Kreative Sprachförderung nach Maria Montessori
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Über dieses E-Book
Katrin Zboralski
Katrin Zboralski unterrichtet an der Montessori-Schule in Greifswald und als Sprach-Dozentin in Montessori-Diplom-Lehrgängen.
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Buchvorschau
Kreative Sprachförderung nach Maria Montessori - Katrin Zboralski
Katrin Zboralski
Kreative Sprachförderung nach Maria Montessori
Impressum
Titel der Originalausgabe: Kreative Sprachförderung
nach Maria Montessori
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2013
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlagkonzeption und -gestaltung: Berres & Stenzel, Freiburg
Umschlagfoto: © Sönke Held
E-Book-Konvertierung: epublius GmbH, Berlin
ISBN (E-Book): 978-3-451-80468-7
ISBN (Buch): 978-3-451-32675-2
Inhalt
Einleitende Worte
1. Sprache lernt man durch Sprechen
Erzählrunde im Morgenkreis
Durch Sprechen Sprache lernen
Freiarbeit: freie Wahl der Arbeit
Das Prinzip der Freien Wahl in der Montessori-Pädagogik
2. Sprechen lernen, Schreiben lernen – wer lernt was, wann und wie?
Sprechspiele im Morgenkreis
Sensible Phasen in der Sprachentwicklung
Freiarbeit: Zeit und Raum für Kommunikation und Entwicklungsmöglichkeiten
Die Vorbereitete Umgebung für den Bereich Sprache in der Montessori-Pädagogik
3. Sprachvielfalt erleben
Gespräche über fremde Sprachen im Morgenkreis
Freiarbeit: Spracherfahrungen durch konzentriertes Tätigsein
Exkurs – Warum denn Grammatik?
Entwicklungsmaterial aus dem Bereich Sprache in der Montessori-Pädagogik
4. Vom Vorlesen und Zuhören
Vorlesen im Morgenkreis?!
Hörverstehen als Vorbereitung der Lesekompetenz
Freiarbeit: Austausch von Wissen und Erfahrung
Sprachvielfalt durch Jahrgangsmischung in der Montessori-Pädagogik
5. Unterwegs zum Schreiben
Post und Vortrag im Morgenkreis
Freiarbeit: Spracherfahrung durch Hören und Lesen
Die Bedeutung des Erwachsenen für den kindlichen Sprachaufbau
Welche Rolle spielt der Erwachsene in der Spracherziehung?
6. Praxis Sprache
Mundsport
Sprechspiele
Sprachspiele
Geschichten erzählen
Geschichten schreiben
Literatur
Einleitende Worte
Bücher und Ratgeber zur Sprachförderung könnten inzwischen eine ganze Bibliothek füllen. Sie alle antworten auf ein Defizit, über das die Tagespresse vielfach berichtet hat: die mangelnde Sprachkompetenz der Kinder.
Vielfältige Maßnahmen wurden ergriffen, um Kinder aus »ganz normalen« und aus »nicht-ganz-so-normalen« Familien zu fördern. Doch gelöst ist das in der Tat bestehende Problem nicht. Es bleibt die Frage: Was können wir tun?
Maria Montessori lag die Spracherziehung der Kinder besonders am Herzen. Sie sah Sprache als »Basis des sozialen Lebens« und die Schrift als »eine Sprachform, die für die Kultur unserer Zeit notwendig ist, in der die wechselseitige Kommunikation weltweit geworden ist« (Montessori 1998 : 158). Aus diesem Grund gibt es in Montessori-Kinderhäusern und
-Schulen
zahlreiche Entwicklungsmaterialien zu Schrifterwerb und Sprachlehre.
Ich werde Ihnen im Folgenden nicht den Einsatz dieser Materialien näher erläutern, da ihre Vermittlung in den Ausbildungslehrgängen stattfindet und es bereits etliche Vorschläge zu weiterführenden Aufgaben gibt. Ich möchte Ihnen vielmehr näherbringen, wie Sprachförderung auf den Grundlagen der Pädagogik Maria Montessoris den Alltag durchdringen und bereichern kann. Sprechen und Schreiben fördern – das ist eigentlich ganz einfach: wenn wir Erwachsenen an die natürlichen Interessen der Kinder anknüpfen, diese wahrnehmen, begleiten und unterstützen.
Wie das funktionieren kann, schildere ich zunächst ausgehend von der Praxis: Ich habe in den ersten fünf Kapiteln Beispiele aus meinem Alltag in der Montessori-Schule Greifswald zusammengestellt. Von Montag bis Freitag, von Kapitel 1 bis Kapitel 5, stehen jeweils unterschiedliche Aspekte der Sprachförderung im Fokus – die natürlich mit vielen anderen Bereichen verknüpft sind. Die Basis dieser Beobachtungen sind die jahrgangsgemischten Lerngruppen. Dort trafen und treffen sich Kinder mit unterschiedlichen Sozial- und Lernerfahrungen, die gemeinsam den Weg ihrer Lernentwicklung beschreiten. Die hier beschriebenen Personen und Situationen habe ich so oder so ähnlich in den letzten 14 Jahren erlebt und das zusammengefasst dargestellt, was mir als besonders beeindruckend im Bereich der Spracherziehung in Erinnerung geblieben ist. Die Namen der Kinder sind natürlich frei erfunden. Gesprächsrunden und Arbeitssituationen hingegen nicht, die haben so tatsächlich stattgefunden und zeigen, was in Kindern steckt.
Die Einblicke in meine Praxis können Ihnen vielfältige Anregungen für die eigene Arbeit geben: Eine Fülle von Sprech- und Sprachspielen, Schreibideen und Projekten werden angeführt, deren ausführliche Beschreibung im sechsten Kapitel »Praxis Sprache« zu finden sind. Diese können Sie auf die eigene Situation in der Familie oder in der Lerngruppe angepasst anwenden. Da sich Kinder in ihren Entwicklungswegen und
-zeiten
unterscheiden, habe ich in diesem Kapitel auf Altersangaben verzichtet.
Greifswald, im Januar 2013
Katrin Zboralski
1
Sprache lernt man durch Sprechen
»Wenn die Kinder frei sind zu wählen, so wählen sie etwas, das bedeutsam für ihre Entwicklung ist.«
Maria Montessori
Die Kinder im Kinderhaus und in der Schule entscheiden sich selbst für eine Arbeit, sie wählen den Arbeitsort, eventuell einen Arbeitspartner und den Zeitumfang. Die Freiheit des Kindes, selbstständig über seine Tätigkeiten zu entscheiden, bedeutet nicht, dass es sich überlassen bleibt. Wir Erwachsenen können wahrnehmen und erkennen, ob sich ein Kind für eine Aufgabe interessiert und diese auch bewältigt oder ob es Unterstützung bei der Auswahl und Handhabung benötigt.
Erzählrunde im Morgenkreis
Es ist Montag. Kinder und Erwachsene sitzen auf dem Boden um einen runden Teppich. In der Mitte des Teppichs liegen ein Buch über Störche und eine Hexenfigur.
Viele Jahre wanderte ein Erzählstein im Kreis von Hand zu Hand. Da die Kinder häufig sehr leise sprechen, haben wir uns ein »Mikrofon« gebastelt. Dieses hat dieselbe Aufgabe wie der Erzählstein, allerdings mit dem Zusatz, dass ein »Lautstärkeregler« aufgemalt worden ist. Spricht ein Kind leise, wird es gebeten, diesen zu drücken – und tatsächlich: das Kind spricht lauter und meist deutlicher!
Mira beginnt den Erzählkreis. Sie möchte nichts vom Wochenende erzählen, aber verkünden, was es heute Mittag zu essen gibt. Da sie undeutlich nuschelt, verstehen einige Kinder sie nicht oder glauben, sich verhört zu haben: »Was, es gibt heute Spinnenbrei?« Mira wird gebeten, in der »Nachrichtensprechersprache«, also laut und sehr deutlich, zu sprechen. Aha, es gibt Spinat und Ei. Sie gibt das Mikrofon weiter. Wer nicht erzählen mag, reicht das Mikrofon einfach seinem Nachbarn.
Jens aus der ersten Klasse lässt sich von der vorausgegangenen Irritation nicht beirren und erzählt mit viel Gestik und dramatischer Mimik von dem Autounfall, den der Nachbar seines Opas erlebt hat. Vor lauter Aufregung bringt er die Reihenfolge durcheinander und muss viele Nachfragen beantworten. Er gibt das Mikrofon weiter.
Esther zeigt allen die Hexenfigur und erzählt, dass ihre Schwester im Harz im Urlaub war und ihr diese Hexe mitgebracht hat. Sie hat so viel über Hexen zu erzählen, dass ein Mitschüler ihr vorschlägt, ein Plakat zu gestalten oder einen Vortrag über Hexen zu halten.
Dann ist Moritz an der Reihe. Er erzählt, dass seine Familie zwei Schweine besitzt namens »Kotelett« und »Schnitzel«, die vier Ferkel bekommen haben. Für diese Ferkel will sich Moritz Zauberformeln als Namen ausdenken und plant mit dem »Silbenspiel« aus dem Rechtschreibregal zu arbeiten. Sofort schließen sich Helfer an – Zauberformeln können nie schaden.
Das Mikrofon geht von Kinderhand zu Kinderhand. Peter wartet, bis alle ganz still sind. »Ich habe ein Buch über Störche mitgebracht, weil wir am Wochenende drei Störche gesehen haben. Ich möchte mehr über Störche erfahren, weil ich einen wissenschaftlichen Bericht über Störche schreiben will und natürlich nur wahre Fakten nennen will.«
Durch Sprechen Sprache lernen
Frei sprechen?
Einigen Kindern fällt es gar nicht schwer, vor einer Gruppe von Zuhörern zusammenhängend und mit begleitender Mimik und Gestik ausführlich zu erzählen. Für andere Kinder hingegen bedeutet es eine große Überwindung, und es ist eine kleine Mutprobe, die sie erst zu einem späteren Zeitpunkt bewältigen. Und natürlich gibt es auch Kinder, die zwar im kleinen, vertrauten Kreise erzählen, aber niemals vor der großen Gruppe.
Das freie Sprechen im Erzählkreis sollte nicht nur »frei«, sondern auch freiwillig sein. Kinder reden gern und viel. Sie erzählen von ihren Erlebnissen, sie erzählen Witze, erklären sich gegenseitig Spiele oder wie eine Rakete funktioniert. Im Rahmen der Sprachentwicklung sollte jedes Kind täglich Gelegenheit und Zeit erhalten, von sich und seinen Erlebnissen zu erzählen, denn »unser erzieherisches Ziel sollte darin bestehen, der Entwicklung behilflich zu sein und nicht inhaltliche Bildung zu vermitteln« (Montessori 2010 : 202).
Ich spreche, also denke ich. Ich denke und so spreche ich
Beim freien Sprechen übt der Sprechende das Sprechen. Banal? Das kann doch jeder? Ein Erzählvortrag ist aber nicht nur ein stockendes »Äh-so-dahin-Reden«, sondern eine gezielte Mitteilung, die beim Zuhörenden ankommen soll.
»Zwischen der Fähigkeit, Wörter zu lesen und den Sinn eines Buches zu erfassen, kann derselbe Unterschied bestehen wie zwischen dem Vermögen, ein Wort auszusprechen und eine Rede zu halten« (Montessori 2010 : 278).
Ganze Sätze verwenden, eventuell mit Nebensätzen, erläuternde Einschübe einfügen oder Ereignisse in indirekter Rede wiedergeben, das können Erzähl-Profis. Aber auch ein geübter Erzähler hat als Anfänger begonnen. Wann immer ein Kind Gelegenheit und Zeit erhält, zu erzählen, übt es, in Sätzen zu sprechen, Überleitungen zu finden und treffende Wörter zu benutzen. Wann immer wir einem Kind die Gelegenheit zum Erzählen geben, fördern wir seine Sprachkompetenz und seine Persönlichkeitsentwicklung.
»Das Kind muss seinen Wortschatz nutzen, um die Kraft seines Denkens zu erweitern und um Selbstvertrauen zu gewinnen, indem es seine Gedanken laut äußert« (Stephenson 2008 : 101).
Damit die Zuhörer interessiert und gebannt zuhören, spricht der Erzählende laut und deutlich und betont eventuell dramatische Aspekte mit der entsprechenden Mimik und Gestik. Das Sprechen in der vertrauten Erzählrunde bietet eine nicht zu unterschätzende Übungsmöglichkeit. Der Sprecher hat Gelegenheit, in seinen eigenen Worten den anderen seine Erlebnisse und Gedanken mitzuteilen und übt sich darin, diese zunächst ungeordneten Gedanken und Erlebnisse in Worte zu fassen, in einer erzählenden Abfolge zu ordnen. Dabei ist die Wortwahl und der Ausdruck von großer Bedeutung, denn die »gesprochene Sprache kann Musik sein, die begeistert, fesselt und inspiriert oder sie kann eine erbärmliche Dissonanz sein, die nichts zu bieten hat« (Stephenson 2008 : 103).
Sprache ist vor allem ein soziales Phänomen. Sie ist von Menschen für Menschen »geschaffen«, und sie »vereinigt Gruppen von Menschen« (Montessori 1969 : 101). Der Austausch von Gedanken, Wünschen und Gefühlen festigt den Kontakt der Gesprächspartner untereinander. Gemeinsam dem Bericht über ein Geschehen zu lauschen, das jemand aus unserer Mitte erlebt hat und jetzt preisgibt, verbindet alle Anwesenden. Das gilt für das Gespräch in der Familie genauso wie für die Erzählkreise im Kindergarten und in der Grundschule. Der soziale Aspekt der »Palaver-Runden« beruht darin, dem Redner Aufmerksamkeit zu schenken und Anteil zu nehmen an einer Begebenheit, die ihn emotional bewegt hat (sonst würde er sie nicht erzählen). Der Erzähler nimmt ebenfalls direkt sozialen Kontakt zu den Zuhörern auf, die er an seinem Er-Leb(e)nis teilhaben lässt.
Somit ist der Erzählkreis am Montagmorgen eine ideale Möglichkeit der Gruppenbildung und Spracherziehung.
Freies Sprechen vor der Gruppe
ist ein idealer Übungsraum für
das Überwinden der Hemmschwelle, frei zu sprechen,
lautes und deutliches Sprechen (»Nachrichtensprechersprache«),
den Sinn betonendes Sprechen (Unterstützung durch Gestik und Mimik),
das Einüben und Verwenden neuer Wörter (Wortschatzerweiterung),
das Sprechen in vollständigen Sätzen,
strukturiertes Sprechen.
Freiarbeit: freie Wahl der Arbeit
Die Kinder begeben sich nach dem Morgenkreis mit ihren unterschiedlichen Vorhaben an ihre Aufgaben. Einige aktuelle persönliche Erlebnisse, die im Morgenkreis erzählt worden sind, werden als Schreibanlässe genutzt. Damit Kinder ihre Ideen und Vorhaben in die Tat umsetzen können, finden sie in den offenen Regalen der Vorbereiteten Umgebung entsprechende Materialien.
Wie verhext! – Sprechspiele und Hexenwörter
Sprechspiele ergeben sich auch von selbst
Esther bereitet ihren Arbeitstisch vor. Sie stellt die Hexe auf den Tisch und malt auf einem großen DIN-A
3-Blatt
einen Kochtopf und eine Hexe. Während sie malt, überlegt sie, wie die Hexe heißen könnte und fragt ihre Mitschülerinnen um Rat. Der Name soll »hexisch« klingen. Immer mehr Kinder beteiligen sich an der Namensuche und sprechen »hexisch« miteinander. Es entwickeln sich aus der Situation heraus Wort- und Lautspielereien: Mehrere Kinder spielen die Rollen verschiedener Hexen und sprechen mit hoher Stimme und in unterschiedlichen »Sprachen« miteinander. Eine Hexe verwendet viele langgezogene ih-s, die andere betont alle Vokale und zischelt die sch-Laute, und wieder eine andere hängt an