Karriere

Die Bundeswehr hat ein riesiges Nachwuchsproblem

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Von Inga MichlerWirtschaftsreporterin
Veröffentlicht am 09.01.2016Lesedauer: 6 Minuten
Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr beim Appell in der Clausewitz-Kaserne in Burg (Sachsen-Anhalt)
Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr beim Appell in der Clausewitz-Kaserne in Burg (Sachsen-Anhalt)Quelle: dpa

Beim Kampf um das fähigste Personal ist die Bundeswehr gegenüber der Wirtschaft ins Hintertreffen geraten. Jetzt startet die Truppe eine Charme-Offensive. Doch das Wichtigste kann sie nicht bieten.

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Die junge Soldatin im Hauptmannsrang hat einen Taschenspiegel mitgebracht. Selbstbewusst hält Sandra Denker ihr Accessoire in die Runde: „Ich möchte jeden Abend guten Gewissens in den Spiegel gucken können“, erklärt sie. „Das macht für mich gute Führung aus.“ Einer ihrer Kameraden hat eine flexible Hundeleine dabei. Wer seiner Untergebenen wie viel Freiraum bekomme, das wolle er von Fall zu Fall entscheiden.

Im Berliner Haus der Wirtschaft werden an diesem Morgen Leuchttürme präsentiert, Taktstöcke und Zahnräder. All das sollen Symbole für gute Führung sein. Soldaten und Nachwuchskräfte von Unternehmen haben sie mitgebracht. In einem sechstägigen Seminar wollen sie miteinander und voneinander lernen.

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Dass sich die Bundeswehr öffnet und sich mit der Wirtschaft vernetzt, grenzt an eine Revolution. Die Armee treibt die blanke Not. Denn die Bundeswehr hat ein massives Nachwuchsproblem. In dieser Woche forderten der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels, und der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, deutlich mehr Personal.

Angesichts der vielen Einsätze reichten die 178.000 Soldaten nicht mehr aus, warnten beide. Der Historiker Michael Wolffsohn regte im „Deutschlandfunk“ sogar die Wiederbelebung der Wehrpflicht an.

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Mehr als 20.000 Soldaten scheiden jedes Jahr aus. Seit Aussetzung der Wehrpflicht 2011 aber kommen die Rekruten nicht mehr „frei Haus“. Besonders die Spezialisten, ob bei der Luftwaffe, der Marine oder im Sanitätsdienst, werden knapp. Außerdem fehlen Tausende Informationstechniker, jede vierte Stelle in der Laufbahn der IT-Feldwebel ist nicht besetzt.

Allein dort könnte die Armee direkt 2000 Soldatinnen und Soldaten einstellen. „Ich bezweifele, dass die Qualität der Mitarbeiter demnächst noch ausreichen wird, um die Aufgaben zu erfüllen, die ihr die Politik aufgibt“, sagt Achim Steinhorst, der zwölf Jahre beim Bund war und heute in der Geschäftsleitung der Management- und Personalberatung Kienbaum sitzt.

Allianz gegen den Terror

Anfang Dezember gab der Bundestag grünes Licht für eine deutsche Beteiligung am Syrien-Krieg. Bis zu 1200 Soldaten sollen die internationale Allianz gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) unterstützen, mit einer Fregatte, Tornado-Jets, Awacs-Aufklärungsflugzeugen und einem Airbus zur Luftbetankung.

Die Truppe in Afghanistan, die zum Jahresende verkleinert werden sollte, wird personell aufgestockt. Deutsche Soldaten dienen in Mali und im Nordirak. Sie steuern Aufklärungsschiffe gegen Schleusernetzwerke im Mittelmeer und helfen bei der Versorgung von Flüchtlingen im Inland.

Bundestag stimmt für mehr Soldaten in Afghanistan

480 dafür, 112 Stimmen dagegen: Der Bundestag hat das Einsatzmandat der Bundeswehr in Afghanistan verlängert. Statt wie bisher 850 sollen dort künftig bis zu 980 deutsche Soldaten stationiert sein.

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hält mit einem Rezept gegen den Fachkräftemangel dagegen, der „Agenda Attraktivität“. Das Ziel: Die Bundeswehr soll zu einem der attraktivsten Arbeitgeber Deutschlands werden. Modern. Flexibel. Familienfreundlich. Doch das ist in einem Beruf, der im Ernstfall das Leben kosten kann, schwer möglich.

Mit ihren Auftritten bei den „Campus-Küken“, der ersten Kinderkrippe der Bundeswehr, erntete die Ministerin viel Häme. Auch von der Leyens jüngstes Projekt ist umstritten. Ab 1. Januar gilt für Soldaten im Grundbetrieb, also außerhalb von Einsätzen, die 41-Stunden-Woche.

„Abwegige“ Arbeitszeiten kritisiert

Maximal erlaubt sind laut neuer Richtlinie 48 Arbeitsstunden pro Woche. Selbst von der Leyens Parteifreund Roderich Kiesewetter, Verteidigungsexperte der Union, bezeichnete die neuen Arbeitszeiten als „abwegig“ und forderte, die Regelung auszusetzen.

Oberst Boris Nannt, inzwischen aufgestiegen zum zweiten Sprecher der Ministerin, hat das gemeinsame Projekt zur Entwicklung von Führungsnachwuchs mit Berlin-Brandenburger Unternehmen ins Leben gerufen. Die Seminar-Reihe soll die Führungskultur von innen verändern und die Bundeswehr als Arbeitgeber attraktiver machen. Künftig hat jeder Jahrgang in Deutschland nur noch 600.000 Schulabgänger.

Quelle: Infografik Die Welt

„Zehn Prozent“ von ihnen braucht die Bundeswehr an Bewerbern, um die Qualität zu halten, hat die Ministerin überschlagen. Nicht jeder Bewerber wird schließlich eingestellt. So viele junge Menschen für den Beruf des Zeitsoldaten zu begeistern, kann aber nur gelingen, wenn die Truppe ihnen Perspektiven für die Karriere danach aufzeigt.

50.000 Berufssoldaten gibt es bisher. Weitere 120.000 Soldaten haben sich zwischen vier und 25 Jahre lang verpflichtet. Dazu kamen im vergangenen Jahr rund 9500 freiwillige Wehrdienstleistende.

Gehalt ist oft viel zu niedrig

Die Bundeswehr liegt bei der Bezahlung oft abgeschlagen hinter der Wirtschaft. So verdient ein studierter, lediger IT-Fachmann nach zehn Jahren beim Bund knapp 3160 Euro brutto im Monat. In der Industrie kann es, je nach Fachgebiet, locker das Doppelte sein. Da hilft es wenig, dass sich die Bundeswehr in ihrer neuen, 12,5 Millionen Euro teuren Werbekampagne als sinnstiftender Arbeitgeber präsentiert. „Mach, was wirklich zählt“, lautet der zentrale Slogan.

Quelle: Infografik Die Welt

Beim Berlin-Brandenburger Führungsseminar erfahren die Teilnehmer derweil aus erster Hand, wie wertvoll sie sind. Zum Abschlussabend in der Julius-Leber-Kaserne sind zwei Top-Führungskräfte gekommen: Vizeadmiral Manfred Nielson hat als Inspekteur der Streitkräftebasis 40.000 Soldaten und 10.000 zivile Beschäftigte im ganzen Land befehligt.

Und Stefan Moschko, dem Personalleiter von Siemens Deutschland, sind rund 118.000 Beschäftigte unterstellt. Beide überbringen dem Führungsnachwuchs die frohe Botschaft: „Sie sind gefragt.“ Der Vizeadmiral schwärmt von den Kompetenzen, die seine Soldaten im Auslandseinsatz erwerben konnten: „Sie haben Entbehrungen im Kampf gemeistert, Tod und Leid gesehen, interkulturelle Kompetenz erworben. Solche Führungskräfte sind gefragt in der Wirtschaft.“

Auch Unternehmen fehlen Führungskräfte

Die Unternehmen hadern mehr denn je damit, überhaupt Führungskräfte zu finden, bestätigt Siemens-Personalchef Moschko: „Viele junge Leute von heute scheuen die Verantwortung. Der Preis einer Führungsposition für die Familie ist oft sehr hoch. Das ist es so manchen jungen Eltern einfach nicht mehr wert.“

Die Deutschen wollen mehr Soldaten

Die Mehrheit der Deutschen unterstützt Ursula von der Leyens Überlegungen, die Bundeswehr aufzustocken. Das ergab eine aktuelle Umfrage. Bereits eingeplant sind 7000 neue Stellen für Soldaten.

Auf der privaten Internetseite Dienstzeitende.de haben rund 200 Unternehmen Stellenanzeigen geschaltet. Dort werben nicht nur Rüstungs- und Sicherheitsfirmen, sondern auch Konzerne wie die Allianz oder ABB, Einzelhändler wie Aldi, Lidl und Kamps oder Logistikunternehmen wie UPS oder Amazon um ausscheidende Soldaten.

Wolfgang Zimmer, Leiter der Frankfurter Direktion Personalrecruiting bei der Allianz, erklärt warum: Zeitsoldaten hätten oft schon Führungserfahrung. „Sie sind bereit, Verantwortung zu übernehmen, Entscheidungen zu treffen, und können sich und andere motivieren.“

Klare Analyse und stringente Umsetzung

Bei der Bundeswehr hätten sie gelernt, „auftragsorientiert zu agieren und im Sinne der jeweils nächsthöheren Führungsebene zu denken und zu handeln“. Beste Voraussetzungen für Mitarbeiter im Vertrieb, findet Zimmer.

Kienbaum-Manager Steinhorst hat im vergangenen Jahr 200 Soldaten geschult, die aus dem Dienst ausscheiden, um in der Wirtschaft Karriere zu machen. Er kennt deren Stärken: schnelle Beurteilung der Lage, klare Analyse, stringente Umsetzung von Plänen. Er weiß auch, woran es hakt: „Gute Unternehmen haben breite und flexible Talentförderungs- und Personalentwicklungsprogramme.

Dem stehen in der Bundeswehr vielfach die starren Laufbahnen und Schulungen entgegen.“ So veraltet das Wissen von studierten Informatikern, während sie Einheiten kommandieren. Und Soldaten ticken eben anders als Manager, weiß Steinhorst: „Sie sind eher konditioniert auf eine formale, hierarchische Organisation mit vielen bürokratischen Richtlinien.“ Da ist der Sprung zu einem flinken Mittelständler nicht selten ein Kulturschock.


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