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Horst Kramp: Hähnchen machen auch nicht satter als Broiler
Horst Kramp: Hähnchen machen auch nicht satter als Broiler
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eBook169 Seiten2 Stunden

Horst Kramp: Hähnchen machen auch nicht satter als Broiler

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Über dieses E-Book

Ein abenteuerlicher Fluchtversuch aus der DDR, eine ungewöhnliche Liebesgeschichte hinter den Mauern eines Stasigefängnisses und zahlreiche humoristische Anekdoten aus dem Leben des Protagonisten sind die Hauptzutaten für diesen Roman. Der amüsante und witzige Erzählstil des Autors lässt den Leser am Leben des Ossis Horst Kramp in den Jahren 1987 bis 1992 teilhaben. Dabei ist die tonale Ähnlichkeit des Namens Horst Kramp zu Forrest Gump gewollt. Der Protagonist ist ähnlich naiv und ebenso liebenswert wie dieser. Ein Buch für alle, die die Welt der DDR gekannt haben oder mehr darüber wissen möchten.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum10. Aug. 2023
ISBN9783757858049
Horst Kramp: Hähnchen machen auch nicht satter als Broiler
Autor

Manfred Stock

Mit "Horst Kramp" stellt Autor Manfred Stock dem Publikum seinen Erstlingsroman vor. Gebürtig in Schönebeck an der Elbe, ist die Story stark autobiografisch angehaucht. Manfred Stock arbeitet freiberuflich als Autor und lebt heute in Celle.

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    Buchvorschau

    Horst Kramp - Manfred Stock

    1. Es ist an der Zeit

    „Hallo Heinz."

    Es ist wirklich ein äußerst unangenehmes Gefühl, sich mit einem warmen Hintern auf eine kalte Klobrille zu setzen. Es ist an der Zeit, dass jemand die beheizbare Klobrille erfindet. In derlei lästigen Momenten grüße ich immer meinen imaginären Freund Heinz. Ich tue das auch, wenn ich Schmerzen habe, niesen muss oder über allen Maßen erstaunt bin. Dann grüße ich Heinz. Und ich habe keine Ahnung, wer das wohl sein mag. Während ich mein Geschäft in meiner gemütlichen Zweizimmerwohnung im Hamburger Stadtteil Winterhude verrichte, regnet es mal wieder. Die Einheimischen nennen es „Hamburger Schmuddelwetter". Ich bin kein Einheimischer. Ich bin vor genau vier Jahren aus dem Osten gekommen.

    Am ersten März 1988 rollte der Zug in Hamburg ein. Auch damals regnete es. In diesen vier Jahren ist nicht viel passiert, außer dass ich in einer Fabrik der Autozulieferbranche gearbeitet habe. Gestern wurde ich entlassen. Heute sitze ich auf meinem Lokus und bin abgesehen von der kalten Klobrille recht entspannt. Mit einer Abfindung von zehntausend DM lässt es sich am Tag nach einer Entlassung relativ entspannt scheißen. Wortfetzen einer ostdeutschen Bierwerbung dringen aus dem Radio an mein Ohr. „Es ist an der Zeit…" Sage ich doch. Es ist an der Zeit, dass jemand die beheizbare Klobrille erfindet. Während ich mir die Hände wasche, denke ich darüber nach, wofür es eigentlich wirklich Zeit ist in meinem Leben. Ich komme zu der Erkenntnis, dass es mal wieder an der Zeit ist, eine meiner Untugenden zu bekämpfen. Meine ausgeprägte Abneigung gegen die Obrigkeit und überhaupt gegen Menschen in Uniformen, Roben oder imaginären Halskrausen muss einer gründlichen Hinterfragung unterzogen werden. Ich hatte in den letzten vier Jahren keine Zeit für solche Dinge. Ich musste täglich zwei Tausend Kolben im Akkord drehen. Für die Autozulieferbranche. Ich war für die Nuten und die Mulde der Kolben verantwortlich. Auf ein Tausendstel Millimeter genau. Vier Jahre lang. Der gestrige Tag war eine Erlösung. Ich hatte mich schon gefragt, wann der Personalchef mich wohl zu sich rufen würde. Die Belegschaft sollte aus Gründen der Rationalisierung von sechshundert auf dreihundert Mitarbeiter reduziert werden. Die Leute gingen und gingen und kein Personalchef rief mich zu sich. Warum war ich auch immer pünktlich? Warum hatte ich nie krankgefeiert wie meine Kollegen? Warum war meine Ausschussrate so gering? Mein Gott, die wollen mich behalten! Ich muss diesen stupiden Job noch etliche Jahre weitermachen. Furchtbar. Eine Kündigung kam nicht in Frage. Das schickte sich nicht. Außerdem musste ich eine Wohnung bezahlen. Ich wollte nicht unter der Brücke landen. Ich wollte meine Arbeitskraft anbieten und Geld verdienen. Freilich, wenn sie mir kündigen würden, wäre es etwas anderes. Dagegen kann man nichts machen. Dann würden sie mich abfinden. Ein Nettomonatsgehalt für jedes Jahr. Zehn Tausend Mark. Damit ließe sich der nächste Tag entspannt angehen. Zweihundertfünfzig Leute sind schon entlassen worden. Und Horst Kramp war noch immer nicht dabei. Gestern dann endlich die Erlösung: Der Personalchef rief mich zu sich. Puh, Glück gehabt. Er setzte mir die prekäre Lage der Firma auseinander und bedauerte, einen so guten Mitarbeiter wie mich zu verlieren. Bla, bla, bla. Er bot mir zehntausend Mark Abfindung, wenn ich den Auflösungsvertrag sofort unterschreiben würde. Ich tat es augenblicklich. Er hatte leichtes Spiel mit mir. Viele Kollegen drohten mit dem Betriebsrat und verhandelten über eine höhere Abfindung. Manche hatten Glück. Meine Sache war das nicht. Ich kam aus dem Osten. Da lernte man so etwas nicht. Ich sagte Ja und Amen und unterschrieb den Auflösungsvertrag. Später ärgerte ich mich. Vielleicht hätte er auch zwölftausend bezahlt? Aber ich konnte nicht mit einem Personalchef feilschen. Er hatte einen schicken Anzug an. Einen mit Nadelstreifen. Einem Mann in so einer Position durfte man doch als einfacher Arbeiter nicht selbstbewusst gegenübertreten. Oder?

    Ich trockne mir die Hände ab und besehe dabei mein Gesicht im Spiegel. Ich setze eine ernste Miene auf und sage: „Ich will zwölftausend plus ein volles Urlaubsgeld. Dann sind Sie mich los. Danach lache ich, zeige mir einen Vogel und erwidere: „Lächerlich. Vergiss es! Ich bin frustriert und hole mir das letzte Bier aus dem Kühlschrank. Es ist die Sorte, die gerade in der Radiowerbung angepriesen wurde. „Es ist an der Zeit… Stimmt, sage ich mir. Diese Unterwürfigkeit vor Personen, die in meinen Augen höhergestellt sind als ich, muss aufhören. Schluss mit dieser Angst. Was soll das auch? Ich lebe jetzt in einer Demokratie. Da kann jeder sagen, was er denkt. Ich muss es schaffen, immer zu sagen, was ich denke. Insbesondere gegen Leute der Obrigkeit. Das wird sehr unangenehm. Ich hege einen nicht unerheblichen Groll gegen solche Figuren. Auch wenn ich im Unrecht bin, weil ich aus Parkplatzmangel mal wieder im selbigen Verbot stehe, entwickele ich gegen die sich unnatürlich schnell herbeieilende Politesse einen ebenso unnatürlichen Hass. Was kann die arme Frau dafür? Natürlich nichts. Und doch bin ich stets dazu geneigt, sie zu fragen: „Wie fühlt man sich so, wenn man dreiunddreißig Prozent seiner Lebenszeit darauf verwendet, auf Fehler seiner Mitmenschen zu lauern, um diese sofort und ohne Gnade zu dokumentieren und zu bestrafen? Ich unterlasse es jedoch immer. Ich habe zu viel Angst, dass ich dann womöglich verhaftet werde. Ich sage auch äußerst ungern bei Gericht als Zeuge aus. Ich hasse Gerichte. Ich gehöre zu den Menschen, die bei einem Unfall schnell weglaufen, damit mich ja niemand anspricht, ob ich etwas gesehen hätte. Freilich, wenn Blut fließt, ist das etwas anderes. Dann vergewissere ich mich vorher noch, ob nicht aus irgendeiner Ecke ein Mensch herbeigeeilt kommt und die Worte „Lassen Sie mich durch, ich bin Arzt von sich gibt. Meistens ist dies der Fall. Ich hatte in dieser Beziehung bisher großes Glück. Ich bin dem Schicksal sehr dankbar dafür, dass ich auch noch nie Zeuge eines Verbrechens geworden bin. Kein tödlicher Schrei aus der Wohnung meines Nachbarn. Keine Vergewaltigung im nahen Stadtpark, während ich dort gerade spazieren gehe. Kein Banküberfall. Kein Tankstellenraub. Nichts dergleichen kreuzte bisher meinen Weg. Danke lieber Gott, denn ich hasse Kripobeamte. Auch wenn ich etwas gesehen hätte, ich würde bei ihrer Befragung alles vergessen haben. Komplett. Ich würde mich schuldig fühlen. Mich verdächtig machen, was das Ganze noch verschlimmern würde. Ich bin in dieser Beziehung einfach ein gebranntes Kind. Ich versuche mir oft einzureden, dass es ganz normal ist, wenn man in seinem Leben einmal mit der Stasi zu tun hatte. Und doch ist es mein Wille, wenn auch nicht mein letzter, in dieser Beziehung eine Normalität einkehren zu lassen. Ich möchte ein gesunder und wachsamer Bürger sein, der die staatlichen Organe darin unterstützt, Kriminalität und Vergehen lapidarer Art in den Griff zu bekommen. Ich möchte angepasst sein. Ich habe das so gelernt. Immerhin vierundzwanzig Jahre lang. Es waren die ersten vierundzwanzig Jahre meines Lebens und ich lebte sie in der „Deutschen Kratschen Plik, wie Erich Honecker immer zu sagen pflegte. Leider hatte ich mit der Stasi zu tun. Das klingt erst einmal harmlos. Mein Gott, Stasi. Na und? Ha. Ihr Unwissende. Ihr fragt euch, wie die Menschen in der DDR es sich vierzig Jahre lang gefallen gelassen haben, derart unterdrückt zu werden. Und ich sehe, dass ihr nichts wisst.

    Ich habe noch immer einen Hass gegen die Obrigkeit. Die Wahrheit ist natürlich, dass ich mich hasse für meine Angst gegen die Obrigkeit. Ich muss etwas dagegen tun! Ich lebe doch nun in einem demokratischen Land. Da muss doch keiner mehr Angst haben. Oder? Mein Verstand verneint diese Frage vehement. Und doch, es ist dies eine Baustelle, bei der ich ganz ohne Bauplan auskommen muss. Eine Baustelle, die als Ergebnis ein Kartenhaus oder eine Freiheitsstatue hervorbringen kann. Für den Moment bekämpfe ich das heraufziehende Unbehagen darüber mit einem kräftigen Schluck dieses Gerstensaftes, der schon immer besonders war. Freilich ohne allzu freundschaftliche Gefühle aufkommen zu lassen, hat sich doch auch schon Johnny Walker als falscher Freund erwiesen. Doch wie beginnt man den Kampf gegen die eigenen Unzulänglichkeiten? Das radikale Löschen des bestehenden Lebens durch Flucht zieht mitunter einen Blick in die Mündung einer Kalaschnikow nach sich, wie damals, im Sommer 1987 an der ungarisch-österreichischen Grenze. Nein, diese Reset-Taste möchte ich tunlichst vermeiden. Ich kann ja nicht schon wieder flüchten. Und wohin auch? Flucht ist keine Lösung. Das wahre und moderne Leben verlangt Alternieren. Plus, Minus. Plus, Minus. Doch was bedeutet das? Zurück zu den Wurzeln? Genau! Mein nächster Kampf, für den ich mir den schwergewichtigen Gegner „Vergangenheitsbewältigung" ausgesucht habe, soll dort stattfinden, wo ich vor nahezu fünf Jahren den Entschluss fasste, den Kampf gegen ein übermächtiges System aufzugeben. Ist das nicht genial? Ich bin stolz auf mich und leere die Bierflasche in einem Zug. Ich überlege krampfhaft, ob ich noch Alkohol im Hause habe. Die Tatsache, meinen längst fälligen Vorstoß an die Front des Lebens mit der positiven Kraft der Versöhnung beginnen zu wollen, geht erst einmal nicht ohne Alkohol. Ich erinnere mich an das Geburtstagsgeschenk meiner Nachbarin Frau Lindner vom letzten Jahr. Eine Flasche Wodka. Weil ich doch aus dem Osten bin. Da trank man doch immer Wodka, nicht wahr? Ich antwortete ihr damals, dass ich nicht ganz so weit aus dem Osten komme. Ich finde die Flasche in der Abstellkammer. Das lässt mein Gehirn ein paar Endorphine freisetzen. Ich lächele und werte es einerseits als Geschenk und Zustimmung von oben und andererseits als Bestätigung dafür, dass man nicht unbedingt durch die Gegend joggen muss, um dies zu erleben. Ich schenke mir einen ein. Ich muss heute nicht in die Fabrik. Erledigt der Fall. Ich kippe den Wodka hinter und denke an Frau Lindner. Sie grüßt immer freundlich, wenn ich ihr im Treppenhaus begegne. Frau Lindner ist wirklich nett. Sie hat die Wohnung direkt gegenüber der meinen. Nicht selten beobachte ich sie durch den Türspion, wenn sie ihre Wohnung verlässt. Dann sehe ich sie mit ihrem Einkaufskorb und hoch gestecktem Haar durchs Treppenhaus huschen. Sie ist so fleißig, die Gute.

    Gegen Mittag brate ich mir ein Kotelett. Man fängt ja rasch an zu schludern, wenn man arbeitslos ist. Ich habe mir vorgenommen, stark zu bleiben. Ich decke sogar den Tisch und verzehre das Kotelett mit Salzkartoffeln und Beilage. So würde das Gericht auf den Speisekarten der Mitropa-Gaststätten stehen. Eine Beilage bestand meistens aus einer Tomatenscheibe und einem Salatblatt. Dazu trinke ich in Ermangelung des Bieres ein Glas Wodka. Später sitze ich auf dem Balkon und lese in der Zeitung von den Schlechtigkeiten der Welt. Frau Lindner hängt derweil im Hof die Wäsche auf. Sie trägt eine Schürze. Meine Mutter trug auch immer eine Schürze. Ich wundere mich, dass man das im Westen auch tut. Als mich Frau Lindner sieht, winke ich ihr unaufdringlich zu. Ich gehe dann wieder in meine Wohnung, weil sie mich sonst sicher ansprechen würde. Ich bin ihr gegenüber seltsam befangen. Sie wirkt so erwachsen, wenn sie mit ihrem Dutt durchs Treppenhaus schlurft. Sie mag Anfang vierzig sein.

    Ihr Mann kam bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Die zwei Töchter studieren auswärtig. Sie erzählt viel von ihnen, wenn sie mich von Zeit zu Zeit am Wochenende zum Mittagessen einlädt. Sie sind ihr ganzer Stolz. Ich glaube, sie mag mich. Dieses Gefühl erwidere ich natürlich.

    Wer mich mag, den mag ich auch. Trotzdem ist sie natürlich viel zu alt für mich. Ich werde nächstes Jahr dreißig. Nein, also Frau Lindner, bei aller Liebe. Das geht nicht. Was genau nicht geht, überlege ich, während ich neues Bier kaufen gehe, denn der Wodka neigt sich am späten Nachmittag bereits dem Ende zu. Ich komme zu keinem Ergebnis. Vielleicht liegt es am Wodka. Frau Lindner ist eben meine Nachbarin. Schluss, aus, Ende. Außerdem habe ich gerade Simone Kellermann am Start. Über diese Dame wird später noch zu berichten sein.

    Gegen Abend beschließe ich, das wenige Geschirr von Hand zu spülen. Bis zum Freitagskrimi ist noch etwas Zeit. Im Hintergrund läuft die Tagesschau, aber die Nachrichten kenne ich bereits aus dem Radio. Plötzlich klingelt es an der Wohnungstür. Es ist dieser piepsige Ton, der mir verrät, dass der Besuch

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