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Meine Stimme: Zwischen Haltung und Unterhaltung
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eBook228 Seiten3 Stunden

Meine Stimme: Zwischen Haltung und Unterhaltung

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Über dieses E-Book

Schon während seiner Ausbildung im Leipziger Thomanerchor fiel Sebastian ­Krumbiegel durch sein ­rebellisches Naturell auf. Machte das Leben zwar interessant, aber nicht ­unbedingt einfacher. Da kamen ihm die ­Umbrüche, die zum Ende der DDR führten, ­gerade recht. Er packte die Gelegenheit beim Schopfe und wurde mit seiner Band Die Prinzen einer der ersten gesamt­deut­schen Popstars. Seine Eigenschaft, sich einzumischen, wann und wo es ihm passt, hat Krumbiegel ­dadurch nicht verloren. Geprägt durch das hautnahe Erleben des Rechtsrucks im Nachgang der Wiedervereinigung, neurechte Demonstrationen in seiner Heimatstadt und einen Überfall durch Neonazis hat er sich ein Ziel gesetzt: Haltung zeigen – gegen rechts, für Menschenrechte und Zivilcourage.

In dieser erweiterten Ausgabe seiner Autobiografie »Courage zeigen« zieht Sebastian Krumbiegel die Bilanz seines Lebens – von der (Wunder-)Kindheit in der DDR über die Baseball­schlägerjahre in der neuen Bundesrepublik bis heute. Ein Leben im Rampenlicht und im Auge des Shitstorms, ein Leben als Popstar und als Idealist.

»Sebastian hat 'ne Menge erlebt und viel zu erzählen. Dass er das jetzt aufgeschrieben hat, finde ich top und sehr spannend – und ich wünsche mir, dass er damit viele Leute erreicht und motivieren kann.«
– Udo Lindenberg
SpracheDeutsch
HerausgeberVentil Verlag
Erscheinungsdatum18. Juni 2024
ISBN9783955756338
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    Buchvorschau

    Meine Stimme - Sebastian Krumbiegel

    1

    ZUR RICHTIGEN ZEIT AN DER RICHTIGEN STELLE

    Systemabsturz, zwei »Jugoslawen« in Ungarn und die Geburt eines politischen Musikfestivals

    Nach dem 9. Oktober 1989 waren die Weichen gestellt. Es wusste zwar noch niemand, wohin die Reise gehen würde, aber allen war klar, dass dieser Tag ein besonderer gewesen war, man spürte, dass diese unglaublichen Menschen-Massen auf den Straßen von Leipzig etwas in Bewegung gesetzt hatten, was nicht mehr aufzuhalten war. In den nächsten Wochen veränderte sich, fast unmerklich, das Klima der Montags-Demonstrationen. Am darauffolgenden Montag, am 16. Oktober waren es angeblich 300.000 Menschen, die in den frühen Abendstunden durch die Innenstadt liefen, die den Ring, der das Zentrum umschließt, bevölkerten. Die anfänglichen »Wir sind das Volk«-Sprechchöre wichen schnell dem fordernden »Wir sind ein Volk«, und mehr und mehr wurde die ursprünglich knisternde Atmosphäre durch eine andere abgelöst, eine fast volksfestartige – einerseits wirklich fröhlich und nach wie vor friedlich, andererseits erinnere ich mich aber auch daran, dass immer mehr unangenehme, nationalistische Töne zu vernehmen waren. »Deutschland einig Vaterland« war zu hören, und gleichzeitig gingen diese Sprechchöre in einem Pfeifkonzert der Gegner dieser Forderung unter. Die Leute waren sehr kreativ, was ihre Forderungen auf Transparenten oder in Sprechchören betraf. »Visa-frei bis Shanghai«, »Egon Krenz – wir sind nicht deine Fans« oder »Stasi in den Tagebau« waren zu lesen und zu hören. Teilweise waren die Forderungen oder Wünsche aber auch schon fast wieder lustig, weil Dinge skandiert wurden, die unfreiwillig komisch wirkten: »Helmut nimm uns an die Hand – führ uns ins Wirtschaftswunder-Land« oder, auf den damaligen Hoffnungsträger und letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière gereimt: »Die richtige Kohle, die muss her – DM – DM – de Maizière«.

    Aber der Ton wurde auch schärfer. Ich erinnere mich noch sehr genau an den ersten Republikaner-Flyer, den ich in die Hand gedrückt bekam und auf dem »Arbeit zuerst für Deutsche« stand, und ich erinnere mich daran, wie schockiert ich war, aber auch an die teilweise sehr positiven Reaktionen darauf. Oder ein Sprechchor von einer kleinen Gruppe offensichtlich stark alkoholisierter Männer, den ich mich kaum traue zu wiederholen: »Gysi-Modrow an die Wand – Deutschland einig Vaterland«. Innerhalb von wenigen Wochen nahm das Ganze eine Entwicklung, die dazu führte, dass ich ab November mit sehr gemischten Gefühlen zu den Montagsdemos ging und dann irgendwann gar nicht mehr.

    Die Ereignisse hatten sich überschlagen, die Mauer war gefallen, und das Jahr 1990 warf seine Schatten voraus. Die Zeit zwischen DDR und dem wiedervereinigten Deutschland war eine sehr spannende. Alles schien möglich zu sein. An allen Ecken schossen neue, unabhängige Clubs und Cafés wie Pilze aus dem Boden. Es gab keine Autorität, die irgendwas hätte unterbinden können. Die alten, ausgedienten Volkspolizisten waren Witzfiguren geworden, und die neuen gab es noch nicht. Die Straßen waren voll mit Händlern, die Feuerwasser und Glasperlen verkauften – wir haben damals oft diesen Indianervergleich gezogen. Teppichhändler, Gebrauchtwagenhändler – alles Mögliche an Ware wurde irgendwie unter die Leute gebracht. Das funktionierte auch schon vor der Währungsunion im Sommer, weil das alte Ostgeld zu einem schwankenden Kurs schwarz getauscht werden konnte. Schon zwei Jahre vorher hatten wir uns im Intershop in Ost-Berlin gute Gesangs-Mikrofone gekauft, die wir dringend brauchten. Wir haben den achtfachen D-Mark-Preis in Ostgeld dafür auf den Tisch gelegt und waren irre stolz, endlich ordentliche Mikros zu haben. Das letzte Ostgeld haben wir regelrecht auf den Kopf gehauen. Es war nur ein geringer Betrag, den man zur Währungsunion 1:1 umtauschen konnte, weswegen wir die letzten Tage mit unserem Ostgeld nur so um uns geworfen haben.

    Im Sommer 1990, nach der Währungsunion, habe ich mir für genau 1000,– DM einen alten VW Käfer gekauft und bin zusammen mit meinem Bandkollegen und Freund Jens damit nach Ungarn gefahren. Dieses Auto war cool, auch wenn es nach heutigen und sicher auch damaligen Regeln niemals durch den TÜV gekommen wäre, aber das war egal. Beim Bremsen zog er immer ein bisschen nach links, aber er fuhr, und er brachte uns über Prag und Budapest bis zum Balaton und wieder zurück.

    Zu DDR-Zeiten war Ungarn für uns immer das Tor in den Westen. Dort konnte man Klamotten kaufen und vor allem Schallplatten. Ganz allgemein war es aber bei Reisen in die Ostblockländer so, dass wir uns immer als Deutsche zweiter Klasse gefühlt hatten, weil wir mit unserem Ostgeld eben nur zu einem Bruchteil die jeweilige Landeswährung bekamen, im Gegensatz zu jemandem, der mit Westgeld gewunken hatte. Das empfanden wir oft als beschämend. Man nahm sich, gerade nach Ungarn, Konserven, Salami und überhaupt Lebensmittel mit, man hatte volle Benzinkanister im Auto, damit man für diese Dinge kein Geld ausgeben musste. Wenn der Kaffee oder der Drink in einer Bar für den Westdeutschen umgerechnet eine Mark kostete, legten wir dafür mindestens das Fünffache hin, und genau das war nach der Währungsunion Schnee von gestern. Dazu kam noch, dass Deutschland 1990 Fußballweltmeister geworden war, und all das führte dazu, dass viele Ostdeutsche, die in diesem Sommer nach Ungarn reisten, eine unangenehme Art von Nationalstolz zur Schau stellten – nach dem Motto: Wir sind wieder wer, wir sind nicht mehr Deutsche zweiter Klasse, wir können uns endlich all das leisten, was wir uns bis jetzt nicht kaufen konnten, und jetzt sind wir auch noch Fußballweltmeister, machen uns unsere schwarz-rot-goldene Fahne ans Auto und hauen mal so richtig auf die Kacke.

    SK mit seinem ersten VW-Käfer vor dem Elternhaus, 1990. Foto: privat

    Ich will nicht ungerecht sein. Natürlich verstehe ich dieses Gefühl, natürlich kann ich nachvollziehen, dass dieser Glückstaumel viele Menschen halb besoffen gemacht hatte, gerade die Menschen, die sich jahrelang immer beschämt oder eben zweitklassig gefühlt hatten. Mir war das damals schon verdammt unangenehm. Jens und ich haben uns während dieser wunderbaren Reise an den Balaton jedenfalls einen Sport draus gemacht, uns möglichst nicht als Deutsche zu erkennen zu geben. Das hat wunderbar funktioniert. Wenn wir deutsche Touristen trafen, ganz gleich, ob es Ost- oder Westdeutsche waren, haben wir uns in einer Fantasiesprache unterhalten und uns als Jugoslawen ausgegeben. Das war sehr lustig, zumal wir das, je mehr wir es praktizierten, stundenlang durchhalten konnten. Verständigt haben wir uns in schlechtem Englisch (mit pseudo-jugoslawischem Akzent) und brachten unseren deutschen Gesprächspartnern sogar einige Jugoslawische Vokabeln bei: What’s the meaning of »cheers«? We say: »runtermitdemmischt« – very funny! Wir wollten nicht zu den Fahne schwenkenden, deutschtümelnden Leuten gehören und wie so oft war eine humorvolle Gegenaktion unsere Art, genau das zu zeigen. Wir haben das nicht böse gemeint, wir fanden es einfach nur lustig, und einige der Betroffenen konnten mit uns zusammen darüber lachen. Andere nicht so sehr. Wenn wir einen ganzen Abend lang in diesem schlechten Englisch miteinander kommuniziert hatten, und dann, am Ende plötzlich in feinstem Sächsisch fragten, ob die anderen denn auch aus dem Osten seien, dann traf das nicht immer das Humorzentrum derer, die wir gerade zwei/drei Stunden lang vorgeführt hatten. Wir haben uns vor Lachen die Bäuche gehalten und fühlten uns frei. Ich weiß noch, dass wir mit vier Mädchen sprachen, von denen eine kein Englisch verstand, was dann dazu führte, dass die drei anderen ihr das, was wir in unserem »Jugo-Englisch« erzählt hatten, zurück ins Deutsche übersetzen. Die vier Ladys aus Thüringen fanden das dann am Ende, als wir uns geoutet hatten, gar nicht lustig – wir schon. Rückblickend amüsiere ich mich immer noch darüber, auch wenn es sicher nicht die feine englische (ha-ha!) Art war.

    In den nächsten Wochen und Monaten passierte auch für uns als Band sehr viel. Wir hatten das große Glück, zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle die richtigen Leute zu treffen, und ehe wir gucken konnten, waren wir auf einmal Popstars, und die Leute im ganzen wiedervereinigten Land sangen unsere Lieder. Diese ersten Jahre waren wie ein schneller, bunter, schriller und vor allem sehr egozentrischer Rausch. Wir hatten das Gefühl, die ganze Welt dreht sich ausschließlich um uns und unsere Musik – es war fantastisch, wir hatten über Nacht erreicht, wovon wir jahrelang geträumt hatten – alles war perfekt.

    Als aber die Bilder der brennenden Häuser aus Rostock Lichtenhagen die Nachrichten-Sendungen dominierten, habe ich das erste Mal gedacht, dass hier einiges gewaltig schiefläuft. Natürlich hatten wir in Leipzig die Straßenkämpfe zwischen Nazis und Antifa mitbekommen und uns auch in unseren Texten damit beschäftigt – ich weiß noch genau, wie uns in der Hamburger Hafenstraße eine junge Punkerin hinterherrannte und »Danke für Bombe!« gerufen hatte – das fand ich großartig, weil ich dachte: Das kommt bei den Leuten da draußen genauso an, wie wir es meinen. In dem Lied singt Tobias: »Schmierst du an die Wand eine hohle Naziparole, dann möchte ich ’ne Bombe sein und einfach explodier’n …«. Das war auch die Zeit der ersten großen »Rock gegen Rechts«-Konzerte – wir waren bei »Heute die – morgen du« in Köln dabei oder bei »Gewalt ätzt« in Leipzig, und es war uns wichtig, uns überall dort klar zu positionieren. Aber die Bilder aus Rostock, vor allem die applaudierende Menge, der widerliche Mob, die »Heil Hitler« grüßenden Nazi-Idioten, die Pogrome in Hoyerswerda, Solingen oder Mölln, das hat mich ernsthaft und nachhaltig beunruhigt, und ich musste zurückdenken an die Montagsdemos und an die ersten Anzeichen dieses Wahnsinns, vor dem schon viele gewarnt hatten. Ich hatte die Sorgen damals nicht nah an mich herangelassen, aber nun waren sie bittere Realität geworden. Auch in Leipzig fanden jetzt mit beunruhigender Regelmäßigkeit Nazi-Demos statt. Christian Worch, heute mittlerweile Parteivorsitzender der rechtsradikalen Partei »Die Rechte« hat Ende der 1990er-Jahre regelmäßig Nazi-Demos angemeldet, die von den zuständigen Behörden auch gestattet worden waren. Darüber kann man lange streiten – die einen sagen: So etwas muss eine Demokratie aushalten, und man sollte sich mit demokratischen Mitteln dagegen wehren, andere verstehen nicht, dass die Justiz es zulässt, Kundgebungen mit klar rassistischen oder antisemitischen Inhalten stattfinden zu lassen. Ich bin ein großer Fan des zivilen Ungehorsams. Und ich denke, wenn die (in diesem Falle wieder mal sächsische) Justiz, solche Aufmärsche oder Demonstrationen nicht unterbindet, dann muss man sich eben selbst darum kümmern. Mein oberstes Gebot ist diesbezüglich: Man sollte das auf jeden Fall immer gewaltfrei, also friedlich tun. Das war für mich die prägendste Lehre aus den Oktobertagen der Montagsdemos in meiner Heimatstadt, und daran hat sich bis heute nichts geändert.

    Als für den 1. Mai 1998 am Leipziger Völkerschlacht-Denkmal, einem der Wahrzeichen der Stadt, eine Nazi-Kundgebung angemeldet und genehmigt worden war, fanden sich ein paar Leipziger aus der freien Kulturszene, aus der Gastronomie und ein paar Freunde zusammen und schmiedeten einen Plan. Die Idee war, dass wir am Vorabend dieser Nazi-Demo ein Konzert an genau dieser Stelle veranstalten und damit den Platz blockieren. Wir suchten uns Partner bei der Stadt, sprachen potentielle Sponsoren aus der Wirtschaft an, fragten die Gewerkschaften und die Kirchen um Unterstützung und versuchten mit diesem breiten Bündnis dafür zu sorgen, dass der Nazi-Aufmarsch wegen der Sicherheitslage am nächsten Tag nicht stattfinden konnte.

    Rückblickend war das ganz schön blauäugig. Wie sollte man innerhalb von ein paar Tagen ein solches Projekt durchziehen können? Die Leute, die wir in Politik und Wirtschaft von dieser Idee überzeugen wollten, hatten doch sicher volle Terminkalender und warteten nicht darauf, dass ein etwas konfuser Haufen von jetzt auf gleich so etwas auf die Beine stellen wollte. Aber manchmal entsteht aus dem »Geht nicht, gibt’s nicht« auch eine wunderbare Dynamik. Wir wollten nicht einfach so den Nazis – im wahrsten Sinne des Wortes – das Feld überlassen. Wir wollten zeigen, dass Leipzig eine weltoffene, friedliche Stadt ist, und so sind wir losgezogen, haben bei vielen Unterstützern offene Türen eingerannt und hatten vor allem von der ersten Sekunde an den Oberbürgermeister als Schirmherrn im Boot.

    Am Ende des Tages hatten wir gewonnen – die Nazis konnten nicht marschieren. Stattdessen fand ein Musikfestival statt. Es spielten mehrere Bands. Headliner waren Wolfgang Niedeckens BAP, die wir beim »Heute die – morgen du« kennengelernt hatten. Wir mobilisierten über 10.000 Menschen, und die Idee »Leipzig – Courage zeigen« war geboren. Es war ein politisch ausgerichtetes Musikfestival ins Leben gerufen worden, das seit über zwanzig Jahren am 30. April stattfindet und zu einer festen Größe in der Leipziger Kulturlandschaft geworden ist. Das Schöne ist, dass alles mit einer kleinen Idee begann, im Laufe der Jahre gewachsen ist, Höhen und Tiefen erlebt hat und heute nach wie vor, oder vielleicht sogar mehr denn je in meiner Lieblingsstadt eine große Rolle spielt.

    Am Anfang bestand meine Aufgabe hauptsächlich darin, Bands und Künstler anzufragen, ob sie für gar keine oder eine sehr überschaubare Gage, oder besser »Aufwandsentschädigung«, dabei sein würden. Mittlerweile kümmere ich mich genauso intensiv um Sponsoren, Öffentlichkeitsarbeit und bin Jahr für Jahr als Co-Moderator des Abends am Start. Und das sage ich nicht, weil ich mich dabei so toll finde, sondern deswegen, weil es mir ungeheuren Spaß macht und weil ich darauf, was wir als Team erreicht haben, ein bisschen stolz bin.

    Heute sind wir mit »Leipzig – Courage zeigen« auf dem Marktplatz, also wirklich im Herzen der Stadt, oder in der sprichwörtlichen Mitte der Gesellschaft angekommen, und jedes Jahr feiern acht- bis zehntausend Menschen ein Fest, das einerseits gute Musik bietet und andererseits inhaltlich klar für die Werte steht, von denen ich fest überzeugt bin, dass wir sie pflegen müssen: Respekt, Toleranz, ein friedvolles Miteinander, bei dem Rassismus, Rechtsextremismus, Sexismus, Homophobie oder Antisemitismus keine Chance haben. Natürlich ist der Grundgedanke, der ursprüngliche Gedanke, sich gegen Nazis zu wenden, nach wie vor sehr wichtig. Ich halte es aber für konstruktiver, für etwas zu stehen und nicht vordergründig gegen etwas. Und natürlich weiß ich auch, dass es viele Menschen gibt, die das gar nicht mögen, eben weil sie Haltungen oder Meinungen vertreten, die ich entschieden ablehne. Und wenn diese Menschen damit dann auch mich ablehnen, kann ich das nicht nur nachvollziehen, sondern finde es sogar vollkommen in Ordnung. Denn wenn die mich mögen würden, wäre ich im Umkehrschluss ein Mensch, den ich ablehnen müsste, und das wäre ja völlig dämlich – oder vereinfacht gesagt: Ich find es gut, wenn mich Arschlöcher Scheiße finden, weil das auf Gegenseitigkeit beruht.

    Die Geschichte von »Leipzig – Courage zeigen« umfasst – wie erwähnt – mittlerweile über zwanzig Jahre, und sie geht sicher noch sehr lange weiter. Nicht, weil ich hoffe, dass wir uns noch lange gegen Nazis oder andere Idioten wehren müssen, sondern weil ich weiß, dass wir nie aufhören dürfen, uns um uns und unser Leben zu kümmern. Es gab eine Phase in den Nullerjahren, als mir Freunde oder Bekannte sagten: »Du mit deinem Courage-Festival – das ist doch voll Neunziger – braucht heute kein Mensch mehr, Nazis gibt es doch gar nicht mehr wirklich!« Dann flog plötzlich der »Nationalsozialistische Untergrund« auf, alle haben sich erschrocken, und selbst die Hardliner mussten zugeben, dass sie das Problem Rechtsradikalismus jahrelang unterschätzt hatten. Zwischenzeitlich gab es auch Gegenwind aus konservativen Kreisen der Leipziger Stadtpolitik, und ich musste immer wieder erklären, dass wir kein linksradikales Festival sind, dass wir uns klar gegen Gewalt stellen und für Dinge eintreten, die ein friedliches Miteinander fördern. In einigen Jahren der Anfangszeit von »Leipzig – Courage zeigen« gab es am Rande der Veranstaltung ab und zu eine kleinere Randale von linken Gruppen, was mich immer geärgert hat, denn solche Aktionen diskreditieren das eigentliche Anliegen. Natürlich muss man sich wehren, wenn man angegriffen wird, vor allem dann, wenn die Polizei nicht eingreift, aber von vornherein Randale zu machen, Polizisten anzugreifen, weil die ja sowieso »die Faschisten schützen«, ist immer kontraproduktiv und sorgt für eine Spirale der Gewalt, die niemand wirklich gut finden kann. Gerade in der heutigen Zeit, in der die Angst vor terroristischen Anschlägen in den Köpfen der Menschen ist, sollten wir diese Gewaltspirale nicht künstlich anheizen. Wie gesagt – ich bin froh, dass es eine gut vernetzte Antifa gibt, gerade dann, wenn die Staatsmacht sich in meinen Augen bewusst wegduckt und rechtsextreme Gewalt gegen Ausländer, Menschen mit Behinderung, Queers, Muslime oder Juden zu tolerieren scheint. Das abgedroschene und immer wieder gern zitierte Feindbild Polizei kann ich dennoch nicht nachvollziehen.

    Wir spüren doch heute alle, dass unsere Demokratie gar nicht so sicher ist, wie wir immer gedacht hatten. Damit meine ich, dass wir es nicht als selbstverständlich ansehen sollten, in einer Demokratie leben zu dürfen, in der wir viele Freiheiten genießen und eben auch Schutz bzw. eine beruhigende Art von

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