamann geführt). Bis auf die Doppelfolge zu Beginn sind die 14 jeweils knapp 25 Minuten langen Geschichten in sich abgeschlossen. Es gibt keine horizontale Erzähllinie, zumal die Hauptfiguren nach jeder zweiten Episode wechseln. Der Auftakt greift gleich zwei populäre Strömungen der letzten zwanzig Jahre auf. Die Handlung erinnert an diverse Bücher, Filme und Serien, in denen sich die Hauptfiguren plötzlich in einer Phantasiewelt wiederfinden, und der Rahmen orientiert sich am Hype um Harry Potter und andere Fantasy-Erfolge: Anders als ihr dicklicher Bücherwurmbruder Justus (Joseph Cohen) ist Karlotta (Hannah Chinn) immun gegen den übertriebenen Trubel, den ihre Mitschüler um die Märchen-Saga „Swordstone“ machen; bis sie als moderne Heldin in der mittelalterlichen Welt landet, wo man sie für eine vor Jahren verschollene Prinzessin hält.
Pan Tau sorgt mit Hilfe von Justus dafür, dass sie die Intrige eines bösen Zauberers (Helmfried von Lüttichau) unbeschadet übersteht; das „Duell der Magier“ (wie die erste Folge heißt) ist ziemlich originell. In der Rahmenhandlung entpuppt sich der vermeintlich männliche Autor der „Swordstone“-Geschichten als Frau (Sophie von Kessel als Hommage an Joanne K. Rowling), die am Ende auch die vom Online-Handel bedrohte Buchhandlung von Karlottas und Justus’ Mutter rettet. Weitere Gastrollen in späteren Folgen spielen Armin Rohde als Restaurantbesitzer, dem Pan Tau ein extravagantes Design ins Lokal zaubert, Katharina Wackernagel als Biobäuerin, Tom Gerhardt in einer Art „Hausmeister Krause“-Rolle und schließlich Valerie Niehaus als alleinerziehende Mutter, die sich in einen Rockstar verliebt.
War Pan Tau in der vor fünfzig Jahren gestarteten alten Serie meist bloß ein lächelnder Beobachter, so ist sein moderner Nachfolger nicht nur Dreh- und Angelpunkt der Geschichten, sondern auch viel präsenter und aktiver. Und noch einen Unterschied gibt es zum Klassiker aus den Prager Barrandov-Studios. Die alte Serie entsprach perfekt der Philosophie von Gert K. Müntefering, damals Leiter des WDR-Kinderprogramms, der im deutschen Fernsehen für eine kleine Revolution sorgte, als er der Zielgruppe in seinem legendären Manifest („Kinder-Fernsehen ist, wenn Kinder fernsehen“) ein Recht auf Unterhaltung einräumte; bis dahin sollte das Kinderprogramm stets auch einen pädagogischem Mehrwert haben. Die Neuverfilmung ist jedoch Familienfernsehen, weshalb die Protagonisten im mittleren Teenager-Alter sind; „Family Entertainment“ lässt sich international besser verkaufen. Die Besetzung ist zudem auffallend vielfältig, aber das gilt fürs deutsche Kinderfernsehen schon seit Jahren. Am Standard des Weltmarkts orientiert sich auch die Umsetzung. Der optische Aufwand bewegt sich in einer Größenordnung, die selbst die teuren ARD-Märchen hinter sich lassen könnte.
Aus Sicht der Zielgruppe sind solche produktionellen Aspekte natürlich nebensächlich, da zählt allein das Produkt, und das kann sich in der Tat sehen lassen, selbst wenn nicht alle Episoden die Qualität des Auftakts halten. Ein echter Ausreißer ist zum Beispiel die ziemlich alberne zwölfte Folge („Chefsache“), in der sich der stumme Pan Tau als neuer Chef eines Unternehmens ausgibt, in dem sein Schützling ein Praktikum machen soll. Weil der Junge die Nachrichten des hauseigenen Senders langweilig findet, sorgt Pan Tau dafür, dass das Moderationsduo sie im Sprechgesang vorträgt. Deutlich besser ist Folge 13 („Prinzessin auf Rädern“) mit ihrem verblüffenden Magritte-Effekt: Beim Museumsbesuch steigt Pan Tau gemeinsam mit Marie (Jordan Quinn) in ein Gemälde, wo die beiden an einem Ball teilnehmen und Pan Tau die Barock-Kombo ordentlich abrocken lässt; zuvor muss er sich jedoch mit seinem Regenschirm des Angriffs einer menschenleeren Rüstung erwehren. Aber dann fällt seine Melone aus dem Bild; ohne den Hut kann er nicht mehr zaubern.
Es sind vor allem Ideen wie diese, die dafür sorgen, dass sich die Serie ihren speziellen Charme bewahrt. Andere Folgen würden hingegen auch ohne die Magie der Märchenfigur funktionieren. Und so respektabel es auch ist, wie souverän das Regieduo Meyer Price und Michael Zens eine international gängige Bildsprache bedient: Der Disney-Look sorgt für eine gewisse Beliebigkeit. Die Synchronisierung lässt die Serie ohnehin wie einen Import klingen. Durchgehend sympathisch ist dagegen der leicht ironische Ansatz, für den vor allem Matt Edwards steht, zumal die Figur in seiner Verkörperung nicht nur aufgrund der Kleidung ein bisschen altmodisch wirkt. Der zuständige WDR-Redakteur Matthias Körnich bezeichnet den neuen Pan Tau als Mischung aus Momo und Dr. Who; das trifft es recht gut.