Überlebenswichtig: Warum wir einen Kurswechsel zu echter Nachhaltigkeit brauchen
Von Leonardo Boff
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Über dieses E-Book
Leonardo Boff zeigt, dass sich die bisherigen Modelle - trotz des Etiketts »ökologisch" oder »nachhaltig" - innerhalb des alten Wachstumsparadigma bewegen und deshalb unzulänglich sind. In diesem Buch entwickelt er ein völlig neues zivilisatorisches Modell, ein neues Verhältnis der Menschen zur außermenschlichen Kreatur und zur Erde. Er begründet überzeugend, wie nur diese revolutionäre Sicht einer echten Nachhaltigkeit den drängenden Herausforderungen gerecht wird.
Ein Weckruf, die derzeitige bedrohliche Situation als Chance für ein radikales Umdenken zu begreifen.
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Buchvorschau
Überlebenswichtig - Leonardo Boff
NAVIGATION
Buch lesen
Cover
Haupttitel
Inhalt
Über den Autor
Über das Buch / Impressum
Hinweise des Verlags
Leonardo Boff
Überlebenswichtig
Warum wir einen Kurswechsel zu echter Nachhaltigkeit brauchen
Aus dem Portugiesischen von Bruno Kern
Matthias Grünewald Verlag
Inhalt
Cover
Navigation
Titel
Inhalt
Vorwort
Buch lesen
I. Nachhaltigkeit – eine Frage auf Leben und Tod
Aktuelle Herausforderungen
Die derzeitige sozio-ökologische Ordnung ist nicht nachhaltig
Das Wirtschafts- und Finanzsystem
Weltweite Ungerechtigkeit
Der beschleunigte Rückgang der Artenvielfalt: das Anthropozän
Der ökologische Fußabdruck
Die globale Erwärmung und die Gefahr der Endes der Gattung Mensch
Der Erde treu und in Liebe zum Urheber des Lebens
II. Der Ursprung des Begriffs „Nachhaltigkeit"
Die Vorgeschichte
Die jüngste Entwicklung
III. Gegenwärtige Modelle von Nachhaltigkeit in der Kritik
Nachhaltige Entwicklung: bloße Rhetorik
Nachbesserungen
Der Neokapitalismus: fehlende Nachhaltigkeit
„Natürlicher" Kapitalismus: ein schwacher Begriff von Nachhaltigkeit
Grüne Ökonomie: eine Illusion
Ökosozialismus: unzureichende Nachhaltigkeit
Öko-Entwicklung oder Bioökonomie: mögliche Nachhaltigkeit
Solidarische Ökonomie: lebbare Nachhaltigkeit im kleinen Maßstab
Das „erfüllte Leben" der andinen Völker: die ersehnte Nachhaltigkeit
IV. Warum die derzeitige sozio-ökologische Ordnung nicht nachhaltig ist
Die Erde als Sache und Ressourcenspeicher
Die Illusion des Anthropozentrismus
Das Projekt der Moderne: grenzenloser Fortschritt
Eine zergliedernde, mechanistische und patriarchalische Wirklichkeitsauffassung
Individualismus und Konkurrenz
Achtlosigkeit statt Achtsamkeit, Vorrang des Kapitals vor den Menschen
V. Kosmologische und anthropologische Grundannahmen als Fundament eines umfassenden Begriffs von Nachhaltigkeit
Ein neues Paradigma und eine neue Kosmologie
Elemente der neuen Kosmologie: Grundlage für Nachhaltigkeit
Das Quantenvakuum: Die Ursprungsquelle allen Seins
Die vier Ausdrucksweisen der Hintergrundenergie
Komplexität, Verinnerlichung, wechselseitige Abhängigkeit
Die Erde als lebendiger Großorganismus: Gaia
Gemeinschaft des Lebens oder Umwelt?
Der Mensch als der sich seiner selbst bewusste Teil des Universums
Empfindsame Vernunft und die Logik des Herzens
Die spirituelle Dimension der Erde, des Universums und des Menschen
Achtsamkeit als Wesensmerkmal der Nachhaltigkeit
Die Verwundbarkeit der Nachhaltigkeit insgesamt
VI. Ein umfassendes Verständnis von Nachhaltigkeit
Das ökozoische Zeitalter und seine Bedeutung
Bevölkerungswachstum
Strategien für die Ernährungssicherheit der Menschen
„Global Governance" des Systems Erde und des Systems Leben
Versuch einer integralen Definition von Nachhaltigkeit
VII. Nachhaltigkeit und Universum
VIII. Nachhaltigkeit und die lebendige Erde
Die verschiedenen Bereiche der Nachhaltigkeit des Planeten
Die Erneuerung des Vertrages zwischen Erde und Menschheit
IX. Nachhaltigkeit und Gesellschaft
Den ursprünglichen Sinn von Gesellschaft wiedererlangen
Sozioökologische Demokratie: Grundlage der Nachhaltigkeit
Wie könnte eine nachhaltige Gesellschaft aussehen?
X. Nachhaltigkeit und Entwicklung
Voraussetzungen für Nachhaltigkeit
Vom materiellen Kapital zum Humankapital
Eine ökologisch vertretbare nachhaltige Entwicklung
Nachhaltigkeit und regionale gesellschaftliche Ressourcen
Nachhaltigkeit und Befriedigung der Grundbedürfnisse
Indizes einer nachhaltigen Entwicklung
Vom Humankapital zum spirituellen Kapital
Ein Beispiel für Nachhaltigkeit im besten Sinne: „Sorge um gutes Wasser"
XI. Nachhaltigkeit und Erziehung
Eine ökozentrische Erziehung
Leitlinien für eine nachhaltige Öko-Erziehung
XII. Nachhaltigkeit und Individuum
Der Leib
Die Seele
Der Geist
XIII. Aufruf zur Kooperation und Hoffnung
Literatur
Über den Autor
Über das Buch / Impressum
Hinweise des Verlags
Vorwort
Es gibt kaum ein Wort, das heute so häufig benutzt wird wie „Nachhaltigkeit oder „nachhaltig
. Regierungen, Unternehmen, die Diplomatie und die Medien führen es gleichermaßen im Munde. Es ist ein Etikett, das man auf viele Produkte aufzukleben versucht, um sie zu vermarkten und aufzuwerten.
Es ist keineswegs von der Hand zu weisen, dass es in einigen Regionen zum Teil gelungen ist, die Logik der Nachhaltigkeit durchzusetzen: innerhalb von Produktionsprozessen, innerhalb einer ökologischen Landwirtschaft, bei der Bereitstellung alternativer Energien, der Aufforstung von Wäldern, beim Recycling von Materialien, bei der Behandlung von Abfällen, in der Art zu wohnen und Mobilität zu organisieren. Dies alles sind wertvolle regionale Experimente. Doch angesichts der allgemeinen Verschlechterung des Zustandes unseres Planeten und der Natur sowie der Verknappung der Rohstoffe entspricht dies nicht der globalen Dynamik, die notwendig wäre. Es handelt sich lediglich um Inseln in einem von vielfachen Krisen aufgewühlten Meer.
Häufig gebraucht man das Wort „Nachhaltigkeit" im Sinne einer Scheinökologie, um Probleme zu verschleiern, die aus der Aggression gegenüber der Natur, der chemischen Kontaminierung der Nahrungsmittel und eines Marketings entstehen, das nur auf Verkauf und Profit aus ist. Das meiste, was als nachhaltig angepriesen wird, ist es für gewöhnlich nicht. Zumindest in einem gewissen Stadium des Lebenszyklus eines Produktes tauchen Gifte oder nicht zu beseitigende Rückstände auf. Meistens wird ein sogenanntes Greenwashing betrieben, um den Verbraucher zu täuschen. Deshalb sind eine kritische Herangehensweise und ein klareres Verständnis von Nachhaltigkeit vonnöten. Wir müssen unterscheiden lernen, was Nachhaltigkeit ist und was nicht. Und genau dies ist das Ziel dieses Buches.
Allgemein herrscht die Überzeugung, dass es so wie bisher mit unserer Erde nicht weitergehen kann. Die meisten für das Leben entscheidenden Faktoren (Wasser, Luft, Boden, Artenvielfalt, Wälder, Energie usw.) befinden sich in einem beschleunigten Prozess des Niedergangs. Wirtschaft, Politik, Kultur, Umweltmanagement und die Globalisierung allgemein verfolgen einen Kurs, der angesichts der Dimension der Plünderung von Ressourcen sowie der Schaffung von Ungleichheit und Konflikten zwischen Völkern und anderer sozialer Verwerfungen nicht als nachhaltig bezeichnet werden kann. Wir müssen uns ändern. Andernfalls könnten wir bald äußerst dramatischen Situationen ausgeliefert sein, ja es könnte sogar die Zukunft der Gattung Mensch gefährdet sein bzw. das Gleichgewicht der Erde schwer beeinträchtigt werden.
Das Schlimmste, was wir tun können, ist, nichts zu tun und zuzulassen, dass die Dinge weiter ihren gefährlichen Gang gehen. Die notwendigen Veränderungen müssen auf ein neues Paradigma hinsichtlich unseres Verhältnisses zu Erde und Natur sowie unserer Art, zu produzieren und zu konsumieren, abzielen. Dies bedeutet eine neue Etappe der Zivilisation, die stärker von der Liebe zum Leben, von einem guten Verhältnis zur Ökologie, vom Respekt gegenüber den Rhythmen, Fähigkeiten und Grenzen der Natur geprägt ist. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit zum Handeln. Und wir verfügen auch nicht über viel Weisheit und Willen zum Zusammenschluss, um die gemeinsame Gefahr zu bestehen.
Mehr als jemals zuvor wäre hier das Wort Revolution im eigentlichen Sinne des Wortes am Platz – nicht im Sinne von bewaffneter Gewalt, sondern im analytischen Sinne von radikaler Richtungsänderung des Laufs der Geschichte, um das Überleben der Spezies Mensch und anderer Lebewesen zu gewährleisten und den Planeten Erde zu erhalten.
In diesem Kontext des Alarmzustandes stelle ich meine Überlegungen zur Nachhaltigkeit an. Sie sind lediglich anfanghaft und haben keineswegs den Anspruch der Letztgültigkeit. Doch sie können möglicherweise die Diskussion anregen und viele dazu bewegen, beim Löschen des Feuers mitzuwirken, das unser gemeinsames Haus zu vernichten droht. Eine wichtige Quelle der Inspiration ist für mich die jüngste Enzyklika des Papstes Franziskus, Laudato si. Deshalb werde ich im Lauf meiner Ausführungen immer wieder darauf Bezug nehmen.
So wie alles dem Prozess der Globalisierung unterliegt, so muss auch das Wort „Nachhaltigkeit" mehr als jeder andere Wert globalisiert werden. Wenn wir die Zukunft der Menschheit und von Mutter Erde mit den Augen unserer Kinder und Enkel betrachten, dann werden wir unmittelbar der Notwendigkeit gewahr, uns um die Nachhaltigkeit und darum zu bemühen, Mittel zu finden, um sie in allen Bereichen der Wirklichkeit umzusetzen.
Petrópolis, Dezember 2015
Leonardo Boff
I. Nachhaltigkeit – eine Frage auf Leben und Tod
Die Erd-Charta, eines der inspirierendsten Dokumente des 21. Jahrhunderts, ging aus einem Konsultationsprozess hervor, der sich über einen Zeitraum von acht Jahren (1992 – 2000) erstreckte. Beteiligt daran waren Tausende von Menschen aus vielen Ländern, Kulturen, Völkern, Institutionen, Religionen und Universitäten. Wissenschaftler waren ebenso mit einbezogen wie Weise und Vertreter autochthoner Kulturen. Die Erd-Charta stellt einen ernsten Aufruf angesichts der Gefahren dar, denen die Menschheit ausgesetzt ist. Zugleich formuliert sie voller Hoffnung Werte und Prinzipien, die von allen geteilt werden müssten und die uns in die Lage versetzen, unserem Zusammenleben auf diesem kleinen und bedrohten Planeten eine neue Zukunft zu eröffnen. Der Text ist kurz, sehr dicht geschrieben und leicht verständlich. Ich hatte die Ehre, zusammen mit Michail Gorbatschow, Steven Rockefeller, Maurice Strong, Mercedes Sosa und anderen an der Redaktion mitzuwirken. Das Dokument beginnt mit den gewichtigen Worten:
„Wir stehen an einem kritischen Punkt der Erdgeschichte, an dem die Menschheit den Weg in ihre Zukunft wählen muss. […] Wir haben die Wahl: Entweder bilden wir eine globale Partnerschaft, um für die Erde und füreinander zu sorgen, oder wir riskieren, uns selbst und die Vielfalt des Lebens zugrundezurichten." (Erd-Charta, 7 – 8)
Aktuelle Herausforderungen
Wie schließt man einen Bund der Achtsamkeit mit der Erde, dem menschlichen Leben und der gesamten Gemeinschaft des Lebens, um damit die erwähnten Gefahren zu beseitigen? Die Antwort kann nur lauten: mittels echter, wahrhaftiger, effektiver und globaler Nachhaltigkeit, die mit dem Prinzip der Vorsorge und der Vorbeugung untrennbar verbunden ist.
Noch bevor wir eine genauere Definition von Nachhaltigkeit bieten, können wir ihre grundlegende Bedeutung beschreiben: Sie ist die Gesamtheit der Prozesse und Handlungen, die darauf abzielen, die Lebenskraft und Unversehrtheit der Mutter Erde zu erhalten sowie ihre Ökosysteme samt allen dazugehörigen physikalischen, chemischen und ökologischen Elementen zu bewahren, die das Leben heute, dessen Fortbestand für die künftigen Generationen sowie die Weiterentwicklung, Erweiterung und Verwirklichung der Möglichkeiten der menschlichen Zivilisation in ihren verschiedenen Ausdrucksgestalten ermöglichen.
Der Erd-Charta zufolge ist Nachhaltigkeit eine Frage auf Leben und Tod. Niemals zuvor in der uns bekannten Geschichte der menschlichen Zivilisation waren wir den Gefahren ausgesetzt, die heute unsere gemeinsame Zukunft bedrohen. Diese Gefahren werden nicht dadurch geringer, dass sehr viele Menschen aller Bildungsgrade dieser allerwichtigsten Frage in Gleichgültigkeit begegnen. Wir können es uns nicht leisten, aus Fahrlässigkeit oder Unwissenheit zu spät zu kommen. Die Prinzipien der Vorsorge und der Vorbeugung wiegen schwerer als die Gleichgültigkeit, der Zynismus und die unverantwortliche Sorglosigkeit. Auch Papst Franziskus macht sich das Prinzip der Vorbeugung zu eigen:
„In der Rio-Erklärung von 1992 heißt es: ‚Drohen schwerwiegende oder bleibende Schäden, so darf ein Mangel an vollständiger wissenschaftlicher Gewissheit kein Grund dafür sein, kostenwirksame Maßnahmen zur Vermeidung von Umweltverschlechterungen aufzuschieben.‘ Dieses Prinzip der Vorbeugung gestattet den Schutz der Schwächsten, die kaum über Mittel verfügen, sich zu verteidigen und unumstößliche Nachweise zu erbringen. Wenn die objektive Information einen schweren und irreversiblen Schaden voraussehen lässt, müsste jedes Projekt, auch wenn es keine unbestreitbare Bestätigung gibt, gestoppt oder modifiziert werden. So wird die Beweislast umgekehrt …" (Laudato si, 186)
Wenn wir dem Bund der Achtsamkeit einen zentralen Stellenwert einräumen, dann werden wir mit Sicherheit ein Stadium allgemeiner Nachhaltigkeit erreichen, das uns Erleichterung, Lebensfreude und Hoffnung schenkt, eine Geschichte zu gestalten, die einer verheißungsvolleren Zukunft entgegengeht.
Meine Überlegungen orientieren sich an diesen weisen Worten im letzten Abschnitt der Erd-Charta:
„Wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit fordert uns unser gemeinsames Schicksal dazu auf, einen neuen Anfang zu wagen. […] Das erfordert einen Wandel in unserem Bewusstsein und in unseren Herzen. Es geht darum, weltweite gegenseitige Abhängigkeit und universale Verantwortung neu zu begreifen. Wir müssen die Vision eines nachhaltigen Lebensstils mit viel Fantasie entwickeln und anwenden, und zwar auf lokaler, nationaler, regionaler und globaler Ebene." (Erd-Charta, 16)
Wenn wir diesem Aufruf das Wesentliche entnehmen, dann gilt es, die folgenden Punkte festzuhalten:
1. Erde und Menschheit teilen ein gemeinsames Geschick , denn aus der Perspektive der Evolution betrachtet, oder wenn wir die Erde von außerhalb anschauen, bilden beide, Erde und Menschheit, eine einzige Größe.
2. Die gegenwärtige Situation ist in sozialer wie in ökologischer Hinsicht so schlimm, dass uns ein Weitermachen wie bisher – in der Art und Weise, die Erde zu bewohnen, zu produzieren, die Güter zu verteilen und zu konsumieren, wie sie sich in den letzten Jahrhunderten entwickelt hat – nicht die Bedingungen garantiert, um unsere Zivilisation, ja vielleicht nicht einmal die Spezies Mensch insgesamt, zu retten. Deshalb ist ein Neuanfang zwingend geboten, der neue Begriffe, neue Visionen und neue Träume beinhalten muss, wobei die unverzichtbaren wissenschaftlichen und technischen Instrumente hier mit einbezogen werden müssen. Es geht um nicht weniger als darum, den Gesellschaftsvertrag unter uns Menschen und den Pakt mit der Natur und der Mutter Erde auf eine neue Grundlage zu stellen.
3. Für diese riesige Aufgabe ist ein Wandel der Gesinnung , das heißt eine neue mentale Software bzw. ein anderes Design unserer Art zu denken und die Wirklichkeit zu deuten, dringend geboten. Es liegt nämlich – wie uns Einstein zu bedenken gab ‒ klar auf der Hand, dass eben das Denken, das zu dieser katastrophalen Situation allererst geführt hat, uns nicht aus ihr heraushelfen kann. Um uns zu ändern, müssen wir also anders denken. Grundlegend ist auch eine Veränderung des Herzens. So unverzichtbar Wissenschaft und Technik, die aus der analytischen und instrumentellen Vernunft hervorgehen, auch sein mögen: Dies reicht nicht aus. Was gleichermaßen nottut, ist die emotionale Intelligenz, die Intelligenz des Herzens, denn sie ist es, die uns das Gefühl vermittelt, Teil eines umfassenderen Ganzen zu sein, die uns unsere innere Verbundenheit mit allen übrigen Seinsformen spüren lässt, uns den Mut für die notwendigen Veränderungen verleiht und in uns die Fantasie erweckt, aus der Visionen und Träume voller Verheißung hervorgehen (vgl. Boff 2016)
4. Wir sind dringend dazu aufgefordert, ein Gefühl der globalen wechselseitigen Abhängigkeit zu entwickeln. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass wir alle weltumspannend von allem anderen abhängig sind, dass uns Bande miteinander verknüpfen, die in alle Richtungen führen, dass niemand von uns ein einsamer Stern ist und dass im Universum und in der Natur alles mit allem in jedem Augenblick und unter allen Umständen zu tun hat, wie die Quantenphysiker Niels Bohr und Werner Heisenberg deutlich gemacht haben. Ebenso wichtig wie die wechselseitige Abhängigkeit ist die universale Verantwortlichkeit. Das bedeutet, dass es darauf ankommt, ein scharfes Bewusstsein für die guten oder schlechten Folgen unseres Handelns, unserer Politik und unseres Eingreifens in die Natur zu entwickeln, die das empfindliche Gleichgewicht stören können. Im Falle des Gebrauchs von Massenvernichtungswaffen kann sogar die Spezies Mensch für immer ausgelöscht werden. Damit würde die Evolution der Mutter Erde um Tausende von Jahren zurückgeworfen, sie wäre zugrundegerichtet und mit Leichen übersät.
5. Die Vorstellungskraft und Fantasie schätzen lernen. Bereits Albert Einstein bemerkte: Wenn die Wissenschaft keine Wege mehr findet, dann tritt die Fantasie auf den Plan und schlägt bis dahin nicht verfolgte Fährten vor. Heute brauchen wir Fantasie, nicht nur, um eine andere mögliche , sondern eine andere notwendige Welt zu entwerfen, in der alle Platz haben, in der wir uns gegenseitig gastfreundlich aufnehmen und die gesamte Gemeinschaft des Lebens, ohne die wir selbst nicht existieren würden, in diese Gastfreundschaft einschließen. Eine neue Musik erfordert ein neues Gehör, und ein neues Handeln bedarf neuer Träume.
6. Die große Herausforderung kann folgendermaßen zusammengefasst werden: eine nachhaltige Lebensweise schaffen. Der Begriff „Nachhaltigkeit" darf nicht verkürzt, darf nicht den Substantiven Wachstum und Entwicklung lediglich als Adjektiv beigefügt werden, wie es heute überwiegend der Fall ist. Nachhaltigkeit muss vielmehr alle Wirklichkeitsbereiche umfassen: von den Einzelnen über die Gemeinden, die Kulturen, die Politik bis zur Industrie. Nachhaltigkeit ist eine Seins- und Lebensweise, die uns abverlangt, unser Handeln als Menschen in Einklang zu bringen mit den begrenzten Möglichkeiten eines jeden Lebensraums und mit den Bedürfnissen der gegenwärtig lebenden Menschen sowie der künftigen Generationen.
7. Auf allen Ebenen, auf der lokalen, regionalen, nationalen und globalen Ebene, muss Nachhaltigkeit durchgesetzt werden. Diese Perspektive will der herrschenden Tendenz entgegenwirken, die Nachhaltigkeit lediglich in Zusammenhang mit den übergreifenden Strukturen thematisiert und die lokalen Besonderheiten sowie die Spezifika der Ökoregionen, die Eigenheiten eines jeden Landes mit seiner jeweiligen Kultur, seinen Bräuchen und seiner Art und Weise, es sich auf der Erde einzurichten, übergeht. Schließlich muss Nachhaltigkeit auf einer globalen Ebene gedacht werden, die den gesamten Planeten in gleicher Weise mit einbezieht und dafür sorgt, dass der Vorteil des einen Teils nicht auf Kosten des anderen Teils erreicht wird. Die Kosten und Vorteile müssen anteilmäßig und solidarisch geteilt werden. Es ist nicht möglich, Nachhaltigkeit für einen Teil des Planeten zu garantieren und es gleichzeitig zu unterlassen, die anderen Teile nach Möglichkeit auf wenigstens annähernd dasselbe Niveau zu heben.
Die derzeitige sozio-ökologische Ordnung ist nicht nachhaltig
Wenn wir auf unseren zurückgelegten Weg schauen, dann stellen wir das mangelnde Gleichgewicht des Systems Erde und des Gesellschaftssystems fest. Es