Haitianische Diaspora

im Ausland lebende Haitianer

Als Haitianische Diaspora werden die dauerhaft im Ausland lebenden Haitianer bezeichnet, die ihre Heimat verlassen haben und sich legal oder auch illegal in andere Länder (in die Diaspora) begeben und dort niedergelassen haben. Bei einer Einwohnerzahl von rund 11,5 Millionen im Inland ist die „Diaspora“ mit rund 3,5 Millionen Menschen wirtschaftlich, kulturell und vor allem soziologisch von beträchtlicher Bedeutung.

Little Haiti, Miami

Gründe der Auswanderung

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Während der autokratischen Regierungen von François Duvalier („Papa Doc“) und seinem Sohn Jean-Claude Duvalier („Baby Doc“) wurden in den 1960er und 1970er Jahren Oppositionelle in das Exil gezwungen, um gewalttätiger Verfolgung zu entgehen.[1] Sie legten an Orten wie New York und Miami in den Vereinigten Staaten den Grundstein für später entstehende, größere haitianische Gemeinschaften.

Die Auswanderung aus Haiti wurde in der Folge durch anhaltende politische Instabilität und daraus resultierende wirtschaftliche Krisen, durch Naturkatastrophen wie das Erdbeben 2010 und Hurrikan Matthew 2016 sowie das hohe Maß an Unsicherheit, das durch Bandengewalt verursacht wird, stets neu befördert. Die strukturelle Armut im Land führt dazu, dass Auswanderer im Ausland nach besseren Lebensbedingungen suchen.[2][3]

Hinzu kommen mit der fortschreitenden Klimakrise sogenannte „Umweltflüchtlinge“. Die Umweltprobleme in Haiti (Entwaldung, Bodenerosion und unzureichende Trinkwasserversorgung) bilden einen weiteren Grund, sich auf den Weg an Orte zu machen, an denen diese Probleme nicht bestehen, wo aber im besten Fall bereits Verwandte oder Freunde leben.[4]

Ziele der Auswanderung

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Nordamerika

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Vereinigte Staaten

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Die Aufzeichnungen des amerikanischen Census Bureau und des Immigration and Naturalization Service (Einwanderungs- und Einbürgerungsbehörde; INS) lassen Rückschlüsse auf die Größe der legalen haitianischen Bevölkerung zu, die sich derzeit in den Vereinigten Staaten aufhält. Schätzungen von Verantwortlichen der Gemeinden, die auch der illegalen Bevölkerung Hilfe anbieten, lassen jedoch vermuten, dass die tatsächliche Zahl der haitianischen Diaspora höher ist als in Regierungsdokumenten angegeben. Die Annahme ist, dass die haitianische Diaspora in den Vereinigten Staaten mehr als 850.000 Personen umfasst; nach Angaben der Gemeinden sind es jedoch rund eine Million Menschen.[5]

Schwerpunkte der Ansiedlung haitianischer Einwanderer und Flüchtlinge sind Boston, New York (älteste haitianische Gemeinde mit rund 156.000 Menschen), New Jersey, Philadelphia, Detroit, Chicago, Washington und Atlanta. Aufgrund seiner geografischen Lage hat der Großraum von Miami in Florida eine besonders große Zahl haitianischer Migranten, deren Zahl auf über 200.000 geschätzt wird. Sie ballen sich in dem Stadtviertel Edison/Little River, das als „Little Haiti“ bekannt ist.[6]

Die Auswanderung von Haitianern nach Kanada begann mit der Diktatur von François Duvalier in den frühen 1960er Jahren. Da die meisten Haitianer Französisch sprechen, ist Kanada, hier vor allem Quebec, ein natürliches Ziel. Die haitianische Diaspora in Montreal und Ottawa besteht aus rund 200.000 Personen.[7][8]

In Mexiko leben rund 72.000 Haitianer.[9]

Lateinamerika und Karibik

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In der Nachbarschaft Haitis bieten viele Länder bessere Lebensverhältnisse und haben deswegen große haitianische Bevölkerungsanteile. Die Dominikanische Republik und Kuba haben den Großteil der haitianischen Bevölkerung in der Region außerhalb von Haiti selbst. Ein Grund für die anhaltenden dominikanisch-haitianischen Spannungen in der Gegenwart ist die starke illegale Einwanderung in den letzten Jahrzehnten. Schnell wachsende haitianische Bevölkerungsgruppen sind unter anderem in Brasilien, Chile, Kolumbien, Panama, Costa Rica, Argentinien, Jamaika, Barbados, Guyana, den Bahamas sowie Trinidad und Tobago aufgetaucht. In den karibischen Gebieten, die zu Frankreich oder dem Vereinigten Königreich gehören, leben große Teile der haitianischen Bevölkerung.[10] Im Jahr 2021 zogen Zehntausende von Haitianern, die zuvor in Südamerika gelebt hatten, mit einer Karawane von Kolumbien durch die Darién-Schlucht nach Panama und dann weiter durch Mittelamerika und Mexiko bis zur US-Grenze.[11]

Als ehemalige Kolonialmacht ist Frankreich ein natürliches Ziel für die Auswanderung von Haitianern. Es leben in Frankreich selbst rund 62000 Menschen haitianischer Herkunft. In den französischen Überseegebieten kommen rund 130.000 Menschen hinzu.[12] Kleinere Gruppen von Haitianern befinden sich in Belgien und der Schweiz, wobei die französische Sprache der Grund für die Ortswahl ist.[13]

Integration und Probleme in der Diaspora

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Die Integrationsbereitschaft und -fähigkeit von im Ausland lebenden Haitianern wird als groß bezeichnet.[14] Da sie häufig bereits in zweiter oder dritter Generation in der Diaspora leben, identifizieren sie sich leicht mit ihrer neuen Heimat.[15]

In Diskussionen über die Notwendigkeit, die Zahl haitianischer Einwanderer zu begrenzen, wird in der Regel auf deren ausgezeichneten Beitrag zum jeweiligen Gemeinwesen eingegangen.[16]

Eine der prominentesten Vertreterinnen der haitianischen Diaspora ist Michaëlle Jean, geboren in Port-au-Prince, ehemalige Generalgouverneurin von Kanada.[17]

Die Haitian Diaspora Federation (HDF) hat die Förderung einer erfolgreichen, weltweit repräsentativen Organisation von haitianischen Diaspora-Vereinigungen zum Ziel, die gemeinsam die Probleme lösen können, die sich im Ausland und in Haiti selbst stellen. Sie steht mit dem Ministère des Haïtiens Vivant à l'Étranger (Ministerium für im Ausland lebende Haitianer; MHAVE) in Kontakt.[18] Die HDF unterhält allein in den Vereinigten Staaten dreizehn regionale Gliederungen.[19]

In Europa besteht die im Jahr 2014 gegründete FEDERATION DE LA DIASPORA HAITIENNE EN EUROPE (FEDHE) mit Sitz in Paris. Ihr Ziel ist es, Initiativen der haitianischen Diaspora in Europa zusammenzuführen, um Synergieeffekte für den Wiederaufbau und die nachhaltige Entwicklung Haitis zu erzielen. Sie hat über 100 korporative Mitglieder.[20]

Im September 2024 warf Donald Trump, der republikanische Kandidat für die Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten 2024, in der TV-Debatte mit seiner Gegenkandidatin Kamala Harris in rassistischer Absicht den in Springfield (Ohio) lebenden Haitianern vor, die Haustiere ihrer Nachbarn zu verzehren. Obwohl die Stadtverwaltung, die lokale Polizei und der republikanische Gouverneur von Ohio Trumps Behauptungen als unzutreffend und falsch bezeichneten, gingen in der Folge vielfach beleidigende Mails und Drohungen bis hin zu Bombendrohungen bei der Stadtverwaltung ein. In Springfield löste dies erhebliche Unruhe aus, unter anderem wurden Schulen und öffentliche Einrichtungen unter verstärkte Bewachung durch die Polizei gestellt.[21] In einer am 11. September 2024 veröffentlichten Erklärung kritisierte das Ministerium für im Ausland lebende Haitianer „diskriminierende Äußerungen von US-Politikern über Haitianer in der Diaspora“.[22]

Rolle der Diaspora in der Heimat

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Trotz Identifikation mit und Integration in der neuen Heimat sind die Angehörigen der Diaspora eng mit Haiti, ihren Heimatorten und Familien verbunden. Dies drückt sich nicht nur in finanziellen Unterstützungen aus, die mittels Bargeldtransfer ausgesprochen umfangreich stattfinden. Häufig ist auch die Gründung und Förderung von karitativen Einrichtungen zur Förderung der Infrastruktur in der Gemeinde der eigenen Herkunft.[23]

Bekannte haitianische Sportler[24] und ein großer Teil der bekannteren haitianischen Musiker[25] leben in der Diaspora.

Premierminister Garry Conille betonte im September 2024, die Unterstützung durch die Diaspora spiele eine entscheidende Rolle dabei, Haiti aus der Krise zu führen und die weitere wirtschaftliche Entwicklung zu befördern.[26] Der in Kinshasa (DR Kongo) geborenen ehemalige US-Botschafter in Südafrika, Patrick Gaspard, vertrat auf einer Konferenz in Washington gleichzeitig die Meinung, dass die haitianische Diaspora eine Katalysatorrolle bei der wirtschaftlichen Entwicklung Haitis spielen könne, und rief dazu auf, „wahrhaftig“ zu sein, was die Distanz zwischen der Diaspora und der haitianischen Zivilgesellschaft angeht.[27]

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Einzelnachweise

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  1. Cornelius Wüllenkemper: Haitis Diktatur-Vergangenheit. In: Deutschlandfunk. 4. November 2017, abgerufen am 20. September 2024.
  2. Country Profile Haiti. In: Integral Human Development. Vatikan, August 2022, abgerufen am 20. September 2024 (englisch).
  3. Emmanuela Douyon: Haitians Flee a Nation Nearing Collapse. Migration Policy Institute, 5. Juli 2023, abgerufen am 20. September 2024 (englisch).
  4. Stefan Alscher: Environmental Degradation and Migration on Hispaniola Island. In: International Migration. IOM, 19. Mai 2011, abgerufen am 20. September 2024 (englisch).
  5. Sarah Miller, Bryan Baker: Estimates of the Lawful Permanent Resident Population in the United States and the Subpopulation Eligible to Naturalize: 2023. Hrsg.: Office of Homeland Security Statistics. Oktober 2023 (dhs.gov [PDF; 241 kB; abgerufen am 20. September 2024]).
  6. Jamella N. Gow: Race, Nation, or Community? Political Strategy and Identity-Making within the Transnational Haitian Diaspora in Miami's "Little Haiti". In: University of California (Hrsg.): Journal of Haitian Studies. Band 27, Nr. 1. Santa Barbara 2021, S. 135–156, doi:10.1353/jhs.2021.0005.
  7. Herard Jadotte: Haitian Immigration to Quebec. In: University of Quebec (Hrsg.): Journal of Black Studies. Band 7, Nr. 4, Juni 1977, S. 485–500, doi:10.1177/002193477700700407.
  8. Un portrait de la population d’origine ethnique haïtienne au Québec. In: Jeune Chambre de Commerce Haïtienne. Abgerufen am 20. September 2024 (französisch).
  9. Claudia Sheiinbaum: 14 things to know about Haiti-Mexico ties and Mexican-Haitians. In: Haitian Times. 5. Juni 2024, abgerufen am 20. September 2024 (englisch).
  10. Haitian Diaspora Federation Chapters in Latin America and the Caribbean. In: Haitian Diaspora Federation. Abgerufen am 20. September 2024 (englisch).
  11. James Dobbins, Natalie Kitroeff, Anatoly Kurmanaev, Edgar Sandoval, Miriam Jordan: How Hope, Fear and Misinformation Led Thousands of Haitians to the U.S. Border. In: The New York Times. 18. September 2021, abgerufen am 20. September 2024 (englisch).
  12. Maud Laëthier: The Role of Suriname in Haitian Migration to French Guiana: Identities on the Move and Border Crossings. In: In and Out of Suriname: Language, Mobility and Identity. 2015, S. 229–251, JSTOR:10.1163/j.ctt1w76x18.15 (englisch).
  13. Haitian Diaspora Federation Chapters in Europe. In: Haitian Diaspora Federation. Abgerufen am 20. September 2024 (englisch).
  14. The Ordeal of the 1500. In: The Creation of Canada. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 20. September 2024 (englisch).
  15. The Haitian Community in Canada. In: Statistics Canada. 28. August 2007, abgerufen am 20. September 2024 (englisch).
  16. Nick Davis: Bahamas outlook clouds for Haitians. In: BBC news. 20. September 2009, abgerufen am 20. September 2024 (englisch).
  17. We need Haitian solutions to Haitian problems. In: Haitian Diaspora Federation. Abgerufen am 20. September 2024 (englisch).
  18. Message from the Minister of Haitians Living Abroad. In: Haiti Libre. 20. Mai 2020, abgerufen am 20. September 2024 (englisch).
  19. Haitian Diaspora Federation Chapters in the United States. In: Haitian Diaspora Federation. Abgerufen am 20. September 2024 (englisch).
  20. La Federation. In: Federation de la Diaspora Haitienne en Europe. Abgerufen am 20. September 2024 (französisch).
  21. Schauermärchen von Donald Trump: Ohio stellt Schulen in Springfield unter Polizeischutz. In: Der Spiegel. 17. September 2024, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 20. September 2024]).
  22. Angeblich verspeiste Hunde und Katzen – Haitis Regierung empört über Trumps rassistische Haustierbehauptung. In: Spiegel. 12. September 2024, abgerufen am 18. September 2024.
  23. Paul Dejean: The Haitians in Quebec. Hrsg.: University of Michigan. 2008, ISBN 978-0-919662-76-6.
  24. Onz Chéry: Meet the seven Haitians looking to shock the world at the Paris Olympics. In: Haitian Times. 16. Juli 2024, abgerufen am 20. September 2024 (englisch).
  25. Miami's local Haitian Artists. In: Miami Vibes. Abgerufen am 20. September 2024 (englisch).
  26. Roberson Alphonse: Garry Conille : la diaspora a un rôle critique dans le développement économique d’Haïti. In: Le Nouvelliste. 19. September 2024, abgerufen am 20. September 2024 (französisch).
  27. Roberson Alphonse: «Nous devons être des catalyseurs», a dit Patrick Gaspard à la diaspora haïtienne. In: Le Nouvelliste. 19. September 2024, abgerufen am 20. September 2024 (französisch).