Auf seinem ersten Soloalbum seit fast 20 Jahren gelingt Bruce Dickinson etwas, womit Iron Maiden zuletzt Schwierigkeiten hatten: zugängliche, epische Metal-Kracher – mit Tiefe statt Raketenwissenschaft.
von Björn Springorum
2024 ist das Jahr der Soloalben. Ace Frehley und Mick Mars haben vorgelegt, jetzt zieht Bruce Dickinson nach. Es gibt da aber natürlich einen fundamentalen Unterschied: Im Gegensatz zu den genannten Kollegen ist Dickinson immer noch ein Fixstern seiner Band Iron Maiden. Die legte erst 2021 mit Senjutsu ein verkopftes, aber packendes Metal-Abenteuer vor, danach ging es an Bord der Ed Force One rund um die Welt. Irgendwo dazwischen (und seinen zahlreichen anderen Interessen als Pilot, Fechter, Autor und Zugbeobachter) fand Dickinson dann sogar noch Zeit für seine erste Soloplatte seit Tyranny Of Souls (2005).
Die Solokarriere von Bruce Dickinson war aber eben immer schon etwas anders. Sie begann, als er mit Maiden noch voll im Saft stand und führte nach seinem Ausstieg zu einer Reihe abenteuerlustiger Alben, die bis auf wenige Ausnahmen zwei Dinge klarmachten: Dickinson ist und bleibt ein Fan der goldenen Ära von Maiden, der Zeit, in der die Band mit Alben wie Powerslave, Somewhere In Time oder Seventh Son Of A Seventh Son einen Klassiker nach dem anderen aus dem Ärmel schüttelten. Und Dickinson mag Alternative Rock ebenso sehr wie Heavy Metal.
Ein Album ist nicht genug
Das merkt man auch seinem siebten Soloalbum The Mandrake Project überdeutlich an. Die Platte hat alles, was man von Bruce Dickinson erwartet – und im Grunde sogar mehr: An der Seite von seinem langjährigen Kollaborateur Roy Z schnitzt sich der 65-Jährige zehn großartige Songs aus der Rippe, die ihn auf einem absoluten Karrierezenit zeigen. Er ist absolut fantastisch bei Stimme, wird geradezu magisch verstärkt durch die starke Gitarrenarbeit und muskulöse Produktion von Z.
Thematisch erwartet uns „eine düstere, erwachsene Geschichte über Macht, Missbrauch und einen Kampf um die Identität vor dem Hintergrund wissenschaftlicher und okkulter Genialität“. Genau das Zeug also, was wir von Dickinson wollen. Ein Album schien dafür außerdem nicht zu reichen, also erscheint parallel dazu eine satte 12-bändige Graphic-Novel-Saga, die der Sänger selbst konzipiert und geschrieben hat. Sag mir, dass es eine Dickinson-Platte ist ohne mir zu sagen, dass es eine Dickinson-Platte ist.
Bombast-Rock und Thrash-Keule
Und wie klingt sie denn jetzt genau, die erste Dickinson-Platte seit 19 Jahren? Fett. Groß. Episch. Modern. Los geht’s mit der Hymne Afterglow Of Ragnarok, auch die zweite Single Rain On The Graves packt mit aggressiven Riffs und düsterer Stimmung. Ressurection Men führt mit seinem dräuenden Akustik-Intro direkt in die ruhmreiche Maiden-Vergangenheit und überrascht dann doch mit Western-Gitarren und rockigem Flair. Fingers In The Wounds ist ein sinfonisches Stück Bombast-Rock und Many Doors To Hell ist mit seinem Schlagzeug-Intro und dem Achtziger-Flair eine der eingängigsten Nummern, die Dickinson je geschrieben hat. Auf der anderen Seite gibt es mit Mistress Of Mercy eine fast schon thrashige Keule, die seinem opernhaften Tenor allen Raum gibt. Und Eternity Has Failed (was für ein Solo!) knüpft an If Eternity Should Fail vom Maiden-Opus The Book Of Souls an.
Knapp 60 Minuten nimmt sich Dickinson Zeit für seine jenseitige, düstere Mär. Und verzückt sein Publikum mit seinem bislang besten Soloalbum. Das liegt an ihm, klar, aber auch an Roy Z. Der versteht es, den Star scheinen zu lassen. Der Fokus liegt hier klar auf seiner Stimme, das war bei den letzten ambitionierten Maiden-Platten nicht immer der Fall. The Mandrake Project muss natürlich nicht mit Maiden verglichen werden, das hat das Album gar nicht nötig. Deutlich wird aber eben, dass Dickinson ein Händchen für griffige, zugängliche Songs hat, die dennoch weder Tiefe noch Komplexität vermissen lassen. Und das kam bei Maiden zuletzt ein wenig zu kurz.
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