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Mein Europa: Gedichte aus dem Tagebuch
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eBook252 Seiten1 Stunde

Mein Europa: Gedichte aus dem Tagebuch

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Über dieses E-Book

DIE VIELGESTALT EUROPAS EINGEFANGEN IN GEDICHTEN VON MICHAEL KRÜGER.

ZUGÄNGLICHE, VIELFACH PREISGEKRÖNTE LYRIK IN FORM EINES REISETAGEBUCHS
Die Welt in Gedichten erfassen, vermeintlich im Vorübergehen, und doch an DAS WESEN DER DINGE rühren - MICHAEL KRÜGER hat diese Kunst zur Meisterschaft gebracht in seiner Jahrzehnte währenden Arbeit als Lyriker. In "Mein Europa" zeigt er sich auf intime Weise als ENTHUSIAST DES STILLEN BEOBACHTENS, als EINGEWEIHTER IM GESPRÄCH DER TIERE, als Skeptiker der menschlichen Natur, als Kenner vielfältiger Traditionen, Kulturen und Sprachen - und nicht zuletzt als GLÜHENDER ANHÄNGER DES EUROPÄISCHEN GEDANKENS.

GEDICHTE VON ORTEN IN GANZ EUROPA, VON DEN ZENTREN BIS IN DIE PERIPHERIE
Über den Zeitraum von eineinhalb Jahren hat Michael Krüger AN ALL DEN ORTEN, DIE ER BEREISTE, GEDICHTE VERFASST. Es sind die Orte der Peripherie, an denen er mehr über sich und das Leben vernimmt als im Trubel der großen Städte. Entstanden ist ein SEHR PERSÖNLICHER ATLAS EUROPAS, chronologisch unterteilt in die VIER JAHRESZEITEN, in dem man MIT DEM BLICK DES AUTORS IN DIE WELT EBENSO WIE IN SEINE GANZ PRIVATE UMGEBUNG schaut.
SpracheDeutsch
HerausgeberHaymon Verlag
Erscheinungsdatum30. Juli 2019
ISBN9783709938928
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    Buchvorschau

    Mein Europa - Michael Krüger

    Brigge«

    Soglio

    Hier, wo das Land sich steil

    nach oben verliert, musst du

    der Sonne sagen,

    dass sie stillstehen soll,

    weil du in aller Ruhe

    dem Sommer nachsehen willst,

    dem Kastanienpflücker

    mit dem hellen Sinn für das Ende.

    Also soll das Buch sich

    von selber schreiben,

    im Rhythmus des Brunnens,

    bis der Tag, müde geworden,

    im Gras die Rede Gottes nachliest,

    das aufmüpfige Gebet der Steine.

    Zagreb

    Wenn die schwarzen Störche nicht wären,

    das grincajg am Markt,

    St. Georg, der sich weigert, den Drachen zu töten,

    ich wüsste nicht, wo ich aufgewacht bin.

    Früher gab es hier ein Narrenhaus

    für Philosophen, die šnicl aßen

    und die taubek fütterten,

    übermüdet von Schlaflosigkeit und Wut.

    Spuck nicht in den Brunnen,

    sagt die Bettlerin, die ihre Geschichte

    auswendig kennt und meine in der Hand hat,

    aus dem du trinken willst.

    Endlich die Spatzen, gut katholisch,

    sie sorgen mit winzigen Schritten dafür,

    dass die Sonne sich um die Erde dreht,

    immerdar.

    Fellbach

    Den Bach habe ich nicht gesehen

    in Fellbach, aber ich sah Mörike

    kurzsichtig im Neckar stehen:

    Sinnlos, murmelte er, ist ein böses Wort,

    dann verlor er den Faden,

    und die Fische schwammen ihm

    in Scharen davon.

    Schon wieder eine Hausdurchsuchung

    im Herzen, alle sind stärker als du.

    Rede, wenn die Grillen wieder schwirren,

    aber achte auf das Ungeteilte,

    dein chinesisches Erbe.

    Aus dem Asphalt in Fellbach

    brach ein Büschel Gras,

    man sah ihm die Anstrengung an,

    auf die Welt zu kommen, nur ich

    habe es gesehen, nur ich,

    aber keiner will davon wissen.

    Allmannshausen

    Hast du den Igel gesehen?

    Er liest Nietzsches »Morgenröte«,

    ein Buch für Tiere.

    Ein Kohlweißling blättert ihm

    die Seiten um, sie kleben vom Schleim

    einer Schnecke.

    Iss keine Walderdbeeren,

    die hat der Fuchs bestrichen.

    Und bitte: keine Levkojen

    auf meinem Grab, überhaupt keine

    Kreuzblütengewächse, kein Grab,

    die Birke hat Asche nötig.

    Wangen im Allgäu

    Wund kam ich in Wangen an,

    vorbei an Wertach, Sebalds wüstem Land,

    ich hatte nichts in Händen mehr,

    nur Eichendorff, die Lieder und Gedichte,

    den langen Weg zum Abschied einer Liebe.

    Die Bruderschaft zum Guten Tod

    aß in der »Traube« Heiße Seelen

    mit Schinken oder Wurst.

    Darf ich mich zu euch setzen

    an diesem Tage vor der Wahl?

    Die Antwort, wie aus einem Munde, klang,

    als würden Sterne auf das Pflaster fallen.

    Odessa

    Vor der Kirche die Bettlerin

    mit dem Gesicht eines Engels,

    ihre rissigen Hände erinnern

    an Hering und Zwiebel,

    die fromme Genossenschaft.

    Künstliches Licht; der Segen

    eingenäht in das Futter des Mantels.

    Ich habe eine Kerze für dich angezündet,

    sie soll dich erleuchten.

    Arm und Reich senden nicht mehr,

    die Trauer verachtet voll Stolz

    die kleinen traurigen Worte.

    Aber was in dir stirbt, bleibt dir erhalten,

    du nimmst es mit in den Tod.

    Es ist hohe Zeit, das Gedicht aufzugeben,

    das unfertige, das nicht abzuschließen ist.

    Odessa, durch Babels Brille gesehen,

    gehört jetzt den streunenden Katzen.

    Das wollte, zum Abschied, ich sagen.

    Odessa

    Auf meiner Taschenweltkarte

    darf das Öllämpchen nicht fehlen

    vor der Madonna im Park.

    Als ich mich näherte,

    flammte es zischend auf

    und wies die Schöpfung zurück.

    Die Madonna, noch mit der Hand

    gemalt, nicht mit dem Hirn,

    unfähig zu lächeln,

    hob ihre sanften Hände:

    Du darfst nicht sterben,

    bevor der Krieg gegen das Leben

    nicht verloren ist.

    München, Pinakothek

    (zu einem Bild von Paul Klee, 1927)

    Es ist leicht, nach oben zu steigen,

    freihändig, wenn du das Chaos der Treppen

    hinter dir lässt, die schlecht vermessene Welt.

    Nimm eine Katze mit und einen Indianer,

    schwindelfrei müssen sie sein

    und die Grenze nicht kennen,

    die das Land des Verstandes vom Land

    der Wahrheit trennt.

    Der Ehrgeiz kommt von den Augen,

    die Unterwerfung der Welt mit einem Blick,

    der sich trübt, wenn er die Sonne trifft,

    ihren schwarzen, nebligen Hof.

    Ehrgeiz ist der Tod des Denkens, sagt einer,

    dem wir glauben dürfen.

    Wie ein schweigsames Kind steht er

    auf der sich neigenden Treppe

    zwischen Diesseits und Jenseits

    und lacht.

    München, Gellertstraße

    Ich habe das Gras gemäht, wahrscheinlich

    das letzte Mal vor dem Winter.

    Sie hoben ihn hoch und hängten ihn

    an einen Kohlstrauch, diese Demütigung

    geht mir nicht aus dem Kopf. Nein,

    ich will nicht mehr nach Jerusalem fahren.

    (Aber der Kohl war so hoch wie die Tanne

    vor mir, in der ein wilder Wein leuchtet,

    eine offene Wunde!)

    Nulla è vero, tutto è permesso, meine Zeit

    ist zusammengeflickt wie eine Narrenjacke,

    die keiner mehr anziehen will vor dem Winter.

    Schwangau

    Wir gingen durch das Tal, der König und ich,

    seine Schlösser vor uns im Abendlicht,

    dann nahmen wir ein Bad im Bannwaldsee

    und aßen Fisch aus der Hand.

    Ilse Schneider-Lengyel gab uns Masken

    aus Polynesien, damit man uns nicht erkennt.

    Der König fror und wollte die Kühe umarmen.

    Ich konnte nichts für ihn tun,

    meine Krone war ja aus Gras.

    Marseille

    Wie fleißige Archäologen sortieren

    Kakerlaken den Müll vor Bonne Mère.

    Man sieht den unhöflichen Mistral nicht,

    der den afrikanischen Sand

    über die Steppe des Meeres trägt

    und die Bouillabaisse aufwärmt,

    für die Lebenden und die Toten.

    Dein kindlicher Ehrgeiz, Marseille,

    schön und verrucht zu sein

    wie deine lange Geschichte

    aus Höflichkeit, Armut und Not,

    die du jedem auf die Nase bindest,

    der sich gegen dich nicht wehren kann.

    Marseille

    Der Mann, der das Salz bringt,

    braucht keinen Namen,

    das Salz für die Suppe.

    Nur der Unbenennbare braucht einen,

    er will sich verleugnen.

    Seine Hand bleibt verschlossen.

    Ich schaue den Spatzen zu,

    sie bezwitschern theologische Projekte

    vor dem Haus der Wahrheit.

    Die Poststelle ist nicht besetzt.

    Das Meer, vom Mistral gepeinigt,

    schreibt heute mit Tinte.

    Im Arabischen, entziffere ich,

    gibt es dreißig Wörter für Liebe,

    aber nur eines, das trifft.

    Marseille

    In der rue Paradis,

    der zweitlängsten Straße der Stadt,

    wurde gefoltert,

    eine Blutspur hat sich erhalten.

    Hinter Toulon, am Strand

    Ein Wassermaler,

    dem die Wellen gehorchen.

    Sonst nichts.

    Toulon

    In Toulon, am Hafen,

    wo das Licht gelöscht wird

    aus Afrika, gibt es mehr Himmel

    als Meer, und das Meer ist schwarz.

    Unter der Bank, auf der ich sitze,

    um den Moment zu erhaschen,

    wenn Wasser und Himmel

    ohne Übergang verschmelzen,

    bauen Ameisen

    an einem unterirdischen Reich.

    Kleine Missionare,

    die auf allen sechsen den Sand zählen,

    als sei das ein Beruf.

    Ein Volk darf man nicht zählen,

    so lautet

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