Bilderbuch x Kenneth Ize: Mit diesen Entwürfen beleuchten sie die koloniale Beziehung zwischen Nigeria und Österreich
Die Zusammenarbeit zwischen der österreichischen Band Bilderbuch und dem österreichisch-nigerianischen Designer Kenneth Ize beginnt wie alle guten Geschichten in Wien: Irgendwer kennt irgendwen, der oder die jemanden kennt, der oder die jemanden kennt. In diesem Fall war es die ehemalige Bilderbuch-Artdirektorin Claudia Rafael, die die Band in Kontakt mit dem Stylisten und Creative Director KK Obi brachte. Obi war es, der dann wiederum Ize ins Boot holte, als es um die Bühnenkostüme der gerade laufenden „Gelb ist das Feld“-Tour ging. Im Gegensatz zu vielen anderen Wiener Geschichten aber blieb diese nicht zwischen zu vielen weißen Spritzern hängen, sondern spannt einen Bogen von Nigeria nach Vorarlberg, über Wien und Linz bis auf die Bühnen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz.
Für die Bühnenoutfits verwendet Kenneth Ize die Designs nigerianischer Frauen
Vor über 50 Jahren landeten österreichische Geschäftsmänner aus dem verschlafenen Lustenau in Vorarlberg zum ersten Mal zufällig in Lagos. Dieser Besuch legte den Grundstein für die bis heute andauernde Handelsbeziehung zwischen dem vom Kolonialismus geprägten westafrikanischen Land und der Alpenrepublik, die ihren Höhepunkt in den Achtzigern nach dem nigerianischen Ölboom fand. Bis heute noch werden die in von Familienbetrieben produzierten Spitzenstoffe wie Damast von nigerianischen Frauen zu besonderen Anlässen getragen. Genau diese Stoffe sind es, die Ize in den Bühnenoutfits verarbeitet und sie und ihre Geschichte somit einem großen Publikum näherbringt. “Um ehrlich zu sein ärgert es mich, dass das nicht allgemein bekannt ist”, lässt der für seine Neuinterpretation traditioneller westafrikanischer Stoffe bekannte Designer seinen Unmut über westliches Privileg und das dadurch entstehende Nichtwissen am Telefon aus Wien heraus. Für seine erste Zusammenarbeit mit einer Band war es ihm deshalb wichtig, die Beziehung seiner zwei Heimaten ins Rampenlicht zu rücken: “Ich wollte, dass die vier Jungs diesen Stoff tragen, weil er dadurch automatisch aus einer anderen Perspektive betrachtet wird. Ich bringe so die Energie der nigerianischen Frauen nach Österreich zurück. Diese Frauen arbeiten mit dem Stoff, und ich hatte das Privileg, mir bei HKG Embroideries in Lustenau ihr Archiv anzusehen.” Ihm war von Anfang an klar, dass er die originalen Designs nicht ändern werde, sondern nur die Farben: “Ich feiere diese Frauen und ihr Handwerk so sehr! Und das ist auch das, was die Band tun wird. Sie feiern, was sich über so viele Jahre entwickelt hat, ohne dass es öffentlich wahrgenommen wurde. Für mich, der in Österreich aufgewachsen ist, ist das ein großer Moment.”
Mode zu feiern ist etwas, das Bilderbuch seit Anfang ihrer Karriere auf und abseits der Bühne getan haben. Konsequent führen sie das mit ihrem aktuellen Album jetzt fort. Die klassische Geschlechterrollen auf den Kopf stellenden, extravaganten Outfits der vier jungen Männer fielen immer wieder positiv auf. Das liegt natürlich auch an ihrer jahrelangen Zusammenarbeit mit der Wiener Stylistin Angie-Shahira Pohl. „Wir sind auf der Bühne groß geworden. Privat sind wir parallel durch verschiedene Phasen gegangen, die sich natürlich auch auf unsere Bühnenlooks ausgewirkt haben. Man ist ja der, der man schon ist, nur im Rampenlicht. Wir sind nie in eine Rolle geschlüpft und dann wieder in Hausschlapfn hinein“, erklärt Leadsänger Maurice Ernst. Ihnen sei es immer wichtig gewesen, „Verbindungen zu schaffen, die nachvollziehbar, wenn auch gleichzeitig überhöht sind“. Dieser Mut zum Experiment war es, der Ize an der Zusammenarbeit gereizt hat: “Für mich geht es in meiner Arbeit darum, Grenzen zu überschreiten. Und genau das hat die Band auch jahrelang getan. In ihrer Musik und in ihrer Mode.”
Bilderbuch: Die globale politische Ebene ihrer Bühnenoutfits
Es wirkt wie ein logischer Schritt, bei dieser für Bilderbuch sehr besonderen Tour mit einem Designer zusammenzuarbeiten. Besonders nicht nur, weil es die erste nach einer langen coronabedingten Pause ist, sondern da sie anstelle von in heruntergekommenen Bars und riesigen Konzerthallen in opulenten Konzerthäusern auftreten. Das für Bilderbuch so typisch artifizielle Bühnenbild bleibt aus. Der ganze Fokus ist auf die performenden Menschen gerichtet. Die Bühnenoutfits werden so mitsamt der Geschichte, die sie in sich tragen, zum Bühnenbild, das in diesen oftmals auch von Kolonialismus geprägten Orten plötzlich viel mehr wird als nur ein schön anzuschauender Look. Oder, wie Ernst es beschreibt: “Wir kommunizieren nicht über ein Bühnenbild, sondern haben Kenneth gebeten, durch uns und für uns etwas zu erschaffen. Natürlich zieht das automatisch eine globale politische Ebene mit sich. Gleichzeitig gibt es diese lokale Verbundenheit. Kenneth und ich sind beide aus Linz. Nach außen hin versuchen wir die Distanz mit dieser Zusammenarbeit zu überbrücken, und nach innen gibt es diese Nähe, die allem das Abstrakte nimmt.”
Ob es durch diese Zusammenarbeit wirklich gelingt, Distanzen zu überbrücken, sei dahingestellt. Was sie aber zeigt, ist, dass nichts im Vakuum passiert und alles eine Geschichte mit sich bringt. Eine Geschichte, die von einer jungen Generation von Künstler:innen – wie es auch Kenneth Ize, KK Obi und Bilderbuch sind – gemeinsam durch genau solche Projekte in die Zukunft getragen wird.
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